Transkript
FORTBILDUNG
Menopausale Hormontherapie
Nutzen und Risiken
Die Veröffentlichung der Women’s-Health-Initiative(WHI-)Studie zu Wirksamkeit und Risiken einer Hormontherapie in der Menopause hat sowohl die Ärzteschaft als auch die betroffenen Patientinnen verunsichert. Die gegenwärtige Kontroverse hat zweifellos dazu beigetragen, dass der früher undifferenzierte Umgang mit den hochwirksamen, aber nicht ungefährlichen Östrogenpräparaten eingedämmt wurde. Leider werden derzeit oftmals bei menopausalen Frauen mit entsprechenden Beschwerden weniger wirksame und damit enttäuschende Alternativen eingesetzt, oder ein effektives Behandlungsverfahren wird sogar gänzlich verweigert. Unter sorgfältiger Abwägung der Vorteile und der Risiken könnten jedoch viele betroffene Frauen weiterhin von dem gezielten Einsatz eines östrogenhaltigen Präparats profitieren. Vor Kurzem veröffentlichte Neuauswertungen des vorhandenen Datenmaterials aus bereits durchgeführten Studien sowie neuartige Erkenntnisse aus Experimenten bieten Ansätze für eine ausgewogene und fundierte Behandlung mit Östrogenen.
CHRISTIAN DE GEYTER
Klimakterisches Syndrom: oft ein quälendes Problem für die Frau in der Menopause Die Menopause markiert den Übergang der reproduktiven Lebensphase der Frau in die Postmenopause und ist durch den kombinierten Ausfall von drei Hormonen, den Östrogenen, den Gestagenen und den Androgenen, gekennzeichnet. Dieser Ausfall kann bei einer Mehrzahl der betroffenen Frauen einen zumeist charakteristischen Symptomenkomplex auslösen: das klimakterische Syndrom. Gelegentlich kann das klimakterische Syndrom auch mit atypischen Symptomen einhergehen, wie Schmerzen in der Brust, Palpitationen, Trockenheit in den Augen oder im Mund sowie Weichteilrheuma. Die pathophysiologischen Mechanismen, welche bei der Auslösung des klimakterischen Syndroms wirksam sind, sind nur teilweise bekannt. Eine Hauptrolle spielen die erniedrigten Östrogenspiegel, die bestimmte Zentren der Hirnbasis (Temperaturregulierungszentrum, Zentren zur Kontrolle des Herzrhythmus, Hypothalamus) massgeblich beeinflussen. Bei Östrogen-
Merksätze
■ Weder ist die generelle Empfehlung zur Hormonbehandlung bei jeder Frau im Klimakterium richtig noch die unbeschränkte Einnahme bis ans Lebensende. Heute wird niedriger dosiert, und die Behandlungsdauer wurde verkürzt.
■ Eine Kombinationsbehandlung mit einem östrogen- und gestagenhaltigen Präparat erhöht nach einer Anwendungsdauer von mindestens fünf Jahren das Brustkrebsrisiko signifikant.
■ Die Osteoporose- und Frakturprävention ist einer der gesicherten Nutzen einer Östrogengabe.
■ Die Hormontherapie geht bei jüngeren Frauen mit einer kardioprotektiven Wirkung einher, nicht jedoch bei älteren Frauen.
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mangel senden diese Zentren unvermittelt und unkontrolliert Impulse, die neben kardialen Palpitationen auch die Temperatur in der oberen Körperhälfte erhöhen. Die Differenz zwischen der Temperatur in der oberen und der unteren Körperhälfte wiederum verursacht ein unkontrollierbares Schwitzen, kombiniert mit einem Gefühl von Stress, welches durch das Herzklopfen noch verstärkt wird. Besonders für exponierte und berufstätige Frauen können diese unvermittelten Ereignisse zur Qual werden.
Therapeutischer Nutzen … Östrogenhaltige Präparate bei der Behandlung des klimakterischen Syndroms kamen erstmals in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts zur Anwendung. Sowohl die Zusammensetzung der damals verfügbaren Substanzen als auch die Dosisfindung erfolgte im Wesentlichen empirisch und wurde lange Zeit nicht kritisch hinterfragt. Die therapeutische Wirksamkeit einer Substitutionsbehandlung mit einer östrogenund gestagenhaltigen Medikation für die Therapie klimakteri-
Tabelle: Zusammenfassung der WHI-Studien
Kombination versus Plazebo (2)
Anzahl Patientinnen zu Beginn der Studie Alter zum Zeitpunkt des Screenings (± SEM) Follow-up (± SEM)
Kardiovaskuläre Erkrankungen (% pro Jahr) Myokardinfarkte (MI)
tödliche MI nicht tödliche MI Schlaganfälle tödliche Schlaganfälle nicht tödliche Schlaganfälle venöse Thromboembolie tiefe Venenthrombose Lungenembolie Summe kardiovaskulärer Erkrankungen
Krebserkrankungen invasives Mammakarzinom kolorektales Karzinom Summe Krebserkrankungen
Knochenfrakturen Hüfte Wirbelsäule Summe Frakturen
Todesfälle durch andere Ursachen Summe aller Todesfälle
Index aller Ereignisse «Global Index»*
Östrogen plus Gestagen 8506 63,2 ± 7,1 Jahre 62,2 ± 16,1 Monate
164 (0,37%) 33 (0,07%) 133 (0,30%) 127 (0,29%) 16 (0,04%) 94 (0,21%) 151 (0,34%) 115 (0,26%) 70 (0,16%) 694 (1,57%)
166 (0,38%) 45 (0,10%) 502 (1,14%)
44 (0,10%) 41 (0,09%) 650 (1,47%)
165 (0,37%) 231 (0,52%)
751 (1,70%)
Plazebo
8102 63,3 ± 7,1 Jahre 61,2 ± 15,0 Monate
122 (0,30%) 26 (0,06%) 96 (0,23%) 85 (0,21%) 13 (0,03%) 59 (0,14%) 67 (0,16%) 52 (0,13%) 31 (0,08%) 546 (1,32%)
124 (0,30%) 67 (0,16%) 458 (1,11%)
62 (0,15%) 60 (0,15%) 788 (1,91%)
166 (0,40%) 218 (0,53%)
623 (1,51%)
Östrogen versus Plazebo nach Hysterektomie (3)
Östrogen allein
Plazebo
5310 63,6 ± 7,3 Jahre 81,6 ± 19,3 Monate
5429 63,6 ± 7,3 Jahre 81,9 ± 19,7 Monate
177 (0,49%) 54 (0,15%) 132 (0,37%) 158 (0,44%) 15 (0,04%) 114 (0,32%) 101 (0,32%) 77 (0,21%) 48 (0,13%) 811 (2,25%)
199 (0,54%) 59 (0,16%) 153 (0,41%) 118 (0,32%) 14 (0,04%) 85 (0,23%) 85 (0,23%) 54 (0,15%) 37 (0,10%) 746 (2,01%)
94 (0,26%) 61 (0,17%) 372 (1,03%)
124 (0,33%) 58 (0,16%) 408 (1,1%)
38 (0,11%) 39 (0,11%) 503 (1,39%)
64 (0,17%) 64 (0,17%) 724 (1,95%)
193 (0,53%) 291 (0,81%)
185 (0,50%) 289 (0,78%)
692 (1,92%)
705 (1,90%)
Die beiden WHI-Studien wurden tabellarisch zusammengefasst (2, 3). «Östrogen plus Gestagen» bezeichnet die kontinuierliche, kombinierte Gabe eines Östrogens und eines Gestagens: In der WHI-Studie wurden konjugierte Östrogene (0,635 mg täglich) zusammen mit Medroxyprogesteronacetat (5 mg) verabreicht. «Östrogen allein» bezeichnet konjugierte Östrogene ohne Gestagenzusatz, eingesetzt bei Frauen nach einer Hysterektomie.
*«Global Index»: Dieser Index repräsentiert das erste Ereignis für jede Teilnehmerin aus folgenden Ereignistypen: KHK, Schlaganfall, Lungenembolie, Brustkrebs, Endometriumkrebs, kolorektaler Krebs, Hüftfraktur und Tod aufgrund anderer Ursachen.
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scher Beschwerden selbst wurde allerdings mehrfach wissenschaftlich belegt, selbst unter Anwendung moderner und stringenter Beurteilungskriterien an die Studienqualität (1). Bis heute verfügt keine der potenziellen Alternativen (Phytoöstrogene, Antidepressiva und andere) über eine vergleichbare Wirksamkeit bei der Linderung von klimakterischen Beschwerden. Im Lauf der Zeit wurden immer weitere wirkliche und vermeintliche Vorteile einer Langzeitbehandlung mit Östrogenen beschrieben. So wurde der Einsatz von Hormonpräparaten sowohl für die primäre als auch für die sekundäre Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen befürwortet. Eine langjährige Anwendung von Östrogenen wurde auch für die Prävention der Osteoporose, der senilen Demenz, bei Depressionen und vielen anderen Erkrankungen propagiert. Allerdings konnte für die meisten dieser Empfehlungen der wissenschaftliche Beweis nicht erbracht werden.
… und Schaden Aufgrund der ersten plazebokontrolliert durchgeführten Women’s-Health-Initiative-(WHI-)Studie (2, 3) geriet die Substitutionsbehandlung mit östrogenhaltigen Präparaten im Jahr 2002 in eine schwere Krise, welche sowohl die Ärzteschaft als auch die betroffenen Patientinnen nachhaltig verunsicherte. So errechneten die Autoren in der ersten WHI-Studie (2), dass der Nutzen einer Östrogen-Gestagen-Substitution kleiner als die potenziellen Risiken ist: Umgerechnet auf 10 000 Personenjahre führe sie zu 7 zusätzlichen kardiovaskulären Ereignissen, 8 zusätzlichen Schlaganfällen, 8 zusätzlichen Lungenembolien und 8 zusätzlichen invasiven Mammakarzinomen, während auf der anderen Seite 6 Kolonkarzinome und 5 Hüftfrakturen weniger zu erwarten seien. Die detaillierten Ergebnisse der beiden WHI-Studien sind in der Tabelle zusammengefasst. Besonders das erhöhte Brustkrebsrisiko einer Hormontherapie wurde in der Laienpresse hervorgehoben, obwohl bereits 1997 im Rahmen einer grossen Metaanalyse, in der die epidemiologischen Daten von 52 705 Frauen mit Brustkrebs untersucht wurden, das erhöhte Brustkrebsrisiko nachgewiesen worden war (4). Dagegen konnte im Rahmen der WHI-Studie erstmals die Wirksamkeit einer Hormontherapie bei der Vorbeugung von osteoporotischen Frakturen belegt werden (2). Angesichts der hitzigen Diskussionen in der Fach- und Laienpresse und ausgehend von den aus heutiger Sicht eher tendenziös negativen Schlussfolgerungen aus den WHI-Daten musste die Anforderung und auch die Indikationsstellung einer Hormonbehandlung in der Menopause neu überdacht werden.
Indikationsstellung und Durchführung einer Hormontherapie heute Die jetzige Datenlage hatte zur Folge, dass für eine Therapie der menopausalen Frau mit einem östrogenhaltigen Präparat heute nur noch zwei validierte Indikationen bestehen: ■ das klimakterische Syndrom ■ die Vorbeugung und Therapie der Osteoporose.
relatives Risiko (95% Vertrauensintervall)
koronare Herzkrankheit Mammakarzinom Schlaganfall Lungenembolie
EndometKroiluonmkkaarrzziinnoomm Femurhalsfraktur
Sowohl die Behandlungsdauer als auch die Dosis des verabreichten Östrogenpräparats wurde verändert: Heute wird niedriger dosiert, und die Behandlungsdauer wurde verkürzt. Einzige Ausnahme sind junge Frauen, welche aufgrund einer Erkrankung oder als Folge einer medizinischen Behandlung frühzeitig die Fähigkeit zur Östrogenproduktion verloren haben. In einer solchen Situation sind die von den WHI-Studien aufgedeckten Risiken nicht zutreffend, und eine langjährige Östrogenbehandlung ist dringend angezeigt. Nach einer Hysterektomie sollte nur noch eine östrogene Monotherapie zur Anwendung kommen, zumal eine östrogene Monotherapie das Brustkrebsrisiko eher absenken konnte, während eine kombinierte Behandlung mit Östrogenen je nach Art des Gestagens das Risiko tatsächlich erhöht.
Echte und vermeintliche Risiken einer Hormontherapie in der Menopause In der hitzigen Kontroverse blieben die positiven Auswirkungen einer Östrogenbehandlung häufig unerwähnt. So hat die WHI-Studie erstmalig und eindeutig die Wirksamkeit einer Östrogenbehandlung bei der Vorbeugung von Knochenfrakturen, insbesondere der Hüfte, demonstriert und die geringere Inzidenz des Kolonkarzinoms belegt (Abbildung 1). Die Hyperkoagulabilität des Bluts, bedingt durch eine Aktivierung der Thrombozyten als Folge einer Östrogen-/GestagenBehandlung, verursacht besonders in den ersten Monaten und Jahren dieser Therapie vermehrt Mikrothromben. Infolgedessen waren in den WHI-Studien das venöse Thromboserisiko, das Risiko eines Myokardinfarkts und die Inzidenz des Schlaganfalls erhöht. Inzwischen wurden die Schwächen der WHIStudien erkannt und in der Fachpresse (allerdings viel weniger in der Laienpresse) intensiv diskutiert. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen der WHI-Studie befand sich in einer fortgeschrittenen Altersgruppe (70% über 60 Jahre), und das mittlere Alter der Probandinnen in der WHI-Studie lag bei 63,6 Jahren, zirka zehn Jahre nach der natürlichen Menopause. Zusätzlich geht aus den Nachauswertungen hervor, dass es sich bei den in den WHI-Studien behandelten Probandinnen
Risiko 3,5
3 2,5
2 1,5
1 0,5
0
Nutzen
Abbildung 1: Abwägung von Risiken und Vorteilen einer Hormonbehandlung in der Menopause (2, 3)
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keineswegs um gesunde Frauen handelte. Viele hatten einen erhöhten Blutdruck, waren übergewichtig oder litten bereits unter manifesten kardiovaskulären Erkrankungen. Ausgehend von diesen berechtigten Kommentaren wurden in den letzten Monaten einige differenzierte Nachauswertungen vorgenommen und veröffentlicht. Bei jüngeren Teilnehmerinnen traten unter der Hormonbehandlung viel weniger koronare Herzkrankheiten auf als in der mit einem Plazebo behandelten Kontrollgruppe. Dieser Unterschied war statistisch signifikant, vorausgesetzt, die Einnahme des Präparats verlief ohne Unterbrechungen (5). Eine weitere Auswertung der Nurses’ Health Study, welcher eine grössere Fallzahl zugrunde liegt, ergab, dass die Verabreichung einer Hormonbehandlung von Frauen um die Zeit der Menopause mit einem signifikant geringeren Risiko für eine koronare Herzkrankheit behaftet ist (6). Dies konnte im Vergleich zur Referenzgruppe ohne Hormonbehandlung («Ref.») sowohl für die Kombinationsbehandlung Östrogen plus Gestagen als auch für die östrogene Monotherapie gezeigt werden (Abbildung 2). Diese Feststellung hat zur Arbeitshypothese eines «window of opportunity» geführt, in der die Hormontherapie bei jüngeren Frauen mit einer kardioprotektiven Wirkung einhergeht, nicht jedoch bei älteren Frauen, bei denen die Therapie erst Jahre nach dem Eintritt der Menopause begonnen wird (6). Die Richtigkeit der Schlussfolgerungen aus den Resultaten der klinischen Studien wurde kürzlich durch molekularbiologische Experimente belegt. Die in den meisten Hormonsubstitutionspräparaten vorhandenen Östrogene binden sowohl an den Östrogenrezeptor α als auch an den Östrogenrezeptor β. Gesunde Koronarien enthalten lediglich den Östrogenrezeptor α, nicht jedoch den Östrogenrezeptor β (6). Mit zunehmendem Alter nimmt die Dichte des Östrogenrezeptors β ab. In den atherosklerotischen Plaques jedoch findet sich der Östrogenrezeptor β, und seine Dichte nimmt mit der Zeit immer mehr zu (6). Falls mit einer Hormontherapie erst Jahre nach der Menopause begonnen wird, hat die Atherosklerose sich bereits entwickeln können, und es befinden
kurz nach Menopause
1,4
> 10 J. nach Menopause
1,2
Ref.
1
Ref.
0,8
0,6
0,4
0,2
0
nie HRT nur konj. Östrogen +
Östrogen Gestagen
nie HRT nur konj. Östrogen + Östrogen Gestagen
Abbildung 2: Risiko für eine koronare Herzkrankheit als Folge einer Hormonbehandlung, je nach Menopausenstatus (5)
sich Plaques (mit einer hohen Dichte des Östrogenrezeptors β) in den Koronarien. Während der gleichen Zeit haben die gesunden Gefässe die schützende Wirkung des Östrogenrezeptors verloren. Falls somit zu einem späten Zeitpunkt beziehungsweise bei bestehender Arteriosklerose mit einer Hormonbehandlung begonnen wird, kann diese nur schädlich sein, da sie die Weiterentwicklung der Plaques fördert. Die allgemeine Verunsicherung als Folge der WHI-Studien hat dazu geführt, dass viele Ärztinnen und Ärzte der Patientin zu einem gelegentlichen Auslassversuch raten, um so die Therapiebedürftigkeit zu testen. Die Neuauswertung der WHI-Studie hat allerdings gezeigt, dass solche Auslassversuche auch bei jungen Frauen das kardiovaskuläre Risiko der Hormonbehandlung steigern. Darüber hinaus können häufige Therapieunterbrüche eine Konditionierung der Patientin (sogenannte «Prägung») herbeiführen, welche später das dauerhafte Absetzen der Hormonmedikation verunmöglichen kann (8). Ausgehend von der heutigen Datenlage können weiterhin östrogenhaltige Präparate im Klimakterium verwendet werden. Weder ist die generelle Empfehlung zur Hormonbehandlung bei jeder Frau im Klimakterium richtig noch die unbeschränkte Einnahme bis ans Lebensende. Die generelle Abnahme der Anwendung von östrogenhaltigen Hormonpräparaten bei Frauen nach der Menopause geht vielerorts mit einer Abnahme der Brustkrebsinzidenz in der gleichen Altersgruppe einher (9). Im Einzelfall ist somit eine differenzierte Verschreibungspraxis unbedingt erforderlich. Die betroffene Patientin muss mehr denn je in den Entscheidungsprozess eingebunden werden, und die Entscheidungsprozesse sollen schriftlich dokumentiert werden. Individuelle Risikoprofile hinsichtlich Osteoporose und Brustkrebs müssen erstellt und für die Wahl einer geeigneten Prophylaxe berücksichtigt werden. Es sollten zusammen mit der betroffenen Frau sorgfältig die Vorteile und die Risiken einer hormonellen Substitutionsbehandlung besprochen und auch schriftlich eine prospektive Planung hinsichtlich der beabsichtigten Therapiedauer festgehalten werden.
Fazit 1. Jede Hormontherapie in der Menopause braucht eine klare
Indikationsstellung, und individuell müssen mögliche Vorteile und Risiken bilanziert und diese mit der Patientin erörtert werden. Die Gründe für eine Behandlung müssen jeweils schriftlich festgehalten werden. 2. Eine Behandlung mit einem östrogenhaltigen Präparat wegen klimakterischer Beschwerden sollte mit der niedrigsten wirksamen Dosis durchgeführt und zunächst zeitlich begrenzt werden. Der Patientin muss dargelegt werden, dass die Beschwerden nur während der Einnahme des östrogenhaltigen Präparats unterdrückt werden und dass diese erneut auftreten, wenn das Präparat abgesetzt wird. 3. Die Osteoporose- und Frakturprävention ist einer der gesicherten Nutzen einer Östrogengabe. Ein anamnestisches (Risikofaktoren für Osteoporose, Zusammensetzung der Ernährung) und eventuell auch messtechnisches Screening der Osteoporosegefährdung ist daher Bestandteil der
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relatives Risiko (95% CI)
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ärztlichen Betreuung der postmenopausalen Frau. Für die
Osteoporoseprophylaxe können niedrigere Östrogendosie-
rungen angewendet werden als bei der Behandlung des kli-
makterischen Syndroms.
4. Herz- und Kreislauferkrankungen stellen bei der älteren
Frau die häufigste Todesursache dar. Bei frühzeitigem Be-
ginn der Östrogenbehandlung hat die Hormonbehandlung
einen gesicherten präventiven Effekt. Der Beginn einer Ös-
trogenbehandlung bei bereits bestehender atheroskleroti-
scher Gefässerkrankung ist allerdings kontraindiziert.
Nach einem koronaren Ereignis dürfen Frauen, die bereits
zuvor unter einer Östrogentherapie standen, Östrogene im
Falle eines klimakterischen Syndroms weiterhin einneh-
men, da in dieser Situation das Thromboserisiko durch die
Östrogenbehandlung nicht weiter erhöht wird.
5. Eine Kombinationsbehandlung mit einem östrogen- und
gestagenhaltigen Präparat erhöht nach einer Anwendungs-
dauer von mindestens fünf Jahren das Brustkrebsrisiko
signifikant, verstärkt auch die Häufigkeit abklärungs-
bedürftiger Veränderungen in der Brust und trägt somit
vermehrt zu Folgekosten bei. Ohne zusätzliche Risiken
sind zweijährliche Mammografiekontrollen empfehlens-
wert, da durch die Mammografie maligne Veränderungen
im Brustdrüsengewebe frühzeitig nachgewiesen werden
können.
6. Nach Hysterektomie ist eine östrogene Monotherapie indi-
ziert, und diese senkt sogar das Brustkrebsrisiko.
■
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Christian De Geyter
Abteilungsleiter/Leitender Arzt
Abt. Gyn. Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
Frauenspital
Universitätsspital Basel, Spitalstrasse 12, 4031 Basel
Tel. 061-265 93 15, Fax 061-265 91 94
E-Mail: cdegeyter@uhbs.ch
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. MacLennan A., Lester S., Moore V.: Oral oestrogen replacement therapy versus placebo for hot
flushes. Cochrane Database Syst. Rev. 2001; CD002978. 2. Writing Group for the Women’s Health Initiative Investigators: Risk and benefits of estrogen plus
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BEKANNTMACHUNG
Infektionen bei chronisch kranken, pflegebedürftigen Menschen
Fortbildung für Hausärzte und Geriater, Donnerstag, 12. März 2009, im Pflegezentrum Baar
Programm Ab 14.15 h 15.00—15.15 h
15.15—16.00 h
16.00—16.10 h 16.10—16.20 h 16.20—17.05 h
17.05—17.10 h 17.10—17.50 h
17.50—18.00 h Ab 18.00 h
Registrierung Begrüssung Einführung und Bezug zur Praxis Dr. med. Markus Anliker, Leitender Arzt, Pflegezentrum Baar Infektionen bei geriatrischen Patienten Prof. Dr. med. Markus Vogt, Chefarzt, Medizinische Klinik, Zuger Kantonsspital, Baar Kurze Pause
Einführung und Bezug zur Praxis, Dr. med. Markus Anliker Harnwegsinfekte Prof. Dr. med. Martin Krause, Chefarzt, Medizinische Klinik, Thurgauer Kantonsspital Münsterlingen
Einführung und Bezug zur Praxis, Dr. med. Markus Anliker Norovirus im Alters- und Pflegeheim Myriam Wipfli, Dipl. Pflegefachfrau HF, Berufsschullehrerin Pflege, Bildungsverantwortliche, Seniorenzentrum Mülimatt, Oberwil Diskussion Apéritif
Anerkennung/Credits SGIM: beantragt.
SGAM und SFGG: Volle Fortbildungsdauer anrechenbar
Organisation/Einschreibungen Dr. Schlegel Healthworld AG
Tel. 041-748 76 00, Fax 041-748 76 11 E-Mail: t.vonwyl@schlegelhealth.ch
Internet: www.congress-info.ch/ pflegezentrumbaar2009
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