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BERICHT
HIV ist aggressiver geworden
Auf der ICAAC-Konferenz wurden neben der HIV-Therapie auch Neuigkeiten zu Hepatitis C und Influenzaviren präsentiert
Die 48. Interscience Conference on Antimicrobial Agents and Chemothe-
auch für Darunavir/Ritonavir (DRV/r, 800 mg einmal tägl.), die in Kombination
rapy (ICAAC) fand vom 25. bis 28. Oktober in Washington statt. In frühe- mit TDF plus FTC bei therapienaiven Patienten in der Studie ARTEMIS sehr gute
ren Jahren waren an der ICAAC jeweils neue Antibiotika gegen bakterielle 96-Wochen-Daten hervorgebracht haben.
Erreger ein grosses Thema. Doch an der Antibiotikafront herrscht in
So erzielten knapp 80 Prozent einen nicht nachweisbaren Viral Load. Bereits
Bezug auf neue Mittel zurzeit Stille. Dafür boomen die Therapeutika und
nach 48 Wochen war DRV/r gegenüber Lopinavir/Ritonavir ebenbürtig und nach
Impfstoffe gegen virale Leiden.
96 Wochen gar überlegen. Auch die Kombination mit DRV/r wurde gut ver-
tragen und wies ein günstigeres Sicher-
heitsprofil mit besseren Triglyzeridwer-
THOMAS FERBER
bivir vs. Efavirenz plus Combivir) bei ten auf (4). Es dürfte eine Frage der Zeit
behandlungsnaiven Patienten ergab, dass sein, bis diese Substanzen bei therapie-
Sowohl HIV als auch Hepatitis C haben knapp jeder siebte Patient nicht hätte naiven Patienten in der Schweiz in der
sich zu immer besser behandelbaren in die Studie aufgenommen werden ersten Linie eingesetzt werden.
Leiden gewandelt. Viel Interesse we- sollen. Dadurch wären die Ergebnisse
cken deshalb derzeit an Kongressen dieser Studie noch besser ausgefallen: HIV ist aggressiver geworden
über Infektionskrankheiten Mittel gegen 68 Prozent aller Patienten wären mit Was aber, wenn die Therapie in den
HIV und neue Stoffe gegen Hepatitis C. ihrem Viral Load unter die Nachweis- immer seltener werdenden Fällen nicht
barkeitsgrenze gefallen (1). Der Vorteil anspricht? Kann dies vorausgesagt wer-
HIV: frühere und weiter verbes- liegt auf der Hand: Unter Einsatz des den? Eine Arbeitsgruppe aus den USA
serte Therapie
sensitiveren Assays gelangen letztlich hat mit Erfolg eine Reihe von Parame-
HIV befällt die CD4-Zelle entweder via nur Patienten in die Therapie, die auch tern definiert, je mit einem Punkt ge-
CCR5- oder den CXCR4-Korezeptor wirklich darauf ansprechen. Damit kann wertet und damit zutreffende Voraussa-
(sog. R5- bzw. X4-Tropismus). Maravi- die Wirksamkeit von Maraviroc und gen gemacht:
roc und Vicriviroc hemmen die R5-tro- Vicriviroc noch verbessert werden. Eine ■ früheres virologisches Versagen
pen Viren. Doch muss vor Therapiebe- weitere positive Wirkung von MERIT ■ dokumentierte schlechte Adhärenz
ginn eine Tropismusprüfung erfolgen, war die klare Erhöhung der CD4-Zellen
<85 Prozent
um die Präsenz von X4-tropen Viren und damit eine geringere Wahrschein- ■ CD4 <50
auszuschliessen. Bisherige Tests ver- lichkeit des Auftretens von aidsdefinie- ■ Alkohol- oder Drogenkonsum
mochten nicht zuverlässig, Kleinstmen- renden Symptomen als unter Efavirenz ■ verpasste Konsultationstermine
gen der Viren nachzuweisen, die beide (2). Analoge Ergebnisse erzielte auch ■ Virussuppression kürzer als ein Jahr
Rezeptoren zugleich nutzen und daher der Integrasehemmer Raltegravir (plus ■ vorangegangene HIV-Therapien.
nicht mit den entsprechenden Blockern Truvada), der in der Studie
behandelt werden können. Diese konnten sich somit unter der Therapie unbemerkt weiter vermehren. Doch jetzt liegt ein empfindlicherer Test vor, der diese Kleinstmengen nachwei-
STARTMRK nach 48 Wochen ebenfalls bessere CD4-Werte erzielte als die Vergleichssubstanz Efavirenz (+ Truvada). Die guten Daten empfehlen Raltegravir
Risiko
Virol. Versagen Virol. Versagen nach 1 Jahr nach 2 Jahren
tief (0—2 Punkte) 11/141 (7,8%) 22/112 (19,6%)
mittel (3—4 Punkte) 26/153 (17,0%) 45/110 (40,1%)
sen kann. Eine retrospektive Analyse im Prinzip auch für die First-line- hoch (5—7 Punkte) 20/64 (31,3%) 31/48 (64,6%)
der MERIT-Studie (Maraviroc plus Com- Therapie (3). Dies gilt übrigens
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Die Parameter erlauben also eine frühzeitige Einteilung in ein tiefes, mittleres und hohes Risiko für ein künftiges Therapieversagen und ermöglichen somit zuverlässig ein rechtzeitiges Überdenken der Therapiestrategie (5). Ein früher Beginn der HIV-Therapie mit CD4-Werten über 350 wirkt sich bezüglich Überleben günstiger aus und kann nicht zuletzt auch dank den viel besser verträglichen Therapeutika empfohlen werden. Gleichzeitig wird auch die direkte Organschädigung durch HIV, beispielsweise des kardiovaskulären Systems gehemmt. Der Trend geht heute in Richtung einer frühzeitigeren Therapie. So wurden in einer Studie mit insgesamt 5926 Patienten mit CD4-Werten zwischen 350 und 500 folgende Ergebnisse beobachtet: Das Mortalitätsrisiko lag in jener Gruppe, welche die Therapie erst später einleitete (unter 350) deutlich höher (6). Die anfängliche Skepsis gegenüber einem früheren Therapiebeginn dürfte damit weiter nachlassen. Die Botschaft an den Hausarzt lautet somit, dass es sich lohnt, wenn Patienten mit HIV frühzeitig entdeckt und rechtzeitig zur Indikationsstellung spezialisierten Institutionen zugewiesen werden. Die weitere Betreuung soll jedoch durchaus wieder in der hausärztlichen Praxis stattfinden. Und noch etwas: Eine an der ICAAC vorgestellte Studie legt nahe, dass sich HIV angepasst hat und ein aggressiveres Gebaren an den Tag legt. So weisen heute Neuinfizierte im Vergleich zu Patienten vor rund 20 Jahren tiefere CD4-Werte auf, was die Autoren mit einer erhöhten Aggressivität von HIV in Verbindung bringen (7). Offenbar nehmen die CD4Werte nach einer Infektion schneller ab, was die Gefahr von tödlichen opportunistischen Infektionen erhöht.
Hepatitis C: Neue Therapeutika in Sicht Im Rahmen eines interaktiven Symposiums wurden an der ICAAC Fragen rund um die akute und chronische HepatitisC-Erkrankung behandelt. Nach einer akuten Infektion mit Hepatitis C klingen 20 Prozent der Fälle spontan ab, und die Patienten gelten als geheilt. Von den
übrigen 80 Prozent entwickeln etwa 20 Prozent (d.h. 16% der ursprünglich Infizierten) nach etwa 30 Jahren eine Leberzirrhose. Diese führt bei 1 bis 4 Prozent der Betroffenen (0,16–0,64%) zu einem hepatozellulären Karzinom, rund 20 Prozent dekompensieren (3%). Bei den übrigen 75 Prozent (60%) liegt ein schleichend progredienter Verlauf vor. Die Zahlen sollen verdeutlichen, dass bei vielen Patienten die Krankheit gutartig verläuft. Über das Schicksal der schleichend progredienten Hepatitiden scheint wenig Gesichertes bekannt zu sein. In wenigen Fällen jedoch, vor allem wenn Alkohol im Spiel ist, kann das Leiden tödlich enden. Weitere Risikofaktoren sind hier eine gleichzeitige HIV- oder Hepatitis-B-Infektion oder auch eine hepatische Steatose. Es ist daher in der hausärztlichen Praxis wichtig, wachsam zu sein, um diese Fälle zu erkennen. Der Rat zur Alkoholabstinenz sollte daher nie fehlen. Die Behandlung der chronischen Hepatitis C mit pegyliertem Interferon und Ribavirin ist nur dann indiziert, wenn alle der folgenden Punkte erfüllt sind: 1. Chronizität mit erhöhten Transami-
nasen (>1,5-Fache der oberen Norm) anlässlich von mindestens zwei Messungen innert mehr als sechs Monaten (normale Transaminasen sprechen gegen eine Therapie) 2. HCV-Replikation mit Nachweis von HCV-RNA im Serum mittels RT-PCR (oder «branched» DNA) 3. dokumentierte Hepatitis mittels Leberbiopsie (falls keine Kontraindikatonen) mit entzündlichem Infiltrat und fibrotischen Veränderungen.
Bald routinemässig Dreierkombinationen Unter der Behandlung sprechen je nach Genotyp von HCV 30 bis 60 Prozent der Patienten dauerhaft an. Behandlungsziel ist, das Fortschreiten der Fibrose und letztlich die drohende Leberdekompensation oder das Karzinom zu verhindern. Doch auch für die Nonresponder gibt es einen Lichtblick. Derzeit befinden sich 16 Stoffe in der klinischen Entwicklung und werden teilweise bereits im Rah-
men von klinischen Studien eingesetzt. Am weitesten fortgeschritten sind gemäss Mark S. Sulkowski, Baltimore, die Proteasehemmer Boceprevir und Telaprevir (beide Phase 3). Für Sulkowski zeichnet sich mit diesen Substanzen bis in zwei Jahren ein mit HIV vergleichbares Therapieregime ab. Die ursprünglichen Medikamente, pegyliertes Interferon und Ribavirin, werden als Basis eingesetzt und durch einen Proteasehemmer ergänzt werden. Diese Behandlungen könnten um einiges wirksamer sein als bisherige Therapien. Schliesslich werden ab etwa 2014 möglicherweise nur noch orale Therapien verfügbar sein, die ohne Interferon auskommen. Es dürfte sich um Kombinationen von Proteaseund Polymerasehemmer mit (eventuell) Ribavirin handeln.
Wirksamer Impfstoff gegen Rotaviren Der neue Rotavirusimpfstoff führt zu einer stark verminderten Infektionsrate. Dies ist das Resultat einer in den USA durchgeführten epidemiologischen Untersuchung. So gingen die durch Labortests nachgewiesenen Erkrankungsfälle seit der Einführung des Impfstoffs um 76 Prozent zurück. Der Erfolg kam nicht nur dank den Impfungen allein zustande, denn ein grosser Teil der Kleinkinder sind noch gar nicht geimpft. Doch dank den bereits Geimpften wurde die zirkulierende Menge an Rotaviren vermindert und damit die Herdimmunität verbessert (8). Die Grippe steht vor der Tür, und gerade rechtzeitig wurde an der ICAAC eine Arbeit präsentiert, die für den Einsatz von Oseltamivir bei mit Influenza hospitalisierten Patienten plädiert. Die Autoren kamen zum Schluss, dass selbst ein verspäteter Einsatz nach 48 Stunden noch zu einer signifikanten Reduktion der fatalen Verläufe führte (9). Allerdings mehren sich die Hinweise auf Resistenzen gegen Oseltamivir. Doch bereits stehen hochwirksame Dreierkombinationen (Zanamivir oder Oseltamivir, kombiniert mit Ribavirin und Amantadin) zur Debatte, die in vitro und in vivo wirksamer gegen Influenzaviren (A) sind als Zweierkombinationen oder gar
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Monotherapien. Vorbeugen bringt immer noch sehr viel: Eine der wirksamsten Massnahmen ist und bleibt das alkoholbasierte Händewaschen, kombiniert mit dem Tragen einer Gesichtsmaske. Dies ergab eine Arbeit aus den USA (10).
Thomas Ferber Schaffhausen
E-Mail: thomasferber@mail.ru
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Literatur: 1. M. Saag, J. Heera , J. Goodrich, et al. Reanalysis of the MERIT
Study with the Enhanced Trofile Assay. ICAAC 2008, Washington 25.–28. Oct, H-1232a. 2. A. Lazzarin, M. Battegay, D. A. Cooper, et al. CD4+ Cell Restoration at 48 Weeks in the Maraviroc (MVC) Treatment-Naive (TN) MERIT Trial. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, H-1248. 3. J. Lennox, E. Dejesus, A. Lazzarin, et al. STARTMRK, A Phase III Study of the Safety and Efficacy of Raltegravir-(RAL-)Based vs Efavirenz-(EFV-)Based Combination Therapy in TreatmentNaive HIV-Infected Patients. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, H-896a. 4. A. Mills, M. Nelson, D. Jayaweera, et al. ARTEMIS: Efficacy and Safety of Darunavir/ritonavir (DRV/r) 800/100 mg Once-daily vs Lopinavir/ritonavir (LPV/r) in Treatment-naive, HIV-1-infected Patients at 96 Wks. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, H-1250c. 5. G.K. Robbins, K.L. Johnson, K.E. Jackson, et al. A Prediction Rule for Virologic Failure in an HIV Clinic. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, H-1259. 6. M.M. Kitahata, S.J. Gange, R.D. Moore, et al. Initiating Rather than Deferring Haart at a CD4+ Count Between 351—500 Cells/mm3 is Associated with Improved Survival. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, H-896b. 7. N.F. Crum-Cianflone, L. Eberly, Y. Zhang, et al. Is HIV Becoming More Virulent? Initial CD4 Cell Counts among HIV Seroconverters Across the HIV Epidemic: 1985—2007. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, H-4051. 8. J.M. Lieberman, X. Huang, E. Koski, et al. Decline in Rotavirus Cases in the U.S. After Licensure of a Live, Oral Rotavirus Vaccine. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, G1-437. 9. A. Plevneshi, A. Mcgeer, K. Green, et al. Factors Associated with Mortality in Severe Disease Due to Influenza in Adults in Toronto, Canada, 2005—2008. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, L-680. 10. G. Murray, R. Coulborn, A.M. Noone. Mask use Reduces Seasonal Influenza-like illness in the Community Setting. ICAAC 2008, Washington 25.—28. Oct, V-924.