Transkript
FORTBILDUNG
FSME — eine oder zwei Impfdosen genügen nicht!
Hinweise zum Schutz vor der Frühsommer-Meningoenzephalitis
Ein Risiko zur Infektion mit dem Frühsommer-Meningo-
enzephalitis-(FSME-)Virus durch Zeckenstiche ist
während der ganzen warmen Jahreszeit gegeben.
Die Zahl der FSME-Erkrankungen hat sich zwar etwas
stabilisiert, die Durchimpfungsrate ist in den Ende-
miegebieten aber noch zu tief.
ULRICH HEININGER
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine virale Infektionskrankheit, die durch den Stich infizierter Zecken der Art Ixodes ricinus in Endemiegebieten auf den Menschen übertragen wird (3). Da sie in Analogie zur Aktivität von Zecken während der ganzen warmen Jahreszeit bis weit in den Herbst hinein auftritt, sollte sie korrekterweise eigentlich «Ganzsommer-Meningoenzephalitis» heissen. Eine FSME-Infektion tritt nach zirka 1 auf 1000 Zeckenstiche auf, wobei 10 bis 30 Prozent der Infektionen zu klinischen Symptomen führen. Initial sind dies grippeähnliche Beschwerden wie Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und manchmal Erbrechen. Nach dieser etwa eine Woche dauernden Krankheit und einem kurzen freien Intervall kommt es bei 5 bis 10 Prozent der Betroffenen zum Befall des zentralen Nervensystems. Bei Kindern ist dies meist eine unkomplizierte Meningitis, bei Jugendlichen und insbesondere Erwachsenen aber dominieren mit zunehmendem Alter schwere Verläufe in Form der (Meningo-)Enzephalitis oder Enzephalomyelitis. Diese Krankheitsbilder sind durch neurologische Ausfälle (Lähmungen), Koma, tonisch-klonische zerebrale Krampfanfälle, Defektheilungen und Todesfälle gekennzeichnet.
Epidemiologie Die FSME ist in vielen Regionen Europas, vor allem in Mittelund Osteuropa, endemisch. Die aktuellen Endemiegebiete der Schweiz gemäss Erfassung durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind in der Abbildung dargestellt. Sie zeigen in den vergangenen Jahren eine Tendenz zur Ausbreitung.
In der Schweiz war in vergangenen Jahren eine signifikante Zunahme der gemeldeten FSME-Fälle festzustellen. Sie sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, durch neurologische Manifestationen gekennzeichnet und durch den obligatorischen mikrobiologischen Nachweis einer FSME-Infektion gesichert. Während 1999 bis 2004 durchschnittlich zirka 100 Fälle pro Jahr auftraten, waren es 2005 206 Fälle, 2006 244 Fälle, in 2007 111 Fälle, und 2008 127 Fälle. Inwieweit die nun eingetretene Stabilisierung der Fallzahlen auf eine zunehmende Durchimpfung in Endemiegebieten zurückzuführen ist, ist nicht bekannt. Gemäss einer Erhebung an einer Stichprobe von 1000 Personen des Impfstoffherstellers Baxter AG betrug die Durchimpfungsrate in der Schweiz (ohne Tessin) 2007 lediglich 17 Prozent (Studie zur Durchimpfungsrate: Befragung von 1000 Personen über 15 Jahre in der deutschen und französischen Schweiz, GfK für Baxter, 2007). Im Gegensatz dazu waren in Österreich im gleichen Jahr 88 Prozent der Bevölkerung geimpft (6).
Prophylaxe Expositionsprophylaxe Beim Aufenthalt im Freien in einem Endemiegebiet in der warmen Jahreszeit auf den Körper bedeckende Kleidung zu achten und Repellenzien zu verwenden, ist ratsam, aber zur Prävention der FSME nur bedingt geeignet. Die wirksamste Prophylaxe
Merksätze
■ Die wirksamste Prophylaxe der FSME ist und bleibt die aktive Immunisierung für gefährdete Personen.
■ Erst die vollständige Grundimmunisierung, d.h. 3 Dosen, führt zum optimalen, anhaltenden Impfschutz von zirka 97 Prozent.
■ Versäumte Dosen werden nachgeholt, ein Neubeginn der kompletten Impfserie ist nicht erforderlich.
■ Um die komplette Durchführung der Grundimmunisierung zu vereinfachen, kann die FSME-Impfung mit allfälligen weiteren Impfungen zeitlich kombiniert werden.
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FORTBILDUNG
der FSME ist und bleibt die aktive Immunisierung für gefährdete Personen.
Impfprophylaxe Für die aktive Immunisierung gegen die FSME stehen Impfstoffe für alle Altersgruppen ab dem 1. Geburtstag von zwei Herstellern zur Verfügung: ■ FSME-Immun® 0,25 ml Junior, für Kinder im Alter vom
1. bis zum vollendeten 16. Geburtstag (0,25 ml i.m.), ab dem 16. Geburtstag FSME-Immun® CC (0,5 ml i.m.) ■ Encepur® N Kinder für Kinder im Alter von 1 bis 11 Jahren (0,25 ml i.m.), Encepur® N (0,5 ml i.m.) ab 12 Jahren.
Abbildung: Zeckenenzephalitis (FSME) — Schweiz: bekannte Endemiegebiete (Naturherde) BAG: Stand Dezember 2008
FSME-Regionen
Die Liste ist nicht vollständig! Die aufgeführten Orte umschreiben nur grob die auf der Karte dargestellten Endemiegebiete. Neue Regionen sind kursiv:
Aargau
Baselland Bern
Fribourg Graubünden Luzern Nidwalden Obwalden Schaffhausen Solothurn St. Gallen
Thurgau Uri Waadt Zug Zürich Fürstentum Liechtenstein
Rheinfelden/Möhlin/Wallbach, Bezirk Laufenburg, Koblenz/Döttingen/Zurzach, Birr/Brugg/Würenlingen, Baden/Wettingen, Rothrist/Zofingen/Brittnau, Gontenschwil/Schöftland/Muhen/Gränichen
Liesberg
Gampelen/Erlach, Grosses Moos, Lyss/Jens/Port, Moutier, Vallon de Saint-Imier, Mühleberg/Gurbrü/ Kriechenwil/Laupen, Belp/Münsingen/Steffisburg, Thun/Spiez/Frutigen, Erlenbach/vorderes Simmental
Salvenach/Ulmiz/Kerzers, Portalban/Autavaux, Franex/Nuvilly/Villeneuve
Malans/Fläsch/Luziensteig, Grüsch/Seewis, Region Chur
Reiden/Langnau/Dagmersellen/Nebikon/Egolzwil/ Kottwil/Sursee/Knutwil
Stans/Buochs/Bürgenstock, Stanserhorn
Kerns/Stanserhorn
Hallau, Osterfingen, Neuhausen/Beringen/Schaffhausen, Stein am Rhein, Bezirk Reiat
Bellach/Lommiswil/Langendorf, Oensingen
Wil/Jonschwil/Zuzwil/Niederhelfenschwil, Mörschwil, St. Magrethen/Balgach, Jona/Wagen, Mels/Sargans/ Vilters
Ganzer Kanton Unteres Reusstal, Seelisberg
Cudrefin/Salavaux/Chabrey, plaine de l'Orbe und Umgebung (Jurasüdfuss)
Steinhausen
Ganzer Kanton
Balzers/Vaduz/Nendeln
Sie induzieren eine sehr gute Immunantwort und sind gut verträglich. Die vollständige Grundimmunisierung umfasst 3 Impfdosen. Der Abstand zwischen der 1. und 2. Impfdosis beträgt im Allgemeinen 1 Monat. Er kann, insbesondere bei Impfbeginn kurz vor oder in der warmen Jahreszeit, auf 14 Tage verkürzt werden (FSME-Immun®-Impfstoffe). Für Encepur®-Impfstoffe ist ein Schnellimmunisierungsschema mit 3 Impfdosen an den Tagen 0, 7 und 21 zugelassen. Die vollständige Grundimmunisierung macht bei diesem Schema eine weitere, also 4. Teilimpfung nach einem Jahr erforderlich. Der Abstand zwischen der 2. und 3. Dosis ist variabel und beträgt 5 bis12 Monate (FSME-Immun®-Impfstoffe) beziehungsweise 9 bis 12 Monate (Encepur®-Impfstoffe). Der relativ lange Abstand zwischen Dosis 2 und 3 ist immunologisch begründet: Er erlaubt eine adäquate Reifung der Immunantwort mit Selektion von B-Lymphozyten mit besonders gut bindenden (hochaffinen) IgG-Antikörpern. Ein tragfähiger Schutz vor FSME besteht bereits zirka 14 Tage nach der 2. Teilimmunisierung. Zu diesem Zeitpunkt weisen mindestens 90 Prozent der Geimpften eine Serokonversion auf, welche nach heutigem Wissensstand mit Schutz vor FSME korreliert. Erst die vollständige Grundimmunisierung, das heisst 3 Dosen, führt zum optimalen, anhaltenden Impfschutz von zirka 97 Prozent. Die Schutzdauer nach inkompletter Grundimmunisierung (< 3 Dosen) ist unbekannt. Jedoch kann eine bis anhin unvollständige Grundimmunisierung durch Nachholen der versäumten Impfung(en) jederzeit vervollständigt werden: Jede Impfdosis zählt! Es gibt nur Minimalabstände, keine Maximalabstände. Versäumte Dosen werden nachgeholt, ein Neubeginn der kompletten Impfserie ist nicht erforderlich. Nach abgeschlossener Grundimmunisierung sind gemäss den Empfehlungen des BAG und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) bei fortbestehendem Expositionsrisiko Auffrischimpfungen alle 10 Jahre empfohlen. Die Durchführung einer vollständigen Grundimmunisierung gegen FSME ist im Hinblick auf optimalen Schutz von grosser Bedeutung (4, 5). Folgende Anregungen sollen dies in der Praxis erleichtern: ■ Aufklärung der Patienten bei Beginn der Impfserie über die
erforderliche Anzahl von Impfungen und deren Zeitpunkte
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FSME — EINE ODER ZWEI IMPFDOSEN GENÜGEN NICHT!
■ Konkrete Terminfestlegung von Dosis zu Dosis ■ Software-unterstützte Erinnerungshilfe wenige Tage vor fest-
gelegtem Termin (Telefonanruf, Postkarte, E-Mail oder SMS) ■ Aufbieten des Patienten bei versäumtem Impftermin ■ Regelmässige Überprüfung der Impfausweise von Patien-
ten und Aufdecken von Impflücken ■ Gegebenenfalls Kombination der FSME-Impftermine mit
weiteren indizierten Impfungen.
Beispielhaft ein Vorschlag für die Koadministration von Impfungen bei Personen ab 60 Jahren mit FSME-Gefährdung: ■ Herbst: 1. FSME-Impfung gemeinsam mit Influenzaimpfung ■ 1 Monat später: 2. FSME-Impfung gemeinsam mit di-Te-
Impfung (falls indiziert, d.h. letzte Dosis > 10 Jahre zurück) ■ 5 (bzw. 9) bis 12 Monate später: 3. FSME-Impfung gemeinsam mit Pneumokokkenimpfung.
Impfindikationen Das BAG und die EKIF empfehlen die FSME-Impfung im Allgemeinen ab dem Alter von 6 Jahren für Personen, die in einem Endemiegebiet wohnen oder sich zeitweise dort aufhalten (1, 2). Aufgrund des deutlich geringeren Risikos einer Beteiligung des ZNS bei FSME-Infektion im Alter unter 6 Jahren wird die Impfung für diese Altersgruppe nicht allgemein empfohlen. Auf Wunsch der Eltern, zum Beispiel bei häufigem Aufenthalt im Freien in einem Risikogebiet (Stichwort: Waldkindergarten), kann sie aber gemäss Zulassung ab dem Alter von 1 Jahr angewendet werden. Um die komplette Durchführung der Grundimmunisierung zu vereinfachen, kann die FSME-Impfung auch im Kindesalter mit allfälligen weiteren Impfungen zeitlich kombiniert werden.
Fazit
Jeder Arzt-Patient-Kontakt ist eine potenzielle Impfmöglichkeit.
Es ist und bleibt eine wichtige ärztliche Aufgabe, auf den aktu-
ellen Impfschutz der Patienten zu achten. Dabei sollen die Stan-
dardimpfungen, ergänzende Impfungen und Indikationsimp-
fungen wie zum Beispiel die FSME-Impfprophylaxe berücksich-
tigt werden. Auf eine komplette Immunisierung, das heisst Gabe
aller indizierten Dosen in den empfohlenen Abständen, ist im
Interesse des Patienten grosses Augenmerk zu legen.
Zu guter Letzt: Vergessen Sie bei der Überprüfung des aktuel-
len Impfstatus einschliesslich FSME sich selbst und Ihr Praxis-
team nicht …
■
Prof. Dr. med. Ulrich Heininger Ltd. Arzt Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
4005 Basel E-Mail: Ulrich.Heininger@ukbb.ch
Interessenlage: Der Autor hat verschiedentlich Vortragshonorare von beiden FSME-Impfstoffherstellern (Baxter und Novartis Vaccines) erhalten.
Literatur: 1. Bundesamt für Gesundheit. Empfehlungen zur Impfung gegen Zeckenenzephalitis. BAG Bulletin
13, 2006. 2. Bundesamt für Gesundheit und Eidgenössische Kommission für Impffragen: Impfempfehlungen
2009. 3. Heininger U: Impfratgeber. Impfempfehlungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
(5. Auflage). UNI-MED Verlag, Bremen, 2009. 4. Heininger U. Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) — ein zunehmendes Problem in der
Schweiz. ARS MEDICI 2006; 3: 101—104. 5. Heininger U: Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) — nur die komplette Impfserie schützt
zuverlässig. ARS MEDICI 2006; 17: 801—804. 6. Heinz FX, Holzmann H, Essl A, Kundi M. Field effectiveness of vaccination against tick-borne
encephalitis. Vaccine 2007; 25: 7559—7567.
V E R A N S TA LT U N G E N
31. Winterthurer Fortbildungskurs
Fallstricke der Endokrinologie in der Hausarztpraxis
Donnerstag, 4. Juni 2009, 9.00–17.00 Uhr
Ort Theater Winterthur am Stadtgarten Theaterstrasse 4, 8400 Winterthur
Veranstalter Dr. med. Dirk Kappeler
Auskunft Praxis Dr. med. Dirk Kappeler Untertor 1, 8400 Winterthur Tel. 052-232 08 40, Fax 052-233 55 46 Internet: www.winterthurerfortbildungskurs.ch
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