Transkript
FORTBILDUNG
Phytotherapeutika gegen die Bronchitis
Alternative Behandlungsmöglichkeiten bei entzündlichen Atemwegserkrankungen
Für eine ganze Reihe von Heilpflanzen und deren
Inhaltsstoffe liegen gute Wirksamkeitsnachweise
vor, die ihren Einsatz als sinnvolle Alternative
zu synthetischen Arzneimitteln bei deutlich
geringerem Nebenwirkungsprofil rechtfertigen.
HARTMUT DORSTEWITZ
Die gesunde Atemwegsschleimhaut ist mit hocheffizienten Abwehrmechanismen ausgestattet. Dazu gehören unter anderem der durch die Becherzellen produzierte Schleim und die Ziliarzellen mit dem Flimmerepithel. Der Schleim legt sich wie ein schützender Biofilm auf die Schleimhaut. Er besteht aus zwei Komponenten: Schleimhautnah ist der frisch gebildete Mucos in der sogenannten Solphase noch dünnflüssig und klar. Je weiter er lumenwärts durch nachgebildeten Schleim abgedrängt wird, desto zähflüssiger wird er (Gelphase).
Fliegenfänger für Eindringlinge Seine klebrige Oberfläche wirkt dadurch wie eine Art Fliegenband und bindet antigenes und infektiöses Material wie Bakterien, Viren, Russ- und Staubpartikel. Auf diese Weise wird es vor allem Krankheitserregern deutlich erschwert, bis zur Schleimhaut vorzudringen. Zudem besitzt der Schleim bakterizide und viruzide Eigenschaften, wie zum Beispiel das sekretorische IgA (sIgA), das durch die physiologische Schleimhautflora getriggert wird. Der Zweikomponentenschleim wird durch das Flimmerepithel mobilisiert und so fortwährend oralwärts transportiert. Die Zilien schlagen mit einer Frequenz von zwölfmal pro Sekunde. Dabei schnellen die hochagilen Mikrofilamente in der dünnflüssigen Solphase nach vorne, richten sich dann auf und tauchen mit den Spitzen in die Gelphase ein und schieben so diesen keimhaltigen «Teppich» wie ein Transportband auf dem dünnflüssigen Gleitlager nach aussen. Mit dieser enormen Transportleistung gelingt es der Schleimhaut, sich binnen 20 Minuten der inhalierten Fremdkörper zu entledigen.
Schleimhautveränderungen bei Atemwegserkrankungen Atemwegserkrankungen gehen mit typischen Schleimhautveränderungen einher. 90 Prozent aller Atemwegsinfekte werden bekanntlich durch Viren verursacht. Diese Krankheitserreger sind zu ihrer Reproduktion auf Wirtszellen angewiesen. Die Atemwegsschleimhaut wird u. a. durch die schleimbildenden Becherzellen und die Ziliarzellen gebildet. Diese werden im Zuge der Infektion in der Regel durch das Virus zerstört. Zurück bleibt, bis zu ihrer Regeneration, eine Wundfläche mit den typischen Beschwerden wie Halsschmerzen und trockenem, unproduktivem Reizhusten.
Atemwegsinfektionen gehen mit typischen Veränderungen der Schleimhaut einher: 1. Störung der mukoziliären Clearance 2. Pathologisch veränderte Sekretbildung 3. Entzündliche Schleimhautschwellung 4. Störung der mukosalen Flora
Behandlungsziele der Atemwegsinfektion sind: ■ Regeneration der mukoziliären Clearance ■ Entzündungshemmung ■ Bekämpfung der Krankheitserreger ■ Bronchospasmolyse ■ Linderung der Begleiterscheinungen (Befindlichkeitsstö-
rungen) ■ Steigerung der körpereigenen Abwehr ■ Regeneration der Flora
Wirkungen von Phytotherapeutika Zur Linderung des trockenen unproduktiven Reizhustens eignen sich pflanzliche Antitussiva und Mucilaginosa. Gegen den
Merksatz
■ Viele Heilpflanzen können — bei geringen Nebenwirkungen — mehrere Symptome gleichzeitig bekämpfen.
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FORTBILDUNG
produktiven Husten werden Expektoranzien eingesetzt. Antiphlogistische Substanzen wirken gegen die entzündliche Schleimhautschwellung, Phytobiotika gegen die Krankheitserreger, und die Immunstimulanzien aktivieren das Abwehrsystem. Zudem eignen sich Probiotika zur Regeneration der schützenden Schleimhautflora. Der entscheidende Vorteil einer rationalen Phytotherapie gegenüber den synthetischen Medikamenten liegt darin, dass viele Heilpflanzenextrakte, bei geringen Nebenwirkungen, eine kombinierte Symptombekämpfung leisten.
Hustenreizstiller Gegen den trockenen unproduktiven Reizhusten wirken sogenannte Mucilaginosa. Dies sind schleimhaltige Pflanzenextrakte. Sie bringen einen schützenden Schleimfilm auf die gereizte Atemwegsschleimhaut und bewirken eine «Vor-OrtDämpfung» der Mechanorezeptoren, die den Hustenreiz verursachen. Obendrein bewirken einige von ihnen auch eine Entzündungshemmung, Immunstimulation und besitzen antimikrobielle Eigenschaften. Typische Vertreter dieser Substanzklasse sind: ■ Eibisch (Althaea officinalis) ■ Spitzwegerich (Plantago lanceolata) ■ Isländisch Moos (Lichen islandicus) ■ Huflattich (Tussilago farfara) ■ Königskerze (Verbascum thapsiforme)
Eibisch (Althaea officinalis) Isländisch Moos (Lichen islandicus)
Eibisch Die wirksamste Heilpflanze ist der Eibisch. Sie hat einen hohen Schleimgehalt von 35 Prozent und ist damit konkurrenzlos als Hustenreizstiller. Die Wirkung ist allerdings weniger systemisch als lokal. Deswegen eignet sich die Anwendung vor allem bei trockenen Hustenreizzuständen im Pharyngo-Laryngealbereich. Dieses Mittel kann mehrmals täglich unverdünnt eingenommen werden, dabei sollte man am besten etwas gurgeln. Eibischextrakte haben zusätzlich auch eine immunstimulierende Wirkung, die vergleichbar mit der von Echinacea purpurea und Chamomilla ist.
Sonnentau (Drosera rotundifolia)
Spitzwegerich Alternativ zum Eibisch wirken auch Extrakte aus Spitzwegerich (Plantago lanceolata), Isländisch Moos (Lichen islandicus) und Huflattich (Tussilago farfara). Spitzwegerich enthält neben Schleimstoffen auch Gerbstoffe, die adstringierend bei starken Schleimhautreizungen wirken und dadurch einen schleimhautprotektiven Effekt ausüben. Zudem kommt noch eine deutliche antimikrobielle Wirkung durch den Inhaltsstoff Aucubigenin. Dadurch profiliert sich die Heilpflanze zur Prävention von bakteriellen Superinfektionen im Atemwegsbereich.
Isländisch Moos Ähnlich wirksam ist Isländisch Moos (Lichen islandicus). Dieses Moos ist eigentlich kein Moos, sondern eine Flechte, also ein Zwitterwesen aus Pilzen und Algen. Es enthält Schleim
und Bitterstoffe, sowie Flechtensäuren, die eine deutliche antimikrobielle Wirkung besitzen. Die Heilpflanze wird vor allem bei chronisch-rezidivierendem Reizhusten eingesetzt. Besonders beliebt sind Lutschpastillen (Isla Moos Pastillen), vor allem bei Heiserkeit durch Stimmüberlastung (Redner, Sänger).
Huflattich Der Huflattich (Tussilago farfara) wird vorwiegend bei chronischer Emphysembronchitis mit morgendlichem erschwertem Abhusten eingesetzt. Seine Inhaltsstoffe sind unter anderen zirka 7 Prozent Schleimstoffe, Terpene und Gerbstoffe. Die viel diskutierte Humangefährdung durch die hepatotoxischen und kanzerogenen Pyrrolizidin-Alkaloide wird kontrovers beurteilt. Nach der wissenschaftlichen Kommission des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Kommission E) ist der Gehalt an Senkirkin mit bis zu 10 mg täglich
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PHYTOTHERAPEUTIKA GEGEN DIE BRONCHITIS
Spitzwegerich (Plantago lanceolata)
Huflattich (Tussilago farfara)
Primelwurzel (Primula officinalis)
Königskerze (Verbascum thapsiforme)
Thymian (Thymus vulgaris)
Efeu (Hedera helix)
tolerabel. Die Pflanze enthält aber nur bis zu 0,01 Prozent der toxischen Substanz. Zur Bekämpfung des morgendlichen Reizhustens empfiehlt sich die Einnahme einer Teezubereitung vor dem Aufstehen.
Königskerze Die Königskerze, auch Wollblume genannt (Verbascum thapsiforme), gilt als eine «Übergangsdroge». Sie ist also zugleich Mucilaginosum und Expektorans, da sie sowohl die reizlindernden Schleimstoffe als auch schleimlösende Saponine enthält. Wollblumenextrakte kommen in vielen kombinierten Fertigarzneimitteln vor. Da clobutinolhaltige Arzneimittel wegen erheblicher Nebenwirkungen und Risiken nicht mehr verfügbar sind, bilden die Mucilaginosa eine wirksame Alternative für die Behandlung des trockenen Reizhustens.
Expektoranzien Die Behandlung des produktiven Hustens erfordert den Einsatz völlig anderer Heilpflanzen, der sogenannten Expektoranzien. Diese enthalten unter anderem Saponine, Terpene und Gerbstoffe. Sie verflüssigen den Schleim durch Herabsetzung der Oberflächenspannung, stimulieren die Schleimproduktion, aktivieren die Ziliartätigkeit, wirken entzündungshemmend, antibakteriell und spasmolytisch. Die Hauptvertreter dieser Substanzklasse sind: ■ Thymian (Thymus vulgaris) ■ Primel (Primula officinalis) ■ Efeu (Hedera helix) ■ Sonnentau (Drosera rotundifolia)
Thymian Der Thymian (Thymus vulgaris) ist das wichtigste Hustenmittel. Er besitzt eine hohe therapeutische Breite. Es gibt Hinweise
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Auswahl von Phytotherapeutika zur Behandlung von Atemwegserkrankungen in der Spezialitätenliste
Präparat Siropectan® Sirup
Sibrovita® Kapseln Sinupret® Dragées, Tropfen Echinamed® Resistenz-Tabletten
Zusammensetzung
Indikationen
Balsami tolutani extractum ethanolicum liquidum 100 mg, Plantaginis folii extractum aquosum liquidum 100 mg, Castaneae folii extractum aquosum spissum 50 mg, Droserae extractum ethanolicum liquidum 25 mg, Primulae radicis extractum ethanolicum liquidum 50 mg, Polygalae extractum ethanolicum liquidum 10 mg
Eucalypti folium, Aurantii dulcis flavedo, Limonis flavedo recens, Myrti folium
Gentianae radix 2 mg, Primulae flos 6 mg, Rumicis acetosae herba 6 mg, Sambuci flos 6 mg, Verbenae herba 6 mg
Echinaceae purpureae herbae recentis tinctura 380 mg
Husten
akute und chronische Bronchitis; akute und chronische Sinusitis akute und chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen und der Atemwege, ggf. als Zusatztherapie zu anderen Therapien Steigerung der körpereigenen Abwehr bei Anfälligkeit gegen Erkältungskrankheiten sowie bei fiebrigen Erkältungskrankheiten
darauf, dass die Wirkstoffe von Thymus vulgaris über die Magenschleimhaut resorbiert und über die Alveolen ausgeschieden werden. Thymus vulgaris hat ein umfassendes Wirkprofil: Durch die ätherischen Öle in Form von phenolischen Verbindungen wie das Thymol und das Carvacrol und die Gerbstoffe vermittelt die Heilpflanze antimikrobielle Eigenschaften, und zwar sowohl bei viralen wie auch bakteriellen Infektionen. Auch Mykosen werden durch sie erfasst. Zusätzlich wirkt sie antiphlogistisch, adstringierend, auswurffördernd und spasmolytisch. Damit eignet sich die Heilpflanze zur Behandlung von akuten viralen und bakteriellen Atemwegsinfekten, vor allem auch bei ihren obstruktiven Formen.
Primel Die Primelwurzel (Primula officinalis) hat einen hohen Saponingehalt, der einen zum Thymian synergistischen Effekt besitzt, weswegen beide Heilpflanzen häufig in Kombinationspräparaten angewendet werden. Auch die Primel stimuliert die Schleimproduktion und aktiviert die Ziliartätigkeit.
Keuchhusten, beim Pseudokrupp und bei der obstruktiven Bronchitis verabreicht. Neuere Untersuchungen mit Efeuextrakten durch Häberlein zeigten beta-2-adrenerge Effekte durch die vor allem in den Efeublättern enthaltenen Saponine wie das alpha-Hederin und sein Prodrug Hederacosid C.
Sonnentau
Sonnentau (Drosera rotundifolia) enthält Naphthochinonderi-
vate, Flavonoide, Schleimstoffe und eiweissabbauende En-
zyme. Auch diese Pflanze wirkt hustenstillend, schleimlösend
und spasmolytisch.
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Dr. med. Hartmut Dorstewitz Facharzt für Allgemeinmedizin
Naturheilverfahren Experte für Biologische Medizin
(Universität Mailand/WHO) D-85614 Kirchseeon
Efeu Efeu (Hedera helix) hat ebenfalls einen spasmolytischen, sekretolytischen und sekretomotorischen Effekt. Zusätzlich wirkt er leicht sedativ. Deswegen wird er besonders gerne beim
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 15/2008. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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