Transkript
FORTBILDUNG
Das schwierige Asthma
Wann kommt eine Therapie mit Omalizumab in Frage?
Mit der Einführung von Omalizumab (Xolair®) in der
Schweiz haben sich für ausgewählte Patienten mit
schwerem allergischem Asthma neue therapeutische
Möglichkeiten eröffnet. Die Behandlung mit dem
monoklonalen Antikörper gegen menschliches IgE
verspricht durch den neuartigen Wirkmechanismus
eine bessere Stabilisierung und Kontrolle des Asthmas,
mit signifikanten Auswirkungen auf die Lebensqualität
dieser Allergiker. Vor einem Einsatz dieser nicht
ganz billigen Therapie sind aber einige Abklärungen
und Überlegungen angezeigt.
MARKUS SOLÈR
Als «schwieriges Asthma» würden wir ein Asthma bezeichnen, welches nicht wie erwartet auf die Therapie anspricht, symptomatisch nicht kontrolliert werden kann, häufig exazerbiert, eine anhaltend eingeschränkte Lungenfunktion verursacht und den dauernden Einsatz sehr hoher Dosen inhalativer oder gar systemischer Steroide notwendig macht. Eine derartige, deskriptive Definition wird auch von den entsprechenden Arbeitsgruppen der American Thoracic Society (1) und der European Respiratory Society (2) verwendet. Wenn wir eine Patientin oder einen Patienten mit einem chronischen, schwierig zu behandelnden Asthma und unbefriedigendem Therapieresultat zu betreuen haben, stellen sich primär folgende Fragen: ■ Stimmt die Diagnose Asthma? ■ Besteht eine fortgesetzte irritative oder allergische Exposi-
tion? ■ Stimmt die Therapiecompliance? ■ Gibt es unerkannte Zusatzdiagnosen, welche das Asthma
verschlimmern?
Ist die Diagnose korrekt? Die sichere Beurteilung als Asthma bronchiale ist zum Zeitpunkt, an dem sich die Krankheit als schwierig behandelbar präsentiert, oft nicht mehr einfach möglich: Klassische Aspekte wie der typische asthmatische Dyspnoe-Anfall, die im Lungenfunktionstest kurzfristig variable Bronchialobstruktion als Zeichen des intermittierenden Bronchospasmus und der Nachweis der schweren bronchialen Hyperreaktivität stehen weit im Hintergrund, während eine permanente, oft nur wenig variable Bronchialobstruktion das klinische Erscheinungsbild bestimmt. Die Diagnose des Asthmas lässt sich daher oft nur aufgrund anamnestischer Informationen und von Lungenfunktionsdokumenten aus der Vergangenheit klassisch belegen. Eine Hyperreaktivitätstestung kann bei bestehender Obstruktion nicht korrekt durchgeführt und beurteilt werden und fällt damit als diagnostisches Hilfsmittel ebenfalls weg. Manchmal kann eine vorübergehende, hoch dosierte systemische Steroidtherapie die Lungenfunktion signifikant verbessern, was bei entsprechender Vorgeschichte als Hinweis für die nach wie vor asthmatische Genese einer persistierenden Obstruktion gewertet werden kann. In der üblichen Ausprägung ist das schwierig zu behandelnde Asthma oft nur unklar von einer COPD abzugrenzen (keine Raucheranamnese, keine andere chronische Exposition). Chronische Bronchialinfekte und Bronchiektasen können ähnliche Atembeschwerden auslösen. Hier stehen aber Husten und Auswurf im Vordergrund. Bei einigen dieser Patienten liegt
Merksätze
■ Viele vermeintlich steroidresistente Asthmaanfälle sprechen wieder auf die ursprüngliche Therapie an, nachdem eine systematische Differenzialdiagnose Zusatzerkrankungen aufgedeckt hat und diese behandelt worden sind.
■ Patienten, die trotz solcher Abklärungen und Behandlungen weiterhin eine ungenügende Asthmakontrolle aufweisen, qualifizieren möglicherweise für eine Omalizumab-Behandlung, sofern der allergische Mechanismus des Asthmas eindeutig nachgewiesen werden kann.
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DAS SCHWIERIGE ASTHMA
Tabelle 1: Zusatzdiagnosen, die den Tabelle 1: Asthmaverlauf verschlechtern
Tabelle 3: Voraussetzungen für eine Anti-IgETabelle 2: Therapie mit Omalizumab
■ gastroösophagealer Reflux ■ chronischer Bronchialinfekt ■ chronische Rhinosinusitis ■ persistierende Allergenexposition ■ Nahrungsmittelallergie ■ persistierende inhalative Belastung am Arbeitsplatz
Tabelle 2: Abklärungen bei «schwierigem» Tabelle 2: Asthma
■ Spirometrie und Plethysmografie ■ HR-CT der Lungen ■ CT der Nasennebenhöhlen ■ Allergieabklärung ■ 24-h-pH-Metrie / Versuch mit Protonenpumpenhemmern ■ evtl. psychiatrische Beurteilung
zusätzlich zum Asthma auch eine Stimmbanddysfunktion mit paradoxem Glottisschluss bei der Inspiration vor (funktioneller Laryngospasmus), der in der Notfallsituation oft nur für den klinisch Erfahrenen klar vom Asthma abgrenzbar und korrekt behandelbar ist. Die allergische bronchopulmonale Aspergillose und die eosinophile Vaskulitis (Churg-Strauss-Syndrom) sind mit Asthmabeschwerden assoziierte Erkrankungen, welche heute nur mit systemischen Steroiden wirksam behandelt werden können.
■ Alter über 12 Jahre ■ schweres persistierendes Asthma, FEV1 < 80% des Sollwertes trotz Therapie ■ allergisches Asthma (Allergie gegen ein perenniales Allergen, z.B. Hausstaubmilbe, Tierhaare) ■ ungenügende Asthmakontrolle (Exazerbationen) unter aus- geschöpfter konventioneller Therapie, inklusive LABA und hoch dosierte inhalative Steroide ■ Omalizumab adäquat dosierbar: Total-IgE 30—700 kIU/l, Gewicht 20—150 kg FEV1: forcierte exspiratorische Einsekundenkapazität LABA: lang wirkende Beta-2-Agonisten Beim Asthma hängt die Therapietreue in bedeutendem Masse von der Krankheitseinsicht und vom Verständnis der durch jedes einzelne Medikament erzielten Wirkung ab. Die Steroidangst ist noch immer verbreitet und wird von den Patienten immer wieder auch auf die wichtigen inhalativen Steroide bezogen. Hier ist wiederholte Aufklärungsarbeit notwendig! Die inhalative Therapie verursacht zusätzlich Probleme, weil sie in der Anwendung nicht ganz einfach ist und immer wieder Fehler bei der Inhalation die optimale Deposition des Medikamentes im Bronchialsystem beeinträchtigen. Entsprechend wird der erzielte Behandlungseffekt geringer ausfallen. Eine als wenig wirksam erlebte Behandlung wird der Patient aber weniger konsequent anwenden. Die Frage nach der Compliance ist deshalb bei jeder Asthma-Verlaufs-Kontrolle, auch bei weniger schwierigen Fällen, zu stellen. Besteht eine fortgesetzte irritative oder allergische Exposition? Ein Asthma ist kaum in den Griff zu bekommen, wenn der Patient zu Hause oder am Arbeitsplatz fortgesetzt «sein» Allergen inhaliert. Hier wird die Expositionsprophylaxe zum zentralen Element in der Behandlung. Auch der Einfluss irritativer Stimuli, welche die bronchiale Entzündung anheizen können, ist durch eine genaue Anamnese in Betracht zu ziehen. Auch Asthmatiker rauchen! Der Tabakrauch kann das Ansprechen auf die Asthmabehandlung deutlich beeinträchtigen und zum klinischen Bild eines schwierig zu behandelnden Asthmas beitragen. Vor allem die inhalativen Steroide werden durch das Rauchen in ihrer Wirkung drastisch abgeschwächt (3). Stimmt die Therapiecompliance? Diese Frage stellt man sich als Internist oder Hausarzt täglich, sie ist bei allen chronischen Krankheiten von zentraler Bedeutung. Beim Patienten mit schwierig behandelbarem Asthma dürfte von der Symptomatik her an sich eine klare Motivation zur Anwendung der Therapie erwartet werden. Gibt es unerkannte Zusatzdiagnosen, welche das Asthma verschlimmern? Die systematische differenzialdiagnostische Aufarbeitung grösserer Gruppen von Patienten mit schwierig behandelbarem Asthma hat klar demonstriert, dass komplizierende Zusatzerkrankungen bei diesen Patienten nicht eine Ausnahme, sondern die Regel sind (Tabelle 1). Dies wurde von mehreren Arbeitsgruppen in unterschiedlichen Ländern dokumentiert (4–6). Wie vor allem die Gruppe in Leiden gezeigt hat (4), kommen dabei oft mehrere Zusatzdiagnosen beim gleichen Patienten vor, während schwieriges Asthma ohne eine Zusatzdiagnose die absolute Ausnahme darstellt! Aufgrund dieser Tatsachen drängt sich eine systematische Aufarbeitung der Patienten mit schwierigem Asthma durch den Spezialisten auf (siehe Tabelle 2). Zusatzdiagnosen mit der Konsequenz einer Verschlechterung der Asthmakontrolle sollen primär behandelt werden, was oft, wenn auch nicht immer, zu einer Stabilisierung der Situation führt. Viele vermeintlich steroidresistente Asthmafälle werden so wieder auf die übliche Therapie ansprechen. ARS MEDICI 2 ■ 2009 67 FORTBILDUNG Diverse Allergen-Epitope Diverse spezifische IgE-AK Cε3: Bindungsstelle an den Rezeptor a) Allergen Mastzelle b) Omalizumab (Anti-IgE) IgE-Rezeptor Mastzelle Abbildung: Wirkmechanismus des Anti-IgE-Antikörpers Omalizumab Diese Aufarbeitung sollte prinzipiell vor der Erwägung einer Behandlung mit dem neuen monoklonalen Anti-IgE-Antikörper Omalizumab (Xolair®) durchgeführt werden (7). Patienten, die nach diesen Abklärungen und konsekutiven Behandlungen weiterhin eine ungenügende Asthmakontrolle aufweisen, qualifizieren möglicherweise für eine Omalizumabbehandlung (siehe Tabelle 3). Therapie mit Omalizumab Vonseiten der Zulassungsbehörden wurde der Einsatz dieser neuartigen und teuren Therapie auf Patienten mit schwerem Asthma, persistierender Obstruktion und wiederholten Exazerbationen als Ausdruck einer mangelhaften Krankheitskontrolle trotz ausgebauter konventioneller Therapie beschränkt. Zusätzlich muss der allergische Mechanismus des Asthmas mittels eindeutiger Hauttestresultate oder klar erhöhter spezifischer IgE-Werte dokumentiert sein. Unter diesen Voraussetzungen kann die Indikation für eine Anti-IgE-Behandlung gestellt werden. Die Dosierung muss individuell angepasst erfolgen und errechnet sich aufgrund des Serum-Gesamt-IgE-Spiegels und des Körpergewichts gemäss einer Dosierungstabelle. Je nach erforderlicher Dosis muss das Medikament alle zwei oder nur alle vier Wochen s.c. vearbreicht werden. Sehr selten sind bei der Injektion von Omalizumab unerwartete Reaktionen bis zur anaphylaktischen Reaktion aufgetreten, dies vor allem zu Beginn der Therapie. Bei diesen allergischen Patienten mit einem schwierig therapierbaren Asthma ist es deshalb angezeigt, sie nach den ersten Injektionen zirka zwei Stunden zu beobachten und die Medikamente zur Behandlung einer allfälligen Reaktion bereitzuhalten. Die injizierten Omalizumabmoleküle werden das zirkulierende IgE binden und daran hindern, in die Gewebe einzudringen und an die IgE-Rezeptoren der Mastzellen und anderer Entzündungszellen zu binden (siehe Abbildung). Mit der Zeit werden damit immer weniger Mastzellen mit der Fähigkeit zur Typ-I-Reaktion auf die Allergene vorliegen, und die allergischen Symptome sollten zurückgehen. Die ersten 16 Wochen der Therapie müssen deshalb als Versuchsphase angesehen werden, und man muss abwarten, bis sich der Therapieeffekt einstellen kann. Eine Sofortwirkung ist bei diesem Medikament nicht zu erwarten! Nach dieser Zeit sollte der therapeutische Effekt der Omalizumabbehandlung spürbar werden und dokumentiert werden können. Stellt sich die erhoffte Besserung der Asthmakontrolle ein, sollte die Omalizumabtherapie zunächst auf unbestimmte Zeit weitergeführt werden. Im späteren Therapieverlauf kann es möglich werden, die konventionelle Asthmatherapie zu reduzieren. Die Langzeitsicherheit der Anti-IgE-Behandlung ist in Studien bis vier Jahre gut dokumentiert, nicht aber darüber hinaus. Über diesen Zeitraum sind vor allem leichtere lokale Reaktionen an der Injektionsstelle dokumentiert, sehr selten systemische Reaktionen bis zur Anaphylaxie. Eine Antikörperentwicklung gegen das Medikament wurde nur nach inhalativer Verabreichung beobachtet und dürfte extrem selten sein (8). Theoretisch sind Patienten unter Anti-IgE-Behandlung möglicherweise anfälliger auf Wurminfestationen, was in unseren Breitengraden wohl weniger problematisch ist (9). Patienten unter Langzeittherapie mit Omalizumab sollten vorerst gut beobachtet und unerwartete Entwicklungen an die Arzneimittelbehörden gemeldet werden. Bei gut ausgewählten Patienten mit allergischem Asthma hat diese neuartige Therapie ein grosses Potenzial, die Krankheit und die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig zu verbessern. Ein Behandlungsversuch sollte deshalb bei allen Patienten mit schwierigem allergischem Asthma erwogen werden. ■ Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Markus Solèr Leiter Pneumologie, St. Claraspital 4016 Basel Interessenkonflikte: keine Literatur: 1. Proceedings of the ATS workshop on refractory asthma: current understanding, recommenda- tions, and unanswered questions. American Thoracic Society. Am J Respir Crit Care Med 2000; 162: 2341—2351. 2. Chung K.F. et al.: Difficult/Therapy-resistant asthma: the need for an integrated approach to define clinical phenotypes, evaluate risk factors, understand pathophysiology and find novel therapies. ERS Task Force on Difficult/Therapy-Resistant Asthma, European Respiratory Society. Eur Respir J 1999; 13: 1198—1208. 3. Lazarus S.C. et al.: Smoking affects response to inhaled corticosteroids or leukotriene receptor antagonists in asthma. 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