Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
Maya Graf, Nationalrätin Gr¨une, BL, hatte am 25.9.2008 eine Interpellation eingereicht (ARS MEDICI 22/08)
Botoxprodukte — Schönheitswahn um den Preis
Antwort des Bundesrats vom 5.12.2008
Ich bitte den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten: 1. Welche Möglichkeiten sieht er, um den
steigenden kosmetischen Behandlungen mit dem Nervengift Botox zur Bekämpfung von Gesichtsfalten entgegenzuwirken, vor dessen Nebenwirkungen selbst die Swissmedic am 12. Juni 2008 gewarnt hat? 2. Welche Möglichkeiten sieht er zur Eindämmung der grausamen Tests bei Tausenden von Nagern im Ausland, da bei jeder Produktionseinheit erneut die Wirksamkeit und Sicherheit geprüft werden müssen? 3. lst er bereit, die Swissmedic als nationale Arzneimittelzulassungsbehörde anzuweisen, die Validierung der tierversuchsfreien Testmethode SNAP-25 Endopeptidase Acitivity Assay für die Botulinumtoxinprodukte Botox, Vistabel und Dysport sowie zukünftige Zulassungsanträge von Produkten mit demselben Inhaltsstoff so rasch wie möglich vorzunehmen? 4. lst er bereit, als längerfristiges Ziel diese von der britischen Kontrollbehörde NIBSC entwickelte Alternativmethode anstelle der heute üblichen, extrem grausamen LD-50-Tierversuche für den Import von Botulinumtoxinprodukten zur kosmetischen Verwendung als verbindlich zu erklären? 5. lst er bereit, die meist ahnungslosen Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten von «Botoxkosmetika» über die extremen Tierquälereien bei der Produktion/Prüfung dieser Substanzen im Ausland zu informieren? 6. Könnte er sich eine Produktedeklaration, welche unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass in der Schweiz derartige Tierversuche nicht bewilligt würden, vorstellen?
Fragen 1 und 5: Botulinumtoxine sind sehr starke Nervengifte, die von Bakterien produziert werden. Bereits in kleinen Dosen führen sie bei Mensch und Tier zu Lähmungserscheinungen, im weiteren Verlauf zu Koma und schliesslich zum Tod. In sehr geringen Dosen werden sie zur Therapie von Störungen des Nervensystems beim Menschen eingesetzt, beispielsweise für die Behandlung von Muskelkrämpfen. Bei der Herstellung entsprechender Arzneimittel sind aufgrund der starken Toxizität des Wirkstoffs umfangreiche Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfungen nach international gültigen Standards zwingend. In der Schweiz hat Swissmedic ein einziges Medikament für folgende Indikation zugelassen: Vistabel ist indiziert für die medizinisch therapeutische Behandlung von schweren Stirnfalten über der Nasenwurzel. Die anderen Präparate mit dem gleichen Wirkstoff (Botox und Dysport) sind für andere medizinische Anwendungen zugelassen. Aufgrund ihres Gefährdungspotenzials unterstehen alle drei Präparate der verschärften Verschreibungspflicht (Abgabekategorie A). Botulinumtoxinhaltige Kosmetika jedoch sind in der Schweiz nicht auf dem Markt. Die Anwendung dieser Arzneimittel zu kosmetischen Zwecken stellt einen Einsatz ohne behördliche Genehmigung und ausserhalb der in der Arzneimittelinformation vorgesehenen Anwendungen dar (off-label use). Der Entscheid zur Behandlung und die Verantwortung für den Einsatz liegen allein bei der behandelnden Ärztin, dem behandelnden Arzt. Die Kontrolle der Arztpraxen obliegt den Kantonen. Wenn vermutet wird, dass die ärztliche Sorgfaltspflicht bei der Verschreibung und Anwendung von Arzneimitteln nicht eingehalten wird, haben die kantonalen Instanzen entsprechende Massnahmen einzuleiten. Was die Informationstätigkeit des Bundes betrifft, hat Swissmedic bereits am 12. Juni 2008 in einer Mitteilung auf die Gefahren für Patientinnen und Patienten aufmerksam gemacht. Dabei wurde auch auf die Problematik der LD-50-Tests hingewiesen. Die Verantwortlichkeiten bezüglich Verschreibung,
Abgabe und Anwendung sowie die Aufklärung der Patienten sind klar geregelt. Zudem entscheidet letztlich der Patient oder die Patientin darüber, ob diese Arzneimittel als Kosmetika verwendet werden. Der Bundesrat hat nicht vor, etwas an diesen Zuständigkeiten zu ändern. Frage 2: Um Patientinnen und Patienten bei der Therapie nicht zu gefährden, müssen alle Arzneimittel bei der Herstellung nach den Vorschriften in den Arzneibüchern (Pharmakopöe) geprüft werden. Neben dem LD-50-Test an Mäusen (Referenzmethode) sind bereits heute drei weitere Tests aufgeführt, welche nach entsprechender Validierung eingesetzt werden können. Die Problematik der LD-50-Tests wurde international erkannt, und es werden erhebliche Anstrengungen unternommen, diese Tests zu ersetzen. Swissmedic unterstützt im Auftrag des Bundes diese Bemühungen im Rahmen der internationalen Organisation ICH (International Conference on Harmonization of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use). Die Produktfreigabe erfolgt nach internationalen Standards, ausschliesslich im Ausland, und die Entwicklung von alternativen Testmethoden ist langwierig und aufwendig. Die Problematik kann nur in internationaler Zusammenarbeit befriedigend gelöst werden. Dies bestimmt auch die Haltung des Bundesrats in dieser Frage. Frage 3: Die Arzneimittelbücher sehen bereits heute drei alternative Tests zur Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfung von Botulinumtoxinpräparaten vor. Swissmedic anerkennt diese Tests bei der Zulassung von neuen Präparaten. Im globalisierten Pharmamarkt ist ein Alleingang der Schweiz in dieser Hinsicht wenig sinnvoll (vgl. auch Frage 2). Wirksamkeitsprüfungen und Chargenfreigabe werden ausschliesslich im Ausland nach international gültigen Normen und Standards durchgeführt. Die Problematik kann, wie bereits ausgeführt, nur in internationaler Zusammenarbeit, beispielsweise im Rahmen der internationalen Organisation ICH, gelöst werden.
10 ARS MEDICI 1 ■ 2009
grausamer Tierversuche?
Mobiltelefon — erhöhtes Gesundheitsrisiko für Kinder?
Abbildung: Botoxinjektion — Schönheitswahn auf Kosten grausamer Tierversuche?
Bea Heim, Nationalrätin SP, SO, reichte am 2.10.2008 eine Interpellation ein.
Frage 4: Endopeptidase Assays können derzeit den LD-50-Test bei der Prüfung der Wirksamkeit von Botulinumtoxinpräparaten nicht vollständig ersetzen. Die von der britischen Kontrollbehörde entwickelte Methode ist daher nur für gewisse Indikationen eine Alternative zum LD50-Test. Sie ist aber geeignet, die Anzahl der benötigten Versuchstiere in Zukunft zu reduzieren. Würde der von der Interpellantin favorisierte Test für Arzneimittel mit Botulinumtoxin vorgeschrieben, käme dies zum heutigen Zeitpunkt einem Importverbot gleich und würde die Versorgung mit diesen medizinisch notwendigen Produkten gefährden. Eine Lösung ergibt sich für den Bundesrat nur durch die internationale Zusammenarbeit, wo Swissmedic im Rahmen der ICH bereits aktiv ist. Frage 6: Eine Anpassung der Deklaration botulinumtoxinhaltiger Arzneimittel wäre, nach Anpassung der gesetzlichen Vorschriften, grundsätzlich möglich. Konsequenterweise müssten aber alle Produkte, die im LD-50-Test geprüft worden sind, gekennzeichnet werden. Die Wirkung einer Deklaration auf der Verpackung oder in der Arzneimittelinformation ist allerdings fraglich, weil die betroffenen Arzneimittel ausnahmslos injiziert werden müssen und daher ausschliesslich durch die Ärztin oder den Arzt angewendet werden. Patientinnen und Patienten würden durch eine entsprechende Deklaration kaum erreicht. Der Bundesrat hält deshalb eine solche Deklaration nicht für zielführend.
Stand der Beratung: im Plenum noch nicht behandelt.
Alarmierende Ergebnisse einer schwedischen Studie scheinen die bisher bekannten Studienresultate, die eher Entwarnung gaben und kaum einen Zusammenhang zwischen Mobiltelefonen und Hirntumoren erkannten, in Frage zu stellen. Auch eine dänische Studie scheint eine höhere Tumorhäufigkeit zu bestätigen. Die Ergebnisse der internationalen Phonestudie scheinen von der WHO und der Internationalen Krebsagentur unter Verschluss gehalten zu werden. Mitte September 2008 hat nun das europäische Parlament strengere Regeln für die Strahlenaussetzung beschlossen. In seiner Antwort auf die Interpellation Kiener Nellen sagte der Bundesrat 2004, «falls sich der Wissensstand betreffend möglicher Gesund-
Abbildung: Mobiltelefonie für Kinder
heitsrisiken verändert, wird der Bundesrat entsprechend zum Schutz der Bevölkerung reagieren». So wird der Bundesrat nun gebeten, zu folgenden Fragen Stellung zu beziehen: ■ Sieht er die Zeit gekommen, eine neue
Lagebeurteilung vorzunehmen? ■ Beurteilt er es als notwendig, eine Ände-
rung der Verordnung über den Schutz vor nicht ionisierender Strahlung vorzunehmen und die strengeren Regeln der EU zu übernehmen?
Antwort des Bundesrats vom 26.11.2008
Frage 1: Die Interpellantin bezieht sich auf eine Studie, in der die International Agency of Research on Cancer (IARC) in 13 Ländern einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Mobiltelefonieren und Hirnkrebs untersucht hat. Die bereits publizierten Resultate aus den einzelnen Ländern lassen noch keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Die Resultate der einzelnen Länder sind in eine Gesamtauswertung eingeflossen, die noch nicht publiziert ist. Der Bundesrat erachtet deshalb eine neue Lagebeurteilung als verfrüht. Frage 2: Es trifft nicht zu, dass die EU über strengere Vorschriften als die Schweiz verfügt. Im Gegenteil: Die Grenzwerte für stationäre Sendeanlagen sind in der Verordnung über den Schutz vor nicht ionisierender Strahlung festgehalten. An Orten mit empfindlicher Nutzung sind sie um einen Faktor 10 bis 20 niedriger als die Immissionsgrenzwerte, welche die EU-Kommission empfiehlt. Damit hat der Bundesrat schon beim Erlass der NISV im Jahr 1999 die Unvollständigkeit der Kenntnisse zu möglichen Risiken berücksichtigt. Im Moment sieht der Bundesrat keine Notwendigkeit, diese Grenzwerte zu ändern. Mobiltelefone unterliegen der Verordnung über Fernmeldeanlagen. Durch die Formulierung in der FAV erlangen die EU-Grenzwerte auch in der Schweiz ihre Gültigkeit. Eine allfällige Verschärfung der EU-Grenzwerte für Mobiltelefone würde auch in der Schweiz umgesetzt.
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