Transkript
Was tun bei Harninkontinenz und Prostatahyperplasie?
Bericht von einer Fortbildungsveranstaltung der Firma MADAUS
BERICHT
Die Urininkontinenz bei Frauen und die benigne Prostatahyperplasie bei Männern sind heute eigentlich keine wirklichen Tabuthemen mehr. Trotzdem ist die offensive Auseinandersetzung mit diesen Problemen für viele immer noch unangenehm. Dabei kann durch sehr unterschiedliche therapeutische Massnahmen sowohl Frauen als auch Männern wirkungsvoll geholfen werden, wie die beiden Experten Prof. Dr. Bernhard Schuessler und Prof. Dr. Hansjörg Danuser aus Luzern bei einer hausärztlichen Fortbildungsveranstaltung der Firma MADAUS in Basel zeigten.
KLAUS DUFFNER
Gibt es bei der hausärztlichen Untersuchung Anzeichen für eine Harninkontinenz, sollte eine der Schlüsselfragen sein: «Verlieren Sie bei körperlicher Betätigung ohne Harndrang Urin?» Wenn dem so ist, dann kann man mit hoher Sicherheit davon ausgehen, dass die Patientin – wie übrigens etwa die Hälfte aller Frauen mit Inkontinenz – unter einer Stressinkontinenz leidet, das heisst, der Schliessmuskel funktioniert insuffizient. Antwortet sie dagegen auf die Frage, ob sie unter Harndranggefühl leidet, das nicht unterdrückt werden kann und zu Urinverlust führt, mit «Ja», muss von einer hyperaktiven Blase (oder Dranginkontinenz) ausgegangen werden. Bei knapp einem Drittel der Patientinnen kann es ausserdem zu Mischinkontinenzen kommen.
meinte Professor Bernhard Schuessler von der Neuen Frauenklinik im Luzerner Kantonsspital bei der Fortbildung in Basel. Beispielsweise habe man mit Beckenbodentraining gute Ergebnisse erzielt. Wenn nur in bestimmten Situationen wie etwa beim Joggen Inkontinenzprobleme auftreten, kann auch ein Pessar mit einem Schwämmchen gute Dienste leisten. Auch mit dem antidepressiv wirkenden Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin, das allerdings zur Behandlung der Inkontinenz in der Schweiz nicht zugelassenen ist, hat man erstaunliche Ergebnisse erzielt. Hilft dies alles nichts, sind unterschiedliche operative Eingriffe möglich – die meisten mit hoher Effektivität. Standard sind nach den Worten von Schuessler jedoch die wenig invasiven TVT- oder TOT-Techniken.
Dabei wird ein Band unter der Harnröhre durchgeführt und anschliessend – je nach Operationsmethode – entweder durch die Bauchdecke (TVT) oder in der Schenkelbeuge (TOT) nach aussen geführt, bei Letzterem mit geringerem Risiko von Blasenverletzungen.
Dranginkontinenz: Anticholinergika entspannen Blasenmuskeln … Die Dranginkontinenz, die häufig mit enormer Einschränkung der Lebensqualität einhergeht, kann hingegen gut mit Medikamenten – vor allem Anticholinergika – behandelt werden. Diese wirken unwillkürlichen Detrusorkontraktionen der Blase entgegen, indem sie die Wirkung von Acetylcholin auf die Muskarinrezeptoren hemmen. Die Folge: Der Muskel relaxiert, der Druck in der Blase lässt nach, und es wird wieder mehr Urin gespeichert. Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2006 ist die Wirksamkeit aller Anticholinergika bezüglich der Reduktion von Inkontinenzepisoden respektive von Miktionsfrequenzen in etwa vergleichbar. Da Anticholinergika jedoch nicht allein auf die Muskarinrezeptoren in der Blase wirken, sondern auch auf solche Rezeptoren in anderen Organsystemen, kann es – je nach Substanz – zu unterschiedlichen Nebenwirkungsprofilen kommen. Die häufigste dieser unerwünschten Nebenwirkungen ist, in zumeist milder Ausprägung, die Mundtrockenheit.
Stressinsuffizienz: zuerst konservativ behandeln «Bei der Stressinsuffizienz ist eine konservative Behandlung zunächst korrekt»,
Harninkontinenz und benigne Prostatahyperplasie
Praktische Tipps der Spezialisten mit interaktiver Fragerunde Basel, 14. Oktober 2008; Veranstalter: MADAUS
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BERICHT
Professor Bernhard Schuessler
… und können die Kognition vermindern Mit Nachdruck wies Schuessler darauf hin, dass es unter dem Einfluss von Anticholinergika auch zu problematischen kognitiven Störungen kommen kann. In einer französischen Studie aus dem Jahr 2006 mit 372 Patienten über 60 Jahre wurde dies noch einmal bestätigt: Teilnehmer, die mit Anticholinergika gegen unterschiedlichste Erkrankungen kontinuierlich behandelt wurden (Antiemetika, Antiarrhythmika, Psychopharmaka usw.), zeigten zu 80 Prozent Beeinträchtigungen der kognitiven Fähigkeiten. Hingegen war dies in der Vergleichsgruppe, deren Medikation keine Anticholinergika enthielt, nur bei 35 Prozent der Fall. «Das Gemeine daran ist, dass viele Patienten gar nicht merken, wie ihr Kurzzeitgedächtnis nachlässt», erklärte Schuessler. Gerade wenn eine Behandlung nicht lebensnotwendig sei, solle man dies bei der Verschreibung von Anticholinergika bedenken. Denn auch unter inkontinenzhemmenden Anticholinergika, wie zum Beispiel Oxybutynin könne es zu teilweise erheblichen kognitiven Nebenwirkungen kommen, betonte der Gynäkologe. Auf der anderen Seite ist von Trospiumchlorid, Tolterodin und Darifenacin bekannt, dass durch sie keine kognitiven Beeinträchtigungen verursacht werden. Auch die unterschiedliche Metabolisierung der Anticholinergika ist
zu berücksichtigen. Während die meisten ganz oder zumindest teilweise über die Leber verstoffwechselt werden, erfolgt die Eliminierung von Trospiumchlorid über die Niere. «Damit ist es nach einer gewissen Zeit weg und kumuliert nicht zusätzlich im Körper», so Schuessler. Schliesslich ist bei der Auswahl der Medikamente auch der Preis des Medikaments nicht ganz unwichtig, da es hinsichtlich der Tageskosten zu teilweise erheblichen Unterschieden kommen kann. Eines sollte man bei der Behandlung von Patientinnen mit überaktiver Blase jedoch immer beachten, sagte der Luzerner Experte: «Die verwendeten Substanzen können im Einzelfall gut wirksam seien, aber leider gibt es auch immer wieder Patientinnen, die nicht profitieren.»
Medikamentöse Therapie der benignen Prostatahyperplasie Auch manche Männer mit benigner Prostatahyperplasie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von einer medikamentösen Therapie profitieren. Und zwar dann, wenn bei ihnen eine massive Restharnmenge festgestellt wurde und/oder eine akontraktile oder hypokontraktile Blase vorliegt. «Die Chancen, dass eine medikamentöse Therapie hier funktioniert, sind minimal», sagte Professor Hansjörg Danuser von der Klinik für Urologie im Luzerner Kantonsspital. Wesentlich Erfolg versprechender ist eine medikamentöse Behandlung, wenn die typischen Symptome (Schmerzen beim Wasserlassen, häufiges und erschwertes Wasserlassen) auftreten und der Leidensdruck hoch ist, wenn die digitale Rektaluntersuchung eine vergrösserte und adenomkonsistente Prostata offenbart, wenn der PSA und das Urinsediment im Normbereich liegen und die Restharnmenge ebenfalls nicht gravierend ist, erklärte Danuser. Zur Verfügung für eine solche Behandlung stehen α-Blocker, 5-α-Reduktasehemmer, die Kombinationstherapie mit diesen beiden Substanzen oder Phytotherapeutika. Durch die Hemmung der α1Rezeptoren durch α-Blocker (z.B. Alfu-
Professor Hansjörg Danuser
zosin, Doxazosin, Terazosin und häufig benutzt Tamsulosin) wird eine Muskelentspannung in der Prostata und im Blasenhals erreicht. Zwar führt dies nicht zur Verkleinerung der Prostata, die Beschwerden können hingegen deutlich gelindert werden. Je nach Substanz und Dosierung ist das Auftreten von Nebenwirkungen unter den α1-Hemmern unterschiedlich, zu rechnen ist jedoch mit Hypotonie (5%), Schwindel (10%), Müdigkeit (5%) und Ejakulationsstörungen in Form eines retrograden Samenergusses. Mit den 5-α-Reduktasehemmern (Finasterid, Dutasterid) wird ein Enzym gehemmt, welches die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron metabolisiert. Dadurch wird das Wachstum der Prostata gestoppt, der Harnfluss verbessert und die Beschwerden gelindert. Unter der Therapie kann sich der PSA-Wert durch die Volumenverringerung der Prostata um bis zu 50 Prozent verringern. Die Verträglichkeit der Enzymhemmer sei insgesamt gut, so Danuser, Nebenwirkungen seien vor allem im Bereich der Sexualität zu beobachten, nämlich Libidoverlust (<5%), erektile Dysfunktion (<10%) und wiederum Ejakulationsstörungen (<5%). Während die maximale Wirksamkeit bei α-Blockern bereits nach ein bis zwei Wochen eintritt, kann das bei 5-α-Reduktasehemmern drei bis sechs Monate dauern. Die klinische Effizienz beider Medikamente
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BERICHT
Wann sollte der Hausarzt den Patienten zum Urologen schicken?
■ Symptome und hoher Leidensdruck trotz medikamentöser BPH-Therapie ■ Erhöhtes PSA (≥ 4 ng/ml) ■ Keine oder ungenügende Regredienz des PSA nach Prostatitisbehandlung ■ Signifikanter Restharn ≥ 100 ml trotz medikamentöser Therapie ■ Ungeklärte Makrohämaturie, signifikante Mikrohämaturie ■ Ungeklärte Lc-urie
sei gut, betonte Danuser. In der MTOPSStudie mit rund 3000 Teilnehmern über 50 Jahren wurden α-Blocker und 5-αReduktasehemmer kombiniert und mit den Einzelsubstanzen verglichen. Die Kombination wies gegenüber Plazebo eine relative Risikoreduktion hinsichtlich BPH-Progression (–66%) oder der Inzidenz des akuten Harnverhaltes (–81%) oder der Inzidenz operativer Eingriffe (–67%) auf (p = <0,001).
Studie: Sägepalmextrakte auf Augenhöhe mit 5-α-Reduktasehemmer Unter den Phytotherapeutika sind die Sägepalmextrakte (z.B. Prosta-Urgenin®) am besten dokumentiert. Allerdings
handle es sich dabei um relativ kurze follow ups, Langzeitresultate fehlten bislang, betonte Danuser. In einer randomisierten Vergleichsstudie zwischen Sägepalmextrakt und dem 5-α-Reduktasehemmer Finasterid mit 1098 Patienten wurden für beide Substanzen signifikante Reduktionen der Symptome sowie eine ebenfalls signifikante Verbesserung der Lebensqualität festgestellt. Bemerkenswerterweise traten in der sechsmonatigen Untersuchung zwischen den beiden Medikamenten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Auftretens von Symptomen und der Verbesserung der Lebensqualität auf. «Das war doch ein bisschen überraschend, aber es spricht für die Naturprodukte», erklärte
Danuser. Leichte Vorteile zugunsten
Finasterid traten bei der Urinflussver-
besserung auf (Sägepalmextrakt plus
25%, Finasterid plus 30%), während
Sexualfunktionen (Impotenz, Libidostö-
rungen) vom Sägepalmextrakt etwas
weniger beeinflusst wurden. In einer
weiteren Studie (follow up 1 Jahr) mit
704 Patienten wurde Sägepalmextrakt
gegen Tamsulosin verglichen. Dabei
konnten sowohl bezüglich Symptom-
reduktion (IPSS) als auch Urinfluss keine
signifikanten Differenzen zwischen
beiden Substanzen festgestellt werden.
Dagegen traten signifikant weniger Fälle
von retrograder Ejakulation unter der
Behandlung mit Sägepalmextrakt auf.
Zudem, so der Luzerner Urologe, sei Säge-
palmextrakt preisgünstiger als Tamsu-
losin und auch als Finasterid.
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Klaus Duffner
Interessenlage: Der Bericht wurde unterstützt von der Firma Zeller AG.
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