Transkript
Management der Dyspepsie
Wann ist die empirische PPI-Verschreibung erlaubt?
FORTBILDUNG
Etwa 20 bis 40 Prozent aller Erwachsenen leiden
unter Dyspepsien. Bei der Mehrzahl der Betroffenen
lässt sich keine organische Ursache nachweisen.
Patienten unter 55 Jahren oder auch ältere ohne
weitere Auffälligkeiten können empirisch behandelt
werden. Bei Warnsymptomen wie gastrointestinalen
Blutungen oder unbeabsichtigtem Gewichtsverlust ist
dagegen unverzüglich eine Endoskopie notwendig.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Bei der Dyspepsie handelt es sich um ein komplexes Krankheitsbild mit chronischen und wiederkehrenden Beschwerden im oberen Gastrointestinaltrakt. Hauptsymptome sind epigastrische Schmerzen und Unwohlsein, Völlegefühl nach den Mahlzeiten oder vorzeitiges Sättigungsgefühl, oft begleitet von Sodbrennen und Nahrungsrückfluss. Dyspeptische Beschwerden sind für 2 bis 5 Prozent aller Hausarztbesuche verantwortlich. Trotz zahlreicher Richtlinien wird das Management der Erkrankung immer noch kontrovers diskutiert. Streitpunkte sind die Auswahl der geeignetsten empirischen Strategie oder der Nutzen endoskopischer Routineuntersuchungen bei älteren Patienten ohne Warnsymptome. Die Autoren haben in ihrem Review aktuelle Empfehlungen und Studienergebnisse zusammengestellt.
Welche Differenzialdiagnosen gibt es bei dyspeptischen Symptomen? Dyspeptische Symptome können verschiedene organische Ursachen (Tabelle 1) haben, bei vielen Patienten ist jedoch kein offensichtlicher Auslöser festzustellen (funktionelle Dyspepsie). Ursachen ausserhalb des Gastrointestinaltrakts wie Leber-, Gallen- und Pankreaserkrankungen kommen nicht häufig vor, sollten aber immer in Betracht gezogen werden. Die meisten
Dyspepsien können einer der folgenden vier Kategorien zugeordnet werden: ■ gastroösophagealer Reflux mit oder ohne Ösophagitis ■ peptische Ulzera ■ maligne Erkrankungen ■ funktionelle Dyspepsie
Die funktionelle Dyspepsie verbleibt hauptsächlich als Ausschlussdiagnose. Die damit verbundenen Beschwerden hängen häufig mit Störungen der gastroduodenalen Motorik sowie der Reiz- und der Schmerzempfindlichkeit zusammen. Die Ursprünge dieser Fehlregulierungen sind unbekannt. Die funktionelle Dyspepsie ist die häufigste Form von Magenbeschwerden. Sie ist für 50 Prozent aller Fälle verantwortlich. Von den verbleibenden Dyspepsiepatienten haben 20 Prozent eine endoskopisch negative Refluxerkrankung, 20 Prozent leiden unter einer Ösophagitis, bei 10 Prozent sind peptische Ulzera Ursache der Beschwerden, weitere 2 Prozent haben einen Barrett-Ösophagus, und bei 1 Prozent aller Dyspepsie-Patienten handelt es sich um eine maligne Erkrankung. Insgesamt liegen somit bei zwei Dritteln der Patienten keine organischen Läsionen vor.
Merksätze
■ Etwa 25 bis 40 Prozent aller Erwachsenen leiden unter chronischen und wiederkehrenden dyspeptischen Symptomen.
■ Bei den meisten Patienten liegen keine strukturellen Läsionen vor, maligne Erkrankungen sind selten.
■ Als empirische Strategien sind ein Nachweis von Helicobacter pylori mit anschliessender Eradikation des Erregers (Test-and-Treat) oder eine antisekretorische Behandlung mit Protonenpumpenhemmern wirksam.
■ Der 13C-Harnstofftest und der Stuhl-Antigen-Test werden als nichtinvasive Methoden zum Nachweis von Helicobacter pylori empfohlen.
■ Protonenpumpenhemmer sollten zwei Wochen und Antibiotika vier Wochen vor einer Endoskopie abgesetzt werden.
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FORTBILDUNG
Tabelle 1: Häufige organische Ursachen Tabelle 1: dyspeptischer Symptome
Oberer Gastrointestinaltrakt ■ gastroösophageale Refluxerkrankung mit oder ohne Ösophagitis ■ peptische Ulzera (Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür) ■ Malignität der Speiseröhre und des Magens (Krebs, mukosaasso-
ziiertes lymphatisches Gewebe, [MALT]-Lymphom)
Andere Ursachen: ■ Gallensteinleiden und Gallenentzündungen ■ Pankreatitis und Pankreaskrebs ■ hepatobiliäre Störungen und Malignitäten ■ ischämische Herzerkrankung ■ Medikamente (NSAR, Aspirin, Steroide, Antibiotika, Kalziumant-
agonisten, Theophylline und Bisphosphonate)
Kann man von den Symptomen auf die Ursache schliessen? Ein systematischer Review zeigte, dass weder Hausärzte noch Gastroenterologen nur anhand der Symptomevaluierung Patienten mit organischen Ursachen von denen mit einer funktionellen Dyspepsie unterscheiden konnten. Allerdings sind vorherrschendes Sodbrennen und Nahrungsrückfluss gute Prädiktoren für eine gastroösophageale Refluxerkrankung, während es sich bei Patienten mit vorwiegend epigastrischen Schmerzen eher um peptische Ulzera oder eine funktionelle Dyspepsie handelt.
Wie geht man bei der Untersuchung vor? Mit Hilfe der Anamnese und einer sorgfältigen körperlichen Untersuchung kann man extragastrointestinale Ursachen dyspeptischer Symptome wie die Einnahme bestimmter Medikamente (Tabelle 1) ausschliessen. Ungünstige Einflüsse der Lebensweise oder der Ernährung können so ebenfalls identifiziert werden. Starkes Übergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum und eine fettreiche Ernährung können mit einer ösophagealen Refluxerkrankung einhergehen und dyspeptische Symptome verstärken. Über das Blutbild kann eine Anämie diagnostiziert werden. Die Erhebung der Leberwerte und der Serumlipase ist hilfreich, wenn eine hepatobiliäre oder eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse als Ursache dyspeptischer Beschwerden vermutet wird. Im letzteren Fall wird auch eine Ultraschalluntersuchung empfohlen. Die Endoskopie ist der Goldstandard zur Untersuchung des oberen Gastrointestinaltrakts. Die Genauigkeit der Diagnose organischer Läsionen ist bei dieser Untersuchungsmethode höher als 95 Prozent. Gleichzeitig können im Rahmen der endoskopischen Untersuchung Biopsien entnommen werden, um Infektionen mit Helicobacter pylori, präkanzeröse Veränderungen
und maligne Erkrankungen zu diagnostizieren. Antisekretorische Medikamente sollten spätestens zwei Wochen vor der Endoskopie abgesetzt werden, da sie kleine maligne Geschwüre abheilen lassen oder die Überwucherung maligner Veränderungen mit normaler Mukosa fördern und somit Krebserkrankungen in einem frühen Stadium maskieren können. Röntgenuntersuchungen mit Barium als Kontrastmittel sind weniger sensitiv und weniger spezifisch, maligne Erkrankungen können daher bei dieser Methode leichter übersehen werden. Als indirekter Test auf geschwürartige Veränderungen dient ein nichtinvasiver 13C-Harnstofftest. In Beobachtungsstudien hat sich ein positiver Helicobacter-Test als guter Prädiktor für peptische Ulzera bei Patienten mit noch nicht evaluierter Dyspepsie erwiesen.
Wer sollte endoskopisch untersucht und wer empirisch behandelt werden? Internationale Richtlinien empfehlen bei Dyspepsie-Patienten mit Warnsymptomen sowie bei allen älteren mit neu aufgetretener Dyspepsie eine sofortige Endoskopie. Bei Warnzeichen wie gastrointestinalen Blutungen, Dysphagie oder Gewichtsverlust (vollständige Aufzählung in Tabelle 2) sollte sofort endoskopisch untersucht werden, um Komplikationen von Magengeschwüren oder Malignitäten auszuschliessen, obwohl man nur bei einer Minderheit der Betroffenen strukturelle Läsionen findet. Da ältere Menschen ein höheres Risiko für maligne Erkrankungen haben, wird bei ihnen auch ohne Warnzeichen eine Endoskopie empfohlen. Das Alter, ab dem eine Routineendoskopie empfohlen wird, variiert zwischen 45 Jahren in Asien und 55 Jahren in den USA. Der Vorteil einer endoskopischen Routineuntersuchung in westlichen Ländern ist umstritten, da hier die Prävalenz von Magenkrebs zurückgegangen ist.
Tabelle 2: Warnzeichen bei Dyspepsie
Warnsymptome ■ gastrointestinale Blutungen ■ Eisenmangelanämie ■ fortschreitender unbeabsichtigter Gewichtsverlust ■ fortschreitende Dysphagie ■ Odynophagie ■ anhaltendes Erbrechen ■ epigastrische Masse bei Palpation
Hochrisikofaktoren für Krebs ■ familiäre Malignitäten im oberen Gastrointestinaltrakt ■ frühere Magengeschwüre ■ frühere Magenoperationen ■ Barrett-Ösophagus ■ intestinale Metaplasie oder atrophische Gastritis
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MANAGEMENT DER DYSPEPSIE
Die Richtlinien in Grossbritannien empfehlen deshalb, Patienten über 55 mit unkomplizierter Dyspepsie zunächst empirisch zu behandeln und eine Endoskopie erst durchzuführen, wenn die Beschwerden länger als zwei Monate andauern. Patienten unter 55 Jahren ohne Warnsymptome können sofort empirisch behandelt werden, da bei diesen Patienten nur sehr selten Malignitäten auftreten.
Welche empirischen Massnahmen sind sinnvoll? Eine Dyspepsie kann entweder mit einem Helicobacter-Test und anschliessender Eradikation des Erregers (Test-and-Treat) oder antisekretorisch mit Protonenpumpenhemmern behandelt werden. Internationle Richtlinien empfehlen die Test-andTreat-Methode bei vorwiegend epigastrischen Schmerzen sowie die Gabe von Protonenpumpenhemmern, wenn Sodbrennen und Rückflussbeschwerden überwiegen. Protonenpumpenhemmer werden auch als Second-Line-Therapie bei persistierenden Beschwerden nach einer Helicobacter-Eradikation und für Patienten mit negativem Helicobacter-Test empfohlen. Bessern sich die Symptome nach einer empirischen Behandlung nicht, sollte eine Endoskopie durchgeführt werden.
Wie kann Helicobacter pylori nachgewiesen werden? Der 13C-Harnstofftest ist der genaueste und am häufigsten genutzte nichtinvasive Test zur Diagnose von Helicobacter pylori. Der Stuhl-Antigen-Test ist eine gleichwertige Alternative mit ähnlicher Sensitivität und Spezifität. Beim serologischen Nachweis sind Sensitivität und Spezifität bei noch nicht evaluierter Dyspepsie dagegen dürftig.
Wie werden Patienten mit Dyspepsie behandelt? Im Rahmen der Endoskopie sollten Biopsien aus der Magenhöhle und dem Magenkörper zum Nachweis von Helicobacter pylori entnommen werden. Bei der endoskopischen Untersuchung werden Ösophagitis oder peptische Ulzera sichtbar, die dann, je nach Befund, mit Protonenpumpenhemmern oder einer Helicobacter-Eradikation behandelt werden. Patienten mit endoskopisch negativer Refluxerkrankung können ebenfalls Protonenpumpenhemmer erhalten. Bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie sollte als erste Massnahme eine Helicobacter-Eradikation durchgeführt werden. In einem Cochrane-Review zeigte sich, dass 10 Prozent der Patienten mit funktioneller Dyspepsie von der Behandlung profitieren. Liegt keine Infektion mit Helicobacter pylori vor oder spricht ein Patient auf die Eradikation nicht an, werden Protonenpumpenhemmer gegeben. Vielen Patienten mit funktioneller Dyspepsie kann bereits mit der Erklärung geholfen werden, dass ihre Symptome gutartiger Natur sind. Prokinetika, Antidepressiva und Spasmolytika sollten Betroffenen mit refraktärer Erkrankung vorbehalten bleiben. ■
Zagari Rocco et al.: Clinical Review — Investigating dyspepsia, BMJ, 2008; 337: a1400. doi:10.1136/bmj.a1400.
Interessenkonflikte: keine
Petra Stölting
BUCHBESPRECHUNG
Hypertriglyceridämie. Ein klinischer Leitfaden.
Von Werner O.Richter. 107 S., 29 Tab. und 17 Abb. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft WVG Stuttgart (2008). ISBN 978-3-8047-2451-8.
Meistens wird der Triglyzerid-Wert im Patientenblut nur zur Berechnung des viel häufiger zitierten LDL-Wertes zusammen mit dem Gesamtcholesterin und dem HDL-Spiegel bestimmt, die Triglyzeride nehmen in der Beurteilung der Hyperlipidämien einen Schattenplatz ein. Es ist deshalb sehr begrüssenswert, dass ein ausgewiesener Kenner (Professor im Institut für Fettstoffwechsel und Atherosklerose in D-Windach) in einem handlichen, sehr informativen und «modernen» Kleintaschenbuch alle wesentlichen Aspekte der Hypertriglyzeridämie dargestellt hat. Das leicht verständliche, aber doch alle neuesten Erkenntnisse berücksichtigende kleine Buch weiss deshalb zu gefallen und kann auch dem Grundversorger sehr empfohlen werden. Der gleiche Autor hat übrigens auch ein entsprechendes «Taschenbuch der Fettstoffwechselstörungen» (2.Aufl., 174 S.) bei der WVG veröffentlicht. Der vorliegende Leitfaden erklärt klar die pathogenetischen Zusam-
menhänge zwischen den verschiedenen Hyperlipidämie-Formen, dem «metabolischen Syndrom», der Atherosklerose und der Fettleber im Allgemeinen und der Hypertriglyzeridämie im Besonderen. Er weist auf die präanalytischen Fehlermöglichkeiten ebenso hin wie auf die Schwierigkeiten bei der Interpretation der Laborresultate. Als Hauptaussage kann gelten, dass nicht die Höhe der Gesamt-Triglyzeride das Risiko für die koronare Herzkrankheit bestimmt, sondern die Zusammensetzung der triglyzeridreichen Lipoproteine, also die Partikel, die im Blut die Triglyzeride enthalten und transportieren. Das kleine Buch unterscheidet deshalb klar die atherogenen und nicht atherogenen Formen. Dementsprechend werden Diagnostik und Therapie der verschiedenen Untergruppen der Hypertriglyzeridämien kurz und prägnant abgehandelt und die Vor- und Nachteile der Fibrate, der Nikotinsäuren-Derivate und vor allem der Omega-3-Fettsäuren (versus Fischöl) dargestellt. Zwei lesenswerte Kapitel «Patientenbeispiele» und «Spezielle therapeutische Situationen» nebst dem zusammenfassenden kleinen «Glossar zum Fettstoffwechsel» ergänzen das kleine, aber feine Taschenbuch.
Hans-Ulrich Kull, Küsnacht
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