Transkript
STUDIE REFERIERT
Eine neue Panazee für sehr adipöse Typ-2-Diabetiker?
KOMMENTAR
Dirk Kappeler, Winterthur
Erste Ergebnisse mit einer lang wirkenden Formulierung von Exenatide
In einer randomisierten, offenen
Studie wurde im Vergleich zwischen
zweimal täglicher und einmal
wöchentlicher Injektion des Inkretin-
mimetikums Exenatide mit der
retardierten Formulierung eine
statistisch signifikant bessere
Blutzuckerkontrolle erreicht.
THE LANCET
In den letzten Jahren haben zwei neue Klassen von Antidiabetika ihren Marktauftritt erlebt, die beide eine Potenzierung der Inkretinwirkung erzielen. Dies sind einerseits injizierbare Agonisten am Glukagon-like-Peptid-1-Rezeptor (Inkretinmimektika), zum Beispiel Exenatide (Byetta®), andererseits oral einnehmbare Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibitoren
Merksatz
■ Exenatide in retardierter Form zur einmal wöchentlichen Injektion erzielte im Vergleich zur zweimal täglichen Injektion der bisher etablierten galenischen Form eine signifikant bessere Glykämiekontrolle ohne Erhöhung des Hypoglykämierisikos und mit vergleichbarer Reduktion des Körpergewichts.
(Inkretinverstärker), zum Beispiel Sitagliptin (Januvia®) oder Vildagliptin (Galvus®). Exenatide vermochte in den bisherigen Studien bei zweimal täglicher subkutaner Injektion die Nüchtern- und die postprandialen Blutzuckerwerte sowie die mittleren HämoglobinA1c (HbA1c)Konzentrationen günstig zu beeinflussen. Inzwischen ist eine lang wirkende, einmal wöchentlich applizierbare Form entwickelt worden, bei der ExenatideMikrosphären und ein im Körper abbaubares Polymer gespritzt werden. Diese neue Formulierung wurde in dieser Studie mit der bereits eingeführten bei rund 300 Typ-2-Diabetikern verglichen.
Methodik Die Studienteilnehmer hatten im Mittel seit 6,7 ± 5,0 Jahren einen dokumentierten Typ-2-Diabetes mit erhöhtem HbA1c (8,5 ± 1,0%), erhöhtem Nüchtern-Blutzucker (im Mittel 9± 2 mmol/l) und waren adipös (102 ± 20 kg KG). Sie waren entweder pharmakotherapienaiv (nur Diät und körperliches Training) oder erhielten ein oder mehrere orale Antidiabetika (Biguanid, Sulfonylharnstoff, Glitazon). 147 Teilnehmende wurden zu 2 × 10 µg Exenatide pro Tag, 148 zu 1 × 2 mg Exenatide pro Woche randomisiert. Die Randomisierung wurde entsprechend einer begleitenden Sulfonylharnstoffbehandlung stratifiziert, und diese wurde vorübergehend bis zum Erreichen eines Exenatide-Steady-state heruntergefahren und nachher wieder aufwärtstitriert, um der Hypoglykämiegefahr Rechnung zu tragen. Primärer Studienendpunkt war die Veränderung des HbA1c nach 30 Wochen.
Was bedeutet dies für die Praxis?
Ein (nicht ganz) neuer Pfeil im Köcher
Die Studie zum retardierten Exenatide zeigt erfreuliche Resultate mit nicht nur «noninferiority» (Nicht-Unterlegenheit), sondern sogar etwas besserer HbA1c-Senkung unter neu 1× wöchentlicher statt unter der bisherigen 2× täglichen Gabe. Die blutzuckersenkende Wirkung ist also bei geringerem therapeutischem Aufwand mindestens gleich gut. Für alle weiteren Aussagen ist die Studie allerdings nicht konzipiert. Bezüglich der Nebenwirkungen ist das geringere Auftreten von Nausea unter dem neuen Präparat sicher erfreulich, ebenso wie auch die in etwa gleiche Gewichtsabnahme. Für eine sichere Beurteilung der Nebenwirkungen inklusive auch der klinischen Relevanz der vermehrt auftretenden Antikörper braucht es aber sicher weitere Studien mit deutlich längerer Dauer. Auch zur Positionierung des Exenatide im Vergleich zu anderen Wirkstoffen (Insulin, DPP4-Hemmer, Liraglutide) lassen sich mit dieser Studie keine Aussagen machen. Als Fazit dürfte also das neue 1x wöchentliche Exenatide seinen Vorläufer mit 2x täglicher Gabe ersetzen. Ob und wieweit aber Exenatide anderen alten oder neuen Antidiabetika überlegen ist, bleibt abzuwarten. ■
Resultate Die beiden Therapiegruppen waren hinsichtlich demografischer Daten und antidiabetischer Begleittherapien vergleichbar. 258 der 295 Patienten beendeten die Studie, bei gleichen Abbruchraten in den beiden Gruppen. Die mit einmal wöchentlicher Injektion Behandelten erreichten nach rund zwei Wochen Plasma-Exenatide-Konzentrationen im therapeutischen Bereich, die dann noch weiter anstiegen und zwischen den
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STUDIE REFERIERT
Wochen 6 und 10 ein Plateau erreichten. Patienten in beiden Gruppen erfuhren schon ab Woche 6 signifikante HbA1cReduktionen. Die mittlere HbA1c-Reduktion war in Woche 10 in der mit einer wöchentlichen Injektion behandelten Gruppe signifikant grösser, und diese Differenz hielt bis zum Studienende an. Nach 30 Wochen hatte die Gruppe mit wöchentlichen Injektionen gegenüber derjenigen mit zwei täglichen Injektionen eine grössere Absenkung des HbA1c erfahren (−1,9 vs. −1,5%; 95%-KI:−0,54 bis −0,12; p = 0,0023). Die HbA1c-Reduktionen waren in beiden Gruppen unabhängig von den Begleittherapien konsistent und unterschieden sich auch nicht deutlich bei jüngeren und älteren (> 65 J.) Patientinnen und Patienten. Ein signifikant grösserer Anteil der Patienten erreichte unter der wöchentlichen Exenatide-Injektion einen Zielwert für das HbA1c von 7,0% oder weniger (77 vs. 61%; p = 0,0039).
Diskussion Obwohl sowohl Exenatide einmal pro Woche als auch zweimal pro Tag zu einer signifikanten HbA1c-Reduktion und zur Abnahme des Körpergewichts in beiden Gruppen führte, erzielte die einmal wöchentliche Injektion mit der retardierten Form eine bessere Glykämiekontrolle. Unter Studienteilnehmenden mit stark erhöhten HbA1c-Ausgangswerten (> 9%) erreichten bemerkenswerte zwei Drittel ein HbA1c von 7 Prozent oder weniger. Die günstigeren Behandlungsergebnisse unter der retardierten Exenatide-Formulierung erklären die Autoren mit der kontinuierlichen Exposition gegenüber dem Inkretinmimetikum mit resultierender stärkerer Unterdrückung des NüchternGlukagons und besserer Absenkung der Nüchtern-Blutzuckerwerte. Demgegenüber fielen die bessere Kontrolle der postprandialen Blutzuckerausschläge und die etwas stärkere Verzögerung der
Magenentleerung unter der zweimal täglichen Applikationsweise von Exenatide offenbar nicht so ins Gewicht. Die Verträglichkeit war in beiden Behandlungsarmen gut, mit recht geringen Abbruchraten von etwa 5 Prozent in beiden Gruppen. In beiden Behandlungsgruppen entwickelten Patienten Antikörper gegen Exenatide, aber deren Anwesenheit korrelierte nicht mit den Nebenwirkungen, und obwohl unter einmal wöchentlicher Injektion höhere Antikörpertiter gemessen wurden, war der therapeutische Effekt, gemessen an der mittleren HbA1cReduktion, in dieser Gruppe grösser. ■
Daniel J. Drucker et al. for the DURATION-1-Study Group: Exenatide once weekly versus twice daily for the treatment of type 2 diabetes: a randomised, open-label, non-inferiority study. Lancet 2008; 372: 1240—1250.
Interessenlage: Die Studie wurde von Amylin Pharmaceuticals Inc und Eli Lilly finanziert.
Halid Bas
BUCHBESPRECHUNG
Lehrbuch der Dermatologie und Venerologie
Hrsg. von U. Hengge und Th. Ruzicka. XXVII + 644 Seiten, 311 vierfarb. Abb. + 75 Tab. + CD. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart (2006) Fr. 52.50 ISBN 3-8047-2178-8.
Es gibt viele «schöne» und auch wissenschaftlich wertvolle Dermatologiebücher. Um sie gegeneinander abzuwägen, ist auf die Aktualität, die didaktische Darstellung, auf die Qualität der Bebilderung, auf das Layout und nicht zuletzt auf Umfang und Preis zu achten. Das vorliegende Lehrbuch, oder wie es sich selber bezeichnet, der «Rote Faden durchs Studium nach der neuen ÄAppO», erfüllt diese Anforderungen weitgehend: Trotz der hohen Seitenzahl, der vielen Abbildungen und der beigelegten CD ist das Buch doch auffallend preiswert. Die Gliederung in die Hauptkapitel Grundlagen, Differenzialdiagnosen, Spezielle Erkrankungen, Therapie und ausführlicher Anhang ist übersichtlich und das Layout lesefreundlich, wobei die zahlreich eingestreuten Epikrisen mit nachfolgender knapper aber vollständiger systematischer Darstellung der Krankheit (inkl. Differenzialdiagnose) und die regelmässigen Kommentare der Randspalte besonders auffallen. Wiederholungsfragen am Ende jedes Themenkapitels vertiefen das Wissen. Die mitgelie-
ferte CD erscheint mir besonders wertvoll, da sie weitergehende Informationen und viele zusätzliche grosse Abbildungen von meist etwas selteneren Erkrankungen bietet. Dies ist sinnvoll, da die sehr zahlreichen Abbildungen im Buch selber teilweise etwas gar klein anmuten. Zusammen mit den vielen instruktiven Tabellen (mit differenzialdiagnostischen Auflistungen und wertvollen Guidelines) wird das Buch somit den meisten Wünschen gerecht. Das Lehrbuch ist von 55 Autoren aus dem deutschen Sprachraum geschrieben, zwei Dermatologie-Professoren aus Düsseldorf haben es herausgegeben. Es ist ihnen erfreulicherweise gelungen, die Einheitlichkeit der vielen Unterabschnitte zu wahren. Das Buch entspricht dem aktuellen Stand des dermatologischen Wissens, es ist gleichwohl praxisbezogen und auch studentengerecht, indem es einfachere Untersuchungsmethoden, die pathogenetischen Grundlagen, die Auflistung nach Lokalisation und nach Effloreszenzen sowie die zielgerichtete Therapie darstellt. Es gereicht dem Buch nicht zum Nachteil, dass auch dermatologische Randgebiete (z.B. Immunologie, Innere Medizin, Proktologie) abgehandelt werden und dass Wiederholungen von Krankheitsbildern je nach Kontext unvermeidlich sind. Somit kann das Werk als Nachschlagebuch für praktizierende Ärzte wie als Lehrbuch für Lernende empfohlen werden.
Hans-Ulrich Kull, Küsnacht
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