Transkript
FORTBILDUNG
Restless-legs-Syndrom: Wege zur Diagnose
Wichtigste Differenzialdiagnosen sind systematisch zu berücksichtigen
Die essenziellen Kriterien zur Diagnose eines RLS sind
ein vorwiegend gegen Abend und nachts auftretender
Bewegungsdrang, oft zusammen mit unangenehmen
Sensationen an Füssen und Beinen, welche hauptsäch-
lich im Sitzen und Liegen auftreten und sich bei
körperlicher oder geistiger Aktivität bessern.
SUSANNA FRIGERIO, JOHANNES MATHIS
Diese Kriterien sind alle notwendig, aber keineswegs spezifisch für die Diagnose RLS. Um RLS-ähnliche Syndrome abzugrenzen, soll zusätzlich nach den supportiven Kriterien gesucht werden: Es sind dies eine positive Familienanamnese, gehäufte periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS) sowie ein gutes Ansprechen auf dopaminerge Medikamente. Zu den assoziierten Kriterien gehören ein schwer gestörter Nachtschlaf und ein progredienter Verlauf, aber ein stets unauffälliger klinischer Befund, zumindest bei der idiopathischen RLSForm.
mehr oder weniger willkürlichen pseudoperiodischen Bewegungen dar, welche als «dyskinesia while awake» oder als periodische Beinbewegungen im Wachzustand (PLMW = periodic leg movements while awake) bezeichnet werden. Sie betreffen einzelne Gliedmassen oder den ganzen Körper, treten selten sogar im Stehen auf, verschwinden jedoch beim Gehen.
Symptome bei Inaktivität, Linderung während der Bewegung Diese unangenehmen Sensationen treten vorwiegend während Inaktivität auf, hauptsächlich im Sitzen oder im Liegen, und bessern sich bei jeglicher Form körperlicher oder geistiger Aktivität. Eine Besserung tritt oft nur während der Bewegung ein, und die Beschwerden können unmittelbar nach dem Hinsetzen oder Hinlegen wieder beginnen. Ausser durch Herumgehen kann das Unwohlsein einer Extremität auch durch Bewegung anderer Körperteile reduziert werden. Stricken und PC-Spiele beispielsweise vermögen die Beschwerden in den Beinen zu lindern, ebenso das Reiben der Beine oder ein kaltes und, weniger oft, ein heisses Bad. Die Erleichterung wird unmittelbar bei Beginn einer Aktivität empfunden. Nach dem Hinsetzen oder Hinlegen treten die Symptome mit unterschiedlichen Latenzzeiten wieder auf. Je kürzer die Latenz, desto schwerer ausgeprägt ist das RLS, und damit stellt diese
Klinische Diagnose des RLS Die diagnostischen Kriterien des RLS wurden durch die internationale RLS-Studiengruppe (IRLSSG) festgelegt und wurden kürzlich überarbeitet (1) (Tabelle 1). Die Beschreibungen der subjektiven Empfindungen durch die Betroffenen sind individuell sehr unterschiedlich, wie zum Beispiel «Mäuse in den Muskeln» oder «Coca-Cola in den Venen». Am häufigsten werden die Empfindungen tief im Muskel oder in den Knochen sitzend lokalisiert, ganz im Gegensatz zu den oberflächlich in der Haut lokalisierten Polyneuropathiebeschwerden. Über eigentliche Schmerzen berichten bis zu 50 Prozent der Patienten, insbesondere in Situationen mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit (Flugzeugreisen, Theaterbesuch). Am häufigsten sind die Unterschenkel betroffen, andere Körperteile wie Arme, Hüften, Genitalien oder selten das Gesicht können im Verlauf auch betroffen werden. Der isolierte Befall der oberen Extremität ist aber eine Rarität. Eine Folge dieser sensiblen Empfindungen im Wachzustand stellen die
Merksätze
■ Das Restless-legs-Syndrom (RLS) betrifft häufiger ältere Personen und Frauen, kann aber in jedem Alter, auch bereits in der Kindheit, beginnen.
■ Der Schweregrad der Krankheit reicht von seltenen Episoden bei längeren Reisen bis zu schwersten Schlafstörungen und der Unmöglichkeit, an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen.
■ Als Ursache des primären (idiopathischen) RLS wird eine genetisch bedingte Dysfunktion im Dopamin- und Opiatneurotransmittersystem im Zentralnervensystem postuliert.
■ Eisenmangel, Nierenerkrankungen oder Polyneuropathien spielen eine wichtige Rolle beim sekundären RLS.
1070 ARS MEDICI 24 ■ 2008
RESTLESS-LEGS-SYNDROM: WEGE ZUR DIAGNOSE
Tabelle 1: Diagnostische Kriterien des RestlessTabelle 1: legs-Syndroms
Essenzielle Kriterien ■ Drang, die Extremität zu bewegen, oft mit Gefühlsstörungen/
Zuckungen ■ Zunahme in Ruhe, sitzend und liegend ■ Besserung bei Bewegung, mindestens während der Bewegung ■ Zunahme am Abend und in der Nacht (zirkadianer Einfluss)
Supportive Kriterien ■ positive Familienanamnese ■ Ansprechen auf dopaminerge Medikation ■ PLM (periodische Beinbewegungen im Schlaf und im Wachzustand)
Assoziierte Zeichen ■ Zunahme im mittleren und höheren Alter ■ Schlafstörungen ■ neurologisch unauffällig bei idiopathischer Form
Latenz eine einfache Masseinheit für den klinischen Verlauf dar. Im späteren Verlauf kann bei schwerer Form die Akzentuierung der Beschwerden am Abend wie auch der Einfluss körperlicher Aktivität geringer werden. Bei schwer betroffenen Patienten, die eine Erleichterung durch Aktivität verneinen, sollte nachgehakt werden, ob dies auch bei Krankheitsbeginn schon der Fall war (2, 3).
Vier Diagnosekriterien sind essenziell, aber trotzdem nicht spezifisch Fehlt eines der vier essenziellen Kriterien, so ist die Diagnose eines RLS nicht mit Sicherheit zu stellen. Obschon unerlässlich für die Diagnose, sind die vier essenziellen Kriterien aber auch nicht für ein RLS spezifisch. Zum Beispiel können Patienten mit einer Small-fibre-Neuropathie durchaus alle vier essenziellen Kriterien erfüllen. Um so wichtiger und wertvoller sind zur Sicherung der Diagnose die assoziierten und supportiven Charakteristika. Verschiedene Studien zeigten in mehr als 50 Prozent der Fälle mit idiopathischem RLS eine positive Familienanamnese. In unserer eigenen Studie (4) hatten Patienten mit Symptomen vor dem 35. Altersjahr signifikant häufiger eine positive Familienanamnese (40%) als Patienten mit einem späteren Beschwerdebeginn (25%). Bei über 90 Prozent der Patienten haben dopaminerge Medikamente zumindest zu Beginn des Leidens eine positive Wirkung auf die Beschwerden, was die Diagnose unterstützt. Später, bei fortschreitender Krankheit, kann die therapeutische Wirkung schwächer werden und teilweise ganz verloren gehen.
Periodische Beinbewegungen (PLM) Bei mehr als 80 Prozent aller Patienten persistieren unwillkürliche, sogenannte periodische Beinbewegungen im Schlaf
(PLMS) (5). Die Anzahl der PLMS pro Stunde Schlaf oder sogar im Wachzustand (PLMS-Index) wurde oft als objektives Mass für die Schwere des RLS verwendet, und Werte von mehr als 15/Stunde werden beim Erwachsenen als abnormal betrachtet (bei Kindern > 5/h) (6).
Alter und Geschlecht Die Symptome des RLS können in jedem Alter beginnen, in 12 Prozent der Fälle bereits vor dem zehnten Lebensjahr. Zu Beginn sind die Beschwerden oft mild. Eine progrediente Verschlechterung ist jedoch charakteristisch, und Remissionen sind eher selten. Patienten mit frühem Symptombeginn (vor dem Alter von 35 bis 45 Jahren) haben öfters eine positive Familienanamnese, während bei Patienten mit einem späteren Beginn nicht selten sekundäre Auslöser wie Nierenleiden, Polyneuropathie und Eisenmangel bestehen. Bei spät beginnenden sekundären Formen des RLS ist der Verlauf rascher progredient, während bei früh auftretendem RLS eher eine langsame Progression zu beobachten ist. Viele Patienten mit frühem Beginn suchen erst nach dem Alter von 40 Jahren medizinische Hilfe, wenn die Beschwerden stärker werden. Während der Schwangerschaft berichten bis zu 25 Prozent der Frauen über RLS-Symptome. In den meisten Fällen verschwinden die Beschwerden nach der Niederkunft wieder. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass bei Frauen, welche mehr als zwei Schwangerschaften hatten, das Risiko eines chronisch fortschreitenden RLS erhöht ist, was vielleicht auch die höhere Prävalenz des RLS bei Frauen allgemein erklärt (7).
Schlafstörungen Schwere Ein- oder Durchschlafstörungen lassen sich bei bis zu 90 Prozent der Patienten nachweisen (4), vergleichsweise selten wird jedoch eine starke Schläfrigkeit während des Tages festgestellt. Ein RLS stellt umgekehrt mit etwa 20 Prozent eine sehr häufige Ursache von Insomnie dar. Bei Insomniepatienten sollte deshalb stets nach der Möglichkeit eines RLS gefragt werden. Ein Teil der RLS-Patienten kann abends relativ rasch einschlafen und erlebt erst nach dem erneuten Erwachen einige Stunden später wegen der RLS-Beschwerden eine Durchschlafinsomnie. Dies erklärt sich einerseits durch die individuellen Unterschiede im zirkadianen Verlauf der RLSBeschwerden und andererseits durch den zunehmenden Schlafdruck. Bei einer sehr kurzen Einschlaflatenz können die Patienten einschlafen, bevor die RLS-Symptome auftreten.
Neurologische Befunde Typischerweise ist die klinisch neurologische Untersuchung beim idiopathischen RLS normal, insbesondere sind Muskelkraft, Muskeleigenreflexe und Lage- wie auch Vibrationssinn erhalten, und es finden sich auch keine Muskelatrophien. Gezielt sollte in der Untersuchung nach Zeichen der Polyneuropathie gesucht werden, wie fehlende Achillessehnenreflexe und reduziertes Vibrationsempfinden an den Füssen. Eine autonome Neuropathie sollte dann in Betracht gezogen werden, wenn sich die Schweissbildung an den Füssen verändert
ARS MEDICI 24 ■ 2008 1071
FORTBILDUNG
Tabelle 2: Differenzialdiagnose des RLS anhand der klinischen Hauptsymptome
Parästhesien und Schmerzen Polyneuropathie (PNP)
Burning-feet-Syndrom, Erythromelalgie (10)
Positional Discomfort
enger Spinalkanal, lumboradikuläre Schmerzen PAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) Arthritis/Arthrose der unteren Extremität Morton-Neuralgie/ Tarsaltunnelsyndrom Varikosis
Die sensorischen Symptome werden häufig als Taubheitsgefühl oder als brennende Schmerzen beschrieben und oberflächlich «in der Haut» lokalisiert; fehlende zirkadiane Rhythmik, Akzentuierung während der Nacht möglich, keine oder nur geringe Erleichterung durch Bewegung und Umhergehen. PNP ist eine häufige Ursache von sekundärem RLS. Symmetrische brennende Empfindungen in beiden Füssen oder weiteren Körperteilen; begleitende Hautrötung und erhöhte Hauttemperatur; initial episodisches Auftreten; Auslösung durch körperliche Aktivität oder warme Umgebungstemperatur. Auch beim Gesunden nach längerem Sitzen, aber nie im Liegen. Erleichterung durch einfachen Positionswechsel im Gegensatz zum RLS, bei dem Beschwerden auch nach Positionswechsel rasch wieder auftreten. Maximaler Schmerz beim Abwärtsgehen, keine Linderung durch Stillstehen, sondern erst im Sitzen. In liegender Position Schmerzmaximum in Rückenlage, Besserung durch Seitenlage mit angezogenen Knien. Schmerzzunahme beim Gehen, Erleichterung schon beim Stillstehen, nicht erst beim Sitzen oder Hinlegen.
Anlaufschmerz vorwiegend im Gelenkbereich, keine zirkadiane Rhythmik, aber nächtliche Exazerbation bei entzündlicher Genese. Belastungsabhängige brennende Schmerzen in umschriebenem Innervationsgebiet. Keine zirkadiane Rhythmik.
Schweregefühl der Beine, häufig schmerzhafte Spannung in den Waden; Hautveränderungen im fortgeschrittenen Stadium. Linderung durch Hochlagern.
Unwillkürliche Bewegungen, Zuckungen, Krämpfe
Painful-legs-and-movingtoes-Syndrom
Unwillkürliche unregelmässige Fuss- und Zehenbewegungen, unangenehmes Gefühl in den Füssen. Kein Bewegungsdrang, keine Verschlechterung in Ruhe, keine Besserung, sondern eher Zunahme durch Bewegung. Kein zirkadianes Muster, einseitiger Beginn möglich, keine Insomnie (Verschwinden im Schlaf).
nächtliche Wadenkrämpfe
Meist Kontraktion eines einzigen Muskels; prominent palpierbarer Muskelbauch. Erleichterung durch Dehnen des betroffenen Muskels. Auftreten in zweiter Tageshälfte oder nachts. Keine begleitenden sensiblen Symptome.
willentliche Fussbewegungen (Fussklopfen/Wippen)
Auftreten bei nervösen Individuen. Keine unangenehmen sensiblen Symptome, kein Bewegungsdrang. Keine zirkadiane Symptomatik. Kann in der Einschlafphase auftreten im Sinne einer Einschlafstereotypie (hypnagoger Fusstremor).
Painful-fasciculation-Syndrom
Lebhafte und schmerzhafte Faszikulationen in den Beinen, seltener in den Armen oder am Rumpf. Besserung in Ruhe!
Bewegungsdrang
neuroleptikainduzierte Akathisie
Generelle oder innere Unruhe, Bewegungsdrang im gesamten Körper. Keine Parästhesien oder unangenehmen Empfindungen, keine Schmerzen, kein zirkadianes Muster der Beschwerden. Keine positive Familienanamnese. Verwendung von Dopaminantagonisten (Neuroleptika, Antiemetika etc).
hypotensive Akathisie
Bei Patienten mit orthostatischer Hypotonie auftretend, innere Unruhe im Sitzen, Akzentuierung in den Beinen möglich. Erleichterung durch Umhergehen. Kein Auftreten der Symptomatik im Liegen, keine zirkadiane Rhythmik.
Insomnie psychophysiologische Insomnie
Depression
Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeit, «angelerntes Verhalten» mit verstärkter Besorgnis, nicht einschlafen zu können. Psychologische Belastung mit erhöhtem Puls und erhöhter Hauttemperatur.
Agitierte Depression mit vermehrtem Bewegungsdrang und genereller innerer Unruhe. Keine Akzentuierung der Symptomatik in den Beinen, keine zirkadiane Rhythmik.
1072 ARS MEDICI 24 ■ 2008
RESTLESS-LEGS-SYNDROM: WEGE ZUR DIAGNOSE
hat und wenn eine trockene Haut oder fehlende Behaarung distal an den Unterschenkeln und am Fussrücken vorliegen. Bei diesen Patienten ist eine elektrophysiologische Untersuchung (einschliesslich der vegetativen Nervenfasern) empfohlen. Im Fall einer nachgewiesenen Polyneuropathie sollte mittels zusätzlicher Blutuntersuchungen nach behandelbaren Ursachen der Polyneuropathie gesucht werden.
Klinische Differenzialdiagnose des RLS Bei Verdacht auf ein RLS sollen nicht nur die vier essenziellen Kriterien und allenfalls die supportiven Kriterien bestätigt, sondern auch systematisch die wichtigsten Differenzialdiagnosen durchdacht werden. In der Praxis ist es zweckmässig, die Differenzialdiagnose (DD) und die ätiologischen Abklärungen hinsichtlich sekundärer RLS-Formen parallel voranzutreiben, wobei die DD je nach Leitsymptom unterschiedlich gewichtet werden muss (Tabelle 2).
Komorbitäten Der diagnostische Prozess wird besonders schwierig, wenn gleichzeitig mehrere Komorbiditäten vorliegen. Eine Polyneuropathie kann einerseits oberflächlich lokalisierte brennende Schmerzen verursachen und andererseits die Ursache eines sonst typischen RLS darstellen. Hier ist oft viel Geduld vonseiten des Arztes nötig, um die Symptome korrekt zuzuordnen. Wichtig ist dies vor allem im Hinblick auf die Erwartungen des Patienten bei der Behandlung. Es ist fatal, wenn der Patient erwartet, dass sich alle Beschwerden durch ein einziges Medikament bessern werden, obschon der Arzt sich im Klaren ist, dass nur ein Teil der Symptome auf eine spezifische Therapie ansprechen wird. Bei RLS-Patienten mit schweren Lumboischialgien und Verdacht auf einen engen Spinalkanal ist die Frage eines chirurgischen Vorgehens besonders schwierig zu beantworten. Immer wieder werden Patienten mit RLS wegen Fehldiagnosen (Hüftarthrose, Varikosis etc.) unnötigerweise operiert.
Depression und Schlafstörungen Bis zu 90 Prozent der RLS-Patienten leiden an einer Insomnie und bis zu 60 Prozent an einer konkomittierenden Depression oder Angststörung (8). Umgekehrt findet sich bei bis zu 20 Prozent der Insomniepatienten ein RLS, aber noch viel häufiger eine Depression als Ursache der Ein- oder Durchschlafstörung. Bei der psychophysiologischen Insomnie wird ein ungünstiges, «angelerntes» Verhalten zusammen mit einer verstärkten Besorgnis, nicht einschlafen zu können, postuliert. Obwohl die ursprüngliche Ursache der Schlafstörung oft längst verschwunden ist, hat der Betroffene gewisse Verhaltensweisen und Ängste weiterhin beibehalten. Diese bewirken nicht nur eine psychologische Belastung, sondern führen auch zu physischer Aktivierung mit erhöhtem Puls und erhöhter Hauttemperatur. An diese Komponente einer Insomnie sollte auch gedacht werden, wenn unter Therapie des RLS der Bewegungsdrang zwar verschwindet, das Einschlafproblem jedoch persistiert.
Apparative Diagnostik bei RLS Polysomnografie Die Polysomnografie (PSG) ist zur Diagnose des RLS meist unnötig. Eine PSG mit der Frage nach PLMS kann aber bei Patienten mit atypischem RLS, welche nicht auf eine dopaminerge Therapie angesprochen haben, oder bei Verdacht auf ein Schlafapnoesyndrom aufschlussreich sein. Der diagnostische Wert der PLMS ist aber beschränkt, weil diese auch bei bis zu 58 Prozent der älteren (> 60 Jahre) gesunden, asymptomatischen Personen ohne jegliche Beschwerden und bei Patienten mit Schlafapnoesyndrom, Narkolepsie, REM-Schlafverhaltensstörung sowie bei Kindern mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHD) nachgewiesen werden können. In der höheren Altersgruppe sollte eher das Fehlen von PLMS dazu führen, die RLS-Diagnose kritisch zu hinterfragen. Weil jüngere, gesunde Personen seltener PLMS aufweisen, kann hier das Vorhandensein dieses Markers die RLS-Diagnose besser unterstützen. Das Fehlen von PLMS schliesst ein RLS auch nicht aus, weil zirka 20 Prozent der RLS-Patienten in einer einmaligen Polysomnografie keine abnorme Häufigkeit von PLMS aufweisen.
Fussaktimetrie Einfacher kann anstelle der aufwendigen PSG die ambulante «Fussaktimetrie» eingesetzt werden. Die oben erwähnten Einschränkungen gelten grundsätzlich auch für diese Untersuchung. Weil hier aber meist über mehrere Nächte abgeleitet wird, dürften falschnegative Resultate doch seltener sein. Ein völliges Fehlen von PLMS sollte dann vor allem bei atypischen RLS-Beschwerden zu einem noch kritischeren Hinterfragen der RLS-Diagnose motivieren.
Suggested-immobilization-Test Als weitere Möglichkeit zur Erhärtung der klinischen Verdachtsdiagnose hat sich der Suggested-immobilization-Test bewährt (9). Der Patient muss sich während 60 Minuten sitzend im Bett aufhalten, wobei zur Erfassung der Beinbewegungen (PLMW) von beiden Mm. tibialis anteriores ein EMG mit Oberflächenelektroden abgeleitet wird. Alle 15 Minuten wird zudem auf einer visuellen Analogskala das Ausmass der subjektiven RLS-Beschwerden des Patienten erfragt.
L-Dopa-Test Der L-Dopa-Test umfasst eine einmalige L-Dopa-Gabe abends. Berichtet der Patient über eine Beschwerdeminderung oder gar Beschwerdefreiheit, kann von einem RLS ausgegangen werden, sofern die übrigen Kriterien (Hauptkriterien) zur Diagnosestellung ebenfalls erfüllt sind.
Laboruntersuchungen Die häufigsten Ursachen eines sekundären RLS stellen die chronische Niereninsuffizienz, die Schwangerschaft, der Eisenmangel sowie eine Polyneuropathie dar. Laborchemisch soll zum Ausschluss eines sekundären RLS, welches meist eine kausale therapeutische Konsequenz umfasst, eine gezielte
ARS MEDICI 24 ■ 2008 1073
FORTBILDUNG
Tabelle 3: Zusatzuntersuchungen
Laborchemisch ■ rotes und weisses Blutbild ■ Elektrolyte inkl. Natrium, Kalium, Magnesium ■ Kreatinin, Harnstoff, Glukose, HbA1c,
evtl. Glukosebelastungstest ■ Eisen, Ferritin, Transferrin ■ Vitamin B12, Folsäure ■ TSH ■ evtl. Schwangerschaftstest ■ bei klinischem Verdacht auf Polyneuropathie zusätzlich:
Blutsenkungsreaktion; Serumelektrophorese, Rheumafaktoren, antinukleäre Antikörper, Serumtiter: Lyme-Borreliose, HIV
Neurophysiologisch ■ Polyneuropathie-Screening inklusive autonomer Testung ■ Aktigrafie über 3 bis 6 Nächte zum Nachweis von PLMS ■ Polysomnografie, Suggested-immobilization- und L-Dopa-Test
in besonderen Situationen
Diagnostik durchgeführt werden, wie in Tabelle 3 dargestellt. Beim Ferritinwert gilt es zu beachten, dass nicht die üblichen Normwerte benützt werden sollten. Bei RLS gilt bereits ein Ferritinwert unter 50 µg/l als abnorm, ideal sind Werte über 100 µg/l. Wenn eine Polyneuropathie oder eine Small-fibre-Neuropathie klinisch oder elektrophysiologisch vermutet wurde, sind ergänzende Laboruntersuchungen angezeigt, um behandelbare
Ursachen zu eruieren: Diese umfassen den Glukosetoleranz-
test und weitere laborchemische Untersuchungen zum Aus-
schluss behandelbarer Ursachen wie Vitaminmangel, Mal-
absorption, Niereninsuffizienz, Hypothyreose, Äthylismus,
Borreliose, HIV, Leishmaniose und Paraneoplasien.
■
Korrespondenzadresse: Dr. med. Susanna Frigerio
Oberärztin Neurologische Klinik und Poliklinik
Inselspital 3010 Bern E-Mail: susanna.frigerio@insel.ch
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Allen R.P. et al.: Restless legs syndrome: diagnostic criteria, special considerations, and epide-
miology. A report from the restless legs syndrome diagnosis and epidemiology workshop at the National Institutes of Health. Sleep Med 2003; 4: 101—119. 2. Hening W.A. et al.: Circadian rhythm of motor restlessness and sensory symptoms in the idiopathic restless legs syndrome. Sleep 1999; 22: 901—912. 3. Trenkwalder C. et al.: Circadian rhythm of periodic limb movements and sensory symptoms of restless legs syndrome. Mov Disord 1999; 14: 102—110. 4. Bassetti C.L. et al.: Restless legs syndrome: a clinical study of 55 patients. Eur Neurol 2001; 45: 67—74. 5. Coleman R.M., Pollak C.P., Weitzman E.D.: Periodic movements in sleep (nocturnal myoclonus): relation to sleep disorders. Ann Neurol 1980; 8: 416—421. 6. International Classification of sleep disorders, 2nd edition, 2005. 7. Berger K. et al.: Sex and the risk of restless legs syndrome in the general population. Arch Intern Med 2004; 164: 196—202. 8. Winkelmann J. et al.: «Anxietas tibiarum». Depression and anxiety disorders in patients with restless legs syndrome. J Neurol 2005; 252: 67—71. 9. Montplaisir J. et al.: Immobilization tests and periodic leg movements in sleep for the diagnosis of restless leg syndrome. Mov Disord 1998; 13: 324—329. 10. Frigerio S., Mathis J.: Burning Feet Syndrome. Neurol & Psych 2007; 5: 26—30.
1074 ARS MEDICI 24 ■ 2008