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JUPITER-Studie — «Meilenstein» in der Primärprävention:
Sollen wir «Gesunde» mit Rosuvastatin kardiovaskulär beschützen?
In einer grossartig orchestrierten Inszenierung wurde kürzlich am Kongress der American Heart Association (AHA) und mit gleichzeitiger Publikation im «New England Journal of Medicine» (NEJM) die JUPITERStudie einer beeindruckten kardiologischen Weltöffentlichkeit vorgestellt. Es handelt sich um eine Studie mit 17 800 anscheinend gesunden (jedenfalls «lipidgesunden») Männern und Frauen mit tiefen LDL-Cholesterinspiegeln unter 130 mg/dl (3,4 mmol/l) und Konzentrationen des hochsensitiven C-reaktiven-Proteins (hsCRP) von 2,0 mg/l oder mehr, die entweder zur hohen Dosis von 20 mg Rosuvastatin (Crestor®) oder zu Plazebo randomisiert wurden. Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus Myokardinfarkt, Stroke, arterieller Revaskularisation, Hospitalisation wegen unstabiler Angina pectoris oder Tod durch kardiovaskuläre Ursachen. Die Untersuchung wurde durch eine unabhängige Datenüberwachungskommission nach einem medianen Follow-up von nur 1,9 Jahren vorzeitig gestoppt. Rosuvastatin reduzierte die LDL-Cholesterinspiegel um 50 Prozent und diejenigen des hsCRP um 37 Prozent. Die Raten des primären Endpunkts betrugen 0,77 und 1,36 pro 100 Personenjahre in der Rosuvastatin- und in der Plazebogruppe. Dies entspricht einer Senkung der kardiovaskulären Ereignisse, Interventionen und Todesfälle um imposante 44 Prozent (Hazard Ratio [HR] für Rosuvastatin 0,56; 95%-Konfidenzintervall [95%KI] 0,46 – 0,69; p < 0,00001). Die Daten für das Statin waren auch für die einzelnen Komponenten des Studienendpunkts jeweils signifikant: HR für Myokardinfarkt 0,46 (95%-KI 0,39–0,70; p < 0,0002), für Hirnschlag 0,52 (95%-KI 0,34–0,79; p = 0,002), für Revaskularisation oder unstabile Angina pectoris 0,53 (95%-KI 0,40–0,70; p < 0,00001), für die kombinierten «harten» Endpunkte Myokardinfarkt, Stroke oder Herz-Kreislauf-Todesfälle 0,53 (95%-KI 0,40–0,69; p < 0,00001). Die HR für Todesfälle aller Ursachen betrug 0,80 (95%-KI 0,67–0,97; p = 0,02). Konsistente Behandlungseffekte wurden auch in allen Untergruppen gefunden. In der Rosuvastatingruppe war kein signifikanter Anstieg von Myopathien oder Krebserkrankungen zu verzeichnen, die behandelnden Ärzte meldeten jedoch eine höhere Inzidenz von Diabetes mellitus. Die Autoren ziehen den sicher künftig vielfach zitierten Schluss: «In dieser Studie bei anscheinend gesunden Personen ohne Hyperlipidämie aber mit erhöhten hsCRP-Spiegeln reduzierte Rosuvastatin die Inzidenz schwerer kardiovaskulärer Ereignisse». Der Studienleiter, Professor Paul M. Ridker von der Harvard-Universität in Boston machte klar: «Wir können nicht mehr länger annehmen, dass Patienten mit tiefem Cholesterin auch ein tiefes Risiko haben. Das bedeutet nicht, dass Cholesterin nicht wichtig ist – wir wollen, dass unsere Patienten mit hohem Cholesterin sehr aggressiv behandelt werden. Aber in dieser Studie haben wir gesehen, dass Patienten mit niedrigem Cholesterin aber hohem CRP von einer Statinbehandlung einen grossen Nutzen hatten.» Damit stellt sich die Frage, ob zukünftig alle «gesunden» Menschen zur Halbierung ihres kardiovaskulären Erkrankungs- und Sterberisikos Rosuvastatin (oder vielleicht wenigstens ein anderes, als Generikum erhältliches billigeres Statin?) erhalten sollen. Der Ausblick weckt bei manchen Spezialisten gemischte Gefühle. Professor Thomas A. Pearson, ein prominenter klinischer Forscher von der Rochester-Universität, hört die Botschaft wohl, jedoch stellt er auch Kosteneffektivitätsüberlegungen an. In seiner Milchmädchenrechnung müssten 25 Patienten während fünf Jahren behandelt werden, um eines der Ereignisse im kombinierten Endpunkt zu verhindern. Bei Kosten von 3,65 US-Dollar in den USA (und 2,25 Franken in der Schweiz) würde dies ein für das Gesundheitswesen teures Abenteuer werden. Das Begleiteditorial im «NEJM» rechnet anders und kommt zum Schluss, dass zur Verhinderung «harter» kardialer Ereignisse 120 Teilnehmer während 1,9 Jahren behandelt werden müssten, entsprechend einer Halbierung des absoluten Risikos, das in der Primärprävention eben sehr klein ist (157 von 8901 Personen [1,8%] in der Plazebo- und 83 von 8901 Personen [0,9%] in der Rosuvastatingruppe). Eine Number Needed to Treat (NNT) von 120 ist keineswegs berauschend. Die sorgfältige Prüfung der imposanten Studienergebnisse wird mehr Klarheit bringen können. Einige Stichworte: ■ Wie weit lassen sich die Ergebnisse ver- allgemeinern? (Nur sehr wenige der ursprünglich Gescreenten fanden angesichts der geforderten, seltenen Risikofaktorkonstellation Aufnahme in die Studie.) ■ Wie «gesund» waren die Teilnehmer wirklich? (Der mediane BMI war 28,3 kg/m2, das Alter median 66 J., etliche hatten ein metabolisches Syndrom, viele hatten nicht nur mässig, sondern eher stark erhöhte CRP-Werte.) ■ Wie steht es mit der Langzeitsicherheit einer hoch dosierten Rosuvastatin-Pharmakoprophylxae bei kardiovaskulären Erkrankungen? (Die Studie wurde leider vorzeitig abgebrochen, die höhere Inzidenz von Diabetes mag Zufall sein, ist aber beunruhigend.) ■ Lassen sich die Ergebnisse als Klasseneffekt verstehen? Da «die Götter vor die Therapie die Dia- gnose gesetzt haben», wäre in einem ersten Schritt im Lichte von JUPITER für die Pra- xis zu prüfen, wann, wie oft und bei wel- cher Risikokonstellation eine Messung des hsCRP erfolgen sollte. ■ H.B. 1060 ARS MEDICI 24 ■ 2008