Transkript
FORTBILDUNG
Hormonelle und chemotherapeutische Therapien bei Brustkrebs
Eine Bestandesaufnahme des heutigen Managements
Brustkrebs umfasst ein Spektrum verwandter, aber
unterschiedlicher Krebsunterarten mit verschiedenen
Verläufen und Therapieerfordernissen. Ziel ist eine
auf die Patientin und ihre Tumorfaktoren zugeschnit-
tene Behandlung.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Obwohl bei Diagnosestellung 95 Prozent der Betroffenen keine erkennbaren Metastasen haben, würde ohne systemische Therapie die Hälfte dieser Frauen später an ihrem Brustkrebs sterben, schreiben Nicholas C. Turner und Alison L. Jones im zweiten Teil ihrer Übersicht im «British Medical Journal». Die adjuvante Therapie ist in der Lage, Mikrometastasen auszuschalten und so das Auftreten klinischer Metastasen und die Unheilbarkeit des Tumorleidens zu verhüten. Dies war der wichtigste Fortschritt zur Verbesserung der Überlebenschancen von Brustkrebspatientinnen.
Adjuvante Hormontherapie Die wichtigste biologische Unterscheidung betrifft die Expression von Steroidhormonrezeptoren auf die Brustkrebszellen. 70 Prozent sind östrogenrezeptorpositiv, dieser Anteil nimmt mit dem Alter der Patientinnen zu. Bei diesen Tumoren kann Tamoxifen (Nolvadex® oder Generika), während fünf Jahren eingenommen, das Rezidivrisiko um 40 Prozent und die brustkrebsspezifische Mortalität um 3 Prozent senken. Auf östrogen- oder progesteronrezeptornegative Tumoren haben hormonelle Therapien hingegen keinen Einfluss. Bei postmenopausalen Frauen werden zirkulierende Androgene durch Aromatase zu Östrogen umgewandelt. Aromatasehemmer (Anastrozol [Arimidex®], Exemestan [Aromasin®], Letrozol [Femara®]) können daher die Spiegel zirkulierender Östrogene massiv senken, beeinflussen aber die Östrogenproduktion in den Ovarien nicht, weshalb sie bei prä- und perimenopausalen Frauen nicht wirken. Gegenüber Tamoxifen bringt die adjuvante Therapie mit Aromatasehemmern eine relative Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens um 13 bis 40 Prozent. Der Behandlungsvorteil der Aromatasehemmer
kommt zum Tragen sowohl wenn sie direkt, also anstelle von Tamoxifen, eingesetzt werden als auch wenn die Therapie nach einer Vorbehandlung mit Tamoxifen erst in einem zweiten Schritt erfolgt. Trotz der Verbesserungen beim krankheitsfreien Überleben waren die Auswirkungen auf das Gesamtüberleben bisher nicht konsistent, schreiben die Autoren unter Hinweis auf teilweise noch zu kurze Nachbeobachtungszeiten in den Studien. Heute sollte bei allen postmenopausalen Frauen ein Aromatasehemmer in Betracht gezogen werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Hinsichtlich des optimalen Vorgehens besteht jedoch noch kein Konsens. Dass einige Tumoren schon innert der ersten beiden Jahre rezidivieren, spricht dafür, Aromatasehemmer schon sofort, als erste hormonelle Behandlung, einzusetzen. Bei Tumoren mit geringerem Rezidivrisiko, bei denen die Aromatasehemmer einen weniger grossen absoluten Benefit bringen, ist aber auch ein Therapiebeginn mit Tamoxifen vertretbar. Bei der Wahl des Medikaments spielen auch die unterschiedlichen Nebenwirkungsprofile und allfällige Begleitzustände eine wichtige Rolle. Tamoxifen verursacht mehr vasomotorische Symptome, Thromboembolien, gynäkologische Interventionen und Schlaganfälle. Aromatasehemmer sind mit häufigeren Arthralgien, Osteopenien und Knochenbrüchen assoziiert.
Merksätze
■ Die adjuvante systemische Therapie hat die Brustkrebsmortalität substanziell verringert.
■ Bei östrogenrezeptorpositiven Mammakarzinomen sind Aromatasehemmer im Vergleich zu Tamoxifen bei postmenopausalen Frauen effektiver.
■ Chemotherapie verbessert das Überleben bei ausgewählten Patientinnen substanziell.
■ Komerziell erhältliche Molekulartests dürften die Selektion der Patientinnen für die Chemotherapie weiter verfeinern. Hierzu laufen Validierungsstudien.
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FORTBILDUNG
Schwerpunkte der laufenden Forschung bei Brustkrebs
■ Optimale Sequenz hormoneller Therapien bei postmenopausalen Frauen.
■ Einsatz von Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten bei prämenopausalen Frauen und Klärung der Frage, ob sie die Anwendung von Aromatasehemmern auch bei prämenopausalen Frauen erlauben.
■ Optimale Chemotherapieschemata unter Berücksichtigung der verschiedenen Subtypen des Mammakarzinoms.
■ Validierung von molekularen Tests zur besseren Selektion der Patientinnen für die Chemotherapie.
■ Multiple neue Ansätze für die gezielte antitumorale Therapie.
Anfängliche Bedenken, dass Aromatasehemmer mehr kardiovaskuläre Nebenwirkungen haben könnten, sind inzwischen ausgeräumt. Wegen der Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel sollten Patientinnen vor Beginn einer Behandlung mit Aromatasehemmern eine Bestimmung der Knochenmineraldichte (KMD) erhalten. Ist der Wert normal, ist das Osteoporoserisiko sehr gering und erfordert kein weiteres Monitoring. Bei Patientinnen mit geringer KMD muss hingegen eine Begleittherapie mit Kalzium-Vitamin-D-Supplementation, allenfalls Bisphosphonaten und regelmässigen KMD-Messungen erfolgen. Nach Absetzen von Aromatasehemmern kehrt das erhöhte Frakturrisiko wieder zur Ausgangssituation zurück. Bis jetzt sind noch keine Tumorcharakteristika bestimmt, die definitiv mit einem Therapievorteil der Aromatasehemmer gegegnüber Tamoxifen verbunden sind. Bei prämenopausalen Frauen, die unter Chemotherapie eine Amenorrhö entwickeln, kommt es unter Aromatasehemmern zu einer unerwünschten Wiederaufnahme der Ovarfunktion. In dieser Situation ist deshalb Tamoxifen vorzuziehen, mit späterem Wechsel zu einem Aromatasehemmer, wenn die Menopause bestätigt ist. Für eine Individualisierung der Therapie könnte die Pharmakogenomik in Zukunft wichtig werden. Für Polymorphismen des P-450-Zytochrom-Systems in der Leber ist ein positiver (CYP2C19) respektive negativer (CYP2D6) Einfluss auf den Tamoxifenmetabolismus und auf die klinische Wirkung bekannt. Praktisch schon wichtig wurde die Erkenntnis, dass selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSRI) CYP2D6 hemmen und damit die Wirkung beeinträchtigen können, weshalb SSRI nicht mehr zur Behandlung von Hitzewallungen unter Tamoxifentherapie eingesetzt werden dürfen. Solche Hitzewallungen sind sowohl unter Tamoxifen als auch unter Aromatasehemmern ein günstiger Surrogatmarker für die Prognose. Für prämenopausale Brustkrebspatientinnen stellt die Unterdrückung der Ovarfunktion mittels Gonadotropin-ReleasingHormon-(GnRH-)Agonisten oder die Ovarektomie eine hormo-
nelle Therapie dar. Ob GnRH-Agonisten zu Tamoxifen einen zusätzlichen Nutzen bieten, ist unklar. Ebenfalls muss noch offen bleiben, ob die Kombination von GnRH-Agonist und Aromatasehemmer bei prämenopausalen Patientinnen einen Zusatznutzen bietet. Frauen mit östrogenrezeptorpositivem Brustkrebs erleben in den zweiten fünf Jahren des Follow-ups ebenso viele Rezidive wie in den ersten fünf Jahren. Zwei Studien, in denen nach fünf Jahren Tamoxifen ein Aromatasehemmer gegeben wurde, ergaben im Vergleich zu Plazebo eine Abnahme der Rezidive um 40 Prozent und eine Verbesserung des Überlebens bei nodal positiven Patientinnen.
Adjuvante Chemotherapie Seit den Achtzigerjahren ist eine anthrazyklinbasierte Chemotherapie die Standardchemotherapie bei Brustkrebs. In Studien liess sich so eine Reduktion der Mortalität um 38 Prozent bei Frauen unter 50 Jahren und um 20 Prozent bei Frauen zwischen 50 und 69 Jahren erzielen. Verschiedene Studien haben zudem dokumentiert, dass die Verabreichung eines Taxans (Docetaxel [Taxotere] oder Paclitaxel [Taxol® oder Generika]) zu einer solchen Chemotherapie das relative Sterberisiko um weitere zirka 15 Prozent senkt. Bei östrogenrezeptorpositiven Tumoren addieren sich die Nutzen der Chemotherapie zu denjenigen der hormonellen Behandlung. Weitere Verbesserungen verspricht man sich von einer gezielteren Selektion der Kandidatinnen für eine Chemotherapie. Dies ist eine grosse Herausforderung, denn einerseits müssen viele Frauen chemotherapeutisch für kleine absolute Überlebensvorteile behandelt werden, obwohl sie durch die Lokaltherapie und Hormonbehandlung geheilt wären und eigentlich gar keine Chemotherapie benötigten, andererseits lässt sich bei einem kleinen Anteil durch eine Chemotherapie eine Heilung erzielen, und schliesslich gibt es diejenigen Patientinnen, die trotz Chemotherapie einen Rückfall erleiden. Hier sollen genetische Untersuchungen und ein besseres Verständnis der molekularen Mechanismen der Chemotherapeutika weiterhelfen. Bis anhin sind allerdings die meisten molekularen Tests als prognostische Prädiktoren noch selten. Die Autoren erwähnen namentlich drei Tests (Oncotype DX, MammaPrint und H/I-Test), die eine Abschätzung des Ansprechens auf Tamoxifen bieten. Die grossen Studien zur adjuvanten Chemotherapie haben alle Subtypen des Mammakarzinoms in einen Topf geworfen, obwohl die optimale Chemotherapie zwischen den Subtypen unterschiedlich sein dürfte. In naher Zukunft, so hoffen die Autoren, dürften molekulare Tests eine individualisiertere Chemotherapie erlauben, so dürften Anthrazykline bei HER2positivem Mammkarzinom besonders effektiv sein.
Adjuvantes Trastuzumab Ungefähr ein Viertel der Mammakarzinome ist HER2-positiv und besitzt eine eigenständige Tumorbiologie. Hier kann Trastuzumab (Herceptin®), ein gegen HER2 gerichteter Antikörper, nach einjähriger Behandlung das Rezidivrisiko im Vergleich zu
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Chemo- und Hormontherapie um weitere 35 bis 52 Prozent senken. Dies entspricht einem absoluten Überlebensvorteil von 2,6 Prozent nach zwei Jahren. Eine bekannte unerwünschte Wirkung von Trastuzumab ist eine kardiale Dysfunktion, die gewöhnlich nach Absetzen reversibel ist.
Neoadjuvante Therapie Eine neoadjuvante Behandlung mit Chemotherapie oder Hormonen kann eingesetzt werden, um grosse Tumoren vor der Operation in ein tieferes Stadium überzuführen. Dieses Vorgehen hat vor allem auch der Forschung neue, einfachere Wege mit rascherer Beurteilungsmöglichkeit der Therapieauswirkungen geöffnet. Ein vollständiges histologisches Ansprechen mit Verschwinden des Tumors zum Operationszeitpunkt kann jedoch auch das Langzeitüberleben zuverlässig vorhersagen.
Behandlung bei fortgeschrittenem und metastasierendem Brustkrebs Das Überleben von Brustkrebspatientinnen mit Metastasen konnte über die letzten Dekaden laufend verbessert werden, sodass die Behandlung heute derjenigen bei einer chronischen Krankheit entspricht, mit sequenziellem Einsatz verschiedener Chemotherapien und Hormonbehandlungen zur Kontrolle des
Tumorleidens bei Erhaltung der Lebensqualität. Da heute ein
weites Spektrum neuer Substanzen zur Verfügung steht, kann
sich die Auswahl nach der vorangegangenen adjuvanten The-
rapie und individuellen Faktoren der Patientin richten.
Von grösstem Interesse sind «gezielte» Therapien: Trastuzu-
mab (und weitere neuere Hemmstoffe, die auch oral verab-
reichbar sind) gegen HER2, oder eine Hemmung des epider-
malen Wachstumsfaktors (EGFR) beim basalen Subtyp sowie
Ansätze, die sich gegen die Angiogenese richten, haben viel-
versprechende Ergebnisse gebracht. Aber auch bei «gezielten»
Therapien bleiben wichtige Fragen wie die optimale Dauer
der Behandlung und deren bestes Timing offen, und bisherige
Evidenz spricht auch hier für die besten Erfolge in frühen
Krankheitsstadien.
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Nicholas C. Turner, Alison L. Jones: Management of breast cancer — part II. BMJ 2008; 337: 164—169. doi:10.1136/bmj.a540.
Interessenkonflikte: A.L. Jones deklariert Beratungs- und Vortragsentschädigungen der Firmen AstraZeneca, Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline, Roche und Sanofi-Aventis.
Halid Bas
Der erste Teil dieser Übersicht erschien in AM 23/08.
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