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Titel
Fachfremdes Arbeiten
Untertitel
-
Lead
Gewerkschaftlich stramm organisierte haben es seit jeher verstanden, sich gegen «fachfremde Arbeiten» oder «nichtberufsspezifische Tätigkeiten» zu wehren. Staunend erlebte ich als Assistenzarzt, wie Chefärzte kuschten, wenn schnippische Pflegende sich weigerten, ein Papiernastuch vom Boden aufzuheben oder verschütteten Tee vom Bettgestell zu wischen. Das gleichermassen gewerkschaftlich stramm organisierte Putzpersonal wurde mühsam aufgeboten und kam lange nicht. Verständnisvoll nickten die Chefärzte dazu, obwohl ihre Patienten Komforteinbussen erlitten. Es waren die gleichen Chefärzte, die es als selbstverständlich ansahen, dass wir jungen Ärzte Röntgenbilder bestellten, verwalteten und versorgten, alle Sekretariatsarbeiten selber erledigten und noch als Sozialarbeiter und Hobbylaboranten fungierten. «Rufen Sie schnell mal an!» befahlen sie, und so vertelefonierte man Stunden mit Hausärzten, Behörden, Hilfsinstitutionen, Patientenangehörigen und Lieferanten.
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-
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Rubriken — ARSENICUM
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13877
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arsenicum
G ewerkschaftlich stramm organisierte haben es seit jeher verstanden, sich gegen «fachfremde Arbeiten» oder «nichtberufsspezifische Tätigkeiten» zu wehren. Staunend erlebte ich als Assistenzarzt, wie Chefärzte kuschten, wenn schnippische Pflegende sich weigerten, ein Papiernastuch vom Boden aufzuheben oder verschütteten Tee vom Bettgestell zu wischen. Das gleichermassen gewerkschaftlich stramm organisierte Putzpersonal wurde mühsam aufgeboten und kam lange nicht. Verständnisvoll nickten die Chefärzte dazu, obwohl ihre Patienten Komforteinbussen erlitten. Es waren die gleichen Chefärzte, die es als selbstverständlich ansahen, dass wir jungen Ärzte Röntgenbilder bestellten, verwalteten und versorgten, alle Sekretariatsarbeiten selber erledigten und noch als Sozialarbeiter und Hobbylaboranten fungierten. «Rufen Sie schnell mal an!» befahlen sie, und so vertelefonierte man Stunden mit Hausärzten, Behörden, Hilfsinstitutionen, Patientenangehörigen und Lieferanten. Währenddessen plauderten die Sozialarbeiterinnen mit den Pflegefachfrauen beim Rapport-Kaffee. Die eigentliche Arbeit des Arztes verschob sich in die Zeit am frühen Morgen, auf die Mittagspause und nach Feierabend. Der Idealismus junger Menschen wurde benutzt, ihre Hilfsbereitschaft ausgebeutet. Dankbar erinnert man sich noch als älterer Arzt an einzelne warmherzige Schwestern und Sozialarbeiterinnen, die einem (ihre) Arbeit abnahmen und bemerkten, wenn man kurz vor dem Zusammenbruch stand. Bis heute bin ich hingegen überzeugt, dass es für einen Arzt eine Selbstverständlichkeit ist, einem schwerkranken Menschen die Brechschale, die Urinflasche oder den Hafen zu geben oder ihn bequemer zu lagern. Aber ich wehre mich inzwischen – auch wenn es mir noch mehr Arbeit macht – wenn die «Schadenspezialistin» der SUVA dem ausländischen Patienten dreist schreibt, er solle sich getrost an den Hausarzt wenden, wenn er mit dem Ausfüllen des IV-Antrags Probleme habe. Und dann steht ein überforderter Deutschunkundiger mit 10 Seiten eng bedrucktem Papier in der Hand in der Praxis, auf dem keine einzige medizinische Information erfragt wird. Dann greife ich schon mal zum Telefon und röhre die SUVA-Frau an, was sie sich eigentlich dabei denkt?

Nichts, gesteht sie ein. Täglich werden dem Hausarzt frech Aufgaben aufgehalst, die ihn nichts angehen. Die Pharmaindustrie schreibt Haarsträubendes in Patienteninformationen, um sich vor Haftpflichtprozessen zu schützen? Keine Sorge, der Hausarzt beruhigt den besorgten Patienten und sorgt für die Compliance. Die Behörden erfinden immer kompliziertere Verordnungen, nach denen Leistungen verweigert werden? Kein Problem, der Hausarzt erklärt dem Patienten alle Kostenfolgen und die Tücken verschiedener Versicherungsprodukte. Die Sozialarbeiterin will den schweren Alkoholiker mal los sein, die Spitexpflegerin braucht Pause vom querulierenden Hochbetagten? Keine Sache, der Hausarzt soll mal rasch FFE und Ferienbett-Pflegeheimeinweisung schreiben. Und dann gibt es die andern. Die, die definieren, was fachfremd ist. Das Labor in der Hausarztpraxis zum Beispiel, das braucht es nicht. Und wenn der Hausarzt es doch will, muss er dafür zahlen, wie andere Leute es auch für ihre Hobbys tun. Ein EKG, eine Spirometrie, eine Rektaluntersuchung, ein PAP-Abstrich, ein Gehörtest – alles hochkomplexe diagnostische Verfahren, für die der Hausarzt nicht kompetent ist und die er dem Kardiologen, Pneumologen, Urologen, Gynäkologen, ORL-Spezialisten überlassen muss. Nicht mit mir! Ich bin Allgemeinpraktiker, Generalist, Grundversorger und wurde in der Weiterbildungszeit zu vielseitigen Diensten eingesetzt. Ich werde weiter Pneumonien behandeln, Leukozyten zählen, Kinder trösten, Warzen vereisen und dem Amtsschimmel Beine machen. Und mittags noch das Deux-pieces meiner Frau aus der Reinigung holen. Denn in meinem Fach ist mir nichts fremd.

Fachfremdes Arbeiten

1062 ARS MEDICI 24 ■ 2008