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Titel
Osteoporose: Welche Therapie und wie lange?
Untertitel
Prävention und Therapie im Wandel
Lead
Über die Indikationsstellung, die Risikofaktoren sowie die Osteoporosemedikamente und die Dauer ihrer Anwendung sprach Professor Hans Jörg Häuselmann, Zentrum für Rheuma- und Knochenerkrankungen, Klinik im Park, Zürich, am Rheuma Top 2008 in Pfäffikon SZ.
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MEDIZIN — BERICHT
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13854
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Osteoporose: Welche Therapie und wie lange?
Prävention und Therapie im Wandel

BERICHT

Über die Indikationsstellung, die Risikofaktoren sowie die Osteoporosemedikamente und die Dauer ihrer Anwendung sprach Professor Hans Jörg Häuselmann, Zentrum für Rheuma- und Knochenerkrankungen, Klinik im Park, Zürich, am Rheuma Top 2008 in Pfäffikon SZ.

Professor Hans Jörg Häuselmann

HALID BAS
Primäres Ziel der Osteoporosetherapie ist nicht die Knochendichte an sich, sondern die Beeinflussung der negativen klinischen Folgen, wie die WHO-Richtlinien von 2001 fordern: ■ Reduktion von Frakturen (vor allem
der ersten Fraktur!) ■ Reduktion von Hüftfrakturen ■ Verhinderung von Krankenhausauf-
enthalten ■ Erhaltung und Verbesserung der
Lebensqualität.
Die Schweizerische Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO) hat 2003 die Indikationen zur Behandlung bei idiopathischer Osteoporose so definiert: Behandelt werden sollen Frauen und Männer mit Osteoporose, die über 40 Jahre

tiefer aufweisen. Ebenfalls eine Behandlungsindikation besteht nach der SVGO bei Frauen und Männern mit einem T-Score -2,0 und tiefer und einem Risikofaktor mit relativem Frakturrisiko ≥ 2 oder mit zwei Risikofaktoren mit relativem Frakturrisiko 1–2. «Hier machen aber die Krankenkassen nicht mit», bedauerte Professor Häuselmann.
Neue Vorschläge zur Indikationsstellung Die Behandlungsempfehlungen sind jedoch neuerdings im Fluss. So sollen gemäss einem Vorschlag der WHO aus diesem Jahr bei idiopathischer Osteoporose Frauen und Männer eine Therapie erhalten, die nach einem inadäquaten Trauma Frakturen erlitten haben und über 50 Jahre alt sind. Die WHO setzt also die Alterslimite höher an. Ausser-

«Patienten mit rheumatoider Arthritis leiden unabhängig von einer Therapie mit Steroiden an einer sekundären Osteoporose mit hohem Risiko.»

alt sind und schon Frakturen nach einem inadäquaten Trauma erlitten haben und/oder in der Knochendichtemessung (DXA) einen T-Score -2,5 oder

dem schlägt sie die Berücksichtigung des absoluten Zehn-Jahres-Frakturrisikos unter Mitberücksichtigung von Risikofaktoren vor, will jedoch die Therapie-

schwelle angesichts der sehr unterschiedlichen Möglichkeiten der Gesundheitssysteme den nationalen Entscheidungsträgern überlassen. Als von der Knochendichtemessung unabhängige Risikofaktoren nennt der WHO-Vorschlag: ■ Alter ■ frühere «low trauma»-Frakturen ab
dem 50 Lenbensjahr: «Die Beurteilung ist hier mitunter gar nicht einfach», fand Hans Jörg Häuselmann, «bei einem Sturz aus dem Stand war das Trauma sicher inadäquat, aber bei Glatteis kommen zusätzliche massive Kräfte ins Spiel, die dies relativieren.» ■ Eltern mit Hüftfrakturen ■ niedriger Body-Mass-Index (< 20) ■ Glukokortikoidtherapie irgendwann in der Vorgeschichte ■ Nikotinkonsum ■ Alkoholkonsum (> 30 Gramm pro Tag) ■ rheumatoide Arthritis.
«Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis leiden unabhängig von der Therapie mit Steroiden an einer sekundären Osteoporose mit hohem Risiko», mahnte Hans Jörg Häuselmann. Auch die Osteoporoseplattform der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie hat sich im Sinne des neuen WHO-Vor-

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BERICHT

Tabelle 1: Evidenz in Bezug auf das Frakturrisiko für gängige Tabelle 1: Osteoporosetherapien

Wirbelsäulenfrakturen

Kalzium

Vitamin D (400—800 IE)

Kalzium und Vitamin D (800 IE) —

Calcitriol

⇓ ? **

Hüftfrakturen
— — ⇓* —

Bisphosphonate: Alendronsäure Ibandronsäure p.o./i.v. Risedronsäure Zoledronsäure i.v.

⇓ ⇓ ⇓ ⇓

⇓ — ⇓ ⇓

Andere: Teriparatid s.c. Calcitonin intranasal Raloxifen

⇓ ⇓ ⇓

— — —

* Effekt scheint auf Patienten in Alters- und Pflegeheimen beschränkt zu sein. ** methodologisch schlechte Studien *** gilt nur für Jahresdosen über 10,8 mg

Nicht vertebrale Frakturen — — ⇓* —
⇓ ⇓ *** ⇓ ⇓
⇓ — —

Tabelle 2: «Number needed to treat» (NNT) für einige Tabelle 2: Osteoporosemedikamente

Wirbelsäulenfrakturen

Alendronsäure Ibandronsäure p.o./i.v. Calcitonin intranasal Raloxifen Risedronsäure Zoledronsäure i.v. Teriparatid s.c.

9—16 22 ~50 20—50 10—20 13 11

* gilt nur für Jahresdosen über 10,8 mg

Hüftfrakturen 90—100
90—100 91

Nicht vertebrale Frakturen 24—67 ?*
31—55 ~40 34

schlags geäussert. Wahrscheinlich wird sie ein Zehn-Jahres-Frakturrisiko von 20 bis 25 Prozent als Therapieschwelle vorschlagen. Allerdings gibt es in der Schweiz zu wenig Zahlen zur Problematik. Das Gremium hat seinen eigenen Vorschlag zur Abschätzung des Frakturrisikos bei Osteoporose gemacht und schlägt einen Riskofaktoren-Score vor:

■ prävalente «low trauma»-Fraktur: 2 Punkte
■ Hüftfraktur der Eltern: 1 Punkt ■ Kortikoidtherapie ≥ 5 mg/Tag für
≥ 3 Monate: 1 Punkt ■ Sturz in den letzten 6 Monaten: 1 Punkt ■ rheumatoide Arthritis: 1 Punkt ■ Nikotin und Alkohol > 30 Gramm/
Tag: je 0,5 Punkte

■ schwere Immobilität/Gehhilfe: 1 Punkt ■ mindestens 2 andere «minor»-Risiko-
faktoren (Diabetes, Hypogonadismus, sek. Osteoporosen): max. 1 Punkt.
Wann bezahlen die Krankenkassen? Ganz ihren eigenen Kriterien folgen die Krankenkassen, wenn es um die Bezahlung einer spezifischen Therapie bei Osteoporose geht. Sie zahlen bei: ■ postmenopausalen Frauen zur Prä-
vention (aber nur mit Raloxifen [Evista®] oder Risedronsäure [Actonel®]) ■ postmenopausalen Frauen und bei Männern mit Frakturen nach inadäquatem Trauma ■ Frauen und Männern mit T-Score ≤ -2,5 (postero-anteriore [pa] LWS, Hüfte [Femurhals oder total prox. Femur] oder distaler kortikaler Anteil des Vorderarms) ■ Behandlung und Prävention von glukokortikoidinduzierter Osteoporose unabhängig vom T-Score ■ hypogonadalen Männern mit Frakturen.
«Von den Krankenkassen ist die Dauer der Therapie nicht präzis festgelegt», merkte Professor Häuselmann hier an. Als wichtige Empfehlung gilt ein spezialisiertes Physiotherapietraining mit gezielter Berücksichtigung von Balance, progressiver Kraftstärkung und regelmässigem Gehen. Laut einer Metaanalyse bei über 80-jährigen zu Hause lebenden Frauen liess sich damit eine signifikante Reduktion der Stürze innerhalb eines Jahres von immerhin 20 Prozent erreichen. «Nur unspezifisch ‹Physiotherapie› zu verordnen, ist jedoch nicht nützlich», betonte der Referent. Auch Vitamin D wirkt gegen Stürze. Notwendig ist eine Dosis von 800 IE, also beispielsweise 8 Tropfen Vi-De 3®. Laut einer Zusammenfassung von fünf einschlägigen Studien lässt sich für die Vitamin-D-Gabe eine «number needed to treat» (NNT) von 15 berechnen. Vitamin D lässt sich auch spritzen. «Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass die Injektion wirklich tief intramuskulär erfolgt, sonst ist eine adäquate Supple-

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BERICHT

Tabelle 3: Registrierte Indikationen zur Behandlung der Osteoporose gemäss schweizerischem Tabelle 3: «Arzneimittel-Kompendium» 2008

Fosamax® (Alendronsäure)
Zur Behandlung der Osteoporose bei Frauen nach der Menopause und bei Männern

Actonel® (Risedronsäure)

Bonviva® p.o./i.v. Alendronsäure- Aclasta®

(Ibandronsäure)

Generika

(Zoledronsäure)

Zur Behandlung und Prävention der Osteoporose bei Frauen nach der Menopause und bei Männern; Prävention: ab T-Score von -2,0 an LWS oder Hüfte

Zur Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen zur Reduktion des Risikos vertebraler Frakturen

Zur Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen zur Reduktion des Risikos vertebraler Frakturen

Zur Behandlung der Osteoporose bei Frauen nach der Menopause; Männer: vorläufig nein

Forsteo® (Teriparatid 20 ␮g s.c.)
Zur Behandlung der manifesten Osteoporose bei postmenopausalen Frauen mit hohem Frakturrisiko und bei Männern mit primärer oder hypogonadaler Osteoporose. Nur als Second-LineMedikament bei postmenopausalen Frauen sowie bei Männern nach neuen radiologisch dokumentierten Wirbelfrakturen, die unter Resorptionshemmern während mind. 6 Monaten aufgetreten sind.

Evista® (Raloxifen)
Zur Behandlung und Prävention der Osteoporose oder von Frakturen bei Frauen nach der Menopause; Voraussetzung für Prävention: T-Score von -1,0 an LWS oder am distalen Vorderarm (DXA)

Zur Behandlung und Verhinderung der glukokortikoidinduzierten Osteoporose (GIOP) bei Männern und Frauen

Zur Behandlung und Prävention der GIOP bei Männern und Frauen

GIOP: nein

GIOP: ja nur bei Alendronat Streuli 10/70 und Alendronat Helvepharm

GIOP: vorläufig nein

GIOP: nein

GIOP: nein

mentation nicht gewährleistet», mahnte Hans Jörg Häuselmann. Als Dosis bei Malabsorption werden 2 × 300 000 IE i.m. pro Jahr empfohlen. Neben der grundlegend wichtigen Kalzium- und Vitamin-D-Supplementation stehen spezifische Medikamente zur Wahl: ■ Bisphosphonate: Alendronsäure
(Fosamax® und als bis anhin einziger Vertreter auch als Generikum

■ Calcitonin (Miacalcic®) ■ Raloxifen (Evista®) ■ 1-34 Parathormon, Teriparatid
(Forsteo®).
In der Schweiz derzeit nicht zugelassen sind 1-84 Parathormon sowie StrontiumRanelat. Die Evidenz für die Reduktion des Frakturrisikos fällt für die verschiedenen

«Als wichtige Empfehlung bei Osteoporose gilt ein spezialisiertes Physiotherapietraining mit gezielter Berücksichtigung von Balance, progressiver Kraftstärkung und regelmässigem Gehen.»

von verschiedenen Anbietern), Ibandronsäure (Bonviva®), Risedronsäure (Actonel®), Zoledronsäure (Aclasta®)

Osteoporosemedikamente unterschiedlich aus, wie Tabelle 1 zeigt. Am besten dokumentiert ist der Einfluss auf Wirbelkörperfrakturen. Durch eine vorteil-

haft tiefe NNT zeichnen sich die Bisphosphonate aus, aber auch das teure Teriparatid (für das Grundversorger die Therapieindiaktion nicht stellen können), wie Tabelle 2 dokumentiert.
Wie lange soll man Bisphosphonate geben? Noch ist die Evidenz für den Einfluss auf Knochendichtemessungen und Frakturen in randomisierten kontrollierten Studien beschränkt. Harte Daten gibt es bei den Bisphosphonaten für Alendronsäure über 4 Jahre, für Risedronsäure über 5 Jahre und für oral verabreichte Ibandronsäure und für Zoledronsäure bei intravenöser Anwendung über 3 Jahre. Bei Raloxifen existiert gute Evidenz für eine Behandlungsdauer von 5 Jahren, bei Calcitonin von 3 Jahren und bei Teriparatid über 18 Monate. Im Zusammenhang mit der Fragestellung nach der Länge der Behandlungsdauer mit Bisphosphonaten wird immer

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OSTEOPOROSE: WELCHE THERAPIE UND WIE LANGE?

wieder die FLEX-Studie mit Alendron- Osteoporose mit mässig erhöhtem «Wahrscheinlich wirkt Alendronsäure in

säure zitiert. Diese ist nicht ganz unpro- (< 15%) Frakturrisiko sollte eine Bis- dieser Situation nicht», vermutete Hans blematisch, wie Professor Häuselmann phosphonatbehandlung, beispielsweise Jörg Häuselmann. ausführte. Nach einer fünf Jahre dauern- mit Alendronsäure, für 4 bis 5 Jahre den Alendronsäurebehandlung erfolgte durchgeführt werden. Dann kann eine Nicht alle Wirkstoffe und Präpa- rate sind gleichgestellt … Nicht eben einfach haben es die Zulas- «Bei Osteoporose mit mässig erhöhtem Frakturrisiko sollte eine Bisphosphonatbehandlung, beispielsweise mit sungsbehörden den verschreibenden Ärztinnen und Ärzten gemacht, wie die nützliche Zusammenstellung der Infor- Alendronsäure, für 4 bis 5 Jahre durchgeführt werden. Dann kann eine Therapiepause mit DXA-Monitoring erfolgen.» mationen aus dem Schweizerischen «Arzneimittel-Kompendium» zeigt, die Hans Jörg Häuselmann für die verschie- denen in der Schweiz registrierten Prä- parate präsentierte (Tabelle 3). Insbeson- eine neue Randomisierung von 1099 Therapiepause mit DXA-Monitoring er- dere zu beachten sind die Einschränkung noch in der Studie verbliebenen Patien- folgen. Falls sich ein Knochenmineral- der Therapiewahl bei prämenopausalen ten in zwei Gruppen, von denen die eine dichteverlust von über 3 bis 5 Prozent Frauen, die Unterschiede bei den Män- für die Jahre 6 bis 10 weiterhin Alen- pro Jahr ergibt, muss eine neue Thera- nern sowie in der Zulassung für die dronsäure erhielt, während die andere als Kontrolle diente. «Dies war aber keine wirkliche Plazebogruppe», präzi- «Bei schwerer Osteoporose mit vertebralen Frakturen sierte der Spezialist. Primärer Endpunkt der Beobachtung war der Verlauf der kann die Bisphosphonatbehandlung eventuell Knochenmineraldichte, denn für eine bis auf 10 Jahre ausgedehnt werden, dann folgt eine Beurteilung von Frakturen besass die Untersuchung nicht die ausreichende Therapiepause mit DXA-Monitoring.» statistische Power. Rechnerisch betrug die NNT zur Verhinderung einer Wirbel- fraktur in den fünf Beobachtungsjahren pieentscheidung getroffen werden. Bei Behandlung und Prävention von glu- 25 bis 34 Frauen. Beruhigend war die schwerer Osteoporose mit vertebralen kokortikoidinduzierten Osteoporosen Beobachtung, dass keine Kieferosteo- Frakturen kann die Bisphosphonat- (GIOP). ■ nekrosen auftraten und in den 18 durch- behandlung eventuell bis auf 10 Jahre geführten Knochenbiopsien kein ein- ausgedehnt werden, dann folgt eine Halid Bas ziges Mal ein sogenannter «frozen bone» Therapiepause mit DXA-Monitoring.» als Folge der langjährigen Bisphospho- Bei schwerer Osteoporose mit nicht natverabreichung sichtbar war. Als Hinweis zum Vorgehen in der Praxis hielt Professor Häuselmann fest: «Bei vertebralen Frakturen ergab sich in der FLEX-Studie kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Interessenlage: Diese Berichterstattung wurde durch die Mepha Pharma AG, Aesch, unterstützt. Die Firma hat auf den Inhalt keinen Einfluss genommen. ARS MEDICI 23 ■ 2008 1039