Transkript
STUDIE REFERIERT
Orale Antidiabetika plus Insulinanaloga bringen bessere Blutzuckerkontrolle
Applikationshäufigkeit des Insulins für Patienten wichtig
Bei Typ-2-Diabetikern reichen orale
Antidiabetika zur Kontrolle des Blut-
zuckers oft nicht mehr aus, sodass
zusätzlich Insulin erforderlich ist. In
einer internationalen Studie wurde
geprüft, ob dabei zur Senkung des
HbA1c-Werts die Regulierung des Nüchternblutzuckers mit lang wir-
kendem Basalinsulin glargin oder
die Verbesserung der postprandialen
Blutzuckerwerte mit kurz wirksamem
Insulin lispro effektiver ist.
THE LANCET
Bei Diabetes Typ 2 ist der Zusammenhang schlechter Blutzuckerwerte mit mikro- und makrovaskulären Ereignissen hinlänglich bekannt. Eine gute glykämische Kontrolle mit HbA1c-Konzentrationen unter 7 Prozent (optimal 6,5%) kann dieses Komplikationsrisiko signifikant reduzieren und wird daher inzwischen international empfohlen. In der Praxis sind diese Werte jedoch schwierig zu erreichen und dauerhaft zu erhalten. Die überhöhten HbA1c-Konzentrationen können zwar meist zunächst mit oralen Antidiabetika gesenkt werden, bei etwa 40 bis 60 Prozent der Typ-2-Diabetiker steigen sie aber nach ein paar Jahren erneut wieder an. Dann ist die zusätzliche Gabe eines Insulins erforderlich.
Der Initiierung und anschliessenden Optimierung der Insulintherapie stehen einige Hindernisse entgegen. Dazu gehören das Hypoglykämierisiko und häufig auch Bedenken der Patienten wegen der täglich notwendigen Insulininjektionen oder möglicher Einschränkungen ihrer Lebensweise durch die Therapieerweiterung. Daher sind vor allem zu Beginn der Kombinationstherapie effektive und einfach zu handhabende Behandlungsoptionen von Bedeutung.
Humaninsuline und Insulinanaloga Die Wirksamkeitsprofile herkömmlicher intermediär wirksamer Humaninsuline sind häufig mit interprandialen und nächtlichen Hypoglykämien verbunden und können dadurch eine optimale glykämische Kontrolle erschweren. Durch die Anwendung neuer, kurz oder lang wirkender Insulinanaloga können einige mit konventionellen Insulinen verbundene Risiken, einschliesslich des Hypoglykämierisikos, verringert werden. Das basale Insulinanalogon Glargin hat eine lange Wirkungsdauer von 24 Stunden ohne ausgeprägtes Wirkungsmaximum und muss nur einmal täglich zugeführt werden. Mit Insulin glargin kann eine dem Neutral-Protamin-HagedornInsulin (NPH-Insulin) vergleichbare blutzuckersenkende Wirkung bei signifikant niedrigeren Hypoglykämieraten erzielt werden. Zudem ist die Variabilität bei verschiedenen Patienten geringer ausgeprägt als bei NPH-Insulin oder Ultralente-Insulin. Das kurz wirksame Insulinanalogon lispro wird dreimal täglich in Verbindung mit den Hauptmahlzeiten gegeben. Mit
Insulin lispro erreicht man ebenfalls eine mit NPH-Insulin vergleichbare glykämische Kontrolle bei ähnlichen Hypoglykämieraten. Bezüglich des Therapieerfolgs, der dauerhaften Senkung der HbA1c-Werte, wird kontrovers diskutiert, ob es günstiger ist, auf die Verbesserung der postprandialen Blutzuckerkonzentrationen mit mahlzeitenbezogenem Insulin abzuzielen oder ob eher die Nüchternkonzentrationen der Blutglukose so weit wie möglich mit einem Basalinsulin gesenkt werden sollten.
Die APOLLO-Studie In der APOLLO-Studie (APOLLO = Parallel design comparing an Oral antidiabetic drug combination therapy with either Lantus once daily or Lispro at mealtime in type 2 diabetes patients failing Oral treatment) wurde untersucht, ob die Erweiterung der oralen antidiabetischen Medikation mit Insulin glargin als Basalinsulin bei Erwachsenen mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes zur Blutzuckersenkung ebenso wirksam ist wie die Ergänzung mit dreimal täglich zu verabreichendem prandialem Insulin lispro. Zusätzlich zur glykämischen Kontrolle wurde die Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung als wichtiger
Merksätze
■ Bei Diabetes Typ 2 müssen orale Antidiabetika oft mit Insulin kombiniert werden.
■ Zur Senkung des HbA1c-Werts sind Ergänzungen der oralen Medikation mit basalem Insulin glargin und prandialem Insulin lispro vergleichbar wirksam.
■ Unter der Kombinationstherapie mit Insulin glargin treten signifikant weniger Hypoglykämien auf als unter Insulin lispro.
■ Insulin glargin wird einmal täglich, Insulin lispro dreimal täglich zugeführt.
■ Bei der Anwendung von Insulin glargin sind daher weniger Blutzuckerselbstmessungen und weniger Injektionen erforderlich.
1010 ARS MEDICI 22 ■ 2008
STUDIE REFERIERT
Tabelle: Algorithmen zur Tabelle: Dosistitration
Insulin glargin Startdosis 10 U/Tag Bei Patientenmessungen der Nüchternblutzuckerwerte an zwei aufeinander folgenden Tagen ohne schwere Hypoglykämien: ■ > 8,9 mmol/l: + 8 U pro Tag ■ > 7,8 – ≤ 8,9 mmol/l: + 6 U pro Tag ■ > 6,7 – ≤ 7,8 mmol/l: + 4 U pro Tag ■ > 5,5 – ≤ 6,7 mmol/l: + 2 U pro Tag ■ ≤ 5,5 mmol/l: keine weitere Titration
Insulin lispro Startdosis: 4 U/Tag
präprandiale Blutglukose: ■ > 11,1 mmol/l: + 3 U vor Hauptmahlzeit ■ > 8,3 — ≤ 11,1 mmol/l: + 2 U vor Haupt-
mahlzeit ■ > 5,5 — ≤ 8,3 mmol/l: + 1 U vor Haupt-
mahlzeit ■ < 5,5 mmol/l: keine weitere Titration postprandiale Blutglukose: ■ > 10,3 mmol/l: + 2 U vor Hauptmahlzeit ■ > 7,5 — ≤ 10,3 mmol/l: + 1 U vor Hauptmahl-
zeit ■ ≤ 7,5 mmol/l: keine weitere Titration
Gesichtspunkt für eine Entscheidung zwischen beiden Therapieoptionen erachtet und untersucht. An der 44-wöchigen parallelen offenen Studie beteiligten sich 69 Studienorte in Europa und Australien. Im Rahmen der Untersuchung wurden 418 Patienten mit suboptimalen HbA1c-Werten zwischen 7,5 und 10,5 Prozent randomisiert entweder einer Ergänzung ihrer oralen Medikation mit Insulin glargin (Lantus®, einmal täglich) oder mit Insulin lispro (Humalog®, dreimal täglich unmittelbar vor dem Frühstück, dem Mittag- und dem Abendessen) zugeordnet. Die Anfangsdosis von Insulin glargin betrug 10 U/Tag. In der Vergleichsgruppe erhielten die Patienten zu Beginn 4 U Insulin lispro vor jeder der drei Hauptmahlzeiten. Die meisten Patienten beider Gruppen erhielten Metformin (Glucophage® oder Generika) und/oder Glimepirid (Amaryl® oder Generika) als orale Antidiabetika.
Nach einer vierwöchigen Screeningphase wurde die orale Medikation während der Studiendauer konstant beibehalten, während die Dosis des jeweiligen Insulinanalogons in Übereinstimmung mit den Titrationsalgorithmen der European Diabetes Policy Group wöchentlich auftitriert wurde, bis unter Insulin glargin ein Nüchternblutzucker von 5,5 mmol/l und unter Insulin lispro ein präprandialer Wert von 5,5 mmol/l und ein postprandialer Wert von 7,5 mmol/l erreicht war. Die Tabelle zeigt die Algorithmen zur Dosistitration der Insulinanaloga. Die Therapiezufriedenheit der Patienten wurde anhand eines validierten Fragebogens (DTSQ = diabetes treatment satisfaction questionnaire) zu Beginn sowie in der 20. und in der 44. Woche untersucht. Primäres Studienziel war der Vergleich der Konzentrationsänderungen des HbA1c unter der jeweiligen Kombinationstherapie innerhalb des 44-wöchigen Untersuchungszeitraums. Die Hauptauswertung erfolgte per Protokoll und schloss alle Patienten ein, die während der Studie ohne gravierende Verletzungen des Prüfplans behandelt wurden. Ergänzend wurden auch die Ergebnisse der Intention-toTreat-Population analysiert. Die Studie wurde vom Hersteller des Insulin glargin (Lantus®) finanziert.
Ergebnisse 205 der teilnehmenden Typ-2-Diabetiker erhielten Insulin glargin und 210 Insulin lispro zur Ergänzung ihrer oralen antidiabetischen Medikation. Während der Studiendauer sank der HbA1c-Wert unter Insulin glargin um 1,7 Prozent (von 8,7 auf 7%) und unter Insulin lispro um 1,9 Prozent (von 8,7 auf 6,8%). 106 (57%) der mit Insulin glargin behandelten Patienten erreichten HbA1c-Werte von 7 Prozent oder darunter, unter Insulin lispro gelang dies 131 Patienten (69%). In der Insulin-glargin-Gruppe wurde erwartungsgemäss eine bessere Reduktion der Nüchternglukose (-4,3 vs. -1,8 mmol/l) und der nächtlichen Blutglukose (-3,3 vs. -2,6 mmol/l) beobachtet, während mit Insulin lispro die postprandiale Blutglukose über den Tag besser kontrolliert werden konnte (p = 0,0001). Die Inzidenz
hypoglykämischer Ereignisse war mit 5,2 Ereignissen pro Patient und Jahr unter Insulin glargin signifikant niedriger als in der Insulin-lispro-Gruppe; hier traten 24,0 hypoglykämische Ereignisse pro Patient und Jahr auf (p<0,0001). Während der Kombinationstherapie mit Insulin glargin nahmen die Patienten durchschnittlich 3,01 kg zu, unter Insulin lispro waren es 3,54 kg. Alle Studienteilnehmer waren mit der Kombinationstherapie zufriedener als mit der oralen Monotherapie, wobei die Zunahme der Zufriedenheit in der Insulin-glarginGruppe höher war als in der Insulin-lispro-Gruppe (mittlere Differenz 3,13). Fazit Zur Senkung des HbA1c-Werts bei Diabetikern vom Typ 2 sind Ergänzungen der oralen antidiabetischen Medikation mit basalem Insulin glargin und prandialem Insulin lispro vergleichbar wirksam. Die- ses Ergebnis legt nahe, dass eine erfolg- reiche glykämische Kontrolle bei diesen Patienten hauptsächlich mit der geziel- ten Insulintherapie und weniger mit einem speziellen Blutglukoseprofil zu- sammenhängt. Die Autoren schliessen aus den weiteren Studienergebnissen, dass Insulin glargin zur frühzeitigen Initiierung einer Insu- lintherapie eine einfache, wirksame Op- tion zur Erweiterung der oralen antidia- betischen Medikation darstellt und im Vergleich zu Insulin lispro mit einem ge- ringeren Hypoglykämierisiko sowie mit weniger Injektionen, weniger Blutzu- ckerselbstkontrollen und grösserer Be- handlungszufriedenheit der Patienten verbunden ist. ■ Petra Stölting Bretzel Reinhard G., Nuber Ulrike et al.: Once-daily basal insulin glargin versus thrice-daily prandial insulin lispro in people with type 2 diabetes on oral hypoglycaemic agents (APOLLO): an open randomised controlled trial, Lancet, 2008; 371: 1073—1084. Interessenlage: Reinhard G. Bretzel war für Bayer, Develogen, GSK, Lilly, MSD, Novo Nordisk und Sanofi Aventis beratend und lehrend tätig. Ulrike Nuber war während der Studiendurchführung bei SanofiAventis angestellt. Weitere Autoren sind ebenfalls Angestellte von Sanofi-Aventis oder üben Beratungs- und Lehrtätigkeiten für das Unternehmen aus. ARS MEDICI 22 ■ 2008 1011