Transkript
FORTBILDUNG
Orale Antidiabetika: alte versus neue Substanzen
Therapie des Typ-2-Diabetes
Unter den oralen Antidiabetika können Sulfonylharn-
stoffe und Metformin nach wie vor als gut wirksame
und sichere Basistherapeutika punkten. Dennoch
kommt den neueren Substanzen wie DPP-4-Hemmern
und auch Glitazonen ein wichtiger Platz in der The-
rapie des Typ-2-Diabetes zu.
HELMUT SCHATZ
Von den oralen Antidiabetika (OAD) werden die preiswerten Sulfonylharnstoffe und das Metformin (Glucophage® oder Generika) in einem Editorial von D.M. Nathan im «New England Journal of Medicine» (1) als die potentesten und, da schon lange angewendet, als relativ sicher einzustufende Antidiabetika bewertet. Die anderen OAD seien von zumeist etwas geringerer Wirksamkeit.
Sulfonylharnstoffe: besser als ihr Ruf «Die Sulfonylharnstoffe, vor allem die neueren wie Glimepirid (Amaryl® oder Generika) oder das weltweit viel verwendete Gliclazid (Diamicron®), bleiben auch im 21. Jahrhundert ein Eckpfeiler der antidiabetischen Polypharmazie», meinte der Wiener Diabetologe G. Schernthaner zum Jahresende 2007 (2). Die lange Zeit diskutierten proatherogenen Eigenschaften beziehungsweise die Kardiotoxizität der Sulfonylharnstoffe (SH) könnten als überholt angesehen werden. In der ADOPT-Studie (3) waren die kardiovaskulären Ereignisse unter Glibenclamid sogar signifikant seltener als unter Metformin oder Rosiglitazon (Avandia®). Sulfonylharnstoffe werden in der Kombinationstherapie mit Metformin auf der ganzen Welt breit eingesetzt. Der in der UKPDS-Studie (4) beobachtete negative Effekt einer Kombination von Sulfonylharnstoffen mit Metformin wurde vielfach widerlegt. Für eine orale Tripeltherapie mit Metformin und Glitazonen werden Sulfonylharnstoffe dann nötig, wenn die endogene Insulinsekretion nicht mehr ausreicht. An ihre Stelle könnten zukünftig freilich auch die insulinotropen DDP-4-Hemmer (s.u.) treten.
Die Glinide Repaglinid (Novonorm®) und Nateglinid (Starlix®) stellen pharmakologisch «Sulfonylharnstoff-Analoga» dar, da sie auch über den SH-Rezeptor der Betazellmembran wirken. Ihre rasche und kurz anhaltende Insulinausschüttung kann bei vorwiegend postprandialen Hyperglykämien vorteilhaft sein, auch wurde die (nächtliche) Hypoglykämierate vermindert gefunden.
Stellenwert von Metformin Metformin steht heute in den Empfehlungen der amerikanischen und der europäischen Diabetesgesellschaft (ADA und EASD) an der Spitze der Therapie des Typ-2-Diabetes (Flussschema). Metformin soll sofort nach Diagnosestellung gegeben werden, gleichzeitig mit – und nicht erst drei Monate nach unzureichender – Lifestyle-Intervention. Dies ist eine pragmatische Empfehlung. Meiner Meinung nach sollte man den initialen reinen Lifestyle-Interventions-Schritt für drei Monate beibehalten, wie er in der derzeit noch gültigen Leitlinie der Deutschen
Merksätze
■ Metformin soll sofort nach Diagnosestellung gegeben werden, gleichzeitig mit — und nicht erst drei Monate nach unzureichender Lifestyle-Intervention.
■ Die Entscheidung, welche Substanz dann, wenn Metformin ungeeignet ist, oder bei einer später nötig werdenden oralen Kombinationstherapie zusammen mit dem initial gegebenen Metformin eingesetzt werden soll, muss individuell getroffen werden.
■ Man wird das Ende der laufenden grossen prospektiven Studien in den Jahren 2009 bis 2010 abwarten müssen, um den endgültigen Stellenwert der Glitazone und ihre Nebenwirkungen beurteilen zu können.
■ Die DPP-4-Hemmer Sitagliptin und Vildagliptin stellen ebenso wie das GLP-1-Analog Exenatide ein innovatives, interessantes Therapieprinzip dar; wann sie einmal in einer Kombinationstherapie die Sulfonylharnstoffe ersetzen, bleibt abzuwarten.
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O R A L E A N T I D I A B E T I K A : A LT E V E R S U S N E U E S U B S TA N Z E N
Diabetes Gesellschaft (DDG) gefordert wird. Wenn er auch nur von einer Minderzahl der Patienten voll umgesetzt werden mag, so kommt ihm dennoch ein erzieherischer Wert zu, insbesondere dann, wenn der Patient den Erfolg dieser nichtpharmakologischen Therapie an sich selbst sieht. Metformin soll jetzt sowohl übergewichtigen als auch normalgewichtigen beziehungsweise schlanken Typ-2-DiabetesPatienten verordnet werden. Es wirkt, wie viele Studien gezeigt haben, bei beiden Gruppen sehr gut.
Alternativen bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit von Metformin Bei Kreatininerhöhung oder -unverträglichkeit müssen andere OAD gegeben werden. Der Leitlinienentwurf der DDG listet diese Substanzen in alphabetischer Reihenfolge auf. Er enthält auch die DPP-4-Hemmer sowie die GLP-1-Analoga. Die Entscheidung, welche Substanz zum einen dann, wenn Metformin ungeeignet ist, und zum anderen bei einer später nötig werdenden oralen Kombinationstherapie zusammen mit dem initial gegebenen Metformin eingesetzt werden soll, muss individuell getroffen werden. Beispielsweise bietet sich bei einer phänotypisch ins Auge springenden Insulinresistenz, also erheblicher Adipositas, ein Glitazon an. Die DPP-4-Hem-
mer haben den Vorteil der Gewichtsneutralität und einer glukoseabhängigen insulinotropen Wirkung, das heisst, sie haben selbst kein Hypoglykämiepotenzial. Wenn ein Patient Alphaglukosidasehemmer, zum Beispiel Acarbose (Glucobay®), gut verträgt, sind auch diese eine therapeutische Option, besonders bei ausgeprägten postprandialen Hyperglykämien.
Kombinationen mit Insulin Neu im Entwurf der DDG ist des Weiteren, dass die HbA1cStufe von 7,0 Prozent weggefallen ist. Der Zielwert beträgt nun 6,5 Prozent, der nächste Grenzwert liegt bei 7,5 Prozent. Wenn unter Monotherapie mit einem OAD – zumeist wird es Metformin sein – der HbA1c-Wert über 7,5 Prozent für drei Monate bestehen bleibt, sollte nach dem Entwurf sofort mit Insulin kombiniert werden, was von vielen Diabetologen jedoch kritisch diskutiert wird. Ein zweites OAD wird nur dann empfohlen, wenn der HbA1c unter 7,5 Prozent liegt. Eine Tripeltherapie ist nicht vorgesehen.
Exenatide vor einer Insulingabe? Der Einsatz von Insulin sollte freilich auf gar keinen Fall zu lange hinausgezögert werden. An dieser Stelle versucht sich zurzeit das Präparat Exenatide (Byetta®), ein zweimal täglich
Diskussionsentwurf zur Therapie des Typ-2-Diabetes*
1 Schulung, Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Metformin Bei Kontraindikation/Unverträglichkeit von Metformin: Acarbose, Glitazone, Repaglinid, Sulfonylharnstoffe (alphabetische Listung)
HbA1c < 7,5% HbA1c ≥ 6,5% nach 3 Monaten HbA1c ≥ 7,5 % 2 OAD-Kombinationstherapie • Metformin/ Acarbose • Metformin/ Glitazon • Metformin/SH • Metformin/SHA HbA1c ≥ 6,5% nach 3 Monaten HbA1c ≥ 6,5% nach 3 Monaten 3 OAD-Kombinationstherapie OAD (insbesondere Metformin) + Basalinsulin andere Option: OAD (insbesondere Metformin) + prandiale Insulintherapie) 4 Intensivierung der Insulintherapie • ICT • CSII, falls Therapieziel mit ICT nicht erreicht wird • CT, falls ICT nicht möglich/nicht indiziert • jeweils Kombination mit Metformin, falls keine KI/UV • weitere Option: Kombination mit Pioglitazon, falls keine KI/UV Flussdiagramm für die Therapie des Typ-2-Diabetes (*Diskussionsentwurf für die Neufassung der entsprechenden Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, September 2007 [5]) SH = Harnstoff; SHA = Sulfonylharnstoffanalog; ICT = intensivierte konventionelle Insulintherapie; CSII = Insulinpumpentherapie; CT = konventionelle Insulintherapie; KI = Kontraindikation; UV = Unverträglichkeiten. Inkretinmimetika (Byetta®) und die DPP-4-Hemmer Sitagliptin (Januvia®) und Vildagliptin (Galvus®) sind noch nicht eingearbeitet. ARS MEDICI 22 ■ 2008 999 FORTBILDUNG zu spritzendes Analog des Glucagon-like Peptide (GLP)-1, zu positionieren. Exenatide stimuliert glukoseabhängig – wie die DPP-4-Hemmer – eine noch vorhandene endogene Insulinsekretion. Es hat gegenüber Insulin den Vorteil einer Gewichtsabnahme, während mit Beginn einer Insulintherapie das Gewicht zumeist in die Höhe geht. Ob man Insulin zusammen mit OAD als basal unterstützte orale Therapie (B.O.T.) oder als supplementäre Insulintherapie (S.I.T.) einsetzt, sollte individuell entschieden werden, je nachdem, ob eine Blutzuckererhöhung nüchtern oder eher postprandial vorliegt, und auch nach den Wünschen und Möglichkeiten beim Patienten (einmal versus dreimal täglich spritzen). Glitazone: besonders effektiv bei ausgeprägter Insulinresistenz Dass die Senkung der Insulinresistenz durch Glitazone bei adipösen Patienten mit sehr hohem Insulinbedarf und dennoch schlechter Blutzuckereinstellung frappierende Besserungen bringen kann, ist vielen Ärzten geläufig. Hier bleibt sicherlich eine klare Indikation für den Einsatz von Glitazonen bestehen. Auch in einer oralen Kombinations-/Tripeltherapie zum Beispiel bei Personengruppen, die beruflich keine potenziell zu Hypoglykämien führenden Substanzen bekommen dürfen (Piloten, Berufschauffeure mit Personenbeförderung etc.), sind Glitazone nach wie vor indiziert. Glitazone: Risiko für Herzpatienten? Das Jahr 2007 war gekennzeichnet durch die vielen Studien und Metaanalysen über die Glitazone im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse. Ursprünglich waren die Glitazone angetreten, durch Senkung der Insulinresistenz über den glukosesenkenden Effekt hinaus durch pleiotrope Mechanismen Herzinfarkte und Schlaganfälle zu verhindern. Im Jahre 2005 war in der PROACTIVE-Studie (6) eine Senkung der Zahl kardiovaskulärer Ereignisse durch Pioglitazon (Actos®) beobachtet worden, wobei es freilich viele Diskussionen um das Ausmass beziehungsweise die Signifikanzen und die Subgruppenbildungen gab. 2007 publizierten Nissen und Wolsky (7) eine Metaanalyse einer Gruppe von vielen kleinen Studien, der DREAM-Studie (8) und der ADOPT-Studie (3). Dabei ergab sich unter Rosiglitazon (Avandia®) eine signifikante Zunahme der Herzinfarktrate. In einer später veröffentlichten Metaanalyse von Nissen und seinen Mitautoren zeigte sich unter Pioglitazon (Actos®) kein derartiger Effekt (9). In einer Interimsanalyse einer noch laufenden, prospektiven Outcomestudie wurde mit Rosiglitazon hingegen keine Steigerung der Herzinfarktrate gefunden (10). Unter Berücksichtigung dieser und auch mehrerer weiterer Studien und Metaanalysen gaben sowohl die amerikanische (FDA) als auch die europäische (EMEA) Arzneimittelbehörde im Herbst 2007 Statements heraus, welche besagten, dass die Vorteile beider Glitazone mögliche Nachteile aufwiegen, man aber sorgfältig mit den Patienten besprechen und klären soll, wann Glitazone eingesetzt werden sollen. Für Rosiglitazon wurde darin auch ein mögliches Risiko bei kardiovaskulären Patienten konstatiert. Die EMEA sprach darüber hinaus im Januar 2008 eine Kontraindikation für Rosiglitazon bei akutem Koronarsyndrom und bei Angina pectoris aus. Als Begründung wird angeführt, dass für diese spezifischen Patientengruppen keine kontrollierten Studien vorliegen. Man wird das Ende der laufenden, noch Tausende von Patienten umfassenden, prospektiven Studien in den Jahren 2009 bis 2010 abwarten müssen, um den endgültigen Stellenwert der Glitazone und ihre Nebenwirkungen beurteilen zu können. Inkretinmimetika und DPP-4-Hemmer Die DPP-4-Hemmer Sitagliptin (Januvia®) und Vildagliptin (Galvus®) stellen ebenso wie das s.c. zu injizierende GLP-1- Analog Exenatide ein innovatives, interessantes Therapieprin- zip dar. Es beruht auf dem Inkretinkonzept, das heisst der bekannten Verstärkung der Glukosestimulation der Insulin- sekretion durch Darmhormone, hier das GLP-1. Oral als Tabletten zu nehmende DPP-4-Hemmer verhindern den raschen Abbau des körpereigenen GLP-1. Sie senken zudem noch das beim Typ-2-Diabetes überhöhte Glukagon. Wann sie einmal in einer Kombinationstherapie an die Stelle der Sul- fonylharnstoffe treten werden, bleibt abzuwarten. Dass sie ge- wichtsneutral sind und für sich allein nicht zu Hypoglykämien führen, ist ein weiterer Vorteil. ■ Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads/literaturliste.html Univ.-Prof. Dr. med. Helmut Schatz Universitätsklinikum Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 D-44789 Bochum Interessenlage: Der Autor war in den letzten Jahren Mitglied in Advisory Boards von Merck, Novartis und GSK und hat auf Veranstaltungen, die von diesen Firmen unterstützt wurden, Vorträge gehalten. Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 5/2008. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. 1000 ARS MEDICI 22 ■ 2008