Transkript
FORTBILDUNG
Ohrspülung in der Hausarztpraxis
Trommelfell in Gefahr?
«So was lässt man halt besser beim Spezialisten
machen», lautete der Kommentar eines HNO-Kollegen,
der bei einem Patienten eine Trommelfellperforation
nach einer Ohrspülung beim Allgemeinarzt feststellte.
Hat der Kollege recht? Birgt die Ohrspülung schwer
kalkulierbare Gefahren, die nur ein HNO-Arzt richtig
einschätzen kann? Oder hätte das jedem Arzt
passieren können?
FRITZ MEYER
Ein Kollege berichtet über eine 70-jährige pensionierte Lehrerin, die wegen einer subjektiv auffälligen linksseitigen Hörminderung in die Praxis kommt. Er stellt als Ursache des Problems einen Ohrschmalzpfropf fest, veranlasst die Gabe eines Zerumenolytikums und führt dann «wie schon immer» eine Ohrspülung mit der Ohrspritze durch. Da die Patientin schon beim ersten Spülgang über stärkste Schmerzen und Schwindel klagt, wird unter der Vorstellung einer Reizung des Gleichgewichtsorganes jede weitere Aktion eingestellt. Nach einiger Zeit hat sich die Patientin so weit erholt, dass sie wieder nach Hause gehen kann. Anderntags ruft sie an: Wegen schlimmer Ohrenschmerzen sei sie in der örtlichen HNO-Ambulanz der Universitätsklinik vorstellig geworden. Dort wurde dann eine frische Trommelfellperforation festgestellt, deren Ursache offensichtlich die Spülung gewesen sei. Dies habe der diensthabende HNO-Kollege dann folgendermassen kommentiert: «So was lässt man halt besser beim Spezialisten machen!» Bei der Patientin kam es zu keinem Schaden: Der Trommelfelldefekt ist glücklicherweise wieder zugeheilt und das fatale Ereignis damit ohne Folgen geblieben.
Methoden der Ohrschmalzentfernung Hörminderung und Ohrenschmerzen sind neben Pflegemassnahmen (Hörgeräteträger, Wassersportler) die häufigsten Gründe, warum Ohrenschmalz entfernt werden muss. Ent-
sprechend nimmt das Beratungsergebnis «Zerumen» in den allgemeinmedizinischen Fälleverteilungsstatistiken (1–2) der letzten zwei Jahrzehnte durchweg vordere Rangplätze ein: Rang 21 bei Fink (1989–1999), Rang 19 bei Danninger (1991–1996) und Rang 12 bei Landolt Theus (1983–1988). Der Hals-Nasen-Ohrenarzt entfernt Ohrenschmalz vorzugsweise instrumentell, mit dem Häkchen oder dem Sauger. Dies geht schneller als die Spülung, ist weniger aufwendig, erfordert aber Übung, die Benutzung einer Stirnlampe und, will man lehrbuchgerecht (6) vorgehen, eines Ohrmikroskops. Der Hausarzt zieht ohne dieses technische Equipment die Spülung vor, weil sie scheinbar ungefährlicher ist. Nicht selten wird diese Arbeit auch an eine Helferin delegiert.
Gefahr der Trommelfellverletzung Direkte Verletzungen des Trommelfells können bei instrumenteller Säuberung auftreten, wenn der Patient wegen der kaum vermeidbaren Gehörgangsreizung unvermutet mit reflexartigen Ausweichbewegungen oder über die Irritation von Vagusfasern in der Gehörgangswand mit einem reflektorischen Hustenreiz reagiert. Bei dem durchschnittlich etwa vier Zentimeter langen Gehörgang des Erwachsenen ist eine direkte Verletzung des Trommelfells bei der Ohrenspülung auch mit der drei bis vier Zentimeter langen Spitze der Ohrspritze denkbar, setzt aber eine sehr unsachgemässe Handhabung voraus. Die Gefahr direkter Verletzungen ist erfahrungsgemäss bei Kindern, behinderten und nicht kooperativen Patienten deutlich höher.
Merksätze
■ Der HNO-Arzt entfernt Ohrenschmalz vorzugsweise instrumentell (Häkchen, Sauger), der Allgemeinarzt üblicherweise durch eine Ohrspülung.
■ Der mit einer Ohrspritze beim Spülen in einem Gehörgang durchschnittlicher Grösse erzeugte Wasserdruck reicht normalerweise nicht aus, um ein gesundes Trommelfell zu verletzen.
■ Bei der Spülung mit körperwarm temperiertem Wasser sollte der Strahl niemals direkt in die Richtung des Trommelfells, sondern gegen die hintere obere Gehörgangswand gerichtet werden.
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FORTBILDUNG
Abbildung 1: Dieses Trommelfell ist ein «Risikokandidat» für eine Ruptur. Man erkennt zahlreiche Strukturveränderungen als Folge abgelaufener Entzündungen: Kalkplatten (blau eingekreist) und eine atrophische Narbe (weiss eingekreist).
geschädigten Trommelfellen (Abbildung 1) mit entsprechenden Strukturveränderungen (atrophische Narben, Kalkplatteneinlagerungen). Durch weitere Messungen (4) konnten darüber hinaus die von verschiedenartigen Ohrspritzen (Metall, Plastik, Glas) erzeugten Drucke bestimmt werden, die in menschlichen, unterschiedlich gross dimensionierten Gehörgängen auftreten. Dabei zeigte sich, dass mit Ohrspritzen aus Metall Drucke zwischen 200 und 300 mmHg (Median: 240 mmHg), aus Plastik zwischen 180 und 270 mmHg (Median 225 mmHg) und aus Glas zwischen 170 und 260 mmHg (Median: 205 mmHg) produziert werden können. Der Druck ist ausserdem umso höher, je grösser der Gehörgang des Patienten ist: Während in normalen Gehörgängen der mit einer Metallspritze erzeugte mediane Druck bei 240 mmHg liegt, kann er in einem grossen Gehörgang bis auf maximal 300 mmHg ansteigen. Aus diesen Daten lässt sich schliessen, dass der mit einer Ohrspritze beim Spülen in einem Gehörgang durchschnittlicher Grösse erzeugte Wasserdruck normalerweise nicht ausreicht, um ein gesundes Trommelfell zu verletzen. Ist der Patient aber älter, der Gehörgang sehr gross und/oder das Trommelfell durch Narbenbildungen geschädigt, sind mit einer Ohrspritze aus Metall (Abbildung 2) Spitzendrucke erzeugbar, die unter Verkettung unglücklicher Umstände zu einer Trommelfellruptur führen können.
Abbildung 2: Der Klassiker: Ohrspritze aus Metall
Trommelfellverletzungen bei der Ohrspülung entstehen in erster Linie durch den Wasserdruck. Durch experimentelle Untersuchungen (3) konnte belegt werden, dass der mediane Rupturdruck eines normalen Trommelfells bei 912 mmHg (Spannweite 383–1520 mmHg) liegt und mit zunehmendem Alter abnimmt. Deutlich niedriger sind auch die Rupturgrenzwerte (Median: 456 mmHg, Spannweite: 228–608 mmHg) bei
Fazit für die Praxis Für das Vorgehen in der hausärztlichen Praxis hat sich ein gewisser Algorithmus bewährt (Abbildung 3). In jedem Fall ist es wichtig, den Patienten vorab über aktuelle oder frühere Ohrerkrankungen zu befragen. Bei suspekter Ausgangssituation (bekannter Trommelfelldefekt, chronische Mittelohreiterungen oder «laufendes Ohr» in der Vorgeschichte, frühere traumatische Trommelfellverletzungen, durchgemachte Mittelohroperationen, «einzig hörendes Ohr») ist es sinnvoll, das Ohrenschmalz instrumentell vom Facharzt entfernen zu lassen. Bei unkomplizierter Ausgangslage ohne otologische Besonderheiten kann das Ohr gespült werden. Das Aufbrechen des Ohrschmalzpfropfs durch mindestens zehnminütiges Vorweichen mit einem Zerumenolytikum ist sinnvoll, weil der notwendige Spüldruck dann auch geringer sein kann.
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OHRSPÜLUNG IN DER HAUSARZTPRAXIS
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Zeruminalpfropf
Unkomplizierte Ausgangslage
Ohrspülung
Suspekte Ausgangslage
Ohne Erfolg Zerumenolyse
HNO-Arzt
Erneute Spülung Ohne Erfolg
Häusliche Zerumenolyse
Erneute Spülung
Ohne Erfolg
Abbildung 3: Algorithmus zur Ohrschmalzentfernung durch den Hausarzt
Mit Erfolg Nachsorge
Magistrale Rezepturen:
Rp.: Essigsäure-Ohrentropfen 0,7 Prozent NRF 10,0 g oder
Rp.: Ethanolhaltige Glycerol-Ohrentropfen 42,5 Prozent NRF 10,0 g
Handelspräparat: z.B: Cerumenex®, Cerumenol®
Führt dies nicht zum gewünschten Erfolg, sollte der Patient zu Hause selbst einige Tage mit einem Zerumenolytikum weiterbehandeln, ehe man zu einer nochmaligen Spülung ansetzt. Ist auch dadurch keine Reinigung möglich, macht es Sinn, den Patienten an den HNO-Arzt weiterzuleiten.
Bei der Spülung mit körperwarm temperiertem
Wasser soll der Strahl niemals direkt in die Rich-
tung des Trommelfells, sondern gegen die hin-
tere obere Gehörgangswand gerichtet werden,
weil sich durch die Umleitung des Wasserstrahls
der Wasserdruck und eine Verletzungsgefahr für
das Trommelfell reduzieren lassen.
Bei jeder Zerumenentfernung des Ohrs, insbe-
sondere bei instrumentellen Reinigungsmass-
nahmen, muss der Patient nach einem aktuellen
Gerichtsurteil darüber aufgeklärt werden, dass
er während des Eingriffs den Kopf nicht bewe-
gen darf, da sonst die Gefahr einer Trommelfell-
schädigung besteht (5).
Wichtig: Nach jeder erfolgreichen Ohrschmalz-
entfernung sollten schon aus medicolegalen
Gründen Gehörgang und Trommelfell obligat
kontrolliert werden. Beim Vorliegen leichterer,
manipulationsbedingter Gehörgangsläsionen ist
eine Nachsorge mit entzündungshemmenden
oder pflegenden Ohrentropfen sinnvoll, um eine
sekundäre Otitis externa zu verhindern.
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Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de
Dr. med. Fritz Meyer Facharzt für Allgemeinmedizin – Sportmedizin Facharzt für Hals-Nasen-
Ohrenheilkunde D-86732 Oettingen/Bayern
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2008. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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