Transkript
STUDIE REFERIERT
Mukolytika verhindern COPDExazerbationen
In einer randomisierten, doppel-
blinden plazebokontrollierten Stu-
die an 22 Zentren in China wurde
die präventive Wirkung eines
Mukolytikums auf akute Exazerba-
tionen bei chronisch obstruktiver
Lungenerkrankung (COPD) unter-
sucht.
THE LANCET
In Europa und Asien werden Mukolytika zur Therapie von respiratorischen Erkrankungen, die mit gesteigerter Sputumproduktion einhergehen, verbreitet eingesetzt. Dabei setzt man nicht nur auf die schleimlösende Wirkung, sondern auch auf antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften dieser Wirkstoffe, die auf den langfristigen Verlauf der COPD möglicherweise grösseren Einfluss haben. Bisherige Studien und systematische Reviews ergaben etwas widersprüchliche Ergebnisse. In der Regel deuteten sie darauf hin, dass Mukolytika die Zahl der akuten Exazerbationen zu verringern und den Gesamtgesundheitszustand zu verbessern vermögen, allerdings ergab die BRONCUS-Studie mit Acetylcystein (Fluimucil®, Solmucol® u.a.) ein eher negatives Resultat. Angesichts der ungenügenden Datenlage empfehlen Richtlinien wie diejenige der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) Muko-
lytika nicht zur Routinebehandlung. Diese Studie versucht hier zusätzliche Klärung zu bringen.
Methodik Für die Teilnahme an der PEACE-Studie qualifizierten sich Patienten zwischen 40 und 80 Jahren mit spirometrisch dokumentierter COPD (Verhältnis FEV1 zu forcierter Vitalkapazität < 0,70 und FEV1 25–79% des Sollwerts), die während der beiden vorangegangenen Jahre mindestens zwei COPD-Exazerbationen durchgemacht hatten. Die Teilnehmenden stammten aus 22 Zentren in der Volksrepublik China. Nach einer zweiwöchigen Run-in-Phase wurden die Teilnehmer zu dreimal täglich 2 × 250 mg Carbocistein (Mephatiol®, Mucoseptal® u.a.) oder dreimal täglich 2 Plazebotabletten randomisiert, danach wurden die Patienten alle drei Monate interviewt, am Ende der einjährigen Beobachtungsperiode wurde die Spirometrie wiederholt. Sofern sie die Medikamente vor Studienbeginn schon angewendet hatten, blieb eine konventionelle COPD-Therapie mit Bronchodilatatoren und inhalativen Steroiden erlaubt. Systemische Kortikosteroide, Antibiotika, Mukolytika oder Antitussiva waren nur gestattet, wenn sie zur Behandlung einer Exazerbation notwendig waren. Primärer Endpunkt war die Exazerbationsrate über ein Jahr. Als sekundäre Endpunkte kamen kovarianzadjustierte Exazerbationsrate, Lebensqualität, Lungenfunktion und arterielle Sauerstoffsättigung hinzu.
Resultate Von 791 Patienten wurden 709 randomisiert, je einer wurde nachträglich aus-
geschlossen, womit in der Carbocisteingruppe 353 und in der Plazebogruppe 354 Teilnehmende verblieben. Die beiden Gruppen waren hinsichtlich demografischer Kriterien inklusive Raucheranamnese sowie Dauer und Schwere der COPD und der Basismedikation vergleichbar. Die COPD-Stadien II und III machten 88 Prozent der Patienten aus. Die kumulative Anzahl der COPD-Exazerbationen innert einem Jahr betrug in der Carbocisteingruppe 325 und in der Plazebogruppe 439, was einer 24,5-prozentigen Reduktion unter dem Mukolytikum entspricht (Risk Ratio [RR] 0,75; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,62–0,92; p = 0,004). Die Analyse der Kovarianzfaktoren im Regressionsmodell ergab nur zwei Faktoren mit signifikantem Einfluss auf die COPD-Exazerbationen, das COPD-Stadium und die gleichzeitige Therapie mit Theophyllin und inhalativen Kortikosteroiden. Weiter bestanden keine signifikanten Interaktionen zwischen Therapie und Raucherstatus (RR 0,75, 95%-KI 0,63–0,91; p = 0,004). Die für Xanthine adjustierte RR betrug 0,74 (95%-KI 0,61–0,89; p = 0,002). Der Behandlungsvorteil von Carbocistein gegenüber Plazebo blieb also auch nach solchen statistischen Anpassungen bemerkenswert. Im zeitlichen Verlauf zeigte sich, dass die aktive mukolytische Therapie ab dem sechsten Monat einen statistischen Einfluss auf die Exazerbationshäufigkeit gewann. Nach einem Jahr Therapie bestanden gegenüber den Ausgangswerten
Merksätze
■ Täglich eingenommenes Carbocistein führte bei COPD-Patienten mit eindeutiger funktioneller Einschränkung und anamnestisch dokumentierten Exazerbationen nach einem Jahr zu einer signifikanten Reduktion der Exazerbationen.
■ Mukolytika sollten daher als lohnende Behandlung zur Vorbeugung von akuten COPD-Exazerbationen anerkannt werden.
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signifikante Veränderungen bei Gesamt-, Symptom- und Aktivitätsscores (p < 0,001) als Ausdruck eines klinisch relevanten Einflusses auf die Lebensqualität, der unter Plazebo nicht beobachtet wurde. Keine signifikanten Unterschiede zwischen Plazebo- und Carbocisteingruppe konnten die chinesischen Forscher hingegen bei der Lungenfunktion finden. Insgesamt wurden 113 Nebenwirkungen rapportiert, hälftig in beiden Gruppen.
Diskussion «Die Ergebnisse unserer Studie stützen die früheren Erkenntnisse, dass der Langzeitgebrauch von Carbocistein die Exazerbationsrate bei COPD verringert», schreiben die Autoren. Der Behandlungsnutzen des Mukolytikums war – auch nach statistischer Berücksichtigung des COPD-Schweregrads und der Begleittherapie – bemerkenswert. Nach den ersten drei Monaten beobachtete die Studie noch keinen Unterschied in den
Exazerbationsraten von Plazebo- und Carbocisteingruppe, was die Autoren als Hinweis darauf werten, dass erst die Langzeitverabreichung effektiv ist. «Zusätzlich zur Vorbeugung von COPDExazerbationen konnte gezeigt werden, dass Carbocistein auch die Lebensqualität der Patienten verbessert», halten die Autoren weiter fest. Zur Erklärung der Differenz mit der BRONCUS-Studie diskutieren sie die viel höhere Rate von mit Kortikosteroiden behandelten Patienten in jener Untersuchung (70 vs. 16,7%), postulieren aber auch besondere Eigenschaften der Wirksubstanz Carbocistein im Vergleich zu Acetylcystein. Schliesslich betonen sie die unterschiedliche Ethnizität von Chinesen, die sich auch in verschiedenen pharmakokinetischen Konstanten von Theophyllin äussert. Daneben sind auch Ernährungszustand und -gewohnheiten sowie Umwelteinflüsse in Entwicklungsländern wie China unterschiedlich.
Dass die Lungenfunktion durch die mu-
kolytische Präventionstherapie nicht si-
gnifikant beeinflusst wurde, deute darauf
hin, dass die geringeren Exazerbatios-
raten und die besseren Lebensqualitäts-
parameter nicht durch einen broncho-
dilatatorischen Effekt zustande kamen.
Diese Beobachtung steht in Einklang mit
anderen Mukolytikastudien.
Als Botschaft ihrer Studie sehen die Au-
toren die Feststellung, dass Mukolytika
wie Carbocistein, die sehr gut verträglich
sind, als lohnende Behandlung im Lang-
zeitmanagement der COPD anerkannt
werden sollten.
■
Jin-Ping Zheng et al.: Effect of carbocisteine on acute exacerbation of chronic obstructive pulmonary disease (PEACE study): a randomised placebo-controlled study. Lancet 2008; 371: 2013—2018.
Interessenkonflikte: keine
Halid Bas
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