Transkript
FORTBILDUNG
Mischinsuline: Auslaufmodell oder Alternative?
Beginn einer Insulintherapie in der Hausarztpraxis
Beim Gros der Typ-2-Diabetiker trifft der Hausarzt die
Entscheidung für den Beginn einer lnsulinbehandlung.
Gerade für ältere Patienten sind hierbei einfache The-
rapiemodelle mit wenigen Insulininjektionen gefragt.
Dies trifft vor allem für die Kombination von oralen
Antidiabetika mit einem abendlichen Basalinsulin (BOT)
zu. Doch auch die konventionelle Insulintherapie mit
biphasischen Mischinsulinen kann einige Vorteile ver-
buchen und ist besser als ihr Ruf.
KLAUS PETER RATZMANN
Beim Typ-2-Diabetes manifestiert sich die Störung der Insulinsekretion zuerst in einer prandialen Hyperglykämie. Nachts und in den Morgenstunden steigen die Blutzuckerwerte erst im fortgeschrittenen Stadium an (14). Diesem Krankheitsverlauf wird eine pathophysiologisch orientierte Insulintherapie gerecht, die in einer prandialen (supplementären) Insulinsubstitution durch Normalinsulin, besser durch schnell wirksame Insulinanaloga, besteht (Tabelle 1). Gegenwärtig ist die prandiale Insulintherapie in hausärztlichen Praxen mit 6,8 bis 8,3 Prozent jedoch eher unterrepräsentiert (19). Sie wird vorwiegend bei jüngeren Typ-2-Diabetikern mit kurzer Diabetesdauer praktiziert. Bisher gibt es keine Evidenz durch Endpunktstudien, mit welchem Therapiemodell bei Typ-2-Diabetikern die Insulinbehandlung begonnen werden sollte.
Barrieren der Insulintherapie Eine progrediente Stoffwechselverschlechterung spiegelt sich bei Typ-2-Diabetikern häufig nicht im subjektiven Befinden und in Symptomen wider, sodass kein ausgeprägter Leidensdruck besteht (23, 25). Die Einwände gegenüber einer Insulinbehandlung wiegen schwerer als der zu erwartende Nutzen (20). In der DAWN-Studie (Diabetes, Ansichten, Wünsche und
Nöte) wurden weltweit (13 Länder) die Einstellungen zum Insulin analysiert (1): ■ bei jedem zweiten Diabetiker bestehen Vorbehalte gegen-
über Insulin wegen der Gewichtszunahme sowie wegen der Furcht vor Hypoglykämien ■ jeder dritte Diabetiker fühlt sich von den Therapieanforderungen (regelmässige Blutzuckermessungen und Injektionen) überfordert ■ jeder fünfte Diabetiker fühlt sich vom täglichen Beschäftigen mit der Krankheit erschöpft ■ jeder sechste Diabetiker empfindet seine Therapie als zu kompliziert.
Für die Praxis der Insulinbehandlung lässt sich von der DAWNStudie Folgendes ableiten: Die Therapie sollte einfach und sicher sein (keine Hypoglykämien) und der Gewichtsanstieg so gering wie möglich gehalten werden. Das gilt besonders für ältere, zumeist multimorbide Diabetiker. Das Gros älterer Patienten befindet sich bereits im Ruhestand, sodass bestimmte Anforderungen durch den Berufsalltag an ein flexibles Behandlungsregime in den Hintergrund treten. Mit steigendem Alter wird der Wunsch nach Flexibilität durch eine intensivierte Insulintherapie geringer zugunsten einfacher Therapiemodelle, das heisst, Möglichkeiten der konventionellen Insulintherapie werden bevorzugt (Tabelle 2). Für viele Patienten hängt die Lebensqualität sehr wesentlich von der Anzahl der Insulininjektionen ab (28).
Merksätze
■ Die Insulintherapie kann bei Typ-2-Diabetikern in höherem Alter oft einfach, das heisst eher konventionell sein.
■ In der T-4-Studie war die konventionelle Insulintherapie der dreimaligen prandialen lnsulininjektion in punkto HbA1c-Abfall nicht nennenswert unterlegen.
■ Klinische Studien zeigen, dass die Therapie mit einer zweimaligen Injektion moderner Mischinsuline gegenüber einer basalinsulinunterstützten oralen Therapie effizienter und von Vorteil ist.
ARS MEDICI 22 ■ 2008 1001
FORTBILDUNG
Tabelle 1: Modelle der Insulintherapie bei Tabelle 1: Typ-2-Diabetes
Tabelle 2: Die Präferenzen zu Beginn einer Tabelle 2: Insulintherapie sind altersabhängig
Physiologische Insulinsubstitution: ■ SIT: Normalinsulin oder Insulinanaloga zu den
Mahlzeiten bei erhaltener Basalsekretion (Indikator: Nüchtern-BZ!) ■ ICT: zusätzlich Basalinsulin
Konventionelle Insulintherapie (CT) ■ 2 Injektionen Mischinsulin (Normalinsulin bzw.
Insulinanalogon plus Verzögerungsinsulin)
Basalinsulin plus OAD (BOT) ■ OAD plus Verzögerungsinsulin vor dem Schlafen
Ziel
HbA1c Nü-BZ pp-BZ
HbA1c Nü-BZ (pp-BZ)
HbA1c Nü-BZ
Basalunterstützte orale Therapie (BOT) In den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft wird als einfachste Form der Insulinsubstitution die Kombination von einem oralen Antidiabetikum (OAD) mit einem abendlichen Verzögerungsinsulin (NPH-Insulin) beziehungsweise mit einem Basalinsulin (Bedtime-Therapie) – die sogenannte basalunterstützte orale Therapie (BOT) – empfohlen (5). Klinische Studien haben die Wirksamkeit dieser Therapiestrategie belegt (3, 27, 30). Dieses Vorgehen gilt als einfaches, sicheres und wenig aufwendiges «Einstiegsmodell» für eine Insulintherapie bei Typ-2-Diabetikern. Im weiteren Krankheitsverlauf kann allerdings ein zusätzliches Insulin erforderlich werden (4, 10, 13). Den Ergebnissen der kürzlich publizierten 4-T-Studie (Treat to Target in Type-2-Diabetes) zufolge war die Stoffwechselverbesserung durch das Basalinsulin Detemir in Kombination mit OAD im Vergleich zu anderen Insulinen mit einem minimalen Hypoglykämierisiko und dem geringsten Gewichtsanstieg vergesellschaftet (10) (Abbildung).
konsekutive Patienten < 60 Jahre 60–70 Jahre > 70 Jahre
n = 400
n = 95
n = 224
n = 81
SIT/ICT
62,1%
13,8%
9,9%
CT (2 Injektionen)
27,4%
65,2%
42,0%
1 Injektion + OAD
10,5%
21,0%
48,1%
Konventionelle Insulintherapie (CT) mit Mischinsulin Die konventionelle Insulintherapie mit zwei Injektionen eines Mischinsulins findet im hausärztlichen Bereich weiterhin breite Anwendung (19). Diese Therapieoption wird von jedem zweiten Patienten der Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen bevorzugt (Tabelle 2). Die Behandlung mit nur zwei Injektionen wird als Vorteil gewertet, und die Therapiezufriedenheit ist bei vergleichbarer Stoffwechselqualität besser als bei der intensivierten Insulintherapie (28). Wenn eine grössere Flexibilität für den Patienten nicht vordergründig ist, stellt die zweimalige Injektion eines Mischinsulins eine adäquate Therapie dar. Sie wird mit Hinweis auf die Lebensqualität ausdrücklich in den evidenzbasierten Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft als Insulintherapie im Alter empfohlen (7, 8). Die Therapie mit Mischinsulin erfordert einen relativ gleichförmigen Tagesablauf und eine regelmässige Mahlzeitenverteilung. Insulin fehlt in der prandialen Phase und ist postprandial im Überschuss vorhanden. Für die Praxis der Insulintherapie ergeben sich daraus Nachteile: ■ geringere Flexibilität im Tagesrhythmus ■ Hypoglykämiegefahr
(z.B. bei Änderung der körperlichen Aktivität) ■ Notwendigkeit von Zwischenmahlzeiten zur
Hypoglykämieprophylaxe (Gewichtszunahme!)
HbA1c-Abfall (%)
1,00
0,50 0
-0,50
-1,00
5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0
Gewichtszunahme (kg)
12,5 10,0 7,5 5,0 2,5
0
Hypoglykämien/ Patient/Jahr
Prandial Mischinsulin Basal
Abbildung: Vergleich dreier Insulinregime (T-4-Studie): Ergebnisse nach einem Jahr (10)
1002 ARS MEDICI 22 ■ 2008
M I S C H I N S U L I N E : AU S L AU F M O D E L L O D E R A LT E R N AT I V E ?
■ morgendliche Hyperglykämie infolge unzureichender Wirkung des abendlichen Mischinsulins
■ unzureichende Absenkung postprandialer Blutzuckerspiegel
■ in der Regel Notwendigkeit eines Spritz-Ess-Abstandes.
Einige Nachteile werden durch die biphasischen Insulinanaloga (Insulin Lispro Mix, Insulin Aspart Mix) ausgeglichen. Infolge der schnellen Absorption der kurz wirksamen Analoga (Lispro, Aspart) im Subkutangewebe setzt die Insulinwirkung rascher ein, die Regulation der postprandialen Glykämie nach den Mahlzeiten ist effektiver, ein Spritz-Ess-Abstand ist nicht erforderlich, die Blutzuckerschwankungen im Tagesverlauf sind weniger ausgeprägt, und das Hypoglykämierisiko ist im Vergleich zu humanem Mischinsulin geringer (4). Besonders bei geriatrischen Patienten bringt der Wegfall eines SpritzEss-Abstandes mehr Behandlungskomfort für Patienten und Therapeuten. Klinische Studien haben die Effektivität der basalinsulinunterstützten oralen Therapie (OAD plus Glargin) mit einer zweimaligen Injektion moderner Mischinsuline (Lispro Mix 25, Insulin Aspart Mix 30) verglichen (15, 16, 21). Mit den biphasischen Mischinsulinen liess sich eine signifikant bessere Glykämie im Tagesverlauf mit deutlicher Absenkung postprandialer Blutzuckerwerte ohne erhöhtes Risiko schwerer Hypoglykämien erzielen.
genannt (1). Die Empfehlungen für die initiale Insulindosis tragen diesem Umstand Rechnung und bewegen sich zwischen 1,5 und 0,3 IE/kg Körpergewicht (12, 15, 19). Bei der Dosisaufteilung (Morgen, Abend) wird eine Relation von 2:1 bis 3:2 empfohlen (12, 13, 26, 33). In Abhängigkeit vom Körpergewicht kann die Therapie mit 8 bis 12 IE morgens und 4 bis 6 IE abends begonnen werden. Im weiteren Verlauf wird die Insulindosis anhand der Blutzuckerwerte schrittweise um 2 bis 6 IE erhöht und den individuellen Gegebenheiten angepasst. Im Durchschnitt liegt die Insulindosierung zwischen 0,4 IE/kg und 0,6 IE/kg Körpergewicht (9, 10, 11, 13). Am häufigsten werden Mischinsuline mit einem Anteil von 25 beziehungsweise 30 Prozent an kurz wirksamen Insulinanaloga und 75 beziehungsweise 70 Prozent Verzögerungsinsulin (Lispro Mix 25, Insulin Aspart Mix 30) verwendet. Wegen der häufigen Hyperglykämie vormittags können Mischungen mit einem höheren Anteil von kurz wirksamen Insulinen (z.B. 50%) eingesetzt werden. Beim Versagen einer BOT lassen sich Stoffwechselziele häufig durch Umstellung auf eine zweimalige Injektion moderner Mischinsuline erreichen (20, 21, 26). In der Praxis hat sich eine Aufteilung der bisherigen abendlichen Dosis des Basal- beziehungsweise Verzögerungsinsulins in eine morgendliche und abendliche Injektion von Mischinsulin im Verhältnis von 2:1 bewährt (z.B. die Aufteilung einer spätabendlichen Dosis von 30 IE NPH- oder Basalinsulin in 18 und 12 IE Mischinsulin). ■
Womit beginnen? Bislang fehlten Untersuchungen zur Evidenz, mit welchem Therapiemodell die Insulinbehandlung bei Typ-2-Diabetikern begonnen werden sollte. Kürzlich wurden nun die ersten Ergebnisse einer randomisierten prospektiven Studie (4-T-Studie) publiziert, in der drei Insulinregime miteinander verglichen wurden: eine dreimalige Injektion von kurzwirksamen Insulinanaloga vor den Mahlzeiten (prandiale Therapie), konventionelle Insulintherapie mit zwei Injektionen eines biphasischen Mischinsulins oder die einmalige Injektion eines Basalinsulins vor dem Schlafengehen (10). Die vorangegangene Therapie mit OAD wurde in allen drei Behandlungsregimen beibehalten. Alle drei Therapiestrategien verbesserten effektiv die Hyperglykämie, allerdings wurde das Therapieziel (HbA1c < 6,5%) nur von einer Minorität erreicht. Die konventionelle Insulintherapie mit biphasischem Mischinsulin war der dreimaligen prandialen Insulininjektion in der Stoffwechselqualität nicht nennenswert unterlegen, die Hypoglykämierate war um 50 Prozent geringer und der Gewichtsverlauf günstiger (Abbildung). PD Dr. med. habil. Klaus Peter Ratzmann Facharzt für Innere Medizin Diabetologie Grünheidenweg 38 D-12589 Berlin E-Mail: ratzmann@directbox.com Interessenlage: Der Autor hält Vorträge zur Insulintherapie für die Firmen Berlin-Chemie AG, Novo Nordisk GmbH und Lilly-Deutschland GmbH. Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 7/2008. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Praktisches Vorgehen bei konventioneller Insulintherapie In der 4-T-Studie wurde ein Jahr nach Beginn der Insulintherapie eine Gesamtinsulindosis pro Tag zwischen 42 und 56 IE (0,49 IE/kg bis 0,61 IE/kg Körpergewicht) ermittelt (10). Unter den Vorbehalten gegenüber einer Insulintherapie wurde von jedem zweiten Patienten die Angst vor Hypoglykämien ARS MEDICI 22 ■ 2008 1003