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Mediziner verschleiern die Probleme und behaupten eine Evidenz, die fehlt
Kritische Anmerkungen zum Artikel «Chronische Borreliose — eine erfundene Infektionskrankheit?», ARS MEDICI 19/2008, S. 865 f.
von Jutta Zacharia
1. Ausgerechnet die massgeblichen Autoren dieses Artikels (u.a. AC. Steere, GP. Wormser und ED. Shapiro) waren auch die massgeblichen Mitglieder der Expertenkommission für die Ausarbeitung der IDSA-Leitlinie zur Lyme-Borreliose (Infectious Diseases Society of America practice guidelines for clinical assessment, treatment and prevention of Lyme disease, human granulocytic anaplasmosis, and babesiosis, Nov. 2006). Gegen diese Expertenkommission hatte der oberste Justizbeamte von Connecticut (Attorney General) nach Erscheinen der Leitlinien eine Untersuchung wegen Korruptionsverdachts eingeleitet.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden im Mai 2008 veröffentlicht. Wie ein Auszug aus der entsprechenden Verlautbarung «General's Investigation Reveals Flawed Lyme Disease Guideline Process, IDSA Agrees To Reassess Guidelines, Install Independent Arbiter, Mai 2008» zeigt, wurden gravierende Fehler bei der Erstellung dieser Leitlinie aufgedeckt.
«Attorney General Richard Blumenthal gab heute bekannt, dass im Rahmen seiner Untersuchung wegen eines Korruptionsverdachts gegen die Infectious Diseases Society of America (IDSA) bei der Erstellung der Leitlinien zur LymeBorreliose gravierende Fehler aufgedeckt wurden. Die IDSA stimmte deshalb einer Überprüfung der Leitlinien unter
Hinzuziehung eines unabhängigen Vermittlers zu. Die IDSA-Leitlinien haben einen wesentlichen Einfluss auf die medizinische Behandlung der Lyme-Borreliose. Sie werden häufig von den Versicherungsgesellschaften herangezogen, um die Übernahme der Kosten von Langzeitbehandlungen mit Antibiotika oder andere Behandlungen einzuschränken — und sie beeinflussen darüber hinaus auch in erheblichem Masse die Entscheidungen der Ärzte über Art und Umfang der Therapie. Versicherungsgesellschaften verweigerten unter Berufung auf diese Leitlinien die finanzielle Übernahme von Antibiotika-Langzeitbehandlungen. Aus den Leitlinien wird zudem auch häufig der Schluss gezogen, dass es eine chronische Lyme-Borreliose nicht gebe. Diese Vereinbarung rechtfertigt meine Ermittlungen, in deren Verlauf ich finanzielle Interessen aufgedeckt und die Überprüfung der IDSA-Leitlinien durchgesetzt habe, sagte Blumenthal. Mein Ministerium stellte geheim gehaltene Interessenkonflikte von mehreren der einflussreichsten Mitglieder der IDSALeitlinien-Kommission fest. Was die chronische Lyme-Borreliose betrifft, ignorierte oder bagatellisierte die IDSA-Leitlinien-Kommission in unsachgemässer Weise Überlegungen und Erkenntnisse, die von ihren Meinungen abweichen. Somit stellt sich die ernsthafte Frage, ob die Empfehlungen alle relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse widerspiegeln.» Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
und der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (SGI) sowie von Eucalb (European Union Concerted Action on Lyme Borreliosis) im engen Schulterschluss mit ebendieser Expertenkommission der amerikanischen IDSA entwickelt wurden.
Fehldiagnose oder Fehlbehandlung?
2. In den USA führt ein medizinischer Dissens zur optimalen Prävention, Diagnose und Therapie der Lyme-Borreliose zu massiven öffentlichen Auseinandersetzungen. Im deutschsprachigen Raum sind aber deren Gründe und Hintergründe nur wenigen bekannt. Bereits seit Anfang der Neunzigerjahre werden die einseitigen und rigiden Empfehlungen der IDSA zu Diagnose und Therapie der Lyme-Borreliose von Fachleuten kritisiert, die sich in der ILADS (International Lyme and Associated Diseases Society) zusammengeschlossen haben. Im Fokus der Kontroversen stehen vor allem die späten Manifestationen dieser vom Grunde her mit Antibiotika heilbaren Krankheit.
Denn daran knüpft sich auch die Frage, ob Chronifizierungen auf Fehldiagnosen (falschnegative diagnostische Befunde) oder auf Fehlbehandlungen durch unterlassene oder unzureichende Antibiotikatherapien zurückzuführen sind.
— Das Vorkommen von zystischen, aber weiterhin überlebensfähigen Formen von Borrelia burgdorferi wurde vor allem unter der Gabe von Betalaktam-Antibiotika, wie Ceftriaxon, festgestellt. Ebenso
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zeigen Studien, dass diese Antibiotika nicht in der Lage sind, intrazelluläre Persister zu eliminieren. Inzwischen wurde auch ex vivo und in vivo ein intrazelluläres Vorkommen sowie die Entstehung von zystischen Formen unter Antibiotikagabe nachgewiesen. Die Studien zu diesen Persistenzmechanismen wurden alle von renommierten Universitäten und Instituten durchgeführt, wie etwa der Universität of Rhode Island, dem Max-von-Pettenkofer-Institut München, der Universität Wien, dem Institute of Public Health Prag, der Universität von British Columbia, der Universität Leipzig.
— Eine Sichtung des Studienmaterials zur Behandlung der Borreliose zeigt auch, dass nach den üblichen 14-tägigen bis 4-wöchigen antibiotischen Behandlungen häufig weiterhin Symptome bestehen bleiben oder nach einer kurzfristigen Besserung erneut auftreten. In einigen Studien werden jedoch die Therapieversager dadurch heruntergerechnet, dass zahlreiche späte Symptome nicht mehr als erregerverursacht, sondern als Residualsyndrom deklariert wurden. Den Beweis dafür, dass diese Spätsymptome tatsächlich durch postinfektiöse oder andere erregerunabhängige immunpathologische Prozesse verursacht werden, sind allerdings diejenigen Wissenschafter, die behaupten, die von ihnen empfohlenen Therapien würden in jedem Fall zu einer kompletten Erregereliminierung führen, bisher schuldig geblieben.
3. Das «Post-Lyme-Syndrom» wird zwar häufig in der amerikanischen Literatur mit «chronischer Borreliose» gleichgesetzt. Das ist jedoch schon allein deshalb irreführend, da eine Lyme-Borreliose im späten Stadium die unterschiedlichsten Krankheitsmanifestationen verursachen kann. Hier sind unter anderem die LymeEnzephalopathie, die Lyme-Arthritis und die Enzephalomyelitis und im europäischen Raum auch die ACA (Acrodermatitis chronica atrophicans) zu nennen. Das Vorkommen dieser späten Formen wird
auch von der IDSA, Eucalb, DGN und der SGI im Übrigen nicht bestritten. In zahlreichen weiteren Studien werden zudem für das Spätstadium Erkrankungen wie Morphea, Lichen sclerosus sowie neuropsychiatrische und neurodegenerative Erkrankungen angegeben.
4. Die häufig auch von den deutschsprachigen Medizinmedien zitierte amerikanische Studie von Klempner et al. zur Behandelbarkeit der Fibromyalgie-ähnlichen Symptome (Post-Lyme-Syndrom) weist bei näherer Betrachtung so umfangreiche Fehler im Studiensetting und in der Ergebnisinterpretation auf, dass sie im amerikanischen Raum keine allgemeine Akzeptanz gefunden hat. Die beiden weiteren Studien von Krupp et al. sowie von Fallon et al. sind leider wiederum nur mit Ceftriaxon durchgeführt worden, weshalb die Ergebnisse nur belegen, dass es mit diesem Antibiotikum zu nicht sehr zufriedenstellenden Ergebnissen kommt. Das wäre jedoch vor allem mit den oben genannten Persistenzmechanismen bei einer CeftriaxonBehandlung erklärbar. Rückschlüsse auf die Behandelbarkeit mit anderen Antibiotikaklassen (höher dosiert und länger verabreicht) können aus diesen Studien jedoch nicht gezogen werden.
5. Die Unzuverlässigkeit der Borrelienserologie ist ein weites Feld. Laut der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (MiQ Lyme-Borreliose, 2000) kommt es im frühen Stadium zu etwa 50 Prozent und im Stadium II zu immerhin noch 70 bis 90 Prozent negativen serologischen Befunden. Zudem können zahlreiche weitere Gründe auch im III. Stadium zu einer Seronegativität führen, was durch seriöse Studien belegt wurde. Pauschale Aussagen zur Sensitivität und Spezifität der Borrelienserologie sind jedoch schon deshalb nicht möglich, da auch in Europa zahlreiche Tests mit zahlreichen Antigenkompositionen und unterschiedlicher Qualität auf dem Markt sind. Eine Standardisierung dieser Tests gibt es bisher nicht.
Dringend notwendige Massnahmen zur Verbesserung der äusserst schlechten Versorgungssituation von Borreliosepatienten werden vor allem dadurch verhindert, dass Mediziner und Wissenschaftler die tatsächlich vorhandenen präventiven, diagnostischen und therapeutischen Probleme verschleiern und Evidenz behaupten, die nicht vorhanden ist. ■
Jutta Zacharias Adresse : Internet: www.zecken-borreliose.de
Hinweis: Jutta Zacharias ist Autorin des Buches «Lyme-Borreliose — das diagnostische und therapeutische Dilemma»
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