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Auf dem Weg zu oralen Therapien:
Fumarsäure hat bei MS neuroprotektive Wirkungen
Bei chronischer schwerer Plaque-Psoriasis wird Fumarsäure in einer oralen Formulierung mit einigem Erfolg eingesetzt. Erste Beobachtungen hatten daraufhin hingewiesen, dass auch Patienten mit schubförmig remittierender (relapsing-remitting) multipler Sklerose profitieren. Dies wurde in einer randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Phase-IIb-Studie näher untersucht, die von Ludwig Kappos, Universitätsspital Basel, und Mitautoren soeben in «The Lancet» veröffentlicht wurde. Teilgenommen hatten 257 Patienten zwischen 18 und 55 Jahren, die für 24 Wochen randomisiert Dimethylfumarat (BG00012) in drei Dosierungen (1 × 120 mg/Tag, 3 × 120 mg/Tag, 3 × 240 mg/Tag) oder Plazebo per os erhielten. Während einer Verlängerungsphase von ebenfalls 24 Wochen erhielten auch die ursprünglichen Plazebopatienten 3 × 240 mg BG00012 täglich per os. Die Behandlung mit dieser höchsten Dosierung reduzierte im Vergleich zu Plazebo die
Gesamtzahl neuer gadoliniumanreichernder Läsionen um 69 Prozent (1,4 vs. 4,5, p < 0,0001) und verringerte auch die Anzahl neuer oder an Grösse zunehmender T2-hyperintenser (p = 0,0006) sowie neuer T2-hypointenser (p = 0,014) Läsionen. Klinisch war unter BG00012 auch eine nicht signifikante Abnahme der annualisierten Rückfallrate um 32 Prozent zu verzeichnen (0,44 vs. 0,65, p = 0,272). Unter dem oralen Fumarsäurepräparat waren als Nebenerscheinungen Bauchweh, Hautrötungen und Hitzewallungen häufiger als unter Plazebo. Dosisabhängige Nebenwirkungen waren Kopfweh, Müdigkeit und Hitzegefühl. Wie Professor Kappos in einem Interview mit «The Lancet» präzisiert, kann die schubförmig remittierende multiple Sklerose heute mit Interferon-beta, Glatirameracetat sowie Natalizumab und Mitoxantron recht gut behandelt werden, aber nicht alle Patienten profitieren ausreichend, und die bisherigen Therapien haben den grossen Nachteil, dass sie gespritzt werden müssen. Angesichts der langfristig notwendigen Behandlung wünschen sich viele Patienten sehnlichst weniger belastende orale Therapien. Fumarsäure erweist sich hierbei als sehr viel versprechende Substanz, da sie nicht nur über eine Beeinflussung des Th4/Th2-Verhältnisses immunmodulierend wirkt, sondern auch direkt verschiedene endogene neuroprotektive Mechanismen positiv beeinflusst. Im Bereich der Multiple-Sklerose-Forschung laufen zurzeit zahlreiche Studien mit oral anwendbaren Substanzen. Neben Fumarsäure sind dies beispielsweise Cladribin, Fingolimod, Teriflunomid und Laquinimod. Es besteht daher Hoffnung, dass Neurologen innert der nächsten vier bis fünf Jahre bei der Therapie der schubförmig remittierenden multiplen Sklerose aus bis zu 5 Substanzen werden auswählen können. ■ H.B. Nach der Marktrücknahme von Acomplia®: Neues Medikament gegen Adipositas im Anmarsch Das Antiadipositum Rimonabant (Acomplia®) ist (auch) in der Schweiz bis auf Weiteres vom Markt genommen worden. Grund ist das mögliche Auftreten von Depressionen unter der Therapie. Patienten, die das Medikament derzeit einnehmen, wird von der Herstellerfirma empfohlen, ohne Eile den Arzt zu konsultieren, ein abruptes Absetzen ist nicht erforderlich. Das laufende Studienprogramm will die Herstellerfirma nach Absprache mit Swissmedic jedoch grösstenteils weiterführen. Unterdessen hat die europäische Arzneimittelbehörde EMEA sich dafür ausgesprochen, Orlistat (Xenical®) von der Rezeptpflicht zu entbinden. Sie folgt damit einer entsprechenden Genehmigung der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA. Inzwischen erscheint mit Tesofensin bereits ein neues Antiadipositum am Horizont. Die Substanz, die die Wiederaufnahme mehrerer Neurotransmitter aus dem synaptischen Spalt hemmt, war ursprünglich zur Behandlung von degenerativen Hirnerkrankungen entwickelt worden. Bei ersten Studien mit Alzheimer- und Parkinson-Patienten fiel dann auf, dass die Teilnehmer erheblich an Gewicht einbüssten. Grund genug für eine dänische Arbeitsgruppe, die Substanz bei adipösen Patienten genauer unter die Lupe zu nehmen. Ihre nun publizierte Phase-II-Studie bei 203 Patienten bestätigt die ausgeprägten Effekte (Lancet 2008; doi: 10.1016/S0140-6736[08] 61525-1). Die Patienten hatten einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 30 und 40 kg/m2. Unter der Therapie mit 0,5 mg Tesofensin pro Tag nahmen die Patienten in sechs Monaten durchschnittlich 9,1 kg mehr ab als unter Plazebo, in der doppelten Dosis verloren die Patienten sogar 10,6 kg. Nach Angaben der Studienautoren übertrifft Tesofensin damit den Wirkungsgrad von Orlistat, Sibu- tramin und Rimonabant deutlich. Wie die dänische Herstellerfirma NeuroSearch mit- teilt, hielten die Effekte in der Anschluss- phase über 48 Wochen an. Diese Resultate sind aber noch nicht publiziert. Der Herstel- ler plant nun nach eigenen Angaben eine Phase-III-Studie, wahrscheinlich mit der niedrigen Tesofensindosis. Schon jetzt ist allerdings klar, dass das Medikament keineswegs frei von Neben- wirkungen ist. In der aktuellen Studie klag- ten 42 Prozent über Mundtrockenheit, 20 Prozent über Übelkeit, 10 Prozent über Flatulenz und 12 Prozent über Schlaflosig- keit. Ob Tesofensin letztlich die Hoffnungen erfüllen wird, bleibt abzuwarten. ■ U.B. 972 ARS MEDICI 22 ■ 2008