Transkript
arsenicum
L etzten Samstag habe ich meine Praxis geschlossen und eine Fortbildungsveranstaltung in der etwas entfernter gelegenen Stadt besucht. Als Hausarzt vom Lande fällt man irgendwie auf, auch wenn keine Mistbollen an den Schuhen kleben. Insbesondere als ich bei den Lachshäppchen stand, neben meinem ehemaligen Oberarzt, der seit Jahren eine Praxis aurea führt, war der Unterschied sichtbar. Und nicht nur, weil ich mir Unmengen der leckeren, pharmagesponsorten Schnittchen einverleibte, während er mit gequälter Miene mitteilte, er dürfe nicht. Wegen der Linie. Wobei die mir gut erschien und bestens präsentiert wurde. In leichtem Kaschmir-Sakko, monogrammiertem Egyptian-CottonHemd mit Button-down-Kragen und Pura-Seta-Krawatte von Armani zur massgeschneiderten GucciHose aus Dupionseide. Doch das Gesamtkunstwerk aus Alta Moda Uomo und Savile Row war nervös und teilte mir leise mit, dass er am Montag Besuch von zwei Herren der santésuisse habe. Ich starrte auf seine handgenähten Lobbs und er auf meine Dosenbachs, während er etwas von Wirtschaftlichkeitsverfahren murmelte. Der Professor, der uns gerade weitergebildet hatte, gönnte sich ein Glas Wasser (wegen der Linie?) und stimmte in die Klage mit ein. Volkswirtschaftlich gesehen ist dieser Mann aber selbst eine Katastrophe, weil er 18 Stunden täglich im Spital ist, gar keine Zeit hat, sein Honorar auszugeben und damit die Wirtschaft anzukurbeln. Wenigstens stützt er die UBS, wo sein Geld zurzeit noch liegt. Wobei er sich überlegt, ob er es nicht auf die Postbank tun sollte. Ich hingegen zahle nur die 8000 Franken Steuergelder an die UBS, wozu mich der Bundesrat mit seiner Stützaktion verknurrt hat. Und überlege, wo die Postbank noch mündelsicher anlegen kann, wenn auf der ganzen Welt der Finanzmarkt zusammenbricht. Doch dank des Cüpli war ich in Champagnerlaune und fand Spass daran, die Herren zu verunsichern. «Ich habe Diamanten gekauft!», nuschelte ich mit vollem Mund. «WAAAS?», fragten beide unisono. «Für deine Frau?» Man sah ihnen förmlich an, wie sie sich meine bessere Hälfte mit einer Diamantentiara im Grauhaar vorstellten. «Nein, natürlich Rohdiamanten. Zur Geldsicherung. Weil die Mode des Diamantenschliffs sich ändert,
sollte man nie geschliffene kaufen!», näselte ich. Die beiden hatten augenscheinlich nicht realisiert, mit welch hochkarätigem Kollegen sie zu tun hatten. «Tatsächlich?!», staunten sie. «Nun, ich bin gut abgesichert», fantasierte ich weiter. «Immobilien. Ländereien. Investitionen in junge Manpower. Shares und Stakes in Schwellenländern.» In den Augen der Kollegen glitzerte Anerkennung und Gier. Sie realisierten nicht, dass ich über meine mit Hypotheken belastete Doppelhaushälfte, das handtuchschmale Gärtchen davor, meine Kinder und das Stipendium für mein indisches Göttimädchen sprach. Die beiden orakelten, was noch weiter mit dem Dax passieren könne. Bei uns auf dem Land ist das ein schwarzweiss gestreiftes Tier, das sich nur nachts aus seinem Bau wagt. Auf dem Rückweg traf ich im Zug eine Patientin. Sie weinte. Ihr Mann war gerade von der UBS entlassen worden. Wegen der Finanzkrise war der 57-Jährige «redundant». Der Chef seines Chefs erhielte seinen Bonus aber wie jedes Jahr, das sei arbeitsrechtlich halt so. In der Post war ein Brief meines Dachspenglers. Ob ich eine Akontozahlung im Voraus machen könne. Die Bank habe ihm einen schon zugesicherten Kredit gekündigt, da sie in der «Kreditklemme» sei, und nun habe er Mühe, die neue Hubkanzel zu zahlen. Und ohne die könne er einen lukrativen Neuauftrag kaum ausführen, was ihn in eine höchstpersönliche Finanzkrise treibe, da man ihm einige Aufträge wegen der weltweiten Finanzkrise gekündigt habe. Im Fernsehen zeigten sie, wie die Belegschaft darauf reagierte, dass diverse Autohersteller nun Kurzarbeit und Überstundenabfeiern befahlen. Ich machte den Fernseher aus, weil sogar arte.tv über Geld berichtete und griff zum «Magazin». Auch dort war die Finanzkrise das Thema, aber wenigstens süffig-zynisch von Daniel Binswanger analysiert. «Glücklicherweise habe ich noch vorher ein bisschen Geld gut angelegt!», strahlte meine Frau. «Drei Tage vor dem Crash habe ich sechs Kisten exzellenten Wein gekauft und im Keller eingelagert!» «Wir sollten dir Diamanten kaufen!», lächelte ich.
Finanzkrise
974 ARS MEDICI 22 ■ 2008