Transkript
BERICHT
Eisenmangel ohne Anämie
Wann sind Eisenpräparate sinnvoll?
Beschwerden aufgrund eines Eisenmangels, aber in Abwesenheit einer Anämie, sind derzeit ein Thema, das auch durch die Laienpresse geistert. «Einige verfolgen dies im Sinne einer Mission, andere ignorieren das Thema — wir müssen hier schauen, wo die Mitte liegt und welche Evidenz wir haben.» So eröffnete Professor Dr. Edouard Battegay, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin am Universitätsspital Zürich, seinen Vortrag anlässlich eines Satellitensymposiums*, zu dem Vifor SA an der SGIMJahrestagung in Lausanne eingeladen hatte.
ULRIKE NOVOTNY
Eisenabhängig sind viele Enzyme, die mit der Blutbildung nichts zu tun haben, beispielsweise Enzyme im Skelettmuskel (Bildung von ATP) oder im Gehirn (Funktion an den Dopamin-D2-Rezeptoren, GABA). Beteiligt ist stark komplexiertes Häm-Eisen an der Funktion von Myoglobin, Oxigenasen, NO-Synthasen, Peroxidasen und Zytochromen, in NichtHäm-Form an Metalloproteinen, Zyklooxigenasen, Lipooxigenasen und weiteren Enzymen. Theoretisch ist also vorstellbar, dass ein Eisenmangel Beschwerden hervorruft, doch ist dies klinisch tatsächlich relevant? Edouard Battegay zitierte eine Studie aus der Westschweiz, die im «British Medical Journal» publiziert worden war (1). Sie umfasste 144 Frauen von 18 bis 55 Jahren mit Fatigue, bei denen eine
* Eisenmangel ohne Anämie und Neuheiten im Bereich der Eisentherapie. Satellitensymposium Vifor SA, SGIM-Jahresversammlung Lausanne, 23. Mai 2008.
Anämie ausgeschlossen war. Die Frauen erhielten randomisiert entweder Eisen oder Plazebo über 4 Wochen. Das Fatigueniveau ging um 29 Prozent (orales Eisenpräparat) versus 13 Prozent (Plazebo) signifikant zurück (p = 0,004). Die Subgruppenanalyse zeigte eine Wirkung betont bei Frauen mit einem Serumferritinspiegel ≤ 50 µg/l. Bei 42 jüngeren Frauen (18–33 Jahre) ohne Anämie prüfte eine weitere Studie (2) die Leistungsfähigkeit am Veloergometer. Randomisiert erhielten sie entweder Eisen oral oder Plazebo über 6 Wochen. 2 Wochen nach Studienbeginn trainierten sie für 4 Wochen regelmässig. Unter der Eisensubstitution absolvierten die Frauen 15 km signifikant schneller als Frauen unter Plazebo. Dass bei Eisenmangel ohne Anämie auch die Kognition respektive das verbale Lernen durch orale Eisensubstitution über acht Wochen signifikant besser wurde, erbrachte eine dritte Studie bei 81 jungen Frauen (Alter um 16 Jahre) mit Hämoglobinspiegeln um 13,0 g/dl
Professor Edouard Battegay, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin am Universitätsspital Zürich
und Ferritinspiegeln von 9 µg/l (3). Sie wurde durch eine aktuelle Studie (4) bestätigt. Hier wurden anämische und nicht anämische, aber eisendefiziente Frauen zwischen 18 und 35 Jahren auf ihre Kognition geprüft, zu Studienbeginn und nach randomisierter Therapie mit Eisensupplementation oder Plazebo über 16 Wochen. Auch hier war die Kognition vom erreichten Ferritinspiegel abhängig, nicht nur vom Ausgleich einer vorhandenen Anämie.
Wann pharmakologische Eisentherapie? Edouard Battegay stellte einen Algorithmus für die Diagnostik bei Anämie (Hämoglobin < 12 g/dl für Frauen und < 13 g/dl für Männer) vor. Liegt der Ferritinspiegel im Bereich zwischen 15 (Frauen) beziehungsweise 30 (Männer) und 100 µg/l, muss eine Entzündung
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ausgeschlossen werden. Liegt keine Entzündung vor, besteht hier kein Eisenmangel. Bei nachgewiesener Entzündung diskriminiert die Bestimmung des löslichen Transferrinrezeptors zwischen Eisenmangel und Anämie ohne Eisenmangel. Eisenrefraktäre Anämien beruhen zum Beispiel auf atrophischer Gastritis, Helicobacter pylori, Sprue oder Blutungsquellen im Gastrointestinaltrakt; eine endoskopische Klärung ist hier immer bei Männern, bei postmenopausalen Frauen sowie bei unklarem oder therapierefraktärem Eisenmangel anzustreben.
Eisensubstitution
Bei nachgewiesener Eisenmangelanä-
mie steht die Substitution ausser Frage.
Die Erythropoese ist ab Ferritinwerten
von 25 bis 40 µg/l beeinträchtigt (5).
Legt eine sonst unerklärte Müdigkeit
den Verdacht auf einen symptoma-
tischen Eisenmangel nahe, so ist die
perorale Eisensubstitution bei Ferritin-
spiegeln unter 50 µg/l wissenschaftlich
begründbar, fasste Professor Battegay
zusammen. Sie steht an erster Stelle. Die
intravenöse Eisentherapie ist indiziert
bei Nebenwirkungen der oralen Thera-
pie (auf korrekte Einnahme wie Abstand
zum Essen achten!), bei Malabsorption
und schwerer symptomatischer Eisen-
mangelanämie.
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Ulrike Novotny
Interessenlage: Die Autorin war von Vifor SA an das Symposium eingeladen, die Firma hatte keinen Einfluss auf den Inhalt des Artikels.
Literatur: 1. Verdon F. et al.: Iron supplementation for unexplained
fatigue in non-anaemic women: double blind randomised placebo controlled trial. Brit Med J 2003; 326: 1124. 2. Hinton P.S. et al.: Iron supplementation improves endurance after training in iron-depleted, nonanemic women. J Appl Physiol 2000; 88: 1103—1111. 3. Bruner A.B. et al.: Randomised study of cognitive effects of iron supplementation in non-anaemic iron-deficient adolescent girls. Lancet 1996; 348: 992—996. 4. Murray-Kolb L.E. et al.: Iron treatment normalizes cognitive functioning in young women. Am J Clin Nutr 2007; 85: 778—787. 5. Hallberg L. et al.: Screening for iron deficiency: an analysis based on bone-marrow examinations and serum ferritin determinations in a population sample of women. Br J Haematol 1993; 85: 787—798.