Transkript
Venöse Thromboembolien bei Hormonersatztherapie
Kein erhöhtes Risiko bei transdermaler Östrogenapplikation?
FORTBILDUNG
Im Rahmen einer Hormonersatztherapie bei post-
menopausalen Frauen wirkt sich der Pfad der Östro-
genapplikation möglicherweise auf das Risiko für
venöse Thromboembolien aus. Eine Metaanalyse
von Beobachtungsstudien und randomisierten
Untersuchungen ergab, dass orale Östrogene das
thromboembolische Risiko erhöhen, transdermal
verabreichte dagegen nicht.
BMJ
Eine Hormonersatztherapie kann die Lebensqualität von Frauen mit Östrogenmangelsymptomen verbessern und wirkt während der Einnahmedauer präventiv gegen Osteoporose. Neue Daten belegen jedoch, dass die Gesundheitsrisiken einer Hormonersatztherapie den Nutzen überwiegen. Zu den möglichen negativen Folgewirkungen gehören Brustkrebserkrankungen und venöse Thromboembolien. Kontrollierte randomisierte Studien weisen zudem darauf hin, dass eine Hormonersatztherapie auch das Risiko für koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle erhöht. Trotz gesicherter Erkenntnisse, dass orales Östrogen die Blutkoagulation postmenopausaler Frauen aktiviert, glaubte man etwa bis 1996, dass eine Hormonersatztherapie das Thromboserisiko nur geringfügig beeinflusst. Neuere Beobachtungsstudien zeigen jedoch konsistente Zusammenhänge zwischen der derzeit üblichen Hormonersatztherapie und einem erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien. Randomisierte kontrollierte Studien bestätigen diese Ergebnisse. Aktuelle Studienergebnisse legen ausserdem nahe, dass der Pfad der Östrogenapplikation, oral oder transdermal, für das thromboembolische Risiko von Bedeutung sein könnte. Marianne Canonico und ihr Team gingen dieser Fragestellung nach, indem sie das Risiko für venöse Thromboembolien bei Frauen während einer Hormonersatztherapie anhand einer Metaanalyse untersuchten. Auf der Basis einer Medline-
Recherche in englischsprachigen Quellen werteten sie nach Prüfung der methodischen Qualität acht Beobachtungsstudien (sieben Fallkontrollstudien, eine Kohortenstudie) und 9 randomisierte kontrollierte Studien des Zeitraums von 1974 bis 2007 (Tabelle) aus, in denen Art und Häufigkeit venöser Thromboembolien im Zusammenhang mit Hormonersatztherapien bei postmenopausalen Frauen dokumentiert worden waren. In allen Beobachtungsstudien wurde das Risiko für venöse Thromboembolien in Verbindung mit oralen Östrogenen untersucht. In 4 dieser Studien wurde dieses Risiko auch im Zusammenhang mit einer transdermalen Östrogenapplikation evaluiert. In den Beobachtungsstudien wurden die Frauen mit 17-beta-Östradiol, konjugierten equinen Östrogenen oder veresterten Östrogenen behandelt. Klinische Endpunkte waren meist erstmalig auftretende idiopathische tiefe Venenthrombosen oder pulmonale Embolien.
Höheres Thromboserisiko bei oralen Östrogenen Die Metaanalyse der Beobachtungsstudien ergab, dass eine orale Östrogengabe das Risiko für venöse Thromboembolien erhöhte, die transdermale Applikation dagegen nicht. Im Vergleich zu Frauen ohne Hormonersatztherapie betrug die Odds Ratio bei oraler Gabe 2,5 (95%-KI), bei transdermaler Applikation dagegen lediglich 1,2. Bei Frauen, die in der Vergangenheit orale Östrogene eingenommen hatten, lag das Risiko
Merksätze
■ Orale Östrogene erhöhen bei postmenopausalen Frauen das Risiko für venöse Thromboembolien.
■ Im ersten Behandlungsjahr mit oralen Östrogenen ist das Risiko höher als in den folgenden.
■ Bei transdermaler Östrogenapplikation besteht kein erhöhtes thromboembolisches Risiko.
■ Bei Frauen mit bereits erhöhtem Risiko (prothrombotische Mutationen, hoher Body-Mass-Index) sollte die Gabe oraler Östrogene vermieden werden.
ARS MEDICI 21 ■ 2008 959
FORTBILDUNG
Tabelle: Ausgewertete randomisierte Studien
■ Postmenopausal estrogen/progestin interventions (PEPI, 1995) ■ Heart and estrogen/progestin replacement study (HERS, 1998) ■ Estrogen in venous thromboembolism trial (EVTET, 2000) ■ Estrogen replacement and atherosclerosis (ERA, 2000) ■ Women’s oestrogen for stroke trial (WEST, 2001) ■ Oestrogen in the prevention of reinfarction trial (ESPRIT, 2002) ■ Women’s health initiative I (WHI I, 2002) ■ Women’s health initiative II (WHI II, 2004) ■ Women’s international study of long duration oestrogen after
menopause (WISDOM, 2007)
wieder im Bereich unbehandelter Frauen. Während des ersten Jahres der oralen Einnahme war das Risiko für venöse Thromboembolien höher (Odds Ratio 4,0) als in den Folgejahren (Odds Ratio 2,1). Zwischen der oralen Östrogen-Monotherapie und einer Östrogen-Progesteron-Kombinationstherapie zeigte sich kein wesentlicher Unterschied bezüglich des Thromboserisikos (Odds Ratio 2,2 vs 2,6). Tiefe Venenthrombosen und pulmonale Embolien traten bei Einnahme oraler Östrogene in vergleichbarer Häufigkeit auf. Die Auswertungsergebnisse der 9 randomisierten Studien bestätigten das höhere Risiko für venöse Thromboembolien bei oraler Östrogenapplikation (2,1). In 4 Fallkontrollstudien und 2 randomisierten Studien erhöhten prothrombotische Mutationen (Faktor V Leiden und Prothrombin G20210A) das Risiko für venöse Thromboembolien um mehr als das Dreifache (Odds Ratio 3,3). Die Einnahme oraler Östrogene, vor allem equiner konjugierter Östrogene, steigerte das Risiko weiterhin (kombinierte Odds Ratio 8,0) im Vergleich zu Frauen, die keinen Hormonersatz erhielten. Bei transdermaler Östrogenapplikation erhöhte sich das Thromboserisiko dagegen nicht zusätzlich. Ähnliche Zusammenhänge wurden bei übergewichtigen und adipösen Frauen beobachtet. Ein hoher Body-Mass-Index (> 25) war ebenfalls bereits vor Therapiebeginn mit einem erhöhten Risiko für venöse Thromboembolien verbunden (Odds Ratio 2,6), das durch die Gabe oraler Östrogene zusätzlich anstieg (kombinierte Odds Ratio 5,4) im Vergleich zu unbehandelten Frauen mit einem Body-Mass-Index unter 25. Bei der Anwendung transdermaler Östrogene wurde auch bei übergewichtigen Frauen keine zusätzliche Steigerung des Thromboserisikos beobachtet.
zwischen prokoagulanten Faktoren und antithrombotischen
Mechanismen beeinträchtigen. Zudem erhöht orales Östrogen
im Gegensatz zu transdermalem die Plasmakonzentration des
Prothrombinfragments 1+2, eines Markers der Thrombin-
bildung in vivo, der das fibrinolytische Potenzial postmeno-
pausaler Frauen erhöht. Unter oralen Östrogenen wurde aus-
serdem eine niedrigere Antithrombinkonzentration beobach-
tet, die bei transdermalen Östrogenen nicht auftrat. Zudem
wurde bei Anwenderinnen oraler Östrogene eine erworbene
Resistenz gegenüber aktiviertem Protein C festgestellt. 2 ran-
domisierte Studien weisen darauf hin, dass diese Resistenz
bei transdermaler Anwendung nicht auftritt. Transdermales
Östrogen scheint somit die Hämostase nicht oder nur wenig zu
beeinträchtigen.
Die Ergebnisse der Metaanalyse könnten wichtige klinische
Implikationen umfassen. Pulmonale Embolien sind für etwa
ein Drittel der zusätzlichen Inzidenz potenziell fataler Ereig-
nisse im Zusammenhang mit der Hormonersatztherapie ver-
antwortlich. Das Risiko für venöse Thromboembolien ist daher
eine wichtige Determinante für das Nutzen-Risiko-Profil. Die
transdermale Östrogenapplikation könnte dieses Profil verbes-
sern, vor allem bei Frauen mit bereits erhöhtem Thrombose-
risiko beispielsweise aufgrund von prothrombotischen Muta-
tionen, Übergewicht oder Fettleibigkeit.
Als eine Schwäche ihrer Untersuchung werten die Autoren,
dass die Ergebnisse zu den Auswirkungen transdermaler
Östrogene auf das thromboembolische Risiko auf relativ weni-
gen Daten aus Beobachtungsstudien basieren, und empfehlen
daher eine vorsichtige Interpretation. Datenlücken zu den
Auswirkungen verschiedener Progesterone auf das Risiko für
venöse Thromboembolien betrachten die Autoren als weiteren
Mangel ihrer Untersuchung.
Ihr Fazit jedoch lautet: Die derzeit übliche orale Östrogen-
therapie erhöht das Risiko für venöse Thromboembolien, vor
allem im ersten Behandlungsjahr. Im Hinblick auf dieses Risiko
erscheint transdermales Östrogen als die sicherere Alternative.
Um die Einflüsse anderer Hormonregime, verschiedener
Applikationspfade und unterschiedlicher Dosierungen auf das
Thromboserisiko abzuschätzen, sind weitere Untersuchungen
notwendig.
■
Canonico Marianne, Plu-Bureau Geneviève et al.: Hormone replacement therapy and risk of venous thromboembolism in postmenopausal women: systematic review and meta-analysis, BMJ, 2008, 336, 1227—1231.
Interessenkonflikte: keine deklariert
Petra Stölting
Keine Resistenz bei transdermaler Applikation? Die unterschiedlichen Auswirkungen der Applikationswege auf das Thromboserisiko lassen sich durch biologische Erkenntnisse erklären. Die orale Östrogenzufuhr resultiert in einem hepatischen First-Pass-Effekt und kann die Balance
ARS MEDICI 21 ■ 2008 961