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Ein Stoffwechselparadox:
Beneidenswert: adipös und trotzdem metabolisch gesund
Nach der Hatz auf die Raucher dürfte bald die Jagd nach den Fettleibigen und Fettsüchtigen in Schwung kommen. Doch nicht alle Adipösen scheinen sich und damit dem «Volkskörper» und seinem Gesundheitssystem zu schaden. Was unter verschiedenen Namen – «metabolisch gesund aber adipös», «unkomplizierte Adipositas» oder «metabolisch benigne Adipositas» – Gestalt angenommen hat, betrifft eine Untergruppe von Fettleibigen, die hinsichtlich ihres Stoffwechsels und ihrer assoziierten kardiovaskulären Risiken Glück haben. Sie erfüllen zwar die Definition einer Adipositas mit einem Body-MassIndex ≥ 30 kg/m2, zeigen aber ungeachtet dessen eine bemerkenswert hohe Insulinsensitivität, keine Zeichen einer Hypertonie und normale Lipid-, Entzündungs- und Hormonprofile. Damit ist ihr metabolisches Profil von demjenigen junger magerer Individuen praktisch nicht zu unterscheiden.
Zumindest zwei langfristige Beobachtungsstudien dokumentieren zudem, dass dieses protektive Stoffwechselprofil sich für die Adipösen ohne Komplikationen auch in tiefen Inzidenzen von Diabetes Typ 2 und kardiovaskulären Erkrankungen niederschlug. Berechnungen gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent der Fettleibigen metabolisch gesund sind, eine neue Studie aus den USA berichtet von 31,7 Prozent der adipösen Erwachsenen, dass sie metabolisch gesund sind. Ebenfalls dieses Jahr wurde in den «Archives of Internal Medicine» eine Studie publiziert, die die Existenz metabolisch gesunder Fettleibiger bestätigt und einige mögliche Mechanismen charakterisiert, die für diese günstige Konstellation verantwortlich sein dürften (Arch Intern Med 2008; 168: 1609–1616). Bei metabolisch gesunden Adipösen lässt sich nachweisen, dass sie weniger Fett viszeral, in der Leber und den Muskeln einlagern als insulinresistente Fettleibige. Sie scheinen also freie Fettsäuren geschickter ins Fettgewebe einzubauen. Vorderhand offen bleibt, ob metabolisch gesunde Adipöse von Interventionen zur Ernährungsumstellung und vermehrter körperlicher Aktivität irgendeinen Stoffwechselnutzen hätten. In einer kürzlich erschienenen kanadischen Studie verbesserte eine sechsmonatige Kalorieneinschränkung die Insulinsensitivität bei fettleibigen Frauen um 26 Prozent, bei den initial metabolisch Gesunden nahm sie hingegen um 13 Prozent ab. Wie der Autor dieser Studie in einem Kommentar in «The Lancet» schreibt, könnte diese Untergruppe von Adipösen der Forschung wichtige Impulse geben, da sich hier die Rolle der Vererbung (Genexpression), der Stoffwechselwege der freien Fettsäuren und der Insulinsignalwege in den Mukselzellen sowie weiterer protektiver metabolischer Vorgänge studieren lassen (Lancet 2008; 372: 1281–1283). Schon jetzt lasse sich aber feststellen, dass ein Einheitsvorgehen bei der Behandlung aller Fettleibigen teilweise kontraproduktiv sein kann und dass Kohorten-
studien, welche metabolisch gesunde und
beeinträchtigte Adipöse in dieselbe Gruppe
einordnen zu verzerrten Ergebnissen kom-
men müssen. Und: Wer als Normalsterbli-
cher mit Gewichtsproblemen kämpft, sollte
metabolisch gesunde Adipöse nicht allzu
sehr beneiden, denn die nicht stoffwechsel-
bezogenen Komplikationen, etwa Arthro-
sen tragender Gelenke oder Schlafapnoe,
bleiben ihnen keineswegs erspart.
■
H.B
ADHS: eine Dosis Natur hilft
Wohl jeder kennt die entspannende Wirkung
eines Spaziergangs in der Natur — Kinder mit
einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS)
können durch eine «Dosis Natur» sogar ihre
Konzentrationsleistung steigern. Das zeigt eine
kleine kontrollierte Studie, die das amerikani-
sche Landscape and Human Health Laboratory
in Urbana-Champaign durchgeführt hat. An
dem Institut werden die Auswirkungen der
Natur auf die menschliche Gesundheit erforscht.
Die Studie, die im «Journal of Attention Disor-
ders» (2008; doi: 10.1177/1087054708323000)
publiziert wurde, lief wie folgt ab: 17 an ADHS
erkrankte Kinder im Alter zwischen sieben bis
zwölf Jahren machten mit einer Begleitperson
einmal pro Woche zwanzigminütige Spazier-
gänge, die entweder in die Innenstadt, um den
Wohnblock herum oder in einen Park führten.
Anschliessend mussten die Kinder einen ein-
fachen Konzentrationstest absolvieren. Beim
sogenannten Digit Span Backwards müssen sie
eine Reihenfolge von Zahlen in umgekehrter
Reihenfolge wiederholen.
Die eindeutig besten Ergebnisse erzielten die
Kinder nach den offenbar entspannenden Spa-
ziergängen im Park. Der Wirkungsgrad war
nach Auskunft der Autorinnen Frances Kuo
und Andrea Faber Taylor vergleichbar mit
einer üblichen Dosis von Methylphenidat
(Ritalin®). Eine bestehende Medikation wurde
an den Tagen des Spaziergangs abgesetzt.
Ansonsten versuchten die Forscher, andere
Einflussfaktoren zu eliminieren — ein Grund
dafür, dass von einer zunächst grösseren
Anzahl an Teilnehmern letztlich nur 17 übrig
blieben. Dass Spaziergänge in der Natur Medi-
kamente ersetzen können, beweist die Studie
jedoch nicht.
U.B.■
Foto: Klaus Duffner
932 ARS MEDICI 21 ■ 2008