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BERICHT
Aids: Die antivirale Therapie macht weiter Fortschritte ...
... jetzt kommt es darauf an, sie auch in den armen Ländern einzusetzen. Ein Bericht von der 17. Internationalen Aidskonferenz Mexico City 2008
Rund 22 000 Fachleute besuchten Anfang August die 17. Internationale Aidskonferenz in Mexico City. Die Konferenz deckt heute praktisch alle Aspekte der HIV-/Aidserkrankung ab. Auch die Behandlung mit antiretroviralen Mitteln kam zur Sprache, und es wurden einige neue Studiendaten präsentiert. Diese stehen im Einklang mit den neuen Richtlinien der International Aids Society (IAS), die auf der Konferenz ebenfalls vorgestellt wurden.
THOMAS FERBER
Es gibt wohl kaum eine internationale medizinische Konferenz, auf der besser zum Ausdruck käme, wie vielfältig unsere Welt ist. Normalerweise herrscht an Konferenzen eine gewisse Grautönigkeit bei den Tenues der Konferenzteilnehmer, die mehrheitlich aus der ersten Welt stammen. Nicht so in Mexico City, im Centro Banamex, dem Konferenzzentrum, wo es recht farbenfroh zuging. Anwesend waren eben nicht nur Ärzte, sondern auch Angehörige praktisch aller Gesundheitsberufe, eine Reihe von Patienten sowie Vertreter von vielen verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Es würde hier den Rahmen sprengen, auf alle Themen einzugehen, die diskutiert wurden. Wer sich interessiert, der gewinnt auf der Website www.aids2008.org schnell einen umfassenden Überblick und kann sich auch Spezialthemen widmen und die entsprechenden Abstracts einsehen (2). Während in den vergangenen Jahren regelmässig Pharmafirmen zur Zielscheibe von Protestaktionen von Patientenorganisationen wurden, waren es
dieses Jahr Regierungen, die infolge von Diskriminierungen von Menschen mit HIV an die Kasse kamen. Praktisch alle bedeutenden Pharmafirmen unterhalten heute umfangreiche Programme, mit denen die Erforschung und Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten speziell auch in der 2. und 3. Welt unterstützt werden. Zur Therapie gehören hierbei nicht nur Präparate, sondern auch Erkenntnisse, wie Patienten gerade in medizinisch unterversorgten Regionen besonders nachhaltig unterstützt und behandelt werden können. Immer mehr wird auch dazu übergegangen, Gelder nicht einfach wahllos zu platzieren. Es wird vielmehr auch überprüft, ob die Massnahmen auch greifen. Publiziert wurde an der Konferenz eine Vielzahl von Studien, die in der 2. und 3. Welt mit Firmenunterstützung durchgeführt wurden.
EKAF verteidigt ihre Position Die Position der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (EKAF) hat weltweit für Diskussionen gesorgt: HIVPatienten könnten unter erfolgreicher Therapie, also bei nicht nachweisbarem
Viral load, unter gestimmten Umständen (vgl. Ars Medici 6/2008) ungeschützten Geschlechtsverkehr haben. In einem Symposium unter der Leitung von Pietro Vernazza, St. Gallen, konnten nun in Mexico City eine Reihe von Missverständnissen ausgeräumt und die Haltung der EKAF international gestärkt werden: Ungeschützter Sex kann unter festen Partnern unter gewissen sehr strengen Prämissen erfolgen (3). Dies gilt nicht «in der freien Wildbahn». Nach wie vor stellt hier ungeschütztes Risikoverhalten eine Hauptansteckungsquelle dar, und hier wiederum stehen Personen mit einer primären Infektion (PHI) im Vordergrund von Präventionsbemühungen, weil rund die Hälfte aller Übertragungen auf ihr Konto gehen. Die Aktion «Mission possible» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) in Zusammenarbeit mit der Aids-Hilfe Schweiz vermochte zu zeigen, dass es möglich ist, Personen, die besonders gefährdet sind, zu erreichen, zu informieren und für ein Safersex-Verhalten zu mobilisieren (4). Die Auswertung läuft derzeit und wird zeigen, ob die Aktion zu weniger Ansteckungen geführt hat.
Therapiestart folgt bewährten Schemen Die IAS (International AIDS Society) empfiehlt heute, alle Personen mit HIV zu behandeln, wenn bei ihnen HIVassoziierte Symptome auftreten (1). Zusätzlich sollen aber auch alle diejenigen behandelt werden, die trotz fehlender Symptome CD4-Werte unter 350 pro ml Blut aufweisen. Eine rapide Verringerung der CD4-Werte um mehr als 100 pro Jahr oder eine Virusbelastung von mehr als 100 000 Kopien pro ml Plasma
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Pietro Vernazza: «Kein ungeschützter Sex in freier Wildbahn!»
rechtfertigt ebenfalls den Beginn einer antiretroviralen Therapie. Da HIV eine direkte pathogene Wirkung auf das kardiovaskuläre System hat, wird auch bei Personen mit kardiovaskulären Risikofaktoren ein früherer Therapiebeginn empfohlen. Die Risikofaktoren selbst sollten zudem bevorzugt angegangen werden (Rauchstopp, Antihypertensiva etc.). Immer noch Standard ist der Therapiebeginn mit dem Rückgrat von zwei Nukleosid-Reversetranskriptase-Inhibitoren (NRTI, im Jargon als NRTI-Backbone bezeichnet) sowie zusätzlich entweder einem Nichtnukleosid-Reversetranskriptase-Inhibitor (NNRTI, z.B. Efavirenz oder Nevirapin) oder einem Proteasehemmer (PI) (1). Nevirapin gilt als «lipidfreundlich» und hat immer noch den geringsten metabolischen Impact aller etablierten Substanzklassen. Die PI werden heute stets durch Ritonavir 100 mg verstärkt und entsprechend zusätzlich mit einem r gekennzeichnet (PI/r). In Frage kommen mehrere PI/r (Lopinavir/r, Atazanavir/r, Fosamprenavir/r, Tipranavir/r, Darunavir/r, Saquinavir/r). Lopinavir/r (LPV/r) ist die am besten untersuchte PI/r-Kombination und gilt als Vergleichspartner in Studien mit anderen Kombinationen von PI/r. LPV/r ist die einzige Kombination
in einer Filmtablette und braucht nicht gekühlt zu werden. Nachteile sind die relativ häufige Diarrhö sowie die Erhöhung der Triglyzeride. Atazanavir/r (ATV/r) ist ebenso wirksam wie LPV/r, hat jedoch weniger gastrointestinale Nebenwirkungen. Fosamprenavir/r ist in der zweimal täglichen Dosierung in puncto Wirkung und Nebenwirkung mit LPV/r vergleichbar. Saquinavir/r hingegen hat bei vergleichbarer Wirksamkeit zu LPV/r eine günstigere Wirkung auf die Triglyzeride und verursacht seltener Diarrhö. Darunavir/r (DRV/r) einmal täglich in der Dosis von 800/100 mg wirkt gemäss ARTEMIS gleich gut wie LPV/r und wird besser vertragen (5). Auch in der Dosierung von 800/100 mg bleibt die In-vitro-Empfindlichkeit gegenüber HIV über ein breites Spektrum hin erhalten (6).
Derzeit werden auch Alternativen diskutiert, wie beispielsweise der Integrasehemmer Raltegravir plus zwei NRTI, die ohne einen PI oder einen NNRTI auskommen. Hier müssen aber noch die Ergebnisse von Phase-3-Studien abgewartet werden. In gut begründeten Ausnahmefällen kann diese Kombination jedoch schon eingesetzt werden (1). Als NRTI-Backbone kommen derzeit fixe Dosiskombinationen von entweder Teno-
fovir/Emtricitabine oder Abacavir/Lamivudine in Frage (1). Die kürzlich beobachteten Risiken von Myokardinfarkten im Zusammenhang mit Abacavir (7) wurden relativiert (8) und haben nicht grundsätzlich zu einer Abkehr von Abacavir geführt. Denn die antiretrovirale Wirkung ist nach wie vor unbestritten, und bei Personen ohne kardiovaskuläre Risiken besteht aufgrund der Daten kein Grund zur Besorgnis. Hingegen wird bei Patienten mit erhöhten kardiovaskulären Risiken zur Vorsicht geraten. Bei einer Viruslast (HIV-RNA) von über 100 000 Kopien pro ml Plasma soll die Kombination gemäss einer Studie weniger wirksam sein als der andere Backbone mit Tenofovir/Emtricitabine (9). Allerdings werden die Daten aufgrund einer weiteren Auswertung widerlegt (10), sodass auch hier kein Grund zu bestehen scheint, von Abacvir/Lamivudine abzusehen (1). Für Spezialfälle wie beispielsweise eine gleichzeitig vorliegende Tuberkulose sei auf die ausführlichen Empfehlungen der IAS verwiesen (1). Der Einsatz des CCR5-Antagonisten Maraviroc bei therapienaiven Patienten wird derzeit nicht empfohlen, ebenso wenig eine Monotherapie mit einer PI/r-Kombination.
Monitoring mit klaren Vorgaben Vor Therapiebeginn soll eine genotypische Resistenzbestimmung erfolgen. Der Behandlungsverlauf soll in der Anfangsphase mittels Bestimmung der Viruslast laufend kontrolliert werden (Wochen 2, 4, 8 und weiter alle 4 Wochen), bis die Anzahl der Kopien unter die Nachweisbarkeitsgrenze von 50 pro ml Plasma fällt. Anschliessend reichen 3–4 Kontrollen pro Jahr. Werden CD4Werte von mehr als 350 pro ml Blut erreicht, dann genügen zwei Kontrollen pro Jahr. Kann die Viruslast nicht innert nützlicher Frist gesenkt werden, so sollte erneut eine genotypische Resistenzbestimmung erfolgen (1). Schliesslich gilt auch ein wichtiges Augenmerk den kardiovaskulären Risikofaktoren sowie den Nieren- und Leberparametern. Vorgängig des Einsatzes von Abacavir muss der HLA-B*5701-Haplotyp ausgeschlossen werden. Kommt bei
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Therapieversagen Maraviroc in Frage, dann muss der virale Tropismus bestimmt werden, da der CCR5-Antagonist nur bei einem ausschliesslichen CCR5Tropismus von HIV (sog. R5-Viren) eine klinische Wirkung entfaltet. Im Rahmen der Einführung von Maraviroc und des Co-Rezeptor-Testes Trofile bei Monogram wurde ein Projekt der Schweizer HIV-Kohortenstudie unter Leitung von Manuel Battegay und Thomas Klimkait, beide Basel, gestartet. Hierbei soll parallel zu Trofile geprüft werden, ob der verfügbare Test XTrack bei der Inpheno AG, Basel, den Anforderungen entspricht und damit in der Schweiz ein schnellerer und günstigerer Test validiert und etabliert werden könnte.
Die Neuen etablieren sich Steigt die Viruslast, dann soll die Therapie evaluiert werden. Eine wichtige Beurteilungsstütze stellt die Suche nach Resistenzen (Geno- und Phänotyp) dar. Im besten Fall braucht nur eine Substanz ausgewechselt zu werden. Dies kann auch erforderlich werden, wenn Nebenwirkungen auftreten. Es gilt zu beachten, dass mindestens eine neue, noch nicht eingesetzte Behandlungsklasse evaluiert werden sollte. Das Dreierregime sollte dabei immer mindestens zwei vollwirksame Klassen umfassen oder idealerweise gar drei (1). Es macht keinen Sinn, bei den etablierten NNRTI den einen durch den anderen zu ersetzen. Hier muss, wenn es ein NNRTI sein soll, auf den neuen Etravirine gewechselt werden, da er bis zu einem gewissen Mass auch gegen bereits NNRTI-resistente HIV noch wirksam ist (1). Die K103N-Resistenz stellt für Etravirine kein Problem dar, hingegen kann es eine Dreierresistenz auch nicht mehr bewältigen. Die beste Wirkung wurde bislang in Kombination mit DRV/r und einem NRTI dokumentiert. Die Kombination mit einem reinen NRTI-Backbone wird in diesen Fällen nicht empfohlen (1). Andererseits kann das erstmalige Versagen eines NNRTI mit einem PI/r (plus NRTI-Backbone) aufgefangen werden. Schliesslich kommen auch Maraviroc und Raltegravir als Substituenten in Frage.
Grundsätzlich sollten die älteren PI/r möglichst lange genutzt und nach Möglichkeit untereinander variiert werden. Müssen sie schliesslich infolge Resistenzen ersetzt werden, dann erst kommen neuere Kombinationen wie LPV/r, DRV/r oder TPV/r zum Zug, da sie gegen PIresistente Erreger noch Wirkung zeigen (1). DRV/r hat eine bessere Wirkung als LPV/r und ist besser verträglich als Tipranavir/r (TPV/r). Letzteres darf aufgrund von Interaktionen nicht mit Etravirine kombiniert werden. Es gibt allerdings auch Überlegungen, DRV/r frühzeitig einzusetzen, um so den NRTI-Backbone vor der Entwicklung von Resistenzen besser zu schützen. Wurde nicht zuvor schon ein NNRTI eingesetzt, so kann er jetzt verschrieben werden. Einer Kombination mit einem reinen und vollwirksamen NRTI-Backbone steht hier nichts im Wege (1). Ist dies nicht möglich, dann kommen wieder auch Maraviroc und Raltegravir in Betracht. Bei einem Mehrfachversagen (PI und NNRTI) sollten neue Substanzen eingesetzt werden. Es ist wichtig, dass mindestens zwei vollwirksame Therapieklassen verschrieben werden, besser noch drei. Raltegravir hat seine hohe Wirksamkeit bewiesen und erweist sich als potent bei Patienten mit mehrfach resistenten Erregern. Da es eine niedrige genetische Resistenzbarriere besitzt, muss es durch andere potente Substanzklassen ergänzt werden (1). Hier ist Maraviroc (MVC) zu nennen, das sich ebenfalls als sehr potenter Hemmer von R5-Viren erwiesen hat. MVC ist hierbei unabhängig vom Vorliegen einer Resistenz in den drei etablierten Behandlungsklassen (PI, NRTI, NNRTI) vollwirksam (11) und vermag die CD4-Werte im Blut erheblich zu verbessern (12). Sein Einsatz ist jedoch nur bei alleiniger Präsenz von R5Viren gerechtfertigt. Etravirine wurde bereits erwähnt, es erzielte in unterschiedlichen Kombinationen mit neuen antiretroviralen Therapeutika wie beispielsweise Raltegravir bei den verschiedenen Patientengruppen konstant jeweils in über 62 bis 66 Prozent Viruslast unter 75 Kopien pro ml Blut (13). Kom-
binationen sind bei intensiv vorbehandelten Patienten umso wirksamer, je mehr Substanzpartner ihre volle Wirksamkeit entfalten. Bei einer vollwirksamen Dreierkombination erreichen über 80 Prozent der Patienten nach 48 Wochen eine Viruslast von unter 50 Kopien (14).
9 von 10 Patienten leben in der
2. und 3. Welt
Die Behandlungsfortschritte dürfen
nicht vergessen machen, dass die HIV-
Infektion nach wie vor ein potenziell
tödliches Leiden ist, selbst wenn die Le-
benserwartung der Betroffenen erheb-
lich gestiegen ist. Sie ist im besten Falle
immer noch um zehn Jahre verkürzt
und mit teils massiven Einschränkun-
gen der Lebensqualität verbunden, was
Grund genug ist, die Präventionsanstren-
gungen aufrechtzuerhalten. Schliesslich
darf nicht vergessen werden, dass 90 Pro-
zent der Betroffenen in der Zweiten und
Dritten Welt leben und es noch Jahre
dauern wird, bis diese alle vollumfäng-
lich behandelt sein werden. Dies darf
der Ersten Welt nicht egal sein, weil es
auch für sie negative politische und
wirtschaftliche Konsequenzen hat. Das
hat die 17. Internationale Aidskonferenz
in Mexiko City wieder einmal deutlich
aufgezeigt.
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Dr. med. Thomas Ferber Neustadt 40
8200 Schaffhausen E-Mail: thomasferber@mail.ru
Interessenlage: Reise und Unterkunft wurden finanziert von Boehringer Ingelheim, GSK, Janssen-Tibotec, MSD, Pfizer.
Das Literaturverzeichnis kann beim Autor angefordert werden.
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