Transkript
FORTBILDUNG
Urtikaria: bei akuten Formen keine weitreichende Ursachenforschung
Chronische Verläufe verlangen nach genauen Abklärungen
Die Urtikaria ist eine der häufigsten Hauterkrankungen,
die über Jahre Bestand haben kann. Grundsätzlich
kommt es darauf an, den verantwortlichen Auslöser
zu finden und ihn auszuschalten. Therapie der Wahl
während des gesamten Erkrankungszeitraums sind
nichtsedierende Antihistaminika — häufig in hohen
Dosen.
PETRA STAUBACH-RENZ
Die Urtikaria ist gekennzeichnet durch Quaddeln, oft auch Angioödeme. Die Lebensqualität der Patienten ist durch den massiven Juckreiz stark beeinträchtigt. Die Diagnose einer Urtikaria erscheint aufgrund der typischen Morphe einfach. Jedoch können das Auftreten (spontan oder induziert), der Verlauf (akut oder chronisch) und die Dauer des Bestands der Effloreszenzen sehr unterschiedlich sein. Deshalb ist es notwendig, die Urtikaria in verschiedene Subformen (Tabelle) einzuteilen. Grundsätzlich sollte man bei der Diagnostik und Therapie aller dieser Subformen nach folgendem Schema vorgehen: ■ Meiden des auslösenden Stimulus beziehungsweise der aus-
lösenden Ursache ■ Hemmen der Freisetzung von Mastzellmediatoren (z.B.
Toleranzinduktion) ■ Hemmen des Effekts der Mastzellmediatoren am Ziel-
gewebe (z.B. mit nichtsedierenden Antihistaminika).
Chronische Urtikaria – Ursache suchen! Bleibt die spontane akute Urtikaria länger als sechs bis acht Wochen bestehen, spricht man von der spontanen chronischen Urtikaria (CU). Die CU kann viele Ursachen haben, wobei die Infekturtikaria, die Intoleranzurtikaria und die autoreaktive Urtikaria am häufigsten vorkommen (7, 8). Hier ist eine Ursachensuche unabdingbar. Bei der Infekturtikaria lohnt sich eine Abklärung im HNO-, Zahn- und Magen-Darm-Bereich. Gerade asymptomatische Infekte wie chronische Sinusitiden, insuffiziente Zahnwurzelfüllungen oder auch Helicobacter-pylori-assoziierte Gastritiden können eine spontane chronische Urtikaria unterhalten (6). Der Patient muss darüber informiert sein, dass es während der Sanierung zu einer verstärkten urtikariellen Symptomatik kommen kann und eine Besserung häufig erst verzögert (nach 3–6 Wochen) eintritt. Bei der Intoleranzurtikaria reagieren die Patienten auf Konservierungsmittel oder Farbstoffe. Auch Medikamente wie nichtsteroidale Antiphlogistika können die Symptome auslösen. Hier empfiehlt sich eine pseudoallergenarme Kost, die mindestens über drei Wochen durchzuführen ist. Bessern sich in dieser Zeit die Symptome um mindestens 50 Prozent, muss diese Diät über mindestens drei Monate durchgeführt werden, anschliessend darf sie langsam gelockert werden (jeden dritten Tag ein neues Lebensmittel) (1, 2). Diätvorlagen können ebenso wie Patiententageblätter zur Befunddokumentation unter www.urtikaria.net kostenfrei genutzt werden. Die autoreaktive Urtikaria diagnostiziert man durch einen autologen Serumtest (Intrakutantestung am Patienten mit Patientenserum). Bei positivem Befund sollten andere Autoimmunerkrankungen, vor allem Thyreoitiden, abgeklärt werden (3, 4).
Akute Urtikaria – keine Diagnostik Die spontane akute Urtikaria (AU), die jeder vierte Europäer im Laufe seines Lebens durchläuft, bedarf keiner erweiterten Ursachensuche. Hauptauslöser sind vorangegangene oder noch persistierende Infekte (bakteriell, viral), seltener Allergene. Die Therapie ist symptomatisch mit nichtsedierenden Antihistaminika oder auch oralen beziehungsweise i.v.-Kortikosteroiden. Bei Verdacht einer Allergie sollte gesondert eine allergologische Diagnostik nach Abklingen des Krankheitsbildes und Absetzen der Antihistaminika erfolgen (7, 8).
Merksätze
■ Infekturtikaria, Intoleranzurtikaria und autoreaktive Urtikaria sind häufige Ursachen der chronischen Urtikaria.
■ Therapie der Wahl bei chronischer Urtikaria sind nichtsedierende Antihistaminika.
■ Bei getriggerter Urtikaria ist die Toleranzinduktion eine Option.
924 ARS MEDICI 20 ■ 2008
URTIKARIA: BEI AKUTEN FORMEN KEINE WEITREICHENDE URSACHENFORSCHUNG
Tabelle 1: Klassifikation der Urtikariaerkrankungen
Therapie der chronischen Urtikaria Die Therapie der ersten Wahl bei der CU sind
Gruppe
Urtikariaerkrankung Auftreten Lokalisation Häufigkeit
nichtsedierende Antihistaminika (Tabelle 2). Damit sind die meisten Patienten mit CU gut
spontane Urtikaria
akute Urtikaria chronische Urtikaria — autoreaktive — Urtikaria — Intoleranzurtikaria — Infekturtikaria — Urtikaria anderer — Ursache — idiopathische — Urtikaria
spontan
spontan
spontan spontan spontan
spontan
generalisiert ++++
generalisiert +++.
generalisiert generalisiert generalisiert
+++ +++ ++
generalisiert ++
therapierbar. Wenn erforderlich, kann additiv auf eine Kombinationstherapie umgestellt werden und ein H2-Blocker und/oder ein Leukotrienantagonist sowie ein sedierendes Antihistaminikum verabreicht werden. Sollte dies immer noch nicht zu einer Symptomfreiheit führen, muss die Diagnose Urtikaria überdacht und gegebenenfalls eine Probebiopsie durchgeführt werden, zum Beispiel zum Ausschluss einer Urtikariavaskulitis. In seltenen Fällen kann eine immunmodulierende Thera-
physikalische Urtikaria
Druckurtikaria Kälteurtikaria Vibrationsurtikaria
induziert
in der Regel lokalisiert, d.h. dort, wo
++ ++ +
pie mit Cyclosporin, Dapson, Kortikosteroiden oder anderen Medikamenten für einen begrenzten Zeitraum erforderlich sein.
Lichturtikaria Wärmeurtikaria Urticaria factitia
der äussere Reiz +
einwirkt
+
+++
Induzierbare Urtikariaformen Bei den induzierbaren Subformen der Urtikaria, zum Beispiel Urticaria factitia, Kälteurti-
andere Urtikariaformen
aquagene Urtikaria Kontakturtikaria anstrengungsinduzierte Urtikaria/Anaphylaxie cholinergische Urtikaria
generalisiert
+ ++ +
+++
karia, ist der Triggerfaktor meist bekannt. Dieser sollte dann gemieden werden. Grundsätzlich ist bei Verdacht auf eine induzierbare Urtikaria immer eine physikalische Testung durchzuführen und die Reizschwelle zu bestimmen. So lässt sich die Schwere der Er-
+ = sehr selten, ++ = selten, +++ = häufig, ++++ sehr häufig
krankung einschätzen, eine therapeutische
Strategie festlegen und der Verlauf kontrollie-
ren (5).
Tabelle 2: Stufenschema der symptomatischen Therapie bei spontaner chronischer Urtikaria
Da das Meiden der möglichen Triggerfaktoren nicht immer möglich ist, kann man auch hier auf nichtsedierende Antihistaminika zurückgreifen. Eine weitere Therapieoption ist die
1. nichtsedierendes Antihistaminikum in der empfohlenen Tagesdosis, täglich oder bei Bedarf (z.B.: Desloratadin, Ebastin, Fexofenadin, Levocetirizin etc.),
Toleranzinduktion. Hier wird der Körper kontinuierlich in klei-
nen Dosen mit dem vermeintlichen Triggerfaktor in steigender
Dosis konfrontiert (z.B. Kälte, Anstrengung, Licht).
■
wenn erfolglos:
Dr. med. Petra Staubach-Renz
2. Dosierung des Antihistaminikums erhöhen entsprechend der aktuellen EAACI/GA
Universitäts-Hautklinik Mainz D-55101 Mainz
2. LEN/EDF-Leitlinien bis zur vierfachen empfohlenen Tages-
dosis (z.B.: Desloratadin 2-0-2),
wenn erfolglos:
Interessenkonflikte: keine
3. H2-Rezeptoren-Blocker hinzufügen (z.B.: Ranitidin) und/oder Leukotrienantagonist hinzufügen (z.B. Montelukast) und/oder sedierendes Antihistaminikum zur Nacht hinzufügen (z.B. Clemastin, Doxepin, Hydroxyzin), wenn erfolglos:
Literatur über www.allgemeinarzt-online.de
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 14/07. Die Übername erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
4. immunsuppressive Therapie (z.B. Cyclosporin, Dapson, Kortikosteroid)
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