Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
Die Nichtinterventionisten haben es in Zeiten der Krise immer schwer. In der Medizin vertrauen sie – verkehrte Welt – der Erfahrungsmedizin, schlucken Kügelchen und Tinkturen und lassen den Kinderkrankheiten ihren Lauf. Zu «richtigen» Ärzten gehen sie erst, wenn die Infektionen bedrohlich wüten oder der Krebs das Überleben ernsthaft bedrängt. Dann schlucken sie auch Antibiotika und unterziehen sich einer Strahlentherapie. Ungern zwar, aber weil nichts anderes mehr hilft. Anschliessend kehrt man mit schlechtem Gewissen, aber lebend zu den sanften Methoden zurück. Nicht anders wir liberalen Politiker. In Zeiten der Not ruft man den Staat zum Hausbesuch und wehrt sich nicht gegen grobe therapeutische Geschütze in Form von Milliardeninterventionen zuhanden der Banken und Versicherer. Um nach überstandener Rezession bald wieder Deregulierung zu verlangen. Schlimm, so viel Inkonsequenz? Eher pragmatisch. So sind wir eben. Vom technikkritischen Körnlipicker bis zum bonusverwöhnten Investmentbanker.
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Riesiger Medienrummel um den Herzstillstand von Bundesrat Merz. Der «Blick» bringt die intimen Bilder von Merz bei der Einlieferung. Die Entschuldigung dafür wird gleichzeitig für den nächsten Tag vorbereitet. Thierry national ist der gefragteste Arzt in dieser Zeit. Ein guter Mann, wenn er vielleicht auch des Guten zu viel in Sachen Information macht (Neider meinen: Selbstprofilierung). Aber eben, hätte er weniger ausführlich informiert, wärs auch nicht recht gewesen. Die Zürcher beklagen sich derweil darüber, dass die Spitzenmedizin in Sachen «Merzchirurgie» in Bern statt in Zürich angesiedelt ist. Und die Politkommentatoren regeln bereits die Nachfolge des kurz darauf alle mit rascher Genesung überraschenden Bundesrats. Sie kommen zum Schluss, die Erneuerung des Bundes-
rats hänge «sehr davon ab, wie sich der Gesundheitszustand von BR Merz entwickle». Das ist doch mal eine mutige Prognose.
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Schauen Sie auch manchmal das Fernsehprogramm auf Ihrem PC, zum Beispiel auf Zattoo (falls Sie das nicht kennen, einfach nach Zattoo googeln), so nebenbei beim Arbeiten? Finanziert wird diese vorerst kostenlose Dienstleistung durch Werbung. Und wer buhlt da mit ungemein tiefen Krankenversicherungsprämien um junge Neukunden? Richtig, die Krankenversicherer – mit Prämiengeldern. Wer zu Avanex (noch nie zuvor gehört!) wechselt, hat gleichzeitig die Chance, ein professionelles Fotoshooting zu gewinnen. Bei Sansan (dito) winkt ein Nachtessen mit Starkoch Ivo Adam. Und Aerosana (zu wem die wohl gehört?) verlost unter den Neukunden eine Reise nach Berlin. Es scheint ihnen gut zu gehen, den Kassen. Hat eigentlich jemand berechnet, wie viel die vereinigten Schweizer Krankenkassen jährlich für Werbung, PR und Marketing ausgeben? Man möchte wetten, damit liessen sich die Kosten des Praxislabors locker bezahlen.
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Apropos: So schlecht scheint das Lobbying der Ärzte denn doch nicht zu sein wie immer befürchtet. Immerhin gleich vier Nationalrätinnen und Nationalräte haben in der Fragestunde der eben zu Ende gegangenen Herbstsession Bundesrat Couchepin gefragt, was er sich eigentlich denke bei der Senkung der Praxislabortarife, ob er wirklich glaube, eine derartige Massnahme sei mit der viel beschworenen Förderung der Hausarztmedizin zu vereinbaren. Was unser magistraler Magistrat dazu zu sagen hat beziehungsweise wie er die Fragenden in den Senkel stellt, lesen Sie im Politforum dieser Ausgabe von ARS MEDICI (Seite 888).
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Nachdenklich machende Diskussion mit einem praktizierenden Kollegen so um die sechzig: Ein Kleinunternehmen mit einem Umsatz von sagen wir zwei Millionen und einem Ertrag von ordentlichen 10 Prozent, also 200 000 Franken, dürfte je nach Branche einen Verkaufswert von ein bis anderthalb Millionen haben oder auch mehr, abhängig davon, wie gross der Wert des Inventars ist, wie sehr das Geschäft an den Inhaber gebunden ist und so weiter. Relationen, von denen ein Unternehmer Allgemeinpraktiker nur träumen kann. Das Inventar wird, egal, woraus es besteht, kaum höher eingeschätzt als ein Mittelklassewagen, Occasion. Bei der Frage nach einem Goodwill zwinkern die potenziellen Käufer nur kurz und die Sache hat sich erledigt. Bleibt die Frage nach der Kapitalisierung des Reingewinns (nach Abzug eines ordentlichen theoretischen Lohns für den Praxisinhaber). Aber auch da: nichts zu wollen. Goodwill? Da eröffnet der Nachfolger oder die Nachfolgerin lieber eine Praxis im Mietshaus nebenan. Und überhaupt sind alle diese Überlegungen hypothetisch. Weil sich in 50 Prozent der Fälle gar kein Kaufinteressent findet. Und am hypothetischsten sind natürlich siebenstellige Umsatzzahlen. Nein, wenn Sie fünf Jahre vor der Pensionierung stehen und nichts vorgekehrt haben, dann scheffeln Sie noch so viel wie Sie können. Sie müssen daraus ihr Alter ganz allein finanzieren.
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Gelesen: Gute Gründe für amerikanische Frauen, Frau Palin zur Vizepräsidentin (das heisst, Herrn McCain zum Präsidenten) der Vereinigten Staaten von Amerika zu wählen: «Sie weiss nichts, ich weiss nichts. Sie hat fünf Kinder, ich habe fünf Kinder.» Good luck!
Richard Altorfer
ARS MEDICI 20 ■ 2008 885