Transkript
FORTBILDUNG
Parkinson: Wie soll man die Komplikationen behandeln?
Evidenz-basiertes Management in späteren Stadien
Fortgeschrittene Stadien der Parkinson-Erkrankung
sind einerseits durch motorische Komplikationen
gekennzeichnet, andererseits benötigen nicht
motorische Komplikationen wie Hypotonie, Stürze,
Psychose oder Demenz in diesem Rahmen eine
besondere Behandlung.
GERIATRICS
Die Prävalenz neurodegenerativer Erkrankungen wie des Morbus Parkinson nimmt mit dem Alter zu. Bei einer immer älter werdenden Population wird auch das Management von späten Komplikationen bei Parkinson immer wichtiger. Die medikamentöse Behandlung stützt sich heute in erster Linie auf Levodopa sowie Dopaminagonisten und Catechol-O-Methyltransferase-(COMT-)Hemmer. Auch Rehabilitation und koordinierte Pflegemassnahmen haben einen wichtigen Platz.
Therapieantwort für etwa fünf bis sieben Jahren gegeben. Danach wird das Ansprechen auf die Behandlung suboptimal, und es kommt zu Spätkomplikationen wie motorische Fluktuationen und Dyskinesien. Zusätzlich nimmt der Behandlungserfolg bei den nicht motorischen Komplikationen ab oder fehlt ganz. In diesem Zusammenhang ungünstig ist, dass die meiste Evidenz aus der Therapie jüngerer Patientenpopulationen stammt.
Motorische Komplikationen Motorische Fluktuationen: Sie gelten als Folge der langfristigen, pulsatilen dopaminergen Stimulation und äussern sich im «On-off»-Phänomen, das gewöhnlich nach einer Levodopatherapie von fünf bis sieben Jahren auftritt. Zur Beeinflussung gibt es einige therapuetische Wege. Bei der Wahl sind Patientenpräferenzen, bisheriger Verlauf sowie Komorbiditäten in Betracht zu ziehen. Die beste Evidenz besteht für die Fraktionierung der Levodopadosis und die Kombination mit einem Dopaminagonisten (z.B. Ropinirol [Requip®]; Pramipexol [Sifrol®]), COMT-Hemmer oder MAO-B-Hemmer. Tabelle 1 zeigt eine Aufstellung über Vor- und Nachteile sowie Nebenwirkungen der medikamentösen Therapieoptionen. Fraktionierung meint die häufige Einnahme kleiner Levodopadosen
Mehr als eine Erkrankung des nigrostriatalen Systems Ständig zunehmende Evidenz deutet darauf hin, dass die Parkinson-Erkrankung nicht nur auf die Substantia nigra und das Striatum beschränkt ist, sondern wahrscheinlich sowohl von den dorsalen motorischen Kernen des Glossopharyngeus und des Vagus als auch vom Nucleus olfactorius anterior ausgeht und sich vom Hirnstamm aus über den anteromedialen temporalen Mesokortex schliesslich zum Neokortex ausbreitet. Andere Forschungsdaten zeigen auch, dass die neuropathologischen Veränderungen sich nicht auf dopaminerge Neurone beschränken, sondern eine ganz Anzahl weiterer Zelltypen betreffen. Diese Beobachtungen können auch die nicht motorischen Komplikationen wie Depression (Frontalhirn, serotoninerg), Gedächtnisverlust (Hippocampus, cholinerg), Störungen der Exekutivfunktion (Frontalhirn), autonome Störungen, Dysphagie und Schlafprobleme (Hirnstamm) verstehen helfen. Eine kurative Behandlung für die Parkinson-Krankheit gibt es bis heute nicht. Mit Levodopa als Hauptpfeiler der symptomatischen Therapie der motorischen Störungen ist eine zuverlässige
Merksätze
■ Im Verlauf kommt es bei Parkinson zu einem schlechteren Ansprechen der motorischen Symptome und zum Neuauftreten motorischer und nicht motorischer Spätkomplikationen.
■ Für die Behandlung der Spätkomplikationen gibt es kein einzelnes Medikament. Zur Wahl stehen Fraktionierung der Levodopadosis, galenische Formen mit verlängerter Freisetzung sowie Kombinationen mit Dopaminagonisten, COMT-Inhibitoren oder MAO-B-Hemmern.
■ Von Rehabilitationsmassnahmen profitieren viele ParkinsonPatienten, die tiefe Hirnstimulation bleibt ausgewählten Fällen vorbehalten.
■ Komplikationen wie Psychose, Depression, Schlafstörung, Orthostase, Stürze sowie Dysphagie und Aspiration müssen mit zusätzlichen Medikamenten oder anderen Hilfsmassnahmen behandelt werden.
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PARKINSON: WIE SOLL MAN DIE KOMPLIKATIONEN BEHANDELN?
Tabelle 1: Adjuvante Therapien für spätere Parkinson-Stadien
Adjuvante Therapie
Vorteile
Nachteile
Nebenwirkungen
Levodopa: modifizierte Formulierungen mit kontinuierlicher Freisetzung
verbessern Symptome und reduzieren die motorischen Komplikationen
langsames Einsetzen der Verbesserung; geringere Bioverfügbarkeit von Levodopa im Vergleich zu rascher Freisetzung
Dyskinesien, Nausea, Halluzinationen, Schwindel/Benommenheit
Dopaminagonisten: Ergotderivate (Bromocriptin, Pergolid, Cabergolin), Nichtergotderivate (Pramipexol, Ropinirol, transdermales Rotigotin, Apomorphin s.c.)
verbessern Symptome und reduzieren die motorischen Komplikationen
Ergotderivate erfordern regelmässiges Monitoring (Nierenfunktion, BSR, ThoraxRöntgen, Echokardiogramm): Nichtergotderivate sind daher vorzuziehen
Nausea, Somnolenz, Hypotonie Ergotderivate: Lungen-, Nieren-, Herzklappenfibrose
COMT-Hemmer (Entacapon, Tolcapon)
verbessern Symptome und reduzieren die motorischen Komplikationen; auch als Kombinationspräparat mit Levodopa und Carbidopa erhältlich
können Dyskinesien verstärken
Nausea, Diarrhö, Halluzinationen
MAO-B-Hemmer (z.B. Rasagilin)
verbessern Symptome und reduzieren die motorischen Komplikationen
können Dyskinesien verstärken
Schwindelgefühle, Diarrhö, Schläfrigkeit
Amantadin
reduziert Dyskinesien
keine Evidenz für eine Verminderung der motorischen Komplikationen
Verwirrtheit, Halluzinationen
Tiefe Hirnstimulation
verbessert Symptome und reduziert die motorischen Komplikationen
teuer; keine Verbesserung von Symptomen, die nicht auf «on» ansprechen; ältere Patienten sind eher von kognitiven Komplikationen betroffen
psychiatrische Komplikationen können neu auftreten; Hämorrhagierisiko nimmt mit dem Alter zu
COMT = Catechol-O-Methyltransferase / MAO-B = Monoaminooxidase-B
ohne Erhöhung der Tagesdosis. Die Einnahme hat auf leeren Magen zu erfolgen, um eine rasche Absorption und schnelle Penetration bis zum Gehirn zu gewährleisten. Vor allem ältere Patienten finden es mitunter schwierig, mit der häufigen Einnahme und grossen Zahl von Tabletten umzugehen. Eine Alternative ist der Einsatz einer galenischen Formulierung mit langsamer Wirkstofffreisetzung, deren Absorption jedoch erratisch sein kann. Dopaminagonisten haben längere Halbwertszeiten, ihr Zusatz zur Levodopatherapie kann motorische Fluktuationen glätten. Allerdings besteht auch ein Nebenwirkungsrisiko (Orthostase, Psychose, Verstopfung) bei älteren Patienten. Ergotderivate sollten wegen Herzklappen- und anderen Fibrosen nicht mehr eingesetzt werden.
Die Dauer des maximalen Levodopanutzens kann mit der Krankheitsprogression schrumpfen, sodass «end of dose»-Probleme entstehen. In dieser Situation bieten COMT-Hemmer (Entacapon [Comtan®], Tolcapon [Tasmar®]) eine Verbesserung, wie gute Evidenz zeigt. Die kombinierte Medikation von Carbidopa, Levodopa und Entacapon (Stalevo®) hat den Vorteil einer geringeren Tablettenzahl und besseren Compliance. Eine grosse Studie mit über 600 Parkinson-Patienten hat unter dem MAO-B-Hemmer Rasagilin (Azilect®) klinische Nutzen ergeben, die denjenigen der COMT-Hemmer entsprechen und diejenigen von Levodopa allein übertreffen. Dyskinesien: Sie sind häufig und kommen bei etwa 40 Prozent der Parkinson-Patienten vor. Gewöhnlich sind sie in Form von
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Tabelle 2: Parkinson-Komplikationen: ungünstige Faktoren und ihr Management
Faktoren Medikamente (ZNS-wirksam: Antidepressiva, Antipsychotika, Anticholinergika, Antiepileptika; BD-wirksam: Diuretika und andere Antihypertensiva) Umgebung Infektionen Arthrose Unwohlsein Sehstörungen, Orthostase Biochemie Kognition, ZNS-Störungen
Management periodische Überprüfung der Medikation; Dosisreduktion
Gefahrenherde eliminieren gezielte Therapie mit Medikamenten und Übungen behandeln gezielte Therapie Visuskorrektur; Orthostaseprobleme behandeln Abnormitäten korrigieren (z.B. Hyponatriämie) Hilfe organisieren
Chorea oder Choreodyskinesie («On»-Dyskinesie) ein Effekt der Levodopaspitzen. Gelegentlich können beim Einsetzen oder Abflauen der Levodopawirkung diphasische Dyskinesien mit stereotypen Beinbewegungen auftreten. «Off»-Dyskinesien sind durch Dystonien vor allem der Füsse gekennzeichnet. Viele Patienten fühlen sich gut, wenn die Dosierung so angepasst wird, dass ganz leichte Spitzenspiegeldyskinesien vorkommen. Ist das Phänomen jedoch schwer und behindernd, kommt eine Reduktion von Levodopa-, COMT- oder MAO-BHemmer-Dosis infrage, allerdings um den Preis einer schlechteren motorischen Einstellung. Manchmal helfen auch Dopaminagonisten bei gleichzeitig tieferer Levodopadosierung. Die NMDA-Rezeptor-Blockade mit Amantadin (PK-Merz®, Symmetrel®) kann hilfreich sein, ist aber wegen der anticholinergen Nebenwirkungen (Psychose, Delir) limitiert. Andere Optionen umfassen Clozapin (Leponex®) mit der bekannten Erfordernis des Blutbildmonitorings. Rehabilitation: Eine systematische Übersicht und eine Metaanalyse haben gezeigt, dass Kraft- und Balanceübungen bei Parkinson-Kranken körperliche Fitness, Gleichgewicht, Ganggeschwindigkeit und Lebensqualität günstig beeinflussen können. Daneben ist eine ausgewogene Ernährung ebenfalls wichtig, da bei Parkinson ein höherer Energieverbrauch besteht. Heute betonen viele Fachleute, wie wichtig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Sprachschulung, Physiound Ergotherapie sowie Ernährungsberatung ist. Chirurgie: Sorgfältig ausgesuchten Patienten mit schlechtem Ansprechen auf die medikamentösen Optionen kann die tiefe Hirnstimulation helfen. Allerdings um den Preis gewichtiger Nebenwirkungen wie kognitive Störungen, erhöhtes Blutungsrisiko oder gehäufte Todesfälle inklusive Suizid.
Nicht motorische Spätkomplikationen Demenz: Bei Parkinson tritt die Demenz im Verlauf spät auf und kann sich als frontale Dysfunktion, visuellräumlicher Orientierungsverlust und Gedächtniseinschränkung äussern. In einer randomisierten kontrollierten Studie hatte Rivastigmin (Exelon®) einen bescheidenen Einfluss mit Verbesserung der kognitiven Funktion gezeigt. Eine Besserung im Mini-Mental-Status und eine günstigere Beurteilung durch die Pflegenden wurde auch in einer kleinen Studie mit Donepezil (Aricept®) beobachtet. Unter Parkinson-Betroffenen ist eine Demenz bis zu sechsmal häufiger. Patienten mit besonders rascher Progression der motorischen Symptome haben eine bis zu achtmal höhere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Demenz, was einen gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismus suggeriert. Psychose: Diese Spätkomplikation tritt in 25 bis 40 Prozent auf und zeigt eine Korrelation zu Anticholinergika, NMDA-Antagonisten oder Dopaminagonisten. Sind Dopaminagonisten bei älteren Patienten zur Kontrolle der Motorik notwendig, muss eine niedrige Dosis angestrebt werden. Gegen parkinsonassoziierte Psychosen hat sich Clozapin als wirksam erwiesen, eine weniger gut dokumentierte Alternative ist Quetiapin (Seroquel®). Orthostatische Hypotonie: Dieses Problem tritt bei 15 bis 20 Prozent der Fälle auf. Sowohl Dopaminagonisten als auch Levodopa können es verschlechtern. Das Management umfasst den Versuch der Dosisreduktion und eine sorgfältige Evaluation der weiteren Medikamente (z.B. Antihypertensiva). In Betracht kommt auch Fludrocortison (Florinef®), 0,1 mg täglich. Liegt eine isolierte systolische Hypertonie
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zusammen mit einem signifikanten orthostatischen Blutdruckabfall vor, kann ein Versuch mit dem nichtselektiven Betablocker mit partieller Agonistenaktivität Pindolol (z.B. Visken®) gemacht werden. Stürze: Sie sind eine wichtige Folge einer orthostatischen Hypotonie. Oft sind die Ursachen jedoch multifaktoriell und müssen mit der Suche nach Risikofaktoren und Auslösern entsprechend angegangen werden. Wichtige ungünstige Faktoren und ihr Management sind in Tabelle 2 aufgeführt. Depression: Depressive Symptome treten bei bis zu 40 Prozent der Parkinson-Kranken auf und haben negative Auswirkungen auf Kognition, Alltagsaktivitäten und Lebensqualität. Ältere Patienten geben nicht gern eine Depression zu, es braucht daher ein gehöriges Mass an Verdachtsbereitschaft für die Diagnose. Selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSRI) sind die Antidepressiva der Wahl, auch wenn sie eine Hyponatriämie auslösen und in gewissen Fällen die ParkinsonSymptome verstärken können. Dysphagie, Aspiration und Aspirationspneumonie: Dies sind häufige Parkinson-Spätkomplikationen, wobei die Aspirationspneumonie oft stumm verlaufen kann. Daten guter Qualität gibt es zum Problem der Dysphagie kaum, aber gewisse präventive Strategien wie Ernährungsumstellung, Lagerung und Patientenschulung leuchten ein.
Schlafprobleme: Insomnie ist häufig, nicht selten liegen aber
komplizierend eine Depression oder ein Restless-Legs-Syn-
drom vor. Neben medikamentösen Anpassungen kann auch
ein Schlafhygieneprogramm hilfreich sein. Benzodiazepine
oder andere Hypnotika und Sedativa können für kurze Zeit-
räume eingesetzt werden, gehen aber mit einem noch höheren
Sturzrisiko einher und können wegen Toleranzentwicklung
ihre Wirksamkeit verlieren. Eine exzessive Somnolenz tags-
über kann durch die nächtlichen Schlafstörungen bedingt sein.
Von Dopaminagonisten wird immer wieder berichtet, dass sie
Schlafattacken auslösen können. Dies ist bei der Beurteilung
der Fahrtüchtigkeit zu berücksichtigen.
Obstipation: Sie ist bei Parkinson-Kranken häufig und dürfte
durch die eingesetzten Medikamente wie Dopaminagonisten,
Analgetika oder Anticholinergika noch verstärkt werden. Hier
gelten die allgemeinen Empfehlungen zur Flüssigkeitsauf-
nahme und Berücksichtigung von Obst und Gemüse. Reicht
dies nicht, müssen Laxanzien eingesetzt werden.
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Daniel K.Y. Chan et al.: Practical evidence-based management of motor and non-motor complications in late Parkinson’s disease. Geriatrics 2008; 63(5): 22—27.
Interessenkonflikte: keine
Halid Bas
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