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Ist Leberkrebs heilbar?
Etliche Therapieoptionen, aber Prävention bleibt wichtig
BERICHT
Das hepatozelluläre Karzinom nimmt weltweit, auch in der Schweiz und hier besonders bei Männern, an Häufigkeit zu und stellt eine therapeutische Herausforderung dar. Heute profitieren jedoch sehr viele Betroffene von einer Therapie, wie Privatdozent Dr. Beat Müllhaupt, Leitender Arzt Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich, am «Tag der Leber 2008» in Zürich, berichtete.
PD Dr. Beat Müllhaupt, Zürich
HALID BAS
Ein Karzinom der Risikopopulationen Das hepatozelluläre Karzinom steht heute was die Häufigkeit betrifft, weltweit an 5. (bei Frauen an 8.) Stelle, was die Mortalität betrifft, an 3. Stelle aller Krebserkrankungen und hat eine sehr
«Die Diagnose stützt sich heute weitestgehend auf bildgebende Verfahren wie CT, MRI oder Kontrast-
Sonografie»
hohe Fatalitätsrate von 0,97. «Das Ausmass der weltweiten Krankheitslast dokumentieren jährlich 250 000 bis 1 Million Todesfälle», so Beat Müllhaupt. Bekannt sind Hochrisikogebiete wie China, Südostasien und das subsaharische Afrika, in denen mehr als 80 Prozent aller Leberkrebsfälle auftreten, wobei auch Umwelteinflüsse wie die
Nahrungsmittelbelastung mit Aflatoxinen eine Rolle spielen. Entgegen dem Trend bei manchen anderen Krebsformen ist auch in der Schweiz zwischen 1975 und 1994 für das hepatozelluläre Karzinom ein Mortalitätsanstieg bei den Männern dokumentiert. Die altersspezifische Mortalität bei den Männern ist hierzulande besonders ab 50 Jahren deutlich angestiegen, heute erkranken aber auch Jüngere mehr an Leberkrebs als früher. Die Vorstellung, dass das hepatozelluläre Karzinom auf dem Boden einer Zirrhose entsteht, ist insofern einzuschränken, als doch 20 Prozent der Fälle keinen zirrhotischen Umbau zeigen. Risikofaktoren für Leberkrebs sind dennoch zunächst diejenigen, die zu einer Zirrhose führen: vor allem die Virushepatitiden (B und C), aber auch Alkohol und Eisenüberladung (Hämochromatose). Das Hepatitis-B-Virus (HBV) kann allerdings auch direkt, also ohne den Umweg über eine Zirrhose, ein hepatozelluläres Karzinom hervorrufen. Weitere Risikofaktoren sind Alter, Geschlecht (Männer sind häufiger betroffen), Rasse, Umgebung,
BMI, Diabetes mellitus, Medikamente und in sehr seltenen Fällen eine familiäre Belastung, die ein Screening erfordert.
Diagnostik stützt sich auf Bildgebung Die Diagnose stützt sich heute weitestgehend auf bildgebende Verfahren wie
Tag der Leber
Der «Tag der Leber» ist eine Fortbildung, die jedes Jahr von der Schweizerischen Vereinigung für das Studium der Leber (Swiss Association for the Study of the Liver [SASL], www.sasl.ch) durchgeführt wird. In diesem Jahr wurde die Veranstaltung von PD Dr. Beat Müllhaupt, Leitender Arzt Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich, und Dr. Beat Helbling, Leitender Arzt Gastroenterologie, Stadtspital Waid, Zürich, zusammen mit den Hausärzten aus Zürich organisiert.
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BERICHT
Computertomografie (CT), Magnetresonanz (MRI) oder Kontrast-Sonografie. In CT und MRI erlaubt die Anreicherung
Therapieoptionen beim hepatozellulären Karzinom
Gesamthaft betrug das Fünf-JahresÜberleben nach Resektion in den Stadien 0 und A 51 Prozent. Wichtig er-
während der arteriellen Phase und der
scheint die Korrelation zum Schwere-
unterschiedliche «Wash-out» während
potenziell kurativ:
grad der Leberzirrhose. Von Patienten
der portalvenösen Phase das Erkennen von Leberkrebsknoten. Bei Knoten > 2 cm in einer zirrhotischen Leber sind die typischen Zeichen in der Bildgebung aus-
■ radikale Resektion ■ Lebertransplantation ■ Radiofrequenzablation (RFTA)
ohne portale Hypertension überlebten 74 Prozent, bei klinischen Zeichen für Pfortaderhochdruck (Pfortaderdruckgradient > 10 mmHg, Ösophagusvarizen,
reichend, und es bedarf keiner Biopsie und keiner Zweituntersuchung. Bei einer verdächtigen Läsion ab 1 cm in einer eher atypischen, nichtzirrhotischen Leber ist eine Biopsie jedoch indiziert. Kleinere Knoten von 1 bis 2 cm bei
palliativ:
■ transarterielle Chemoembolisation (TACE)
■ Pharmakotherapie (monoklonale Antikörper, «small molecules»)
Splenomegalie, Thrombozyten <100 000) und Bilirubin< 17 υ/l waren es 50 Prozent, lag auch das Bilirubin darüber, nur noch 25 Prozent. Ein Tumorrezidiv wurde bei 26 Prozent beobachtet. Bei kleineren Einzelknoten (< 5 cm) Zirrhose erlauben eine Diagnose nach oder bis zu drei Knoten < 3 cm verspricht zweimaliger Bildgebung, für noch klei- demgegenüber die Lebertransplantation nere Knoten wird beispielsweise in den unter Entfernung des Tumors mittels ein Fünf-Jahres-Überleben von etwa USA eine Überwachung mit Bildgebung verschiedener Eingriffe und Verfahren 80 Prozent. Allerdings kämpft auch die- alle 3 bis 6 Monate empfohlen, da zur sowie der palliativen Therapie (Kasten). ses Vorgehen mit seinen Grenzen wie Diagnose noch genug Zeit bleibt. Die Resektion des Tumors kann zu- nicht erkannter extrahepatischer Aus- breitung des hepatozellulären Karzinoms, was unter der posttransplantazionellen «Die Wartezeit für die Lebertransplantation darf nicht zu lang sein, sonst geht der Therapievorteil verloren.» Immunsuppression zu explosionsartigem Wachstum führt, Komorbidität und Organmangel. Sehr real ist auch das Ri- siko der Tumorprogression bis zum Zeit- punkt des Organersatzes. «Die Wartezeit Staging und Therapiemodalitäten nächst wegen eingeschränkter funktio- bis zur Lebertransplantation darf nicht Von grosser Wichtigkeit für Prognose neller Reserven und zu geringen Rege- zu lang sein, sonst geht der Therapie- und Therapie sind beim hepatozellulä- nerationspotenzials der zirrhotischen vorteil verloren», merkte Beat Müll- ren Karzinom die Grösse und Ausdeh- Leber an Grenzen stossen, ferner kann haupt an. In unselektionierten Serien nung des Tumorbefalls einerseits, aber die Anatomie bei multiplen Knoten, sind so nur 1 bis 2 Prozent der Leber- auch der Schweregrad der Zirrhose und zentraler Lage oder Befall beider Leber- zellkarzinome einer Lebertransplanta- ihrer Folgeerscheinungen anderseits. lappen zum Problem werden. Über- tion zuzuführen. Der Child-Pugh-Score für den Schwere- schattet werden die Heilungschancen In ungünstigeren Stadien, wenn weder grad der Zirrhose berücksichtigt das der Resektion auch durch Komorbiditä- Resektion noch Transplantation mög- Vorliegen von Enzephalopathie und As- ten und durch das hohe Rezidivrisiko, lich sind, ist laut einer Beobachtungs- zites sowie Bilirubin, Albumin und Pro- da die belassene kranke Leber ja eine Prä- studie von einem Drei-Jahres-Überleben thrombinzeit. Dies ergibt für hepatozel- kanzerose darstellt. «Diese Einschrän- von 28 Prozent auszugehen. Wie eine luläre Karzinome eine differenzierte Sta- dieneinteilung: ■ 0 sehr frühes Stadium (Einzelknoten <2 cm, Child A) ■ A: frühes Stadium (einzelner oder «Die Leberkrebsprävention stützt sich bei uns auf die Therapie chronischer Virushepatitiden und auf bis 3 Knoten < 3 cm, Child A–B) ■ B: mittleres Stadium (multinodulär, die Hepatitis-B-Impfung.» Child A–B) ■ C: fortgeschrittenes Stadium (por- tale Invasion, N1, M1, Child A–B) kungen führen dazu, dass in unselek- Metaanalyse randomisierter Studien ■ D terminales Stadium (Child C). tionierten Serien nur gerade etwa 10 bis gezeigt hat, ist in dieser Situation die 20 Prozent der hepatozellulären Karzi- transarterielle Chemoembolisation (TACE) In der Behandlung des hepatozellulären nome einer radikalen Resektion zuge- jedoch effektiv und vergrössert die Karzinoms ist zu unterscheiden zwi- führt werden können», präzisierte Beat Überlebenswahrscheinlichkeit signifi- schen potenziell kurativen Ansätzen Müllhaupt. kant. 900 ARS MEDICI 20 ■ 2008 Neuerdings hat sich das Interesse im Rahmen der Palliativtherapie auch der zielgerichteten Therapie gegen Tumor- wachstumsfaktoren mittels monoklona- ler Antikörper (Cetuximab [Erbitux®], Bevacizumab [Avastin®]) oder weiterer neuartiger antitumoraler Moleküle wie beispielsweise Sorafenib (Nexavar®) zugewandt. In SHARP, einer Phase-III- Studie, wurde Sorafenib bei histologisch verifizierten Leberzellkarzinomen bei Patienten in der guten Child-Pugh- Klasse A geprüft und erwies sich im Vergleich zu Plazebo hinsichtlich des medianen Überlebens als effektiv (46,3 vs. 34,4 Wochen). Die Substanz ist seit Kurzem auch in der Schweiz beim hepa- tozellulären Karzinom zugelassen. Den Hausärztinnen und Hausärzten gab der Leberspezialist als wichtige Bot- schaften auf den Heimweg mit: ■ die Häufigkeit des hepatozellulären Karzinoms nimmt zu ■ diese Tumorart betrifft definierte Risikogruppen ■ 75 Prozent der Patienten mit Leber- zellkarzinom profitieren von einer Therapie ■ bei 25 Prozent ist eine potenziell kurative Behandlung möglich ■ die Prävention muss sich auf die Therapie der chronischen Virushepa- titis und auf die Hepatitis-B-Impfung stützen. ■ Interessenlage: Diese Berichterstattung erfolgt industrieunabhängig. Halid Bas