Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
Sylvia FlückigerBäni, Nationalrätin SVP, AG, hat am 13.6.2008 eine Motion eingereicht:
Befristetes Verbot für Sterbehilfe
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament einen Bundesbeschluss vorzulegen, der sämtliche Dienstleistungen und Tätigkeiten von Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz verbietet. Dieses Verbot gilt so lange, bis eine die Sterbehilfetätigkeiten regelnde Gesetzgebung in Kraft ist. Begründung siehe Ars Medici 18/08.
Und dies die Antwort des Bundesrats vom 10.9.2008
Der Bundesrat ist in seinen beiden Berichten über die Sterbehilfe von 2006 und 2007 zum Schluss gekommen, dass durch die konsequente Anwendung des geltenden Rechts Missbräuche in der organisierten Suizidhilfe verhindert werden können. Den Erlass einer umfassenden Aufsichtsgesetzgebung hat er darum abgelehnt. Aufgrund der jüngsten Entwicklung hat er aber am 2. Juli 2008 das EJPD beauftragt, in einem Bericht bis anfangs 2009 in Zusammenarbeit mit dem EDI vertieft abzuklären, ob für die organisierte Suizidhilfe spezifische gesetzliche Regelungen erforderlich sind. Zu prüfen sind etwa ein Minimalstandard von Sorgfalts- und Beratungspflichten, Dokumentationspflichten, Qualitätssicherung bei der Auswahl und Ausbildung von Suizidbegleitern, die Pflicht zur finanziellen Transparenz unabhängig von der Organisationsform sowie die Festlegung ethischer Schranken wie beispielsweise den Ausschluss von Suizidhilfe für Gesunde.
Die Motion verlangt zu Recht kein generelles Verbot von Suizidhilfeorganisationen als solche, welches vor dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, die Artikel 23 BV garantiert, nicht standhalten würde. Aber auch ein befristetes Verbot für sämtliche Dienstleistungen und Tätigkeiten von Sterbehilfeorganisationen, wie es die Motion verlangt, empfiehlt sich nicht. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Aktivitäten dieser Organisationen mit einem dringlichen befristeten Bundesgesetz im Sinne von Artikel 165 BV unter Strafe gestellt werden. Ein solches Verbot ist aber nach Ansicht des Bundesrats mit dem in der Bundesverfassung verankerten Verhältnismässigkeitsprinzip nicht vereinbar. Zudem wäre es auch nicht zielführend, da es die Suizidhilfe durch Einzelpersonen nicht ausschliessen würde, sodass das Verbot leicht umgangen werden könnte. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion
Nationalrat Alec von Graffenried, GPS, BE, reichte am 12.6.2008 ein Postulat ein:
Obligatorische Patientenverfügung
Der Bundesrat wird beauftragt, zu prüfen, ob das Erstellen einer Patientenverfügung, gemäss dem Entwurf zur Änderung des ZGB (06.063, Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht), für Menschen ab dem 50. Lebensjahr obligatorisch eingeführt werden kann. Begründung siehe Ars Medici 18/08.
Und dies meint der Bundesrat am 10.9.2008
Eine Patientenverfügung erfordert eine Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen, die Krankheit, Leiden und Tod betreffen. Die Anordnung in einer Patientenverfügung schliesst nämlich auch die Selbstverantwortung für die Folgen ein. So kann etwa ein Behandlungsverzicht das Leben beenden, während mit dem Wunsch nach lebenserhaltenden Massnahmen möglicherweise Abhängigkeit und Fremdbestimmung in Kauf genommen werden. Entsprechende Willensbildungen können und dürfen nicht unter Druck erfolgen. Eine Patientenverfügung kann ein wichtiges Instrument der Patientenautonomie darstellen; eine obligatorische Selbstbestimmung vor dem Hintergrund persönlicher Wertvorstellungen, religiöser Anschauungen und Einstellungen zum eigenen Leben und Sterben ist aber als Zwangsautonomie ein Widerspruch in sich. Zudem gibt es Menschen mit der Überzeugung, dass sich eine künftige, unbekannte gesundheitliche Krisensituation gar nicht antizipieren lässt, dass auch Abhängigkeit von der Hilfe Dritter und
Angewiesensein auf andere Teile, der menschlichen Existenz sind oder dass die Inakzeptanz des Schicksalhaften durch absolute Kontrollierbarkeit, selbst des eigenen Sterbens, eine Illusion ist, die Zuversicht und Gelassenheit weichen müsse. Auch solche Grundeinstellungen, die existenzielle Fragen keineswegs tabuisieren, verdienen Respekt. Vor diesem Hintergrund lehnt es der Bundesrat auch ab, Mutmassungen darüber anzustellen, welche Auswirkungen eine für obligatorisch erklärte Patientenverfügung auf die Gesundheitskosten haben könnte. Im Postulat werden Kosteneinsparungen in Aussicht gestellt. Es ist aber durchaus auch denkbar, dass etwa wegen Diskussionen um eine Altersrationierung die Befürchtung überhand nimmt, es werde nicht mehr alles medizinisch Mögliche getan. Entsprechend könnten Patientenverfügungen den Wunsch enthalten, möglichst lange zu leben. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
832 ARS MEDICI 19 ■ 2008
Ruedi Aeschbacher, Nationalrat EVP, ZH, hat am 10.6.2008 eine Motion eingereicht.
In Artikel 115 StGB ist der Passus «aus selbstsüchtigen Beweggründen» zu streichen, sodass Artikel 115 StGB neu wie folgt lautet: «Wer jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
Begründung Das menschliche Leben ist eines der höchsten Rechtsgüter. Entsprechend stark ist denn auch der Schutz des Lebens in unserer Rechtsordnung verankert (Art. 10 BV: Recht auf Leben; Strafdrohungen des StGB bei den Tötungsdelikten). Nicht strafbar hingegen ist Selbstmord oder der Versuch dazu: Der Gesetzgeber respektiert das Selbstbestimmungsrecht der Menschen auch bezüglich solcher letzten höchstpersönlichen Entscheide. Das soll so bleiben. Dem grundsätzlichen Bekenntnis unseres
Anstiftung und Beihilfe zu Selbstmord unter Strafe stellen
Staates zum umfassenden Lebensschutz widerspricht der Umstand, dass Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord heute nur unter Strafe gestellt sind, wenn sie «aus selbstsüchtigen Beweggründen» erfolgen. Anstiftung und Beihilfe aus nicht selbstsüchtigen Motiven sind erlaubt. So sind eigentliche Suizidbeihilfeorganisationen entstanden, die Sterbewillige bei ihrem Selbstmord helfen. Dignitas, eine dieser Organisationen hat die Grenze des gesellschaftlich und moralisch Akzeptierbaren bei Weitem überschritten. Sie betreibt Suizidbeihilfe geschäftsmässig, arbeitet mit eigentlichen «Preislisten», aus denen Sterbewillige wie aus einem Prospekt Leistungen von Dignitas auswählen und mit Beträgen von 5000 bis 10 000 Franken entschädigen können. Zudem entzieht sich Dignitas nach Möglichkeit jeder Kontrolle und weicht auch auf höchst umstrittene Tötungsmethoden (Helium, Ersticken) aus. Von einem würdevollen Sterben kann keine Rede sein, zumal dieses nicht nur in Hotels, Privathäusern oder im Industriequartier, sondern auch auf Parkplätzen erfolgt. Dadurch hat ein
eigentlicher Sterbetourismus in die Schweiz eingesetzt, da unsere Nachbarländer Suizidbeihilfe verbieten. So, wie Dignitas das Geschäft mit dem Tod betreibt, ist es schon lange nicht mehr uneigennützig. Allerdings sind bislang Strafverfahren am rechtsgenügenden Nachweis der Selbstsucht gescheitert. Eine staatliche Reglementierung der Suizidbeihilfe ist abzulehnen: Es ist widersinnig, wenn der Staat das Leben zum höchsten Rechtsgut erklärt, und gleichzeitig regelt, wie diejenigen handeln sollen, die mithelfen, Leben zu zerstören. Es gibt nur eine konsequente Lösung: Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord sind unter Strafe zu stellen. Dies ist heute gerechtfertigt, denn dank der ausgebauten Geriatrie und der Palliativmedizin müssen wir nicht mehr befürchten, bei unheilbaren Erkrankungen unter grossen Schmerzen unmenschlich bis zur Erlösung dahinsiechen zu müssen.
Dies die (auszugsweise) Meinung des Bundesrats, publiziert am 10.9.2008
Im Rahmen von verschiedenen Stellungnahmen hat der Bundesrat einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf Bundesebene verneint und beschlossen, sowohl auf eine Änderung von Artikel 115 StGB als auch eine umfassende Gesetzgebung über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen zu verzichten. Zur Begründung hat der Bundesrat jeweils darauf verwiesen, dass es auf kantonaler und kommunaler Ebene zur Aufdeckung und Verhinderung von Missbräuchen genügend Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten gebe. Weiter hat er darauf hingewiesen, dass mit einer Aufsichtsgesetzgebung die Suizidhilfeorganisationen vielmehr ein staatliches Gütesiegel erhalten würden. Dies wiederum würde die organisierte Suizidhilfe und damit auch den sogenannten Sterbetourismus fördern. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen hat der Bundesrat am 2. Juli 2008 dem EJPD und dem EDI den Auftrag erteilt abzuklären, ob im Bereich der organisierten Suizidhilfe doch zusätzliche, punktuelle gesetzliche Regelungen erforderlich seien wie etwa Sorgfaltspflichten, Pflichten zur Dokumentation und zu finanzieller Transparenz, um Missbräuchen vorzubeugen.
Für den Bundesrat besteht kein Anlass zu einer Änderung von Artikel 115 StGB im Sinne dieser Motion. Falls heute tatsächlich Probleme beim Nachweis der Selbstsucht bestehen sollten, so sollten diese nicht kurzerhand mit einer Vorverlagerung der Grenze der Strafbarkeit, sondern anders gelöst werden — allenfalls eben durch eine Pflicht zur Transparenz der Finanzflüsse in Suizidhilfeorganisationen. Es wäre auch nicht zu rechtfertigen, den Strafrahmen von Artikel 115 StGB — die angedrohte Höchststrafe ist fünf Jahre Freiheitsstrafe, womit es sich hier um ein Verbrechen handelt — auf den Fall der uneigennützigen Teilnahme am Suizid zu übertragen und somit diese beiden, vom Unrechtsgehalt her doch höchst unterschiedlichen Verhaltensweisen gleichzustellen. Im Übrigen darf aus der Verpflichtung des Staates zum Schutz des Lebens nicht auf eine Pflicht zur Einführung der generellen Strafbarkeit der Anstiftung und der Beihilfe zum (straflosen) Suizid geschlossen werden. Der strafrechtliche Schutz des Lebens muss hingegen dort absolut gelten, wo es nicht um Selbst-, sondern um Fremdtötungen geht. Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
ARS MEDICI 19 ■ 2008 833