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BERICHT
Leberzirrhose: Behandlung in der Praxis
Pragmatisches Vorgehen bei Flüssigkeits- und Salzrestriktion
Die klinischen Probleme entstehen bei der Leberzirrhose durch die Funktionseinschränkung des Organs und durch den Pfortaderhochdruck. Dem muss die Therapie individuell Rechnung tragen, sagte Professor Dr. Markus Heim, Leitender Arzt am Departement für Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Klinik, Universitätsspital Basel, am «Tag der Leber 2008» in Zürich.
HALID BAS
Bis zur Zirrhose ist es ein langer Weg Definitionsgemäss ist die Leberzirrhose ein diffuser Prozess, der durch Fibrosierung und den Umbau der normalen Leberarchitektur hin zu strukturell abnormen Knoten charakterisiert ist. Von der initialen Leberschädigung vergehen über zunehmende Schweregrade der Fibrose bis zur Zirrhose im Allgemeinen
«Eine sichere Diagnose der Leberzirrhose lässt sich stellen durch Messung des hepatischen venösen Druckgradienten oder auch durch den endoskopischen Nachweis von Ösophagus-
varizen.»
10 bis 30 Jahre (bei Autoimmunhepatitis auch kürzer: 3–5 J.). Dieser lange Zeitraum verläuft klinisch meist asymptomatisch oder ist allenfalls durch wenig spezifische Symptome einer chroni-
schen Hepatitis wie Müdigkeit, Ermüdbarkeit oder Appetitlosigkeit gekennzeichnet. Später wird die Zirrhose mit klinischen Zeichen wie Aszites, Varizenblutung, Enzephalopathie oder Niereninsuffizienz symptomatisch. Mehr im Detail betrachtet liegt der Fibrosierung eine Aktivierung der hepatischen Sternzellen zugrunde, die zur vermehrten Einlagerung extrazellulärer Matrixproteine um die Lebersinusoide und zu deren Umlagerung mit Bindegewebe führt. Dadurch entsteht eine Barriere zwischen Hepatozyten und Sinusoidalblut, Hepatozyten verlieren ihre Mikrovilli und erleiden den Zelltod (Apoptose). Die Auskleidung der Lebersinusoide verliert zunehmend ihre Fenestrierung, das Lumen wird eingeengt, neben der Leberzellschädigung mit Funktionseinbusse resultiert schliesslich auch eine portale Hypertension. Eine sichere Diagnose der Leberzirrhose lässt sich stellen durch Messung des hepatischen venösen Druckgradienten oder auch durch den endoskopischen Nachweis von Ösophagusvarizen. Als weniger sichere Diagnosemethoden bezeichnete Markus Heim die Ultraschalloder Duplexuntersuchung und die Computertomografie (CT).
Professor Markus Heim, Basel
Die Problemfelder für die Betreuung von Zirrhosepatienten sind vielfältig: ■ Aszites und spontan-bakterielle
Peritonitis (SBP) ■ Ösophagusvarizen, Magenvarizen,
portalhypertensive Gastropathie ■ hepatische Enzephalopathie ■ hepatorenales Syndrom ■ hepatopulmonales Syndrom ■ Screening auf hepatozelluläres
Karzinom.
Tag der Leber
Der «Tag der Leber» ist eine Fortbildung, die jedes Jahr von der Schweizerischen Vereinigung für das Studium der Leber (Swiss Association for the Study of the Liver [SASL], www.sasl.ch) durchgeführt wird. In diesem Jahr wurde die Veranstaltung von PD Dr. Beat Müllhaupt, Leitender Arzt Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich, und Dr. Beat Helbling, Leitender Arzt Gastroenterologie, Stadtspital Waid, Zürich, zusammen mit den Hausärzten aus Zürich organisiert.
840 ARS MEDICI 19 ■ 2008
LEBERZIRRHOSE: BEHANDLUNG IN DER PRAXIS
Problem Aszites «Irgendwann im Verlauf leiden rund
Was kann der Hausarzt für seine Patienten mit Zirrhose tun?
50 Prozent der Patienten mit Leberzir-
rhose an einem Aszites», sagte Markus
■ Ernährung: kein Alkohol, so viel Protein, wie vertragen wird
Heim, «dies ist ein Zeichen, dass mit der Leber etwas passiert ist, dass die Zirrhose dekompensiert ist.» In dieser Situation gilt als evidenzstarke Empfehlung, dass punktiert werden soll. Anhand des Punktats lässt sich die
■ Aszites: Spironolacton, Torasemid, Kontrolle des Körpergewichtsverlaufs ■ Varizen: endoskopisches Screening, medikamentöse Prophylaxe ■ Hepatische Enzephalopathie: cave! iatrogene Auslöser (z.B. Medikamente: Diuretika,
Schlafmittel u.a.) ■ Hepatozelluläres Karzinom: Screening alle 6 Monate (Ultraschall, AFP)
Ätiologie der Flüssigkeitsansammlung
klären und eine spontan-bakterielle
Peritonitis ausschliessen. Ein Serum- zu rechnen. Zur weiteren Entwässerung tesmobilisation ist mit grossvolumiger
Aszites-Albumin-Gradient > 11 g/l spricht sind Schleifendiuretika sinnvoll: Torase- Parazentese zu begegnen. Beim thera-
für eine portale Hypertension. Dieser mid (Torem®) einmal 5 bis 40 mg täglich pierefraktären Aszites besteht auch die
Parameter ist zuverlässiger als die tra- oder Furosemid, 20 bis 100 mg/Tag. Als Möglichkeit der Einlage eines trans-
ditionelle Unterscheidung anhand des Vorteil von Torasemid bezeichnete Mar- jugulären intrahepatischen, portosyste-
mischen Shunts (TIPS). Dieses Vorge-
«Bis zum Wirkungseintritt der Diuretika braucht es
hen ist für den Patienten komfortabler als multiple Parazentesen, bringt aber
allerdings etwas Geduld, es ist mit einer Latenz von ein
keine Senkung der Mortalität. Heute werden teflonbeschichtete Shunts ein-
bis zwei Wochen zu rechnen.»
gelegt, womit keine Thrombosierungen
mehr vorkommen.
Als schwere Komplikation bei Leberzir-
Totalproteins («Transsudat < 25 g/l, Ex- kus Heim seltenere Reboundphäno- rhose mit Aszites gilt die spontan-bak- sudat > 25 g/l»). Heute gilt zudem bei mene, weshalb diese Substanz heute terielle Peritonitis (SBP). «Deshalb gilt
Aszites folgende Einteilung, die auch für vorzuziehen ist. Die Gewichtskontrolle die Regel: Jeder neu entdeckte Aszites
die Therapie wegleitend ist:
dient der Verlaufsbeurteilung einerseits sollte punktiert werden», stellte Markus
■ Unkomplizierter Aszites ohne hepa- und der Motivation des Patienten ande- Heim klar. Liegen im Punktat > 250
torenales Syndrom
rerseits.
Neutrophile pro Milliliter (0,25 ϫ 109/l)
■ Grad 1 = wenig, nur mit Ultraschall Ein durch Diuretika nicht ausreichend vor, ist von einer SBP auszugehen, ein
zu sehen
kontrollierter Aszites gilt als refraktär. Erregernachweis ist dann nicht notwen-
■ Grad II = mässig, leichte Zunahme Dies kann auf ungenügender Mobilisa- dig. Die Behandlung geschieht intra-
des Abdomenumfangs
tion des Aszites trotz voller Diuretika- venös mit Cefotaxim (Claforan®), Ceftri-
■ Grad III = viel, deutliche Zunahme dosierung (400 mg Spironolacton plus axon (z.B. Rocephin®), Ceftazidim (For-
der Abdomendistension.
40 mg Torasemid) beruhen oder auf tam®) oder mit Augmentin® (i.v. oder
deren Unverträglichkeit bei hepatischer p.o.), oder per os mit Norfloxacin (z.B.
Die Übergänge zwischen Grad I bis III Enzephalopathie, Niereninsuffizienz Noroxin®) für mindestens fünf Tage.
sind in der Praxis freilich fliessend. Als (Kreatinin > 180 µmol/l), Hyponatriämie Nach 48 Stunden erfolgt eine erneute As-
erster Behandlungsschritt wird die, wie (< 125 mmol/l) oder Hyper-/Hypokali- zitespunktion. Dann muss sich die Neu- Markus Heim bemerkte nicht evidenz- ämie. Bei hospitalisierten Zirrhosepa- trophilenzahl normalisiert haben, sonst basierte, Salzrestriktion empfohlen, fer- tienten mit massivem Aszites ist in der wird ein Wechsel des Antibiotikums ner die Flüssigkeitseinschränkung auf < 1,5 Liter pro Tag. «Diese Massnahmen soll man aber mit Vernunft einsetzen, in «Wegen der schweren Komplikation einer spontan- der Praxis ist ein pragmatisches Vorgehen notwendig», mahnte der Leber- bakteriellen Peritonitis gilt die Regel: Jeder neu spezialist. Medikamentös kommt Spiro- entdeckte Aszites sollte punktiert werden.» nolacton (Aldactone® oder Generika), beginnend mit 50 mg/Tag bis hin zur Maximaldosis von 400 mg/Tag zum Ein- Hälfte der Fälle eine Unverträglichkeit notwendig. Beim Zirrhotiker mit gastro- satz. Bis zum Wirkungseintritt braucht im Spiel. Dann hilft eine Medikations- intestinaler Blutung dient Norfloxacin, es allerdings etwas Geduld, es ist mit pause, was auch in der Praxis durch- 400 mg/Tag für sieben Tage der Primär- einer Latenz von ein bis zwei Wochen führbar ist. Einer ungenügenden Aszi- prophylaxe der SBP. ARS MEDICI 19 ■ 2008 841 BERICHT Nach einer ersten SBP-Episode kann sekundärprophylaktisch eine unbeschränkte Dauertherapie mit 400 mg/Tag Norfloxacin (alternativ Cotrimoxazol [z.B. Bactrim®]) eingesetzt werden. Problem Varizen Pro Jahr entwickeln 5 bis 20 Prozent der Zirrhotiker Varizen. Nach zwölf Jahren sind 90 Prozent davon betroffen. Kleine Varizen gehen jährlich in 5 bis 15 Prozent in grosse Varizen über. Ferner ist bekannt, dass rund 30 Prozent der Zirrhotiker eine Varizenblutung erleiden und dass 20 bis 50 Prozent dieser Blutungen tödlich enden. Das Blutungsrisiko nimmt parallel zur Einschränkung der Leberfunktion bei Zirrhose (ChildKlassen A bis C) zu. Ebenso besteht eine sehr enge Korrelation zum hepatovenösen Druckgradienten: «Unter 12 mmHg sehen wir sozusagen nie eine Varizenblutung, über 16 mmHg tritt die Komplikation innert eines Jahres bei rund 70 Prozent auf.» Die massive Gefährdung durch diese Komplikation der Lebererkrankung muss praktische Konsequenzen haben, erklärte Markus Heim: «Alle Patienten mit einer Zirrhose sollten eine ScreeningEndoskopie erhalten.» Findet man dabei keine Varizen, ist die Untersuchung alle zwei bis drei Jahre zu wiederholen. Bei kleinen Varizen soll die nächste Endoskopie in einem Jahr erfolgen, bei grossen Varizen ist eine sofortige medikamentöse Primärprophylaxe mit einem nichtselektiven Betablocker (Propranolol [z.B. Inderal®] oder Nadolol) indiziert. Zunächst ist in niedriger Dosierung anzufangen, mit langsamer Aufwärtstitration. Ziel ist eine Senkung der Herzfrequenz um 25 Prozent oder auf weniger als 55/min. Mit dieser Medikation kommt es zu signifikant weniger Blutungen, und laut einer Metaanalyse besteht ein Trend zu geringerer Mortalität. Die «number needed to treat» (NNT) um eine Blutung zu verhindern beträgt 11. Das pharmakotherapeutische Vorgehen hat aber auch seine Nachteile: in 20 Prozent ist es schlecht verträglich, in 20 bis 40 Prozent unwirksam, und es werden Tachyphylaxien beobachtet. Als Alternative bietet sich die endoskopi- sche Varizeneradikation mittels Gummibandligatur an, die aber das Auftreten neuer Varizen nicht verhindert. Die Behandlung der akuten Varizenblutung besteht in Octreotid (Sandostatin®) i.v. für zwei bis fünf Tage (25 mg Bolus i.v, dann Infusion 25 mg/h), in der endo- Schlafmittel, aber auch Benzodiazepine oder Opiate. Dies hat Konsequenzen für die Ernährungsempfehlungen bei Zirrhose. «Als Regel darf gelten: soviel Protein, wie vertragen wird», sagte Markus Heim. Ziel ist 1 Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Wichtig «Alle Patienten mit einer Zirrhose sollten eine Screening-Endoskopie erhalten.» skopischen Varizenligatur und Sklerosierung, begleitet von einer Infektprophylaxe für 7 Tage mit Norfloxacin 2 × 400 mg/ Tag p.o. oder Ciproxin i.v. Bei therapierefraktärer Blutung, die in 5 bis 10 Prozent beobachtet wird, kommt bei ausreichend gutem Allgemeinzustand die TIPS-Einlage infrage. Rund 70 Prozent der Patienten erleiden eine Rezidivblutung. Dank ihrer guten prognostischen Aussagekraft ist eine Verlaufskontrolle des hepatovenösen Druckgradienten anzustreben. Problem Enzephalopathie Die hepatische Enzephalopathie ist eine reversible Hirnfunktionsstörung bei verschiedenen Leberkrankheiten mit nicht wirklich geklärter Pathogenese: «Ammoniak ist sicher nicht der einzige Faktor.» Die hepatische Enzephalopathie ist eine Ausschlussdiagnose, denn es gibt keinen spezifischen Laborwert. Die klinische Symptomatik ist variabel: ■ Grad I: verwirrt, veränderte Stim- mung oder Verhalten, psychometrische Defekte ■ Grad II: schläfrig, Verhaltensstörung, Flap-Tremor der Finger ■ Grad III: Stupor, weckbar, deutlich verwirrt, Flap ■ Grad IV: Koma. Für die Hirnfunktionsstörung sind viele Auslöser bekannt: Anzuschuldigen ist eine Stickstoffbelastung durch gastrointestionale Blutung, exzessive Eiweisszufuhr oder Obstipation. Elektrolytstörungen (Hyponatriämie, Hypokaliämie, metabolische Azidose oder Alkalose, Hypovolämie) können ebenso auslösend sein wie Medikamente, ganz besonders erscheint es, eine exzessive Eiweisszufuhr zu vermeiden («lieber gleichmässig jeden Tag als einmal pro Woche eine sehr proteinhaltige Mahlzeit»). Unter den Problemen, mit denen man bei Zirrhotikern in der Klinik zu kämpfen hat, nannte der Leberspezialist noch das hepatorenale Syndrom, also eine funktionelle Niereninsuffizienz mit Kreatinin-Clearance < 40 ml/min, die nicht auf Volumengabe (Albumin 20%, NaCl 0,9%) anspricht und mit einer eingeschränkten Diurese (< 500 ml/d) einhergeht. 5 Prozent der Zirrhotiker erleiden auch ein hepatopulmonales Syndrom mit Hydrothorax, respiratorischer Insuffizienz bei pulmonal-arterieller Vasodilatation und Rechts-links-Shunts. Bei 2 bis 5 Prozent kommt auch eine portopulmonale Hypertension vor. Problem hepatozelluläres Karzinom Keinesfalls zu unterschätzen und auch in der Praxis zu berücksichtigen ist die Gefährdung der Zirrhosekranken durch das hepatozelluläre Karzinom. Dessen Inzidenz beträgt bei Zirrhotikern 1 bis 5 Prozent pro Jahr. Daher hat die Euro- pean Association for the Study of the Liver (EASL) die Empfehlung für sechs- monatliche Screening-Untersuchungen mittels Ultraschall und Alfafetoprotein- (AFP-)Bestimmung bei allen Patienten, die potenziell für eine kurative Therapie (Transplantation, chirurgische Resek- tion, Ablation) qualifizieren, herausge- geben. ■ Interessenlage: Diese Berichterstattung erfolgt industrieunabhängig. Halid Bas 842 ARS MEDICI 19 ■ 2008