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BERICHT
Rationale Bildgebung bei Rückenschmerzen
Korrektur der Beunruhigung durch einen Normalbefund ist meistens Illusion
Eine bildgebende Diagnostik wird bei Rückenschmerzen (zu) oft eingesetzt. Was sie leistet — und was sie nicht leisten kann —, diskutierte Dr. Felix Wermelinger von der Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie/Allergologie, Inselspital Bern, am Rheuma Top 2008 in Pfäffikon SZ.
Dr. Felix Wermelinger
HALID BAS
Rückenschmerzen gehören zu den «Top 10» unter den allgemeinmedizinischen Konsultationen. Dies erstaunt weiter nicht, haben doch Untersuchungen in der Schweizer Bevölkerung gezeigt, dass 40 Prozent angeben, innerhalb der vorangegangenen vier Wochen an Kreuzschmerzen gelitten zu haben. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 80 bis 90 Prozent, aber die Beschwerden sind in 95 Prozent der Fälle selbstlimitiert. Aus den USA sind direkte medizinische Kosten durch Kreuzschmerzen von 25 Milliarden Dollar pro Jahr bekannt. Dazu kommt das Doppelte an indirekten sozioökonomischen Kosten.
Ursache mitberücksichtigt werden. Bis zu 6 Wochen spricht man von akutem «low back pain», bei einer Dauer zwischen 6 Wochen und 3 Monaten von subakuten, und bei längerer Dauer von chronischen Rückenschmerzen. Angesichts der prinzipiell guten Prognose ist bei akutem Lumbovertebralsyndrom ohne Warnzeichen («red flags») keine Bildgebung notwendig. Bevor an eine solche gedacht wird, muss eine möglichst präzise klinische Verdachtsdiagnose und damit eine höchst mögliche Vortestwahrscheinlichkeit angestrebt werden: «Keine Zusatzuntersuchung ohne vorausgehenden klinischen Ehrgeiz!», forderte der Rheumatologe an die Adresse der Hausärztinnen und Haus-
«Keine Zusatzuntersuchung ohne vorausgehenden klinischen Ehrgeiz!»
Braucht es eine Bildgebung? «Kreuzschmerzen sind nicht unbedingt vertebragen!», betonte Felix Wermelinger. Wenn man die Beschreibung eines Lumbovertebralsyndroms wählt, muss immer die Frage nach einer spezifischen
ärzte. Werkzeuge dazu sind eine insistente Anamnese und eine genaue manualmedizinische Untersuchung. Liefert die Anamnese Hinweise auf «red flags», hat man harte Argumente für die Bildgebung (Tabelle 1).
Bevor man den Patienten zur Zusatzuntersuchung schickt, ist im Einzelfall abzuschätzen, wie hoch die Vortestwahrscheinlichkeit für eine spezifische Erkrankung ist, und man muss sich im Klaren sein, was man mit der eingesetzten Untersuchungsmethode erreichen will. Die Bestätigung einer klinischen Diagnose erfordert eine Methode mit hoher Spezifität, der Ausschluss einer Diagnose kann nur mit ausreichender Wahrscheinlichkeit gelingen, wenn die Methode sehr
Rheuma Top 2008 — Symposium für die Praxis
Erstmals hat sich Professor Beat A. Michel von der Rheumaklinik am Universitätsspital Zürich für die Organisation des umfangreichen Anlasses mit zahlreichen Plenumvorträgen und Workshops mit Professor Peter M. Villiger von der Universitätsklinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie/Allergologie am Inselspital Bern zusammengetan. Sponsor der anderthalbtägigen Fortbildungsveranstaltung ist die Mepha Pharma AG. Das nächste «Rheuma Top» findet am 27./28.8.2009 statt.
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RATIONALE BILDGEBUNG BEI RÜCKENSCHMERZEN
Tabelle 1: Harte Argumente für eine Bildgebung («red flags»)
bovertebralsyndrom bei. Auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle. So werden Ver-
Fraktur
Tumor/Infektion/viszerogen Neurologie
änderungen des Iliosakralgelenks nach einer mehrmonatigen Schmerzana-
Anamnese
Trauma Osteoporose
Alter < 20 oder > 50 Jahre Malignom Konstitutionelle Symptome Gewichtsverlust Immunsuppression i.v. Drogen Ruhe-/Nachtschmerz Thoraxschmerz
Radikuläre Schmerzausstrahlung Sensibilitätsstörungen, Paresen Blasenfunktionsstörung (Inkontinenz, Harnverhalt)
mnese mit entzündlicher Symptomatik im Röntgenbild sichtbar. Dann ist eine Aufnahme des Beckens auch angezeigt. Die für den Morbus Bechterew typischen «Kastenwirbel» kommen hingegen erst nach Jahren im Röntgenbild zur Darstellung (und nur in diesem, nicht im MRI, CT oder Szintigramm). Als seltene Indikation für ein Szintigramm erwähnte der Referent eine Sakrumfraktur bei aus-
Klinische Befunde
geprägter Osteoporose, die nur mit dieser Methode darstellbar sein kann. Im
Segmentaler Rüttel- oder Klopfschmerz der
Sensomotorische Ausfälle
Allgemeinen liefert eine Skelettsziniti-
Lendenwirbelsäule
Verminderter Analsphinktertonus
grafie aber keine Diagnose, da sie zu
Reithosen-Anästhesie
wenig spezifisch ist.
An sich ist das Spektrum möglicher Ur-
sachen beim Lumbovertebralsyndrom
sehr breit, im Alltag sind aber unspe-
Tabelle 2: Charakteristika der bildgebenden Methoden
zifische Überbeanspruchungen oder Fehlbelastungen («strain or sprain») die
Konventionelles Röntgen Tiefe Sensitivität zum Ausschluss ernsthafter Ursachen
weitaus häufigste Veranlassung und demgegenüber sind umschriebene Ursa-
CT Nachweis ossärer Pathologien
chen degenerativer Art, Diskushernien
MRI Myelografie/Myelo-CT
Pathologie der Weichteile/Bandscheibe/neuraler Strukturen
Genaue Lokalisation, Ausmass einer neuralen Kompression Abklärung einer Operationsindikation Funktionelle Untersuchung
oder Spinalstenosen sehr viel seltener (4 respektive 1%). Im MRI erschwert die Zunahme sichtbarer Veränderungen mit dem Alter die Interpretation sehr. So zeigen über 60-
Skelettszintigrafie
Infiltrativer, disseminierter Prozess? Tiefe Spezifität
Jährige fast ausnahmslos degenerative Veränderungen an den Bandscheiben, und Bandscheibenprotrusionen sind
sogar bei 80 Prozent asymptomatischer
Probanden in dieser Altersgruppe nach-
sensitiv ist. Anlässlich der Verordnung bleme wegen der tiefen Sensitivität des weisbar. Nach einer amerikanischen Un-
einer Bildgebung muss man sich die konventionellen Röntgens einerseits tersuchung sind sogar bei über 20 Pro-
Frage nach der therapeutischen Konse- und wegen der Interpretation und viel- zent asymptomatischer Erwachsener im
quenz stellen und auch die Nachteile, fach der Überinterpretation des MRI», so MRI Diskusherniationen sichtbar. Das
insbesondere die Gefährdung des Patien-
ten durch die Strahlenbelastung, abwä-
gen. Diese ist bei der Darstellung einer Spondylolisthesis in Schrägaufnahme doppelt so hoch. «Röntgen und CT kor-
«In der Praxis entstehen die hauptsächlichen Probleme wegen der tiefen Sensitivität des konventionellen
relieren hier schlecht mit dem Schmerzsyndrom, was auch für Funktionsaufnahmen gilt»,warnte Felix Wermelinger.
Röntgens einerseits und wegen der Interpretation und vielfach der Überinterpretation des MRI.»
Wenn ja, welche? Die verschiedenen bildgebenden Methoden haben ihre je eigenen Vorzüge und Schwächen (Tabelle 2). «In der Praxis entstehen die hauptsächlichen Pro-
Felix Wermelinger. Im konventionellen Röntgen sind Ligamente und Muskeln nicht sichtbar, sie tragen jedoch sehr oft zum Krankheitsgeschehen beim Lum-
MRI zeigt also oft «zu viel» oder verführt zu falschen Schlüssen. «Beschreibt ein MRI-Befund ‹keine Verlagerung oder Kompression von Nervenwurzeln›, kann
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trotzdem einmal ein radikuläres Syndrom vorliegen», warnte Felix Wermelinger. Er gab auch zu bedenken, dass im Liegen durchgeführte bildgebende Untersuchungen die relevanten Veränderungen mit ihrer funktionellen Auswirkung nicht wiedergeben können. Eine Myelografie im Stehen erlaubt hingegen eine funktionelle Beurteilung und ist bei gezielter Indikation somit nicht veraltet. Weitergehende Bildgebungen sind neben dem konventionellen Röntgen sicher immer zur Planung von Operationen oder anderen Interventionen notwendig.
Und der Wunsch des Patienten?
Typische Zeichen der chronischen bilateralen Sakroiliitis: spezifischer Befund für M. Bechterew aber geringe Sensitivität des konventionellen Röntgens im Frühstadium
Wo sich die Wissenschaft in ihrer Auf-
forderung zur Zurückhaltung einig ist,
sieht die Praxis doch anders aus. «Bei gut belegt, dass der Verlauf so nicht ■ Die zunehmend häufig schon primär
akutem Lumbovertebralsyndrom erhal- günstiger ausfällt. Wohl aber sind die
mit der MRI-Tomografie erhobenen
ten mehr als 20 Prozent der Patienten Kosten höher, ein solches Vorgehen ist
Befunde korrelieren schlecht mit den
Beschwerden.
■ Ein konventionelles Röntgen in be-
lasteter, also stehender Position ist
«Bei akutem Lumbovertebralsyndrom erhalten mehr
unverändert die Basisuntersuchung.
als 20 Prozent der Patienten ein Röntgenbild der LWS.
■ Die Wahl der bildgebenden Methode muss sich nach der präzisen klini-
Dieses Vorgehen ist nicht kosteneffektiv.»
schen Fragestellung richten. ■ Die «Ausschlussdiagnostik» bei pro-
trahiertem Verlauf zur (vermeintli-
chen) Absicherung sollte zusammen
ein Röntgenbild der LWS. Angesichts also nicht kosteneffektiv. Kompliziert
mit dem Facharzt erfolgen.
der Häufigkeit dieser Störung machen wird die Entscheidungsfindung nicht ■ Interventionelle Therapien sind an
diese Aufnahmen rund 4 Prozent aller selten durch einen ungünstigen psycho-
eine klinische Analyse/Expertise und
Röntgenbilder aus», sagte Felix Werme- sozialen Kontext (sog. «yellow flags»).
eine kritische Korrelation mit der
linger. Sehr oft ist es so, dass der Patient
Bildgebung geknüpft.
ein Röntgen (oder gleich ein MRI …) Quintessenz für die Praxis
■ Das Fehlen einer strukturellen Ver-
will. Gibt man in der akuten Phase die- Seine Schlussfolgerungen für die Praxis
änderung in der Bildgebung bedeu-
sem Wunsch nach, mag der Patient zu- wollte der Referent cum grano salis ver-
tet nicht zwangsläufig eine Psycho-
nächst zufriedener sein, aber solange er standen wissen. Sie lauten:
genese der Beschwerden.
■
Symptome hat, wird er nicht wirklich beruhigt sein. Auch der Arzt mag an die
■ Bei Lumbovertebralsyndrom ohne «red flags» ist zumindest in der Akutphase
Halid Bas
«Absicherung» seiner Diagnose glauben. Beide verfallen aber einer Illusion, meinte der Rheumatologe, denn es ist
(4–6 Wochen) keine Bildgebung notwendig («falls Sie sich gegen den Patienten durchsetzen können»).
Interessenlage: Diese Berichterstattung wurde durch die Mepha Pharma AG, Aesch, unterstützt. Die Firma hat auf den Inhalt keinen Einfluss genommen.
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