Transkript
FORTBILDUNG
Worauf der Tennisellbogen anspricht
Abwarten? Akupunktur? NSAR? Orthesen? Operation?
Obwohl der Tennisellbogen ein sehr häufiges Problem
ist und obwohl zahlreiche Behandlungsstrategien
vorgeschlagen werden, sind klinische Studien guter
Qualität Mangelware. So lässt sich ein pragmatisches
Vorgehen durchaus rechtfertigen.
A M E R I C A N FA M I LY P H YS I C I A N
Die Epicondylitis lateralis ist eines der häufigsten Überlastungssyndrome in der Allgemeinpraxis. Frauen und Männer sind gleich oft betroffen, die typischen Patienten sind 40 Jahre oder älter und berichten von repetitiven Bewegungen bei der Arbeit oder in der Freizeit. Zwar hat die Erkrankung gemeinhin den Namen Tennisellbogen, sie tritt aber auch bei anderen mit Schlägern gespielten Sportarten auf. Man geht davon aus, dass die wiederholte Dorsalflexion des Handgelenks mit Supination und Pronation die Strecksehnen des Unterarms überansprucht und zu Mikrozerrungen, Kollagenschädigung und angiofibroblastischer Proliferation führt. Unbehandelt verursacht die laterale Epikondylitis für 6 bis 24 Monate Schmerzen.
Diagnose Die anamnestischen Angaben sind meist schon suggestiv. Die Schmerzsymptome lassen sich reproduzieren durch Supination oder Handgelenksdorsalflexion gegen Widerstand, besonders wenn der Arm dabei voll ausgestreckt wird. Typischerweise ist der Schmerz gerade distal des lateralen Epikondylus über dem Sehnenansatz lokalisiert. Eine Bildgebung ist für die Diagnose höchst selten notwendig, betonen Greg W. Johnson und Mitautoren in ihrer Übersicht im «American Family Physician».
Behandlung Für die zahlreichen Behandlungsstrategien gibt es relativ wenig überzeugende Evidenz aus guten klinischen Studien. Immerhin sind für einige Therapien randomisierte klinische Studien, systematische Reviews und Metaanalysen greifbar. Watchful Waiting: Eine randomisierte kontrollierte Studie kam zum Ergebnis, dass beobachtendes Abwarten hinsichtlich der
Hauptbeschwerden nach einem Jahr mit dem Ergebnis nach physikalischer Therapie vergleichbar, aber Kortikoidinjektionen überlegen war. Die Patienten sahen ihren Grundversorger während der 16-wöchigen Interventionsperiode einmal und erhielten Ratschläge zur Vermeidung belastender Aktivitäten, bei Bedarf erhielten sie Paracetamol (z.B. Dafalgan®) oder ein nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR), und sie wurden ermuntert, auf die spontane Besserung zu warten. NSAR: Topische NSAR können für kurzfristige Schmerzlinderung sorgen. Gute Studien zum Nutzen fehlen allerdings. Zu den Effekten oraler NSAR bei der Epicondylitis lateralis ist die Beiweislage widersprüchlich. In zwei Studien verbesserte Diclofenac (Voltaren® oder Generika) mit verzögerter Freisetzung (150 mg/die) kurzfristig Schmerz und Funktion signifikant. Demgegenüber bestand zwischen 500 mg/Tag Naproxen (Proxen® oder Generika) und Plazebo hinsichtlich der Schmerzbeeinflussung kein Unterschied. Patienten, die eine Kortikoidinjektion erhalten hatten, erfuhren nach vier Wochen eine grössere Schmerzlinderung als diejenigen, die orale NSAR einnahmen, aber dieser Vorteil blieb längerfristig nicht erhalten. Kortikosteroidinjektion: Die lokale Injektion eines Kortikosteroids hat kurzfristig (2 bis 6 Wochen) gegenüber anderen konservativen Therapien Vorteile hinsichtlich Schmerz, Gesamtverbesserung und Griffstärke, länger als sechs Wochen bleibt
Merksätze
■ Die Schmerzsymptome der Epicondylitis lateralis lassen sich reproduzieren durch Supination oder Handgelenksdorsalflexion gegen Widerstand, besonders wenn der Arm dabei voll ausgestreckt wird.
■ Für die zahlreichen Behandlungsstrategien gibt es nur wenig überzeugende Evidenz aus guten klinischen Studien.
■ Auf positive Behandlungsstudien stützen sich topische oder orale NSAR, Dehnungs- und Kräftigungsübungen, Tennisellbogenorthesen, Physiotherapie und Kortikoidinjektion.
■ Bei Versagen konservativer Methoden bieten verschiedene chirurgische Eingriffsverfahren Heilungschancen.
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FORTBILDUNG
dieser höhere Behandlungsnutzen aber nicht bestehen. Eine Studie verglich die Kortikosteroidinjektion und eine spezielle Orthese (ein nicht elastisches «Tennisellbogenband» um den proximalen Unterarm). Auch hier hatte die Injektion zwar nach zwei Wochen die Schmerzen besser beeinflusst, aber nach sechs Wochen war kein Unterschied mehr festzustellen. Gleich mehrere Studien fanden, dass orale NSAR und Physiotherapie sowohl mittelfristig (über 6 Wochen) als auch längerfristig (über 6 Monate) einen grösseren Behandlungsnutzen brachten als eine Kortikosteroidinjektion. Vergleichsuntersuchungen fanden zwischen verschiedenen Kortikosteroidpräparaten keine klinisch signifikanten Differenzen. Trotz kurzfristiger Symptomlinderung bleiben bezüglich der Langzeiteffektivität im Vergleich zu konservativen Behandlungen berechtigte Zweifel. Extrakorporale Schockwellentherapie: Zwar gab es zu dieser Behandlungsmodalität etliche Fallserien, aber neuere systematische Reviews legen nahe, dass sie bei Tennisellbogen nicht indiziert ist. Orthesen: Verschiedene Arten von Bandagen oder Schienen finden bei der Epicondylitis lateralis weitverbreiteten Einsatz. In mehreren systematischen Reviews waren die Autoren jedoch nicht in der Lage, zuverlässige Schlussfolgerungen zum Nutzen zu ziehen. Das Tragen eines Tennisellbogenbandes um den proximalen Unterarm kann kurzfristig die Schmerzen lindern und die Griffstärke verbessern. Eine Schienung kann bei der Verrichtung von Alltagsbewegungen Hilfe bieten. Es gibt aber auch widersprüchliche Evidenz, die im Einsatz von Orthesen eher eine Unterlegenheit gegenüber topischen NSAR oder Kortikosteroidinjektionen sieht. Laserbehandlung: Auch dieses Behandlungsangebot kann sich nicht auf überzeugende Evidenz abstützen und sollte bei Tennisellbogen nicht zum Einsatz kommen, schreiben die Autoren. Physiotherapie: Hier kommen verschiedene Verfahren zum Zug. Positiv waren Studien mit 10 bis 20 Behandlungen mit NSAR-Iontophorese (z.B. mit Diclofenac). Dehnungs- und Kräftigungsübungen können in einer Sitzung erklärt und als Hausaufgabe mitgegeben werden. Die Übungen, ein- bis dreimal täglich über sechs Wochen und länger durchgeführt, können hilfreich sein. Ultraschallapplikationen zwei- bis dreimal pro Woche mit ingsgesamt 8 bis 18 Behandlungen werden ebenfalls empfohlen, scheinen jedoch gegenüber einer Übungstherapie weniger effektiv zu sein. Zusätzliche Kortikoide oder tiefe Bindgewebsmassage bringt bei Ultraschallbehandlung keinen zusätzlichen Nutzen. Im Allgemeinen scheinen die physiotherapeutischen Verfahren eine Schmerzlinderung zu bringen, aber auf die reduzierte Griffstärke keine konsistent positive Wirkung zu entfalten. Akupunktur: Ein Konsenspapier der US-amerikanischen National Institutes of Health hält fest, dass für die Akupunktur vielversprechende Daten vorliegen, die diese Therapie beim Tennisellbogen zur angemessenen Option machen. Es gibt aber auch ganz andere Stimmen, und eine hieb- und stichfeste Basis zur Empfehlung der Akupunktur besteht zurzeit nicht.
Autologe Blutinjektion: Derartige Injektionen können eine entzündliche Kaskade in Gang setzen, die über Mediatoren oder das lokalisierte Trauma der Injektion selbst Anstoss zu Heilungsprozessen in degenerativ veränderten Geweben gibt, lautet hier die Behandlungshypothese. Eine Fallserie an 29 Patienten berichtete von einer 79-prozentigen Verbesserung des Schmerzscores über gut neun Monate. Gute Studien mit einer Vergleichsgruppe, die Plazeboinjektionen erhält, liegen jedoch nicht vor, weshalb die Schulmedizin diese Therapie (noch nicht) empfehlen kann. Botulinumtoxininjektion: Hierzu liegen zwei sich widersprechende Studien vor. Weitere Daten sind für die Indikation Epicondylitis lateralis notwendig. Topische Nitrate: In tierexperimentellen Untersuchungen stimuliert Stickoxid die Kollagensynthese in Wundfibroblasten und könnte daher bei der Heilung lädierter Sehnen nützlich sein. Bis jetzt gibt es erst eine randomisierte kontrollierte Studie, die auf einen Nutzen topischer Nitroglycerinpflaster beim Tennisellbogen hindeutet. Operative Eingriffe: Wenn konservative Behandlungsversuche nach sechs bis zwölf Monaten keine überzeugende Besserung der Beschwerden gebracht haben, wird oft eine Operation empfohlen. Dabei gibt es zahlreiche chirurgische Verfahren, teils mit offenem, teils mit arthroskopischem Zugang. Bei den meisten Techniken wird abnorm verändertes Gewebe am Ursprung des M. extensor carpi radialis brevis entfernt oder die Sehne reseziert. Fallserien berichten von günstigen Verläufen mit nur wenig Nebenwirkungen. Randomisierte kontrollierte Studien liegen jedoch nicht vor.
Vorgehen in der Praxis
Die Autoren schlagen einen einfachen Algorithmus vor. Ist die
Diagnose anhand von Anamnese und Untersuchungsbefund
klar, muss der Patient entscheiden, ob er eine aktive Behand-
lung will. Falls nicht, lässt sich Watchful Waiting gut vertreten.
Bei Behandlungswunsch muss die mögliche Fehlbelastung
diskutiert werden. Ausserdem kommen topische oder orale
NSAR, kombiniert mit Schonung und einem daheim durchzu-
führenden Übungsprogramm, zum Einsatz. Auch eine Tennis-
ellbogen-Orthese kommt in Betracht. Hat dieses Vorgehen
nach vier bis sechs Wochen keine Symptomlinderung ge-
bracht, soll eine Physiotherapie verordnet werden. Alternativ
kann eine Korikosteroidinjektion verabreicht werden. Diese
stellt auch nach fehlendem physiotherapeutischem Behand-
lungserfolg den nächsten Schritt dar. Ist nach weiteren vier bis
sechs Wochen der Behandlungserfolg ausgeblieben, kommt
der Zeitpunkt der Überweisung zum Spezialisten.
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Greg W. Johnson et al. (Family Medicine Residency of Idaho, Boise/USA): Treatment of lateral epicondylitis. Am Fam Physician 2007; 76: 843—848.
Interessenkonflikte: keine deklariert
Halid Bas
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