Transkript
BERICHT
Prix Galien geht 2008 an einen Impfstoff
Auszeichnung für die HPV-Impfung
Eine unabhängige Jury hat den
quadrivalenten Impfstoff gegen
humane Papillomviren (Gardasil®)
für den diesjährigen renommierten
Forschungspreis «Prix Galien»
ausgewählt. An der Preisverleihung
in Zürich stellten sich Experten
Fragen nach Sinn und Verhältnis-
mässigkeit von Schutzimpfungen.
Kostenaspekte waren dabei nicht zu umgehen.
Anlässlich der Verleihung des Prix Galien 2008 in Zürich: Preisempfängerin Frau Dr. med. Andrée Montigny vom Imfpstoffhersteller Sanofi Pasteur MSD mit dem Entdecker des HPV-Impfstoffs Professor Harald zur Hausen, Heidelberg (rechts) und Jurypräsident Professor Richard Herrmann, Basel (links)
HALID BAS
Ein Glücksfall Der Entdecker des Impfstoffs, Professor Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, bekannte zu Beginn: «Wir hatten Glück, gleich die beiden wichtigsten Typen des humanen Papillomvirus (HPV) zu identifizieren.» Die HPV-Typen 16 und 18 sind in Europa für 74 Prozent der invasiven Zervixkarzinome verantwortlich. Inzwischen sind beim Menschen 114 HPVTypen nachgewiesen worden. Klinische Studien mit HPV-Vakzinen, die «viruslike particles» (VLP) enthalten, haben gezeigt, dass sie selbst ohne Adjuvans bemerkenswert hohe Antikörpertiter induzieren, die mindestens zehnmal
höher ausfallen als nach natürlicher Infektion, und dass diese Antikörper über lange Zeit persistieren. «Jetzt können wir dies für sieben Jahre belegen», so Harald zur Hausen, «und bei den rapportierten ungeklärten Todesfällen wurde nie nachgewiesen, dass die Impfung die Ursache war.» Damit steht heute eine unerhört nützliche Waffe zur Verhütung von HPV-Infektionen und zur Verhinderung von zervikalen präkanzerösen Läsionen zur Verfügung. Diese Aussage trifft vorderhand für die industrialisierten Länder zu. In den Entwicklungsländern, in denen weitaus die meisten Zervixkarzinome vorkommen, ist der heutige Impfstoff nicht bezahlbar. Ausserdem müssten für solche Regionen angesichts der rudimentären Infra-
struktur Vakzinen entwickelt werden, die keine Kühlkette nötig machen und vorzugsweise durch eine nichtinvasive Technik appliziert werden könnten. Erste Schritte in diese Richtung wurden mit neuen Produktionstechniken gemacht, die die viralen Antigene zwar nicht in den besonders immunogenen VLP enthalten, aber in E. coli einfach herzustellen sind. Mit Blick auf die Zukunft berichtete Harald von Hausen auch von viralen Vektorsystemen, die eine intranasale Impfung erlauben könnten. Angesichts der ständig länger werdenden Liste von Viren, die mit menschlichen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, freute sich Harald zur Hausen: «Es lohnt sich, weiterzuforschen – für Diagnostik und Therapie.»
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BERICHT
Wieviel darf ein QALY kosten? Die Einführung der HPV-Vakzine hat in manchen Ländern zu lebhaften Diskussionen über die Kosten dieser Krebsverhütungsmassnahme geführt. Wenn sich Gesundheitssysteme mit einer Novität konfrontiert sehen, schlägt heute auch immer die Stunde der Gesundheitsökonomen. Thomas D. Szucs, Leiter des Arbeitsbereichs Medizinische Ökonomie am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich, berichtete von seiner Kosteneffektivitätsstudie zur Einführung von Gardasil in der Schweiz. Bisher begegnete die Medizin der Herausforderung der HPV-assoziierten Genitalläsionen mit regelmässigen Zervixabstrichen als Screeninguntersuchungen und mit Exzisionen präkanzeröser Veränderungen sowie der Therapie von manifesten Zervixkarzinomen. Von der neuen Vakzine darf erwartet werden, dass sie präkanzeröse und maligne Läsionen in all jenen Jahrgängen von geimpften Mädchen und jungen Frauen verhindert, also auch Leben rettet. Im gesundheitsökonomischen Zusammen-
Was die HPV-Impfung in der Schweiz kostet
Die GDK hat mit der Santésuisse eine einheitliche Pauschale vertraglich vereinbart, die pro Impfung 159 Franken vorsieht. Dies vesteht sich inklusive Mehrwertsteuer und Impfpauschale, unabhängig davon, ob die Impfung in einer Arztpraxis oder im Rahmen des schulärztlichen Dienstes verabreicht wird. Da für die Grundimmunisierung drei Impfungen notwendig sind, müssen die Krankenversicherer einen Totalbetrag von 477 Franken vergüten. Dies liegt deutlich unter den ursprünglich kalkulierten Impfkosten.
Grundimmunisierung später doch eine Boosterimpfung notwendig ist. Wie immer bei derartigen Analysen müssen verschiedene Annahmen getroffen werden. Für die Gardasilimpfung ist wichtig, dass diese Analyse weder die zusätzlichen Nutzen der Herdenimmuni-
«Wir hatten Glück, gleich die beiden wichtigsten Typen des humanen Papillomvirus (HPV) zu identifizieren.»
hang kommen hier die «qualitätsadjustierten Lebensjahre» (QALY) ins Spiel, die einen monetär fassbaren Ausdruck der Kosten einer Vorbeugemassnahme darstellen und vor allem auch Vergleiche ermöglichen. Thomas D. Szucs und seine Mitautoren berechneten anhand gängiger, akzeptierter Modelle die Kosteneffektivität, wenn in der Schweiz zusätzlich zum Zervixkarzinom-ScreeningProgramm auch der neue quadrivalente HPV-Impfstoff appliziert wird. Dabei fanden sie, dass die neue zusätzliche Massnahme zu einer Kosteneffektivitätsratio von 26 000 Franken pro QALY führt, was im Vergleich mit anderen Präventionsmassnahmen als akzeptabel gilt. Diese Zahl erhöht sich jedoch allenfalls auf 45 400 Franken pro QALY, wenn sich zeigen sollte, dass nach der
tät noch diejenigen der Verhütung von HNO-Tumoren auch bei Männern, die heute zunehmend als HPV-assoziiertes Problem erkannt werden, berücksichtigt. «Die Kosteneffektivität der Massnahme dürfte sich daher eigentlich noch besser darstellen», präzisierte Thomas D. Szucs. Er stellte das Kosteneffektivitätsverhältnis auch in den Zusammenhang mit jenem von Studien zur kardiovaskulären Prävention, beispielsweise mit Statinen, das pro gerettetes Lebensjahr durchaus zw schen 20 000 und 40 000 Franken liegt.
Ein Hürdenlauf Professor Felix Gutzwiller, Leiter des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Zürich, zeichnete den umständlichen Weg nach, den die neue
Vakzine vom Zulassungsgesuch bis zu den jetzt mit dem neuen Schuljahr in den verbliebenen Kantonen anlaufenden, im Detail organisatorisch unterschiedlich ausgestalteten Impfprogrammen gehen musste, und er sparte dabei nicht mit Kritik. Zunächst erinnerte er an die epidemiologischen Zahlen für die Schweiz. Pro Jahr ist mit zirka 250 neuen Fällen von Zervixkarzinom sowie mit 90 dadurch ausgelösten Todesfällen zu rechnen. Daneben dürften jährlich rund 5000 Interventionen wie Biopsien und Exzisionen anfallen, die durch HPVassoziierte Läsionen ausgelöst werden. Dies verband Felix Gutzwiller mit der Feststellung: «Jedes verpasste Jahr führt zu Fällen, die verhütbar wären.» Die Stationen des dornenvollen Wegs zu den heute zu implementierenden kantonalen Impfprogrammen gleichen einer ziemlichen Irrfahrt. Zunächst wollte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Vakzine nicht in die Spezialitätenliste aufnehmen, weil eine Beurteilung durch die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) noch ausstand. Als diese vorlag und die Impfung befürwortete, lehnte das BAG sie als unwirtschaftlich ab, empfahl aber die Impfung in schulärztlichen Programmen, einen kollektiven Einkauf und Kollektivpreise zwischen Kantonen und Krankenkassen. Der Bundesrat ebnete dann über eine Änderung des KLV Art. 12a den Weg, verwies die Aufgabe aber an die Kantone. Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) trat darauf in Verhandlungen mit den Krankenkassen (Santésuisse) und dem Hersteller, Mitte Juni unterzeichnete der Bundesrat den Rahmenvertrag zwischen GDK und Santésuisse. Zurzeit muss jeder Kanton dem Rahmenvertrag beitreten, mit der Herstellerfirma einen Liefervertrag abschliessen, mit Fachgesellschaften und (sofern vorhanden) Schularztdiensten ein Impfprogramm organisieren, die finanziellen Mittel dafür bereitstellen, die Mädchen und jungen Frauen informieren und die Abrechnung der ärztlichen Leistungen organisieren. Das alles ist nicht einfach, vor allem sind Agglomerationskantone wie Zürich mit komplizierten Fragen konfrontiert, da viele
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PRIX GALIEN GEHT 2008 AN EINEN IMPFSTOFF
Frauen mit einer anderen Kantonszugehörigkeit hier leben und Wohnsitz und Arbeitsort bestimmt werden müssen. «Was sich hier abspielt, ist kein Ruhmes-
Alle für die Impfung? In einer abschliessenden Gesprächsrunde waren sich die Referenten aus ihrem je spezifischen Blickwinkel in ihrer positi-
«Die Kosteneffektivität der Vakzine dürfte sich wegen Herdenimmunität und der Verhütung von HNO-Tumoren
auch bei Männern noch besser darstellen.»
blatt in der schweizerischen PublicHealth-Landschaft», urteilte Felix Gutzwiller. Besonders bedenklich ist, dass es in vielen Kantonen zu einer beträchtlichen Verzögerung kommt, was bedeutet, dass die Hälfte der Kohorte der Impfkandidatinnen die Vakzine erst mit Verspätung erhält. «26 Gesundheitssysteme in einem kleinen Land sind einfach zu viel», ereiferte sich der Präventivmediziner, «und für eine einzelne Impfung ein eigenes Programm aufzustellen, ist unsinnig.» Zwar kann durch den gemeinsamen Einkauf des Impfstoffs eine kostengünstigere Lösung erzielt werden. «Man hätte aber einige Jahre schneller sein können», schloss Felix Gutzwiller. Der ebenfalls anwesende Gesundheitsdirektor des Kantons Luzern, Markus Dürr, mochte die Medizinerschelte in der anschliessenden Diskussion nicht einfach so stehen lassen. «Uns haben die 26 000 Franken pro QALY nicht dermassen positiv beeindruckt», merkte er an,
ven Einschätzung von Vakzinen einig. Felix Gutzwiller wandte sich zum jetzigen Zeitpunkt dagegen, die HPV-Impfung auch Knaben beziehungsweise jungen Männern anzubieten (wie dies z.B. in Österreich geschieht). Natürlich erzeugt der Impfstoff auch bei ihnen eine gute Immunantwort und dürfte bei Männern ebenfalls etliche HPV-assoziierte Neoplasien, insbesondere von Zunge und Mundhöhle, verhüten. Dies zu vermitteln, wäre aber schwierig und würde die Präventionsbotschaft komplizieren: «Wir sollten uns jetzt auf die Mädchen konzentrieren und alle zügig impfen.» Der Widerstand aus impfkritischen Kreisen ist offensichtlich in verschiedenen Ländern unterschiedlich vehement ausgefallen. Hier kommt den Informationskampagnen grosse Bedeutung zu. Als Vorwurf wird auch gelegentlich formuliert, dass Big Pharma sich nur neue Märkte suche. Harald zur Hausen verlangte jedoch, dies differen-
«Wir sollten uns jetzt auf die Mädchen konzentrieren und alle zügig impfen.»
Märkten zugute kommt. Hans Joachim
Hutt, Director Scientific and Regulatory
bei Sanofi Pasteur MSD, gab zu beden-
ken, dass auch in den Entwicklungs-
ländern zuerst ein funktionierendes
Gesundheitssystem aufgebaut werden
müsse, da sonst Impfungen ins Leere
laufen. Thomas D. Szucs erinnerte
daran, dass Impfungen zu den wirt-
schaftlichsten Interventionen gehören.
Ausserdem haben sie auch einen altruis-
tischen Aspekt, indem man jene mit be-
einträchtigter Immunitätslage schützt,
wenn man sich selbst impfen lässt.
Auch in der abschliessenden Laudatio
anlässlich der Übergabe des Prix Galien
erinnerte Professor Richard Herrmann,
Chefarzt Onkologie am Universitäts-
spital Basel, daran, dass mit der HPV-
Impfung nicht Lifestyle gepflegt werde,
sondern potenziell tödliche Tumoren
verhütet würden. Als Onkologe werde
ihm täglich bewusst, wie wenig die Rea-
lität von Kostendiskussionen mit derje-
nigen von von Malignomen Betroffenen
zu tun habe, die sich in ihrer Notlage
nicht laut zu Wort melden können.
Angesichts der von ihm ausgelösten
Kosten für onkologische Behandlungen,
die weitherum akzeptiert werden, lägen
doch auch die 26 000 Franken pro QALY
(oder auch von 45 000 Franken, falls
Booster notwendig werden) völlig im
Rahmen, denn neue Antitumorpräpa-
rate kosteten oft das Doppelte oder
Mehrfache.
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Interessenlage: Diese Berichterstattung erfolgt industrieunabhängig.
Halid Bas
«deshalb war das kantonale Programm einfach notwendig.» Und die Verzögerung sei doch auch zu relativieren, da das grüne Licht vom Bundesrat erst im letzten November kam und dieses Jahr mit dem Schuljahresbeginn im Herbst schon geimpft werde und auch die Informationskampagne zusammen mit der Herstellerfirma auf gutem Weg sei.
ziert zu betrachten. Klar sei, dass für die Entwicklungsländer ein neuer Impfstoff wie derjenige gegen HPV «unerträglich» teuer sei, unerträglich angesichts der Tatsache, dass 83 Prozent der Zervixkarzinome dort auftreten. Durch alternative Herstellungsverfahren und andere Hersteller werde es aber auch zu einem Wettbewerbsdruck kommen, der diesen
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