Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
Jean-François Steiert, Nationalrat SP, FR, reichte am 19.3.2008 eine Motion ein:
Zulassung von Arzneimitteln
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament einen Änderungsvorschlag zum Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG) zu unterbreiten. Der Bund respektive das Schweizerische Heilmittelinstitut soll ermächtigt werden, Verfahren zur Zulassung eines neuen Arzneimittels oder zur Ausweitung einer bestehenden Zulassung auf neue Anwendungen einzuleiten, wenn zum Beispiel ein formelles Gesuch der Eidgenössischen Arzneimittelkommission vorliegt und/oder wenn die Ergebnisse des Zulassungsverfahrens in einem anderen Land und ein Gesuch des Inhabers der entsprechenden Zulassung vorliegen.
Begründung Die gegenwärtige Bundesgesetzgebung sieht vor, dass das Gesuch für eine Erstanmeldung oder um Ausweitung einer Zulassung auf neue Krankheiten durch die Inhaberin der Rechte des betreffenden Arzneimittels erfolgen muss. In einigen Fällen kann dies dazu führen, dass nicht zugelassene Arzneimittel auch nicht in die Arzneimittelliste der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aufgenommen werden — obwohl ihre therapeutische Wirkung belegt und unbestritten ist, obwohl ihr Preis tiefer liegt als der eines zugelassenen Arzneimittels mit gleicher oder teilweise gleicher Wirkung und obwohl ihre Zulassung eine Kostensenkung ohne Qualitätsverlust ermöglichen würde —, wobei dies ausschliesslich aus kommerziellen Gründen geschieht und offensichtlich den Interessen der Patientinnen und Patienten widerspricht.
Aus der Antwort des Bundesrates vom 6.6.2008
Wer ein Arzneimittel in der Schweiz in Verkehr bringen will, benötigt eine Zulassung durch das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic (Artikel 9 Absatz 1 des Heilmittelgesetzes, HMG; SR 812.21). Bei der Zulassung legt Swissmedic zahlreiche Parameter fest, unter anderem auch die Indikation (Artikel 11 HMG). Jede Änderung dieser Parameter, beispielsweise eine Indikationserweiterung, muss der Zulassungsinhaber durch Swissmedic genehmigen lassen (Artikel 16 HMG). Eine vergleichbare Regelung gilt auch im Bereich der Krankenversicherung. Das Gesuch um Aufnahme in die Spezialitätenliste oder um eine Indikationserweiterung muss ebenfalls vom Zulassungsinhaber gestellt werden. Der Zulassungsinhaber trägt die volle Verantwortung für das Arzneimittel und ist nach den Bestimmungen des Produkthaftpflichtrechts für die Fehlerlosigkeit des Arzneimittels haftbar. Diese Regelung hat sich grundsätzlich bewährt. Der Motionär verlangt, dass der Bund respektive Swissmedic ermächtigt werden soll, unter gewissen Voraussetzungen ein Verfahren zur Zulassung eines neuen Arzneimittels oder zur Ausweitung einer bestehenden Zulassung auf neue Anwendungen einzuleiten. Ein Verfahren einleiten kann bedeuten: 1. Der Bund respektive Swissmedic tritt selber als Zulassungsinhaber
auf; 2. Der Bund respektive Swissmedic leitet ein Verfahren ein, ohne als
Zulassungsinhaber aufzutreten; 3. Der Bund respektive Swissmedic verpflichtet den aktuellen Zulas-
sungsinhaber oder eine andere Firma, eine Zulassung bzw. Erweiterung der Zulassung zu beantragen.
In allen drei Fällen stellt das Begehren des Motionärs eine weitgehende Abkehr vom derzeitigen System dar. Die Umsetzung dieses Begehrens würde sehr wesentliche Fragen aufwerfen, die zunächst vertieft geklärt werden müssten: Wer soll die Zulassung bzw. Indikationserweiterung beantragen können? Aufgrund welcher Unterlagen? Wer finanziert die erforderlichen klinischen Studien? Kann die Zulassung auch gegen den Willen des Herstellers verlangt werden? Was wären die Folgen einer so verlangten Zulassung bzw. Indikationserweiterung? Würde der Bund allenfalls für Schäden haftpflichtig? Könnte er ablehnende Entscheide von Swissmedic anfechten? Könnte er gleichermassen auch die Aufnahme in die Spezialitätenliste verlangen? Welche Auswirkungen hätte dieser Systemwechsel auf die Erhältlichkeit von Arzneimitteln in der Schweiz? Angesichts dieser offenen Fragen kann das Begehren nicht so umgesetzt werden, wie dies der Wortlaut verlangt. Der Bundesrat lehnt die Motion daher ab. Der Fall von Avastin/Lucentis, auf den sich die Begründung des Motionärs indirekt bezieht, wirft aber zum Teil berechtigte Fragen zur heutigen Regelung bezüglich Zulassung von Arzneimitteln und deren Aufnahme in die Spezialitätenliste auf. Der Bundesrat ist deshalb bereit, im Rahmen der HMG-Teilrevision zu prüfen, ob Handlungsbedarf besteht. Sollte dies der Fall sein, wird er dem Parlament einen Vorschlag für eine entsprechende Gesetzesänderung unterbreiten.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
688 ARS MEDICI 16 ■ 2008
Die von Geri Müller, Nationalrat GPS, AG, am 20.3.2008 eingereichte Interpellation (Begründung siehe ARS MEDICI 10/08) wurde vom Bundesrat wie folgt beantwortet.
Geschäft mit den Organlieferungen von exekutierten Häftlingen.
Roche und Novartis in China
1. Wie sichert der Bundesrat ab, dass die neuen chinesischen Gesetzesgrundlagen von 2007 umgesetzt werden? Wie kann er sicherstellen, dass er offizielle und transparente Informationen über die Anwendung der Todesstrafe sowie die Handhabung von Organtransplantationen in China erhält?
2. Wie kann er die Unternehmen Roche und Novartis (Hersteller von Medikamenten, welche die Akzeptanz der Transplantate massiv erhöhen) in Bezug auf ihre soziale Verantwortung und die Einhaltung der Menschenrechte kontrollieren, respektive wie kann der Bundesrat einen verpflichtenden Rahmen schaffen, mit dem die Aktivitäten dieser Unternehmen geregelt und überwacht werden können?
3. Wie verträgt sich die strenge Gesetzgebung bezüglich Transplantation in der Schweiz mit einem von Schweizer Firmen unterstützten Outsourcing des Problems in ein anderes Land? Konfrontiert man potenzielle Patientinnen und Patienten mit den vorhandenen Informationen?
Aus der Antwort des Bundesrates vom 6.6.2008
1. Es ist in erster Linie Sache der chinesischen Behörden, die neue chinesische Gesetzgebung über Organtransplantationen umzusetzen. Dabei müssen die Behörden dafür sorgen, dass China die von ihm eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen erfüllt. Die Schweizer Behörden verfolgen ihrerseits die Frage der Anwendung der Todesstrafe und des Umgangs mit Organtransplantationen in China trotz der Schwierigkeiten bei der Beschaffung von genauen Informationen zu diesem Thema aufmerksam. Dieser Mangel an Transparenz bezüglich dieser Frage wird von der Schweiz im Rahmen des Menschenrechtsdialogs mit China regelmässig angesprochen.
2. Auch hier liegt die Verantwortung für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in erster Linie bei den einzelnen Staaten. Trotzdem ist insbesondere wegen der neuen Realitäten, die durch die Globalisierung geschaffen wurden, eine Debatte über die Frage der Verantwortung von nichtstaatlichen Akteuren in diesem Bereich in Gang gekommen. Die Schweizer Behörden setzen sich dafür ein, dass alle gesellschaftlichen Akteure — darunter die Unternehmen — für die Notwendigkeit der Einhaltung der Menschenrechte sensibilisiert werden und dass Wirtschafts- und Menschenrechtspolitik noch kohärenter werden und sich gegenseitig ergänzen. Die Unternehmen ihrerseits sind verpflichtet, die jeweilige nationale Gesetzgebung zu berücksichtigen. Im Hinblick auf ein verantwortungsvolles Unternehmensverhalten (Corporate Responsibility) kann zudem auf breitabgestützte internationale Initiativen verwiesen werden, die von der Schweiz mitgetragen werden und weitreichende Empfehlungen von Regierungen an die von ihrem Gebiet aus tätigen Unternehmen darstellen sowie entsprechende staatliche Umsetzungsmechanismen enthalten (namentlich die OECD-Leitsätze für multinationale Unter-
nehmen und die dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der Internationalen Arbeitsorganisation). Wie der Bundesrat bereits in seiner Antwort auf die Motion 06.3591 zu einer Uno-Konvention über Corporate Accountability dargelegt hat, sollte der Schlussbericht des Uno-Sonderbeauftragten für Unternehmen und Menschenrechte, John G. Ruggie, dazu beitragen, die Verantwortung der Staaten bei der Reglementierung und der Kontrolle der Unternehmen auf einer sachlichen Grundlage zu diskutieren. 3. Die genannten Firmen stellen Medikamente her, welche notwendig sind, damit ein Transplantatempfänger das Transplantat nicht abstösst. Es wäre ethisch nicht vertretbar, diesen Firmen den Verkauf der Medikamente zu verbieten, denn dies würde das Leben vieler Transplantatträger gefährden. Es sind nicht diese Medikamente, die den Missbrauch im Bereich der Transplantationen bewirken. Es wäre wohl zynisch, den Standpunkt zu vertreten, dass ohne diese Medikamente keine Transplantationen stattfinden können, weil dann die Transplantate abgestossen würden. Somit ist der Bundesrat auch nicht der Meinung, dass aufgrund der Tatsache des Verkaufes dieser Medikamente ein Problem ausgelagert wird. Eine Information an jeden potenziellen Transplantatempfänger in der Schweiz würde die Grenzen der medizinischen Informationen für die Aufnahme auf die Warteliste sprengen. Demgegenüber sind die Ärzte schon jetzt verpflichtet, die Patienten über das gesetzliche Verbot zu informieren, falls sie sich nach verbotenen Praktiken erkundigen. Weitere Informationen in dieser Sache erfolgen durch die Medien und andere allgemeine Informationskanäle.
ARS MEDICI 16 ■ 2008 689