Transkript
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Rosenbergstrasse 115
«Spiel nicht mit den Schmuddelkindern», sang Franz Josef Degenhardt in den goldenen Zeiten der Achtundsechziger. Natürlich war das als zynische Aufforderung gemeint. Sprecht nicht mit den Schmuddelheilern, hätte man am vergangenen Dienstag gerne gejammert, und das ganz im Ernst. Denn das Schweizer Fernsehen opferte eineinhalb Stunden seiner teuren Sendezeit einer der tausenden Krebsheilmethoden, die jede Woche neu den verzweifelten Patienten das blaue Leben vom düsteren Himmel versprechen. Angezettelt hatte die Diskussion um die alles heilende (gegen Krebs ebenso wie gegen Aids und einige weitere publicityträchtige Krankheiten wirksame) Curcumin-Therapie der Ökomedizinalfundamentalist und ExNationalrat Roland Wiederkehr. Wiederkehr kolportierte, was die Kritiker schon seit 30 und mehr Jahren monieren: Die Onkologie ist zu teuer und bringt keine wesentlichen Fortschritte. Was seit gleich vielen Jahren a) wahr und b) falsch ist. Aber egal. Wiederkehr präsentierte als Alternative die Zellsymbiosetherapie nach Dr. Kremer. Leider erfuhr man von der als ach so ökologisch, sympathisch, kostengünstig, ganzheitlich, die Selbstheilungskräfte stärkend, unschädlich und erst noch wirksam gepriesenen Heilmethode wenig mehr als ihren Namen. Aber eigentlich lohnt es sich ja auch nicht, mehr darüber zu wissen. Das wirre, pseudowissenschaftliche Gefasel des Heilpraktikers Meyer genügte, um zu ahnen, womit und mit wem man es – zum tausendsten Mal – zu tun hatte. Unbedarfte Zuschauer und -hörer allerdings mochten sich möglicherweise ernsthaft fragen: Wozu brauchen wir noch eine Onkologie, die mit «Stahl, Strahl und Chemie» doch nichts als Nebenwirkungen verursacht? Dass sf.tv unsere Gebühren dafür nutzt, solchem Hokuspokus eine Plattform zu geben, nur weil sich Ex-
Nationalräte erdummen, daran zu glauben, ist – ein Skandal.
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Eher ungewollt Werbung für eine Heilmethode (die Impfung gegen FSME nämlich) machte das Departement des Samuel Schmid, der sich, eh von allen Seiten gepiesakt, jetzt auch noch einer Armee von Arthropoden, genauer Cheliceraten, noch genauer Arachniden der Ordnung der parasitiformen Acarien, gegenüber sah. Der «Böfei» namens Ixodes ricinus (vermutlich) hockt – wo anders soll er her kommen in diesen politisch schwierigen Zeiten für S.S. – in Zürcher Wäldern. Aggressiv, gefährlich, heimtückisch, ein Meister der Tarnung und des Überraschungseffekts. Jedenfalls, vor dem «gemeinen (und das ist für einmal durchaus moralisch qualifizierend gemeint) Holzbock» nahm eine ganze Gruppe von Rekruten Reissaus. 70 von ihnen konnten dem Feind nicht entkommen und wurden gebissen. (Natürlich beissen die achtbeinigen Viecher nicht, sondern sie stechen, aber auf der Flucht kann man sich nicht auch noch um solcherlei Details kümmern.) Bei drei Angehörigen der Armee (nicht der Armee der Ixoden, sondern jener des Sämi Schmid und seines feinen Oberkommandierenden Nef, den niemand gebissen, wohl aber einer geritten hat, nämlich der Teufel, als er seiner ExFreundin Geld dafür bot, dass sie die Anzeige gegen ihn zurücknehme) röteten sich die Stichstellen, und es kamen Antibiotika zum Einsatz. Ein Vierter wurde – soviel Präventivmedizin muss möglich sein – antibiotisch gegen seine Angst vor einer Wanderröte (Erythema migrans) behandelt. Als Aussenstehender fragt man sich ob solcher Vorkommnisse, wie es zu einem derart gravierenden Versagen des
militärischen Aufklärungsdienstes kommen konnte. Liegt es, wie die SVP insinuiert, einfach an der Armeeführung? Wird bei der Ausbildung unserer Soldaten auf die falschen Inhalte gesetzt (Sturmgewehr statt Zeckenzange)? Sind das die Folgen eines falschen Neutralitätsverständnisses? Klar ist: Eine Neubeurteilung der globalen wie der regionalen Bedrohungslage tut dringend not. Und der Chef der Sanitätstruppen wird wissen, welche Posten in der nächsten Beschaffungsvorlage Priorität haben: Aufklärungsbroschüren («Der Holzbock») und FSME-Impfstoff.
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Ein Preisüberwacher stellt keine Fragen. Er stellt lieber fest, zum Beispiel: «Immer mehr Medikamente werden über die SDÄrzte an Patienten direkt abgegeben und weniger über Apotheken.» Feststellung PÜW: Ärzte verdienen zu viel. Die fehlende Frage: Warum ist das so? (Antwort: Weil die Patienten diesen Abgabeweg bevorzugen.) Und weiter: «… verdienen die selbstdispensierenden Allgemeinpraktiker aus der Medikamentenabgabe im Durchschnitt Fr. 106 000.– zusätzlich zu ihrem Arzteinkommen.» Feststellung PÜW: Ärzte verdienen zu viel. Die fehlende Frage: Wie viel weniger verdienen die Hausärzte in den günstigen Landkantonen wegen tieferer Taxpunktwerte im Vergleich mit ihren rezeptierenden Kollegen in Städten wie Basel und Genf?
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Wie sagte Fussballtrainer Dettmar Cramer: «Es hängt alles irgendwo zusammen: Sie können sich am Hintern ein Haar ausreissen, dann tränt das Auge.»
Richard Altorfer
ARS MEDICI 15 ■ 2008 645