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FORUM
Botox-Ethik
Plädoyer im Fall «Herzlose gegen Mäuse»
MAX KÄLIN
Botox ist weltweit in. Dahinter steckt das Botulinumtoxin, ein Nervengift, das die Verbindung zwischen Nerv und Muskel blockiert. Es ist das stärkste bekannte Gift und eignet sich auch als Biowaffe. Diese Hinweise sind nötig, um zu verstehen, dass die Herstellung therapeutischer Chargen dieses Gifts spezielle Vorkehrungen verlangt. Eine davon ist das Testen an Wesen, die ein Nervensystem haben, üblicherweise an Mäusen. Den Test muss man sich vergegenwärtigen, er heisst LD50 (Letale-Dosis50): Man probiert durch Versuche die Chargenkonzentration so einzustellen, dass exakt 50 Prozent sterben.
Stellen Sie sich das bitte aus der Warte der Maus vor. Gepackt von Menschenhand, zappelnd oder nicht zappelnd, kriegt man eine Dosis in die Bauchhöhle gespritzt. Was folgt, ist eine zunehmende Atemlähmung (das Zwerchfell wird gelähmt) und je nach Maus ein qualvolles Verrecken oder ein qualvolles Überleben. Ich möchte hier betonen, dass Mäuse Säugetiere sind wie Sie und ich, mit Angst- und Schmerzempfinden, mit Mutterinstinkten, mit rotem Blut innen drin, genau mit allem, was Sie und ich auch haben, nur in kleinerer oder einfacherer Form.
Nun gibt es zwei Arten medizinischer Anwendungen: eine zur Linderung von gewissen Krankheiten und eine zur Befriedigung von Eitelkeit. Für die erste Kategorie glaubt man, in Kauf nehmen zu dürfen, dass zu diesem Zweck Tiere geopfert werden – ich will das hier so stehen lassen. Die zweite Kategorie ist heikler. Da werden wegen Geld- und Schönheitssüchtigen jährlich Hunderttausende von Mäusen gequält. Nun lernte ich vor über 50 Jahren von meiner Mutter: «Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz.» Das tönt nach ein-
fach gestrickter Ethik – so einfach, dass sie jeder Idiot verstehen müsste («Scherz» kann man sich natürlich wegdenken, es steht hier nur wegen des Reims). Um eine gerechtere Leidensverteilung auf dieser Welt zu fördern, habe ich folgenden Vorschlag. Alle am kosmetischen Botox-Geschäft Beteiligten, das heisst Ärztinnen, Ärzte, Verrunzelte, Hersteller und so weiter, tragen sich weltweit in eine Liste ein. Aus dieser Liste werden zur Chargenkontrolle jeweils Menschen nach einem Zufallsverfahren ausgewählt und dem LD50-Test unterzogen. Da wir eine Neigung haben, uns den Konsequenzen unseres Tuns entziehen zu wollen, braucht es eine unparteiische Supervision. Ich schlage für diese Kontrolle die drei Nornen vor. Als die drei schickalbestimmenden Frauen der Indogermanen haben sie Übung in dieser Sparte. (Weiter ist die Zahl drei günstig bei Zweifelsfällen – ein eindeutiges Abstimmungsresultat ist immer möglich).
Schönheit kommt, und Schönheit geht. In dem mehr als
3000 Jahre alten Papyrus Ebers, einem der ältesten medizini-
schen Dokumente, stehen zahlreiche Schönheitsrezepturen.
Medizin und Ästhetik stehen in intimer Beziehung, und das
schon lange. Daran ist nichts Verkehrtes, aber an dem oben
Skizzierten schon. Es ist eine kolossale Entgleisung, denn im
Zentrum unserer ärztlichen Aufgaben steht das Lindern von
Leiden, und zwar aller fühlender Wesen. Es geht nicht an, ohne
Not Leiden auszulagern und an Mäuse zu delegieren.
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Max Kälin MD Dr. med. Dr. sc. nat.
Badenerstrasse 334 8004 Zürich
ARS MEDICI 15 ■ 2008 655