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BERICHT
Tagesbefindlichkeit bestimmt Therapie
Schlafstörungen erkennen, einordnen und behandeln
An der 32. practica-Fortbildung zum Mitmachen in Bad Orb diskutierte Peter Geisler, Ärztlicher Leiter des Schlaflabors an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Regensburg, die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten des Hausarztes bei Insomniepatienten.
STEFANIE LINDL-FISCHER
«Schlafstörungen sind als eigene manifeste Erkrankung zu betrachten, wenn sie über vier Wochen mindestens dreimal wöchentlich auftreten und die Tagesbefindlichkeit deutlich beeinträchtigen – mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen», erläutert Geisler: Über ein Jahr betrachtet, verfünffacht sich zum Beispiel das Unfallrisiko der Betroffenen, sie weisen ein achtfach höheres Depressions- und Suchtrisiko auf.
Primäre oder sekundäre lnsomnie? Schlafstörungen, für die keine organische oder psychiatrische Ursache auszumachen ist, nennt man primäre Insomnien. Treten sie dagegen als Folge von Arzneimitteln, äusseren Einflüssen (Lärm, Licht, Hitze) oder organischen beziehungsweise psychischen Erkrankungen auf, werden sie als sekundäre Insomnien bezeichnet. Im Prinzip können alle psychiatrischen und bestimmte neurologische Erkrankungen wie Demenz, Morbus Parkinson, Epilepsien, chronische Schmerzen Auslöser sein.
Neben den sekundären hat der Hausarzt nach Geislers Erfahrung mit drei Arten primärer Insomnien häufiger zu tun:
■ Akute Insomnien (Anpassungsinsomnien) treten situationsbezogen, zum Beispiel im Krankenhaus oder in Stresssituationen, und zeitlich begrenzt auf. Nach maximal sechs Wochen sollten sie abklingen.
■ Zu einer psychophysiologischen Insomnie, einer gelernten Schlaflosigkeit, kann es kommen, wenn der Patient durch schlechten Schlaf in einen Teufelskreis gerät: Einerseits ist er dadurch zwar psychisch erschöpft, baut aber eine erhöhte Erwartungsangst auf, unbedingt schlafen zu wollen. Er ärgert sich, grübelt und sorgt sich um seine Leistungsfähigkeit – was einen erholsameren Schlaf nicht gerade fördert. Gleichzeitig ist er körperlich müde, schont sich und verlängert die Bettruhe. Dadurch wird der Schlafdruck reduziert und die Störung noch mehr verstärkt.
■ Die paradoxe Insomnie bezeichnet eine Fehleinschätzung des Schlafes.
Hausärztliche Diagnostik zentral «Das Befinden am Tag ist ausschlaggebend für die Einordnung einer Störung, und zwar nach der Faustregel: Klagt ein Patient über ausgeprägte Tagesschläfrigkeit, sollte man nach einer organischen Ursache fahnden. Ist er zwar matt, aber
nicht schläfrig, handelt es sich oft um eine nicht organisch bedingte Insomnie», weiss Geisler und rät: «Am wichtigsten ist es, dass Sie bei ersten Hinweisen auf eine Schlafstörung gezielt nachfragen.» Zentrale Informationen sind ■ Form, Dauer und Verlauf (seit wann,
wie häufig, phasenweise/situativ) ■ das Tagesbefinden ■ die Lebensgewohnheiten: Konsum
von Nikotin, Alkohol, Kaffee, Tee oder üppigen Mahlzeiten zu später Stunde ■ das Schlafverhalten: wann und wie lange im Bett, Schlafdauer, Einschlafzeit, nächtliche Wachphasen, Tagschlaf ■ Fremdanamnese: Beobachtungen des Partners (Schnarchen mit Atemaussetzern, auffällige Bewegungen etc.) ■ mögliche Ursachen: psychische Belastung, Schnarchen, Schmerzen, Luftnot, Harndrang, Juckreiz, Ängste, bestehende Erkrankungen und Therapien ■ gegebenenfalls Art der Vorbehandlung.
Merksätze
■ Klagt ein Patient über ausgeprägte Tagesschläfrigkeit, sollte man nach einer organischen Ursache fahnden.
■ Ist er zwar matt, aber nicht schläfrig, handelt es sich oft um eine nicht organisch bedingte Insomnie.
■ Nichtmedikamentöse Interventionen sollten den Vorrang haben.
■ Eine Medikation sollte sich nach dem Störungsbild richten und in Dosis, Einnahmezeitpunkt und Therapiedauer möglichst genau vorgegeben werden.
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Tabelle 1: Häufige Ursachen chronischer Insomnien
■ Bei rund 20% der Betroffenen: primär psychophysiologischer Hintergrund
■ In über 30% der Fälle: Depression, Angsterkrankung, Schizophrenie, Demenz, Essstörung
■ Bei über 20%: Syndrom der ruhelosen Beine, Schlafapnoe
■ Unter 10% der Fälle: Substanzmissbrauch, Medikamentennebenwirkung (zum Beispiel von Schilddrüsenhormonen, Appetitzüglern, Antihypertensiva, Antibiotika, MAO-Hemmern, SerotoninwiederaufnahmeHemmern, Nootropika, Neuroleptika, Kortikosteroiden)
■ Ebenfalls unter 10%: körperliche Erkrankung (endokrine, metabolische, Herz-Kreislauf-Erkrankung, hormonelle Störung)
■ Sonstige Ursachen: knapp 10%
Anschliessend sind iatrogene Faktoren auszuschliessen: Hat man eine bestimmte Substanz (Tabelle 1) als Auslöser der Störung im Verdacht, ist zu prüfen, ob sich bei Absetzen die Schlafproblematik bessert. Wenn ja, sollten möglichst die Hauptdosen des Präparats vormittags gegeben werden, gibt der Regensburger Schlafexperte den practicaTeilnehmern mit auf den Weg. Mittels körperlicher Untersuchung, neurologischen Status, Labor, Lungenfunktionstest, EKG oder Sonografie ist zudem nach möglicherweise ursächlichen Erkrankungen zu fahnden. Schliesslich sollte der Patient zur spezifischen Schlafanamnese seinen Schlaf protokollieren. «Bei Müdigkeit am Tag sollten Sie ihn zum ambulanten Apnoescreening an einen Pneumologen beziehungsweise Neurologen überweisen, auch wenn er nicht besonders stark schnarcht.» Eine recht zuverlässige Abschätzung des Ruhe-Aktivitäts-Zyklus des Patienten ermöglicht eine Bewegungsmessung (Aktometrie) mittels Handgelenksaktograf.
Therapie am Tagesbefinden ausrichten «Als Hausarzt können und sollen Sie auf Basis der Befunde schliesslich eine kausale Therapie einleiten, um einer Chronifizierung der Störung vorzubeugen», ermutigt der Somnologe. Dabei sollten nichtmedikamentöse Vorrang vor medikamentösen Interventionen haben. «Das ist im Sinne der Patienten, die Mehrheit will ohne Hypnotika schlafen können.» Gefragt ist demnach ein multimodaler Ansatz mit zeitlich begrenztem Einsatz rasch wirksamer Hypnotika und langfristiger nichtmedikamentöser Begleitung. Der Gradmesser für den Erfolg ist die Tagesbefindlichkeit.
Zuerst informieren und Regeln setzen «Zunächst stehen im Arzt-Patienten-Gespräch Information und Aufklärung im Vordergrund, zum Beispiel darüber, dass es keine allgemeingültigen Normen für Schlafzeit und -dauer gibt, sondern die Bedürfnisse individuell verschieden sind. Zudem sollten die Patienten wissen, dass der Schlaf im Alter unruhiger und flacher und damit störungsanfälliger wird und bis zu zehn kurze Aufwachreaktionen pro Stunde Schlaf als normal angesehen werden. In der Regel erinnern sich die Patienten daran nicht. Längeres Wachbleiben entsteht daraus meist erst aus Angst vor Schlafstörungen. Schlaf wird nämlich erst nach etwa 20 Minuten als solcher wahrgenommen, Wachphasen schon nach 5 bis 10 Minuten», überrascht Geisler seine Zuhörer.
■ die Bedingungen im Schlafzimmer entsprechend anzupassen (ruhig, dunkel, kühl, keine Uhren im Blickfeld)
■ grüblerische Gedanken für den nächsten Tag aufzuschreiben
■ das Bett nur zum Schlafen oder für sexuelle Aktivitäten zu nutzen
■ spätestens nach 30-minütigem Wachliegen aufzustehen, in einen anderen Raum zu gehen und zum Beispiel zu lesen
■ sich generell erst (wieder) hinzulegen, wenn man müde ist
■ auch nach einer schlechten Nacht nicht länger liegenzubleiben und keinen zusätzlichen Mittagsschlaf zu halten
■ sich nach dem Aufstehen möglichst bald hellem Licht (Tageslicht) auszusetzen
■ am Ende des Tages einige Stunden Entspannung einzuplanen.
Entspannen und Angst überwinden «Als besonders geeignet zur abendlichen Entspannung hat sich die körperzentrierte Muskelrelaxation nach Jacobson erwiesen, bei der einzelne Muskelgruppen systematisch angespannt und wieder gelockert werden», empfiehlt Geisler. «Dagegen kommen viele Insomniepatienten mit autogenem Training schlecht zurecht». Biofeedback, also die apparative Kontrolle von Entspannungszuständen, spiele als besonders aufwendige und teure Methode in der täglichen Praxis kaum eine Rolle.
«Hypnotika nicht ohne begleitende nichtmedikamentöse Therapie einsetzen!»
Dr. med. Peter Geisler
Neben dem Ausräumen irriger Ansichten zum Thema Schlaf stellen auch Regeln zu Schlafhygiene und Stimuluskontrolle eine wichtige Säule im Therapiekonzept dar. Der Schlafexperte rät seinen Patienten: ■ einen festen Bettgeh- und Aufsteh-
zeitpunkt und Schlafrituale zu etablieren
Gerade den Patienten, die sich zu sehr auf den Schlaf fokussieren, ihn erzwingen wollen oder Angst vor akuten Folgen und Langzeitschäden durch die Insomnie haben, können verhaltenstherapeutische Interventionen helfen. Sie sollten an ihrem subjektiven Schlafempfinden arbeiten, um wieder ungestört einschlafen zu können. Allerdings
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ist dazu die Begleitung durch einen erfahrenen Psychologen oder Psychotherapeuten erforderlich – ebenso bei der Schlafrestriktion, einer für den Patienten stark belastenden Massnahme, die viel Vertrauen und Disziplin erfordert. Sie basiert auf der Annahme, unnötig lange wach im Bett zu liegen destabilisiere den Schlaf-Wach-Rhythmus. Daher wird die Zeit im Bett zum Beispiel auf maximal sieben Stunden am Tag beschränkt. Wenn sie mindestens 85 Prozent dieser Zeit tatsächlich schlafen, dürfen die Patienten in der nächsten Woche 15 Minuten länger liegen bleiben, wenn nicht, wird die Bettzeit weiter verkürzt. Studien zeigen, dass sich bei zwei Dritteln der Patienten durch die nichtmedikamentösen Massnahmen die Einschlaflatenz und die totale Schlafzeit anhaltend verbessern lassen, so Geisler. Der Effekt tritt aber oft erst nach Tagen oder Wochen ein. Daher hängt der Erfolg gerade der aufwendigeren Verhaltens- und Entspannungstherapie massgeblich davon ab, wie der Therapeut den Patienten langfristig motivieren, Akzeptanz und Compliance herstellen kann.
Medikation nach Störungsbild auswählen Rasche Hilfe versprechen dagegen Schlafmittel, die man nach abgeschlossener Diagnostik im Regelfall auch zeitlich begrenzt einsetzt. Die gewählte Substanz sollte in Wirkprofil und Wirkdauer beziehungsweise Halbwertszeit optimal zu den Charakteristika und Symptomen des Patienten passen: ■ Dauer der Störung: Für die kurzfris-
tige Therapie, zum Beispiel bei akuter Insomnie ohne Suchtanamnese, sind Benzodiazepin-Rezeptoragonisten (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon) erste Wahl. Benzodiazepine mit mittlerer Halbwertszeit wie Oxazepam gelten als Alternative. Beide Substanzgruppen wirken rasch und werden eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen beziehungsweise nach nächtlichem Erwachen eingenommen. Lang wirksame Benzodiazepine wie Diazepam, Flunitrazepam
oder Dikaliumclorazepat sollten wegen ihres Überhang- und Kumulationsrisikos vermieden werden. Für langfristige Therapien bieten sich sedierende Antidepressiva (zum Beispiel Amitriptylin, Doxepin, Trimipramin) oder nieder- beziehungsweise mittelpotente Neuroleptika (Pipamperon) wegen geringerer Toleranzentwicklung und niedrigerem Abhängigkeitspotenzial an, jedoch besteht dabei das Risiko einer OffLabel-Verordnung, wenn keine Depression vorliegt. ■ Phänotyp bestimmt Wirkdauer: Bei Einschlafstörungen wie psychophysiologischer Insomnie bieten sich vorrangig rasch und kurz wirksame Präparate an wie Zaleplon. Treten Ein- und Durchschlafstörungen zusammen auf, sind mittellang wirksame Präparate wie Zopiclon, Zolpidem oder Lormetazepam erste Wahl, nach nächtlichem Erwachen kann bis drei Uhr das kurz wirksame Zaleplon gegeben werden. Bei Suchtanamnese sind Antidepressiva vorzuziehen. ■ Befindlichkeit am Tag: Generell ist natürlich eine optimale Balance zwischen Schlafverbesserung und Überhangeffekten anzustreben. Bei depressiv gestimmten Patienten können sich Antidepressiva oder Neuroleptika besonders positiv auswirken. Vorsicht jedoch mit stark toxischen Substanzen bei Suizidalität! ■ Alter und Vorerkrankungen: Im Alter sollten möglichst niedrige Dosen (Empfehlung: Einstiegsdosis halbieren) gewählt und auf spezifische unerwünschte Arzneimittelwirkungen geachtet werden. So droht vor allem bei Benzodiazepinen vermehrte Sturzgefahr, sedierende Antidepressiva sind bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Prostatahypertrophie oder Glaukom nicht geeignet.
«Pflanzliche Präparate mit Baldrian, Hopfen, Melisse oder Johanniskraut wenden die Patienten oft selbst an. Linderung ist davon aber höchstens bei leichten Insomnien zu erwarten. Denken Sie daran, dass schwächere Anti-
histaminika rezeptfrei erhältlich sind, und fragen Sie gezielt nach der Einnahme solcher Präparate», so Geisler.
Therapieschema konsequent planen Ist schliesslich das für den Patienten optimale Präparat identifiziert, sollten Dosis, Einnahmezeitpunkt und Therapiedauer möglichst genau vorgegeben werden. «Wählen Sie wegen der bekannten Risiken der Hypnotika die kleinstmögliche Dosis und die kürzestmögliche Behandlungszeit, und führen Sie den Patienten eng», mahnt der Schlafexperte. Um einem Missbrauch beziehungsweise einem Wiederauftreten der Symptome, einem ReboundEffekt oder Entzugserscheinungen am Therapieende vorzubeugen, geht er strategisch vor: «Nach Bedarf, das heisst vor besonders wichtigen Tagen, empfehle ich Patienten mit primärer Insomnie, ein Hypnotikum einzunehmen, pro Woche insgesamt drei bis vier Tabletten. Diese intermittierende Therapie nimmt die Angst vor einem Scheitern am nächsten Tag und auch vor Abhängigkeit.» Der Patient sollte regelmässig, anfangs mindestens alle vier Wochen, wieder einbestellt und die rezeptierte Zahl von Tabletten überwacht werden. Werden Ausschleichversuche unternommen, müsse meist mehr Zeit als nach der Faustregel «mindestens ein Zehntel der Einnahmezeit» angesetzt werden, da es vielen Patienten schwerfalle, die niedrigste Dosis ganz wegzulassen. Zeige die Behandlung über mehr als ein halbes Jahr aber keinen Erfolg – bei signifikanter Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit –, besteht eine Indikation zur Polysomnografie im Schlaflabor.
Bei sekundären Insomnien erst die Grunderkrankung behandeln Auch bei sekundären Insomnien kann dieser Schritt nötig werden: zum Beispiel, um den Verdacht auf eine solche organisch bedingte Störung endgültig abzuklären und schliesslich erkrankungsbedingte Störungsfaktoren wie Juckreiz, Schmerz oder Atemnot gezielt
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Bei der Insomnietherapie häufig eingesetzte Substanzen (nach einem Vortrag von Dr. Geisler)
Klasse
Substanzen
Charakteristika
Non-BenzodiazepinHypnotika/BenzodiazepinRezeptoragonisten
gut wirksam, rasche Resorption, geringe Adaptations- und Reboundproblematik, geringe Toxizität, sehr geringes Abhängigkeitsrisiko (nur bei Suchtanamnese), keine Kumulation, Schlafarchitektur nicht relevant beeinträchtigt
Pyrazolopyrimidin (Zaleplon [Sonata®])
spezifisch Schlaf anstossend, sehr kurze Wirkdauer (Halbwertszeit 1 h)
Imidazopyridine (Zolpidem [Stilnox® oder Generika])
spezifisch Schlaf anstossendes Wirkprofil mit kurzer bis mittellanger Wirkdauer (21/2 h HWZ) ¬ aber: manche Patienten reagieren gar nicht, manche mit sehr langer ¬ Halbwertszeit/Überhang
Zyklopyrrolon (Zopiclon [Imovane®])
kurze bis mittellange Wirkdauer (HWZ: 5 h), gute Tagesbefindlichkeit ¬ aber: metallischer Geschmack im Mund, altersadaptiert dosieren
Benzodiazepine
Oxazepam (Seresta®, Anxiolyt®) Lormetazepam (Noctamid®, Loramet®) Temazepam (Normison®) Nitrazepam (Mogadon®)
gute Potenz, jahrelange Erfahrung, wenig Nebenwirkungen, kaum toxisch, geringes bis mässiges Abhängigkeitsrisiko, mittlere HWZ mit 5—6 h ¬ aber: besonders im Alter Achtung wegen Rebound, Amnesie, Muskel¬ relaxation/Atemsuppression; dosisabhängig REM-/Tiefschlafunter¬ drückung, teilweise Überhang, Kumulation ¬ nicht geeignet: Diazepam mit 20—30 h HWZ, Chlordiazepoxid, ¬ Flunitrazepam, Flurazepam
sedierende Antidepressiva
Amitriptylin (Saroten® Retard, Tryptizol®) Doxepin (Sinquan®) Trimipramin (Surmontil® oder Generikum) Mirtazapin (Remeron®), Trazodon (Trittico®)
gute Wirksamkeit, lange Wirkdauer, nahezu keine Abhängigkeitsrisiken, geringe Absetzprobleme, positive Wirkung auf Depression ¬ aber: Off-label-Use!, relativ hohe Toxizität, anticholinerge/kardiale ¬ Nebenwirkungen, REM-Schlaf unterdrückt (ausser Trimipramin)
nieder-/mittelpotente Neuroleptika
Pipamperon (Dipiperon®)
gute Wirksamkeit, zum Teil lange Wirkdauer, nahezu kein Abhängigkeits-
potenzial, besonders geeignet bei begleitenden psychischen Erkrankungen
¬ aber: anticholinerge/extrapyramidalmotorische, hämatologische oder
¬ kardiale Nebenwirkungen möglich — auch schwerster und irreversibler
¬ Art (Spätdyskinesien), Störung der Tagesbefindlichkeit möglich, Off-
¬ Iabel-Use!
¬
Alkoholderivate
Chloralhydrat (Chloraldurat®, Nervifene®)
rasch und gut wirksam, kurze Halbwertszeit, Wirkdauer ca. 5 h, meist gut verträglich, unbeeinflusstes Schlafprofil ¬ aber: hohe (Leber-)Toxizität, (Magen-)Schleimhautreizung, rasche ¬ Toleranzentwicklung, hohes Abhängigkeitspotenzial
Antihistaminika (rezeptfrei erhältlich!)
Diphenhydramin (Benocten®, Nardyl® Schlaf)
meist gut wirksam, bei Normaldosierung relativ wenige Nebenwirkungen ¬ aber: hohe Toxizität — potenziell letal, Abhängigkeit möglich, ¬ Toleranzentwicklung, anticholinerge Nebenwirkungen
zu bekämpfen. Zwar gelten die vorgestellten Optionen, besonders der Stellenwert der nichtmedikamentösen Therapie, prinzipiell auch bei sekundären Insomnien. Doch muss sich hier der Einsatz von Hypnotika nach der Grunderkrankung und Prognose richten. Bei Depressionen zum Beispiel werden se-
dierende Antidepressiva am Abend und zur Nacht gegeben. Zusätzlich können nach Bedarf auch Benzodiazepin-Rezeptoragonisten oder Benzodiazepine eingesetzt werden. Bei demenziell Erkrankten bieten sich Zolpidem, Zopiclon oder niedrig dosiertes Mirtazapin (5 bis 7,5 mg) an.
Häufige «Schlafräuber»: ruhelose Beine Auch bei den schlafbezogenen Bewegungsstörungen Restless-legs-Syndrom (RLS, Tabelle 2) und Periodic Limb Movements Syndrom (PLMS), zwei häufigen Ursachen für organisch bedingte Insomnien, ist eine symptomatische
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Tabelle 2: Formen des Restlesslegs-Syndroms
■ idiopathisch: bei ca. 50 Prozent der Erkrankungen, hereditär (autosomal dominanter Erbgang), chronisch-progredienter Verlauf, nicht heilbar
■ symptomatisch: häufig bei Dialyse/Niereninsuffizienz (50—60 %), in der Schwangerschaft (bis zu 30% der Frauen im letzten Gestationsdrittel), bei Eisenmangelanämie (auch latenter Eisenmangel, niedriger Ferritinwert), bei spinalen Läsionen, Polyneuropathien und M. Parkinson, reversibel
■ pharmakologisch ausgelöst durch: Antidepressiva (besonders Mirtazapin), Neuroleptika, Metoclopramid, Antihistaminika, Koffein, Lithium
Therapie der Ein- und Durchschlafstörungen nur Beiwerk: Bei Bedarf können Benzodiazepine das Unruhegefühl überdecken. Erste Wahl ist aber bei idiopathischem RLS und PLMS die Gabe dopaminerger Substanzen: Schon nach der ersten Dosis werden sich Bewegungsdrang, Missempfindungen und unwillkürliche periodische Bewegungen merklich bessern. Letztere sind bei zirka 90 Prozent der RLS-Patienten nachweisbar und für nächtliche Weckreaktionen verantwortlich.
Einfache Diagnostik beim Hausarzt Für den Hausarzt heisst das: Klagt ein Patient zum Beispiel über Ein- oder Durchschlafstörungen, Tagesschläfrigkeit, Wadenkrämpfe, Akathisie, Polyneuropathie, Venenbeschwerden oder unklare Schmerzen in Beinen und Rücken, sollte er die vier RLS-Diagnosekriterien abfragen:
■ Bewegungsdrang, meist mit schwer zu beschreibender Missempfindung der Extremitäten (Kribbeln, Brennen, Reissen, Zittern, Ziehen, Jucken etc.)
■ Beginn oder Verschlechterung in Ruhe ■ Besserung durch körperliche Aktivi-
tät ■ Verschlechterung am Abend und in
der Nacht (vorrangig in der ersten Nachthälfte).
Leidensdruck steuert Therapiebedarf Ist auf diese Weise die klinische Diagnose RLS gestellt, ist noch abzuklären, ob es sich um ein sekundäres reversibles oder um ein idiopathisches RLS handelt. Auch das Vorliegen einer primären Form bedeutet aber längst nicht, dass Betroffene tatsächlich dopaminerg behandelt werden müssen. Entscheidend ist vielmehr, wie stark die Lebensqualität beeinträchtigt ist. «Viele stören leichte Beschwerden ein- oder zweimal pro Woche nicht», erlebt Geisler immer wieder. Wünscht der Patient aber eine Therapie, sollten die Präparate einschleichend dosiert – langsamer als im Beipackzettel angegeben – und in der niedrigsten effektiven Dosis eine Stunde vor Beschwerdebeginn eingenommen werden, damit die Symptome nur ab und zu oder eben gerade nicht durchkommen. Bei leichtem RLS helfen nach Bedarf bis zu zweimal täglich L-Dopa (Restex®) 100/25 mg oder die länger wirksamen Non-Ergot-Dopaminagonisten Pramipexol (0,088 mg) und Ropinirol (0,25 mg). Bei mittleren bis starken Beschwerden sind Pramipexol (Sifrol®, bis 0,54 mg/ Tag) und Ropinirol (Adartrel®, bis 4 mg/ Tag) erste Wahl. Durch die kurze Halbwertszeit von L-Dopa (bis zu viermal 100/25 mg/Tag) kommen die Patienten oft schlecht durch die Nacht. Zudem
droht bei hoher L-Dopa-Dosis die Gefahr
einer Augmentation, also einer Verschlech-
terung der Beschwerden, die einen Prä-
paratewechsel zum Beispiel auf Opiate
oder eine drastische Dosisreduktion
nötig macht. Opiate gelten bei schwe-
rem therapierefraktärem RLS als Ultima
Ratio. Alternativ können dann auch
andere Dopaminagonisten (Rotigotin-
Pflaster [Neupro®], Cabergolin [Caba-
ser®]), Gabapentin [Neurontin® oder
Generika] oder Pregabalin [Lyrica®]) al-
lein oder kombiniert eingesetzt werden.
Auch der Patient selbst kann die Thera-
pie unterstützen: zum Beispiel durch
regelmässige leichte Bewegung wie Rad-
fahren, durch Kühlen oder Massieren.
Wenig Erfolg versprechen dagegen
schwere körperliche Aktivität, physika-
lische Therapie, Entspannungsverfahren
oder Psychotherapie.
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Stefanie Lindl-Fischer Redakteurin «Der Allgemeinarzt»
Talstrasse 5 D-93152 Nittendorf E-Mail: lindl@der-allgemeinarzt.com
Interessenkonflikte: keine
Dieser Bericht erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 7/2008. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
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