Transkript
STUDIE REFERIERT
Niedermolekulare Heparine im Vorteil
Metaanalyse zur pharmakologischen Thromboembolieprophylaxe bei internistischen Spitalpatienten
Während die Datenlage für chir-
urgisch-orthopädische Patienten
eindeutig ist, herrscht noch eine
gewisse Unklarheit, welche Medi-
kamente zur Thromboembolie-
prophylaxe bei internistisch hos-
pitalisierten Patienten am effek-
tivsten sind. Eine Metaanalyse
versucht, eine Antwort zu geben.
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Der venöse Thromboembolismus, also tiefe Venenthrombose (TVT) und Lungenembolie (LE), ist eine häufige und oft unerkannte Ursache für Morbidität und Mortalität bei hospitalisierten Patienten. Ungefähr 10 Prozent der Todesfälle im Krankenhaus sollen Lungenembolien zuzuschreiben sein. Da eine massive Lungenembolie oft das erste Anzeichen einer venösen Thromboembolie ist, ist die Strategie des Wartens und gegebenenfalls Behandels einer Prophylaxe eindeutig unterlegen. Bei chirurgischen Patienten wird eine solche Prophylaxe routinemässig durchgeführt, bei internistischen Patienten ist die medikamentöse Thromboembolieverhütung hingegen nicht so verbreitet, obwohl diese Patienten unter den Hospitalisierten die grösste Gruppe bilden und
75 Prozent der tödlichen LE gerade bei ihnen auftreten. Zur medikamentösen Prophylaxe werden unfraktioniertes Heparin (UFH), niedermolekulare Heparine (NMH; z.B. Enoxaparin [Clexane®], Dalteparin [Fragmin®]) sowie selektive Faktor-Xa-Hemmer (z.B. Fondaparinux [Arixtra®]) eingesetzt. Ein internationaler Konsensus aus dem Jahr 2006 sowie die Guidelines des amerikanischen College of Chest Physicians empfehlen bei internistischen Patienten UFH oder NMH.
Methodik Die australischen Autorinnen und Autoren dieser Metaanalyse suchten in den gängigen Quellen (MEDLINE, EMBASE, Cochrane) nach prospektiven randomisierten, kontrollierten Studien (randomised controlled trials, RCT) und konnten für ihre Analyse 36 RCT berücksichtigen. Zur Erfassung der Effektivität und Sicherheit errechneten die Autoren zunächst mit einem Fixed-effects-Modell das relative Risiko, dann auch mit einem Random-effects-Modell, das der Variabilität der Studien Rechnung trägt.
Ergebnisse 14 der berücksichtigten RCT verglichen UFH mit Kontrollen,11 hatten eine NMHGruppe sowie Kontrollen, 10 führten einen Vergleich von UFH und NMH durch, bei 1 Studie handelte es sich um einen Vergleich von Fondaparinux mit Plazebo. Insgesamt hatten die Studien ein recht breites Spektrum an Diagnosemethoden zur Erfassung von TVT und LE. Auch die Erfassung von Mortalität und Blutungskomplikationen variierte stark. Die Tabelle zeigt das relative Risiko (RR)
für die verschiedenen Vergleiche und für die Outcomeparameter (TVT, LE, Blutungen). UFH versus Kontrollen: Die gepoolten Ergebnisse zeigten eine Senkung des TVTRisikos um zwei Drittel für die mit UFH Behandelten (RR 0,33; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,26–0,42) und des LE-Risikos um ein Drittel (RR 0,64; 95%-KI 0,50–0,82). Zwischen UFH- und Kontrollgruppen bestand jedoch kein Mortalitätsunterschied. Die UFH-Prophylaxe war mit einem dreifach erhöhten Blutungsrisiko belastet (RR 3,11; 95%-KI 2,44–3,96). Überdies erschien die Dosierung von 3 ϫ 5000 IU UFH der Dosierung von 2 ϫ 5000 IU täglich bei der Senkung des TVT-Risikos überlegen. Diese Differenz verschwand aber im Random-effects-Modell. NMH versus Kontrollen: Der Einsatz von NMH war mit einer Halbierung des Risikos für TVT (RR 0,56; 95%-KI 0,45–0,70) und einer noch deutlicheren Senkung des LE-Risikos (RR 0,37; 95%KI 0,21–0,64) assoziiert. Dies um den Preis höherer Blutungsraten (RR 1,51; 95%-KI 1,31–1,74), häufigerer schwerer Blutungen und von Hämatomen am Injektionsort. Im Random-effects-Modell waren die Risiken für vermehrte schwere Blutungen und für Injektionshämatome nicht mehr signifikant. Hinsichtlich Mortalität und Thrombozytopenie bestand zwischen den NMH- und Kontrollgruppen kein Unterschied (Tabelle).
Merksätze
■ In einer Metaanalyse aus 36 Studien konnten sowohl unfraktioniertes Heparin (UFH) als auch niedermolekulare Heparine (NMH) das Risiko für tiefe Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE) sehr deutlich reduzieren.
■ Weder unfraktioniertes Heparin (UFH) noch niedermolekulare Heparine (NMH) verringerten jedoch die Mortalität.
■ Im Direktvergleich sind NMH gegenüber UFH in der Verhütung von TVT effektiver.
ARS MEDICI 14 ■ 2008 635
STUDIE REFERIERT
Tabelle: Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener Thromboembolieprophylaxen bei internistisch Tabelle: hospitalisierten Patienten
Behandlung
UFH vs. Kontrollen TVT LE Mortalität Blutungen insgesamt
Fixed-effects RR (95%-KI)
p-Wert
0,33 (0,26—0,42) 0,64 (0,50—0,82) 0,95 (0,88—1,02) 3,11 (2,44—3,96)
0,001 0,001 0,14 0,001
Random-effects_RR
(95%-KI)
p-Wert
0,35 (0,22—0,55) 0,53 (0,31—0,93) 0,94 (0,88—1,02) 3,10 (2,44—3,95)
0,001 0,03 0,13 0,001
NMH vs. Kontrollen TVT LE Mortalität Blutungen insgesamt schwere Blutungen leichte Blutungen Thrombozytopenie Injektionshämatom
0,56 (0,45—0,70) 0,37 (0,21—0,64) 1,02 (0,88—1,19) 1,51 (1,31—1,74) 1,92 (1,32—2,78) 1,40 (1,17—1,67) 1,10 (0,69—1,77) 2,04 (1,06—3,93)
0,001 0,001 0,76 0,001 0,001 0,001 0,68 0,03
0,56 (0,41—0,76) 0,37 (0,21—0,66) 1,02 (0,88—1,19) 1,46 (1,17—1,82) 1,62 (0,75—3,49) 1,39 (1,15—1,69) 1,09 (0,67—1,76) 1,80 (0,84—3,86)
0,001 0,001 0,79 0,001 0,22 0,001 0,73 0,13
NMH vs. UFH TVT LE Mortalität Blutungen insgesamt schwere Blutungen leichte Blutungen Thrombozytopenie Injektionshämatom
0,68 (0,52—0,88) 0,57 (0,25—1,34) 1,16 (0,85–1,59) 0,83 (0,60—1,14) 0,77 (0,50—1,20) 0,61 (0,34—1,10) 0,25 (0,05—1,16) 0,47 (0,36—0,62)
0,004 0,20 0,34 0,25 0,26 0,10 0,08 0,001
0,68 (0,52—0,88) 0,65 (0,26—1,64) 1,14 (0,80—1,62) 0,83 (0,60—1,15) 0,78 (0,50—1,23) 0,63 (0,34—1,16) 0,29 (0,06—1,42) 0,47 (0,36—0,61)
0,004 0,36 0,46 0,26 0,29 0,14 0,13 <0,001 Prophylaxe vs. keine Prophylaxe TVT LE Mortalität Blutungen insgesamt 0,45 (0,39—0,53) 0,57 (0,45—0,72) 0,95 (0,89—1,02) 1,90 (1,69—2,14) 0,001 0,001 0,16 0,001 0,45 (0,34—0,59) 0,48 (0,33—0,71) 0,95 (0,89—1,02) 1,71 (1,29—2,27) < 0,001 < 0,001 0,15 < 0,001 RR = Risk Ratio; KI = Konfidenzintervall; UFH = unfraktioniertes Heparin; TVT = tiefe Venenthrombose; LE = Lungenembolie; NMH = niedermolekulare Heparine NMH versus UFH: Im Vergleich zu UHF waren NMH mit einem geringeren Risiko für TVT (RR 0,68; 95%-KI 0,52–0,88) und Injektionshämatome (RR 0,47; 95%-KI 0,36–0,62) assoziiert. Hinsichtlich LE, Mortalität, Blutungen insgesamt, leichten und schweren Blutungen sowie Thrombozytopenien bestanden keine statistisch signifikanten Unterschiede. Prophylaxe versus keine Prophylaxe: Eine Prophylaxe mit UFH, NMH oder Fondaparinux war assoziiert mit einem geringeren Risiko für TVT (RR 0,45; 95%-KI 0,39–0,53) und LE (RR 0,57; 95%-KI 0,45–0,72) und einem erhöhten Risiko für Blutungen (RR 1,90; 95%-KI 1,69–2,14). Die medikamentöse Prophylaxe hatte jedoch keinen Einfluss auf die Mortalität. Die einzige Studie mit Fondaparinux fand, dass der selektive Faktor-Xa-Hemmer in 636 ARS MEDICI 14 ■ 2008 STUDIE REFERIERT der Prävention asymptomatischer und symptomatischer venöser Thromboembolieereignisse effektiv war und sah die Häufigkeit von schweren Blutungen in der Fondaparinux- und der Plazebogruppe ähnlich hoch. Diskussion Diese Metaanalyse hat gezeigt, dass sowohl UFH als auch NMH bei internistisch hospitalisierten Patienten das Risiko für venöse Thromboembolieereignisse senken, wobei sich NMH in der Verhütung von TVT gegenüber UFH als effektiver erwiesen. Trotz der beobachteten Reduktion venöser Thromboembolien hatte die Thromboseprophylaxe keinen Einfluss auf die Mortalität. Woran könnte das liegen? Zunächst waren die Patienten, die in den berücksichtigten Studien eine Thromboseprophylaxe erhielten, generell in schlechtem Zustand und mit mehrfachen Komorbiditäten sowie einer hohen Spitalmortalität (in dieser Analyse bis zu 8,19%) belastet. Die meisten Todesfälle dürften daher auf andere als thrombo- embolische Ursachen zurückgehen. Denkbar ist auch, dass ein beträchtlicher Anteil der rapportierten LE nicht tödlich war, unwahrscheinlich, so die Autoren, ist hingegen, dass die unter UFH und NMH häufiger auftretenden Blutungen zu mehr Todesfällen führten, die den Nutzen der Prophylaxe zunichte gemacht hätten, denn in vielen Fällen handelte es sich um leichte Blutungen. In den 36 RCT wurde überdies nur ganz selten von tödlichen Blutungskomplikationen berichtet. Im Gegensatz zu dieser Metaanalyse hatte eine retrospektive Datenbankanalyse für die Thromboseprophylaxe eine Mortalitätsreduktion gefunden. Diese Untersuchung unterlag jedoch möglichen Fehlern wie unter anderem fehlender Randomisierung und Biasmöglichkeit bei der Indikation zur Prophylaxe. Einschränkend ist festzuhalten, dass die Patientenpopulationen in den diversen Studien dieser Metaanalyse nicht homogen waren, denn die Patienten hatten ein unterschiedliches Spektrum von Erkrankungen. Dies entspricht jedoch auch den Gegebenheiten der internmedizinischen Abteilungen in Spitälern. Ferner wurden in den Prophylaxestudien unterschied- liche NMH eingesetzt, potenzielle Unter- schiede zwischen den einzelnen Wirk- stoffen hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit können diese gepoolten Ana- lysen nicht abbilden. ■ Lironne Wein et al. (National Health and Medical Research Council Centre of Clinical Research Excellence in Therapeutics, Department of Epidemiology and Preventive Medicine, Faculty of Medicine, Nursing, and Health Sciences, Monash University, Victoria/AUS): Pharmacological venous thromboembolism prophylaxis in hospitalised medical patients. Arch Intern Med 2007; 167 (No. 14): 1476—1486. Interessenkonflikte: keine deklariert Halid Bas Lesen Sie auch das Interview mit Prof. Dr. Jürg H. Beer, Chefarzt der Medizinischen Klinik am Kantonsspital Baden/AG ARS MEDICI 14 ■ 2008 637