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BERICHT
«Hormone sind noch immer die wirksamste verfügbare Behandlung»
Aussagen vom ersten Gipfeltreffen der Internationalen Menopause-Gesellschaft zur Hormonersatztherapie in der frühen Menopause
Über die allgemeinen Wahrnehmungen und die wissenschaftliche Evidenz, die keineswegs immer übereinstimmen, sprach Professor Martin Birkhäuser kürzlich an einem Medienapero von Bayer Schering Pharma in Zürich.
HALID BAS
Im Vordergrund stehen beim klimakterischen Syndrom zunächst die bekannten vasomotorischen Störungen, sekundär kann es jedoch auch zu Schlafstörungen, Angstgefühlen, psychischer Labilität, kognitiver Beeinträchtigung sowie einer Abnahme der Leistungsfähigkeit kommen. Das Bündel der Probleme kann sogar in eine Abnahme der Sozialkontakte münden. Daneben sind Beschwerden der Harnwege, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Sexualstörungen in diesem Lebensabschnitt der Frau häufige Probleme. Gut bekannt sind als Folge des Östrogenmangels auch Hautatrophie sowie trockene Schleimhäute («sandige» Augen, Kontaktlinsenprobleme). Deutlich weniger verbreitet ist das Wissen über unbestimmte Beschwerden in Muskeln und Gelenken, die als «Rheuma» interpretiert und anstatt mit Östrogenen mit Schmerzmitteln (und daher oft erfolglos) behandelt werden, sagte Professor Birkhäuser. Zur Behandlung des klimakterischen Syndroms wird eine Fülle von Interventionen empfohlen, so etwa Verhaltenstherapie, Phytotherapeutika, selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer, Clonidin, Homöopathie, autogenes Training und Akupunktur – alles Therapien, für die keine Level-I-Studien zur Wirksamkeit vorliegen, die sich also nicht auf wirklich überzeugende Evidenz abstüt-
zen können. Derartige Evidenz liegt heute nur für die Hormontherapie vor, betonte Martin Birkhäuser. Trotzdem hat die Hormontherapie mit Vorurteilen und Fehlinterpretationen zu kämpfen, denen die International Menopause Society (IMS) Ende März einen «First Global Summit» in Zürich widmete, der in ein bisher im Druck noch unveröffentlichtes Dokument mündete, in dem verbreitete allgemeine Wahrnehmungen zu Risiken und Nutzen der verfügbaren Evidenz gegenübergestellt wurden (pdf greifbar unter: www.imsociety.org).
Lebensqualität «Menschen neigen dazu, selektiv zu sein und Teile aus der grossen Menge an Informationen herauszupicken, je nach ihren Überzeugungen und ihrer persönlichen Erfahrung. Somit kann die ganzheitliche Perspektive fehlen», wusste Martin Birkhäuser. Das primäre Ziel einer medizinischen Behandlung nach der Menopause ist das Erreichen einer guten Lebensqualität und dieses Ziel ist der Prävention und Behandlung von Krankheiten gleichzustellen. «Bei symptomatischen postmenopausalen Frauen ist unbestritten, dass die Hormonersatztherapie (HRT) die erste Wahl und das beste Vorgehen zur Verbesserung von Lebensqualität und Sexualität ist», machte Martin Birkhäuser klar. Die stärkste Verbesserung bringt die HRT dabei hinsichtlich Ängsten, Selbstkon-
trolle, Schlaf, Wohlbefinden, sozialer Isolierung und Sexualität.
Herz und Gefässe In der Folge antwortete Birkhäuser jeweils auf die allgemeine Wahrnehmung zu einzelnen Problemkreisen mit der wissenschaftlichen Evidenz. Wahrnehmung: HRT erhöht das Risiko einer koronaren Herzkrankheit (KHK) über die ganze postmenopausale Zeitperiode. Evidenz: HRT bei Frauen zwischen 50 und 59 Jahren erhöht das KHK-Risiko nicht und könnte das Risiko in dieser Altersgruppe sogar herabsetzen. Gynäkologen sehen Frauen früher, Kardiologen hingegen später, was zu unterschiedlichen Einschätzungen geführt hat. Heute sind sich beide Spezialistengruppen jedoch darin einig, dass unter dem Gesichtspunkt der Gefässgesundheit für
Merksätze
■ Das primäre Ziel einer medizinischen Behandlung nach der Menopause ist das Erreichen einer guten Lebensqualität und dieses Ziel ist der Prävention und Behandlung von Krankheiten gleichzustellen.
■ Heute sind sich Gynäkologen und Kardiologen darin einig, dass unter dem Gesichtspunkt der Gefässgesundheit für die Hormonersatztherapie zwischen 50 und 59 Jahren ein günstiges Zeitfenster besteht.
■ In der Beratung der Patientin sollte von absoluten Risikozahlen gesprochen werden, die ein viel verständlicheres Bild geben als relative Risikoveränderungen.
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Professor Martin Birkhäuser ist Leiter der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern und als international bekannter Experte auch im zentralen Führungskreis der International Menopause Society (IMS) tätig.
die HRT ein günstiges Zeitfenster (window of opportunity) besteht. In diesem Zusammenhang wies Birkhäuser auf Analysen der Women’s-Health-Initiative-(WHI-)Studie hin, die bei den in der frühen Menopause behandelten Frauen keine gehäuften Koronarereignisse fassen konnten und für die KHKEreignisse mit der Dauer der HRT eine Abnahme sahen. Wahrnehmung: Das Schlaganfallrisiko ist unter HRT substanziell erhöht. Evidenz: Bis heute ist nicht klar, ob unter Standard-HET bei Frauen zwischen 50 und 59 Jahren eine statistische Zunahme zerebrovaskulärer Insulte vorliegt. In der WHI-Studie gab es keine signifikante Risikozunahme. Falls ein erhöhtes Risiko vorliegen sollte, wie die Nurses’ Health Study fand, muss es äusserst gering und damit angesichts der geringen Insultprävalenz schwierig nachzuweisen sein. Wahrnehmung: Unter HRT ist das thromboembolische Risiko erhöht. Evidenz: Das Risiko einer Venenthrombose ist in der frühen Postmenopause unter Standard-HET ungefähr doppelt so gross, bleibt aber immer noch ein seltenes Ereignis da die Thrombosenprävalenz unter 60 Jahren äusserst niedrig ist. Wahrscheinlich ist das Thromboserisiko bei transdermaler Östrogenbehandlung
gegenüber der peroralen Substitution geringer, fügte Martin Birkhäuser hinzu.
Krebs Der Einfluss der HRT auf die Häufigkeit von Karzinomen hatte nach der Publikation der WHI-Studie für grossen Wirbel gesorgt. Die Daten lassen sich jedoch so darstellen, dass die Gesamthäufigkeit von Karzinomen nicht erhöht und die Häufigkeit von Endometrium- und Ovarialkarzinomen erniedrigt war. Letzteres sollte aber in der Diskussion um die HRT nicht weiter hervorgehoben werden, wie Birkhäuser sagte. Damit verbleibt als zu diskutierendes Problem eine geringfügige Erhöhung des Risikos für invasive Mammatumoren. Wahrnehmung: Alle Formen der HRT verursachen ein erhöhtes Brustkrebsrisiko innerhalb einer kurzen Anwendungsdauer. Evidenz: Nach fünfjähriger Anwendung einer Östrogen-Gestagen-Kombination zeigte die WHI-Kohorte eine geringfügige Zunahme des Brustkrebsrisikos um zirka 8 zusätzliche Erkrankungsfälle auf 10 000 Frauen pro Jahr. Bei Erstanwenderinnen einer HRT war dieses Risiko jedoch nicht erhöht. «Die Wahl des Gestagens – Medroxyprogesteronacetat – könnte eine Rolle gespielt haben», erwähnte Professor Birkhäuser. Interessant sei auch, dass im Östrogenarm der WHI nach bis zu sieben Jahren Beobachtungszeit keine Zunahme des Brustkrebsrisikos zu verzeichnen war, und eine geringe Risikozunahme unter alleiniger Östrogenanwendung wurde nur nach Langzeitanwendung beobachtet.
weisen, dass in der WHI-Studie in derjenigen Altersgruppe, die unserer europäischen Praxis entspricht – das heisst bei Frauen zwischen 50 und 59 Jahren ohne vorherige Hormontherapie – keine Zunahme nachweisbar war. Wahrnehmung: Nach der WHI-Publikation kam es zu einer Abnahme der Brustkrebsrate in den USA, was beweist, dass die HRT Brustkrebs verursacht. Evidenz: Die Abnahme der Brustkrebsinzidenz begann in den USA schon vorher und kann auch mit Schwankungen beim Screening erklärt werden. In Grossbritannien, Norwegen, Kanada, den Niederlanden und anderen Ländern mit stabilen Screeningprogrammen liess sich kein Zusammenhang zur Publikation von alarmierenden Studienresultaten nachweisen. Den Einwänden, dass eine HRT zu einer Zunahme der mammografischen Dichte der Brust und zu einem damit assoziierten erhöhten Brustkrebsrisiko führe, hielt Birkhäuser entgegen, dass es hierzu nur indirekte Beobachtungen gäbe und Daten, die einen direkten Zusammenhang stützen würden, nicht vorlägen.
Knochen Zu den positiven Östrogeneffekten gehört auch der Einfluss auf den Knochenstoffwechsel, weshalb die HRT in Frankreich unter diesem Aspekt unverändert noch als First-Line-Therapie empfohlen wird. Wahrnehmung: Die HRT sollte wegen ihres ungünstigen Sicherheitsprofils nicht zur Knochenprotektion eingesetzt werden. Offizielle Empfehlungen (EMEA
«Bei symptomatischen postmenopausalen Frauen ist unbestritten, dass die Hormonersatztherapie die erste Wahl und das beste Vorgehen zur Verbesserung von Lebensqualität und Sexualität ist.»
«Warum dies so war, muss offen bleiben, denkbar ist, dass die Studienanlage eine Rolle spielte», so Birkhäuser. In der Diskussion des Brustkrebsrisikos unter HRT ist unbedingt darauf hinzu-
in der EU, FDA in den USA) beschränken den Einsatz der HRT auf eine Second-Line-Alternative, die nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn andere Behandlungen, nicht vertragen werden,
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kontraindiziert sind oder versagt haben, oder wenn Frauen sehr starke Symptome haben. Evidenz: In der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen – und diese Altersgruppe ist heute das Thema, wie Birkhäuser immer wieder betonte – ist eine HRT sicher und kosteneffektiv. «Gesamthaft gesehen ist die HRT zur Prävention osteoporosebezogener Frakturen aller Lokalisationen effektiv, und dies sogar bei Frauen mit niedrigem Frakturrisiko», lautete die Botschaft der IMS, die Professor Birkhäuser überbrachte. Und er fuhr vor: «Obschon keine Kopf-zu-KopfStudien die HRT mit Bisphosphonaten hinsichtlich der Frakturreduktion verglichen haben, gibt es keine Evidenz, die suggeriert, dass Bisphosphonate oder jede andere antiresorptive Therapie der HRT überlegen ist».
Kognition Wahrnehmung: Der menopausale Übergang ist mit einer Abnahme der Kognition verbunden. Evidenz: Für eine substanzielle Abnahme gibt es keine Evidenz, aber viele Frauen erleben kognitive Schwierigkeiten in Verbindung mit vasomotorischen Symptomen, Schlafstörungen und Stimmungsveränderungen. Wahrnehmung: Die HRT erhöht in jedem Alter das Risiko einer Verschlechterung von Kognition/Gedächtnis und einer Demenz. Evidenz: Begannen Frauen eine HRT erst in der späten Menopause (nach 65 Jahren), fand sich kein kognitiver Nutzen. Beobachtungsstudien mit den ihnen eigenen methodischen Schwächen zeigten ein vermindertes Risiko für Alzheimer bei Hormonanwenderinnen. Dies traf vor allem auf Frauen zu, die mit der Östrogenbehandlung schon im menopausalen Übergang begonnen hatten. Der kognitive Nutzen scheint somit vom Alter abzuhängen. Zwingendere Beweise wird man zu diesem Aspekt kaum je erhalten, da prospektive Studien aus logistischen und finanziellen Gründen nie machbar sein werden, meinte Martin Birkhäuser. Aus Beobachtungsstudien lässt sich immerhin ableiten, dass Östrogene hinsichtlich der Kognition
keinen Schaden anrichten. Welches der Einfluss der Gestagene auf die Kognition ist, insbesondere ob sie die Östrogenwirkung im Gehirn antagonisieren, lässt sich anhand der spärlichen Daten nicht genau charakterisieren.
einer klaren Indikation und einer individualisierten Evaluation der NutzenRisiko-Bilanz verlangt. Zu dieser Individualisierung gehören Fragen zur Dosis, der Verabreichungsform und der eingesetzten Gestagene.
«Bei Thromboserisiko würden wir eher in Richtung einer transdermalen Applikation beraten.»
Schlussfolgerungen Nach den heftigen Diskussionen haben altersgruppenspezifische Analysen und auch eine Metaanalyse zur Gesamtmortalität unter HET die Einschätzungen entdramatisiert, stellte Professor Birkhäuser fest. In der Metaanalyse aus 23 Studien mit fast 40 000 Teilnehmerinnen und nahezu 200 000 Frauenjahren ergab sich für die Gesamtsterblichkeit bei unter 60-Jährigen eine signifikante Reduktion, nicht aber bei über 60-Jährigen. Aus Sicht der IMS ist die HRT immer noch die First-Line-Therapie bei Frauen mit hohem Osteoporoserisiko, denn hier lägen für die selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (SERM) keine schlüssigen Beweise vor. Bei Frauen mit niedrigem Osteoporoserisiko kommen Bisphosphonate zwar infrage, aber wirkliche Langzeiterfahrungen fehlen hier noch. Heute dürfen als Hauptindikationen für eine HRT gelten: ■ Amenorrhö (obligatorisch wegen der
Knochen) ■ vorzeitige (<40 Jahre) oder frühe
(<45 Jahre) Menopause (obligatorisch wegen der Knochen) ■ klimakterisches Syndrom bei zeitgerechter Menopause («Behandelt wird nicht die Menopause, sondern die Symptomatik.») ■ erniedrigte Lebensqualität als Folge eines Östrogenmangels.
«Bei Thromboserisiko würden wir beispielsweise eher in Richtung einer transdermalen Applikation beraten», so Birkhäuser. In der Beratung der Patientin sollte von absoluten Risikozahlen gesprochen werden, die bei den für jüngere klimakterische Frauen zwischen 50 und 59 Jahren sehr niedrigen Ereignisraten ein viel verständlicheres Bild geben als relative Risikoveränderungen, etwa die «Verdoppelung» eines sehr geringen Risikos. So lassen sich in dieser Altersgruppe die östrogenbezogenen Risikoveränderungen für 10 000 Frauen pro Jahr wie folgt umreissen: ■ kardiovaskuläre Erkrankungen: +3 ■ Hirnschlag: +0,1 ■ venöse Thromboembolie: +1 ■ Brustkrebs: -1 ■ Kolorektalkarzinom: -2 ■ Todesfälle insgesamt: -3.
In den Feststellungen der IMS steht fer-
ner auch, dass die Menopausensym-
ptome und die Häufigkeit assoziierter
Krankheiten in verschiedenen Teilen der
Welt sehr stark schwanken, was in ers-
ter Linie mit sozialen und kulturellen
Rahmenbedingungen und nicht mit Ver-
erbung zu tun hat. Dem ist auch bei der
hormonellen Behandlung Rechnung zu
tragen.
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Halid Bas
«Für diese Indikationen sind Hormone immer noch die wirksamste verfügbare Behandlung», betonte Professor Birkhäuser. Bei symptomatischen Frauen kann ein positiver Effekt auf die Lebensqualität erwartet werden. Auch hier versteht sich, dass jede Behandlung nach
Interessenlage: Diese Berichterstattung erfolgt firmenunabhängig.
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