Transkript
Bakterielle Vaginitis
Ursachen und Behandlung
FORTBILDUNG
Die bakterielle Vaginitis ist eines der häufigsten
Beschwerdebilder in der gynäkologischen Praxis.
Betroffen sind vor allem sexuell aktive Frauen, aber
auch ohne Geschlechtsverkehr tritt die Infektion auf.
Bei schwangeren Frauen erhöht die Vaginitis das
Frühgeburtsrisiko. Welches sind die Ursachen, wie
diagnostiziert man die Erkrankung, und wie lässt
sie sich therapeutisch behandeln? Antworten darauf
gibt Jane Schwebke im «Journal of Family Practice».
J O U R N A L O F FA M I LY P RACT I C E
Frauen mit einer bakteriellen Vaginitis leiden unter einem typischen Ausfluss, der oft das einzige Symptom bleibt. Viele Betroffene fühlen sich sonst in ihrem allgemeinen Wohlbefinden nicht beeinträchtigt. Normalerweise verursacht die vaginale Infektion auch keine ernsten Komplikationen. Anders sieht es bei schwangeren Frauen aus, zumindest bei Risikoschwangerschaften. Weil die Infektion aufsteigen kann, besteht ein erhöhtes Risiko für einen vorzeitigen Blasensprung, eine vorzeitige Wehentätigkeit und eine Frühgeburt. Nicht alle Studien haben diese Problematik aber gleichermassen eindeutig mit Daten untermauern können. Sicher ist, dass es eine Assoziation zwischen bakterieller Vaginitis und Beckenentzündung sowie Harnwegsinfekten gibt. Bei bis zu 50 Prozent der Frauen, die eine Abteilung für Geschlechtskrankheiten aufsuchen und eine Endozervizitis haben, findet sich auch eine bakterielle Vaginitis.
Welche Ursachen gibt es? Die Mikrobiologie der Vaginalflora ist sehr wechselhaft, auch ohne dass eine Infektion vorliegt. Abgesehen von der Menstruation treten Schwankungen in der Vaginalflora von einem auf den anderen Tag und in verschiedenen Situationen auf: Hierzu zählen häufige Partnerwechsel, vaginale Medikation, Anwen-
dung von spermiziden Substanzen, häufiger Geschlechtsverkehr, Verzicht auf Kondome. Im Gegensatz zu diesen Tagesschwankungen kann das Vaginamilieu an sich instabil sein. Man spricht davon, wenn über einen längeren Zeitraum an weniger als 85 Prozent der Tage ein normals Scheidenmilieu vorliegt. Dies scheint bei Frauen gehäuft der Fall zu sein, die öfter unter bakteriellen Vaginitiden leiden, häufige Partnerwechsel und oft oralen Sex haben. Auch häufige Vaginalduschen und Intrauterinpessare bedeuten ein gewisses Risiko. Die bakterielle Vaginitis tritt im Übrigen nicht selten als Koinfektion bei bestehender Geschlechtskrankheit auf. Dabei ist unklar, ob die Infektionen zeitgleich auftreten oder ob eine abnormale Flora den Boden für eine zusätzliche Infektion bereitet. Statistisch gesehen, kommen HIV-Infektionen häufiger vor bei Frauen, die eine bakterielle Vaginitis haben. Ein erhöhtes HIV- und Gonorrhörisiko soll auch bei Frauen bestehen, bei denen ein Mangel an Laktobazillen im Vaginalschleim anzutreffen ist. Möglicherweise, so wird spekuliert, begünstigt die bakterielle Besiedlung die Empfänglichkeit für HIV. Es ist aber auch denkbar, dass der alkalische pH-Wert, ausgelöst durch die bakterielle Fehlbesiedlung, hier ursächlich mitspielt.
Merksätze
■ Die bakterielle Vaginitis ist die häufigste Infektion der Scheide bei Frauen im gebärfähigen Alter.
■ Häufiger Partnerwechsel und ungeschützter Geschlechtsverkehr begünstigen offenbar die Infektion.
■ Die bakterielle Vaginitis ist gehäuft mit Geschlechtskrankheiten assoziiert und begünstigt diese ihrerseits. Das gilt auch für die HIV-Infektion.
■ Es gibt eine wirksame antibiotische Behandlung, vor allem mit Metronidazol und Clindamycin. Die Rezidivrate ist aber hoch.
■ Schwangere Frauen mit symptomatischer Vaginitis sollten behandelt werden, um unter anderem das Frühgeburtsrisiko zu senken.
■ Frauen, die asymptomatisch und nicht schwanger sind, sollten vor bestimmten Eingriffen auf eine bakterielle Vaginitis gescreent und gegebenenfalls therapiert werden.
ARS MEDICI 13 ■ 2008 569
FORTBILDUNG
Ökosystem Scheide
Im Ökosystem der Vagina spielen die Laktobazillen (DöderleinStäbchen) eine herausragende Rolle. Sie sind besonders für die Aufrechterhaltung der Homöostase der Scheidenflora wichtig. Die Döderlein-Bakterien produzieren Toxine, darunter Wasserstoffperoxid, und halten das Scheidenmilieu im sauren pH-Bereich. Auf diese Weise wird das Wachstum verschiedener Keime wie Gardnerella (G.) vaginalis, N. gonorrhö, Anaerobiern und auch HIV gehemmt. Bei einer bakteriellen Vaginitis sind die Verhältnisse grundlegend gestört. Der pH-Wert verschiebt sich zum Alkalischen hin, wodurch das Wachstum der Laktobazillen gehemmt wird. Die etwa unter dem Einfluss von Anaerobiern gebildeten Amine führen zu einer verstärkten vaginalen Transsudation und Zellabschilferung, was sich letztlich als Ausfluss bemerkbar macht. Das alkalische Milieu ermöglicht es G. vaginalis, sich leichter an die vaginalen Plattenepithelien anzuheften. Unter dem Mikroskop erscheinen die keimbesiedelten Epithelzellen als sogenannte «clue»-Zellen.
Wie diagnostiziert man eine bakterielle Vaginitis? Diagnostisch wegweisend sind die vier Amsel-Kriterien: ■ ein homogener grau-weisslicher Fluor vaginalis ■ Nachweis von Schlüsselzellen («clue cells») unter dem
Mikroskop. Dabei handelt es sich um vaginale Plattenepithelien, die mit reichlich Bakterien besetzt sind ■ vaginaler pH-Wert > 4,5 ■ positiver Amintest: Geruchsverstärkung (typischer Fischgeruch) bei Zugabe von 10-prozentigem KOH zum Fluor.
Die Sensitivität der Amsel-Kriterien liegt bei 70 Prozent, die Spezifität bei über 90 Prozent, wie die Autorin schreibt. Häufig finden sich Gardnerella (G.) vaginalis oder auch Anaerobier wie etwa Bacteroides spp. oder Mobiluncus spp. Der kulturelle Erregernachweis (mit Resistenzbestimmung) wird nicht empfohlen. Zwar werden die meisten Frauen mit bakterieller Vaginitis positiv auf den Keim getestet, das gilt aber auch für mindestens jede zweite Frau ohne Vaginitis.
Wie wird behandelt? Frauen, die an einer symptomatischen bakteriellen Vaginitis leiden, wird grundsätzlich zu einer Therapie geraten. Hierfür stehen die hochwirksamen Antibiotika Clindamycin und Metronidazol (z.B. Flagyl®) zur Verfügung, neuerdings als dritte Substanz zur oralen Therapie auch Tinidazol (Fasigyn®). Die Autorin nennt verschiedene orale und lokale Anwendungsformen, die nicht alle in der Schweiz erhältlich sind. Laut Schwebke können etwa Clindamycin und Metronidazol als 2-prozentige Vaginalcreme appliziert werden. Ausserhalb der Schwangerschaft kann mit Metronidazol zweimal täglich 500 mg/Tag über sieben Tage therapiert werden, aber auch unter einer Single-Shot-Therapie mit 2 g Metronidazol heilt die
Infektion in den meisten Fällen ab. Als erfolgreich erwiesen hat sich auch die Applikation von täglich ein- bis zweimal 500 mg Metronidazolvaginaltabletten über sieben Tage oder alternativ 5 g 2-prozentige Clindamycinvaginalcreme (Dalacin® V 2%) über sieben Tage; in den USA ist auch eine hoch dosierte Clindamycinvaginalcreme zur Einmaldosierung zugelassen. In letzter Zeit sind unter Clindamycin vermehrt Resistenzentwicklungen beobachtet worden. In einer Studie waren vor Applikation von Clindamycinvaginaltabletten 17 Prozent der untersuchten Anaerobier gegen das Antibiotikum resistent, nach der Behandlung waren es 53 Prozent. Der klinische Outcome war dadurch aber im Vergleich mit Metronidazol nicht beeinträchtigt. «Nach Evidenzkriterien sind beide Therapieoptionen gleichwertig, und die individuelle Wahl hängt mehr von den Kosten, der Compliance und den Patientinnenpräferenzen ab», schreibt die Autorin. Die alternative Behandlung mit Döderlein-Stäbchen wird derzeit hingegen nicht empfohlen. Es gebe keine gesicherten Daten darüber, ob diese Therapie wirke oder nicht. Prophylaktisch scheint das jedoch der Fall zu sein.
Müssen Schwangere behandelt werden? Angesichts der mit einer bakteriellen Vaginitis assoziierten Schwangerschaftskomorbiditäten scheint es geboten, die betroffenen schwangeren Frauen antibiotisch zu behandeln. Das entspricht auch den heutigen Empfehlungen. Diese sehen die orale Gabe von Metronidazol (250 mg 3-mal tgl. oder 500 mg 2-mal tgl.) oder Clindamycin (300 mg 2-mal tgl.) über sieben Tage vor. Einige Spezialisten, aber keineswegs alle, vermeiden intravaginale Antibiotikaapplikationen während der Schwangerschaft zugunsten der oralen Therapie. Ihre Begründung: Mit der oralen Therapie würden auch gleichzeitig subklinische Infekte der oberen Harnwege angegangen. Intravaginales Clindamycin sollte im Übrigen nur während der ersten Schwangerschaftshälfte eingesetzt werden. Metronidazol, so haben Metaanalysen ergeben, kann auch im ersten Trimester ohne Gefährdung des Kindes verabreicht werden. Gleichwohl ist der Nutzen der Therapie bisher nicht generell überzeugend unter Beweis gestellt worden. Eine kürzlich erschienene Metaanalyse, in die Daten von fast 6000 Frauen eingingen, zeigte, dass sich auch bei gelungener Eradikation das Risiko einer Frühgeburt vor der 37. Schwangerschaftswoche nicht reduzieren lässt. Eine andere Metaanalyse hatte bereits gezeigt, dass sich die perinatale Mortalität und Morbidität nicht reduzieren lassen, wenn die Frauen im zweiten oder dritten Trimester antibiotisch behandelt worden waren. In diese Studie waren auch Schwangere mit erhöhtem Risiko eingegangen.
Asymptomatische Vaginitis therapieren? Bei bis zu 40 Prozent aller Frauen bleibt die bakterielle Vaginitis stumm. Eine Therapie wird allgemein bei ihnen heute nicht empfohlen. Eine Ausnahme machen manche Spezialisten vor einer geplanten Hysterektomie oder einer Abtreibung. Sie empfehlen vor dem Eingriff ein Vaginitisscreening und gegebenenfalls eine Therapie. Nicht empfohlen wird derzeit die Mitbehandlung des Partners, sofern er symptomlos ist.
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FORTBILDUNG
Hohe Rezidivrate Trotz erfolgreicher Therapie ist die Rezidivrate bei bakterieller Vaginitis hoch. Schon einen Monat nach erfolgreicher Behandlung sind bis zu 25 Prozent der Frauen erneut betroffen. Drei Monate später ist es sogar jede zweite Frau. Obwohl die Ursachen dafür nicht ganz eindeutig sind, spricht manches dafür, dass sich die Frauen erneut mit den Bakterien infiziert haben oder diese mit der Antibiotikatherapie nicht ganz ausgeschaltet werden konnten. Denkbar ist auch, dass sich die für das gesunde Scheidenmilieu prägenden Laktobazillen nicht rechtzeitig rekolonisieren. Eine Studie ist der Frage nachgegangen, ob eine antibiotische Langzeittherapie hier Abhilfe schaffen kann. 157 Frauen, die im Durchschnitt fünf Episoden einer bakteriellen Vaginitis im zurückliegenden Jahr erlebt hatten, applizierten sich 0,75prozentige Metronidazolvaginalcreme zweimal wöchentlich. Nach vier Wochen waren 70 Prozent ohne Scheideninfektion,
in der Plazebogruppe waren es 34 Prozent. Darauf wurde die
Therapie gestoppt, und drei Monate später wurden die Frauen
erneut untersucht. Unter den Frauen, welche die Erhaltungs-
therapie erhalten hatten, waren 40 Prozent noch krankheits-
frei, in der Plazebogruppe waren es nur 18 Prozent. Der The-
rapieerfolg wurde allerdings mit einem unangenehmen Ne-
beneffekt erkauft: In der Behandlungsgruppe kam es deutlich
häufiger zu einer Vaginalkandidose. Vorteilhaft ist es in jedem
Fall, wenn der Partner ein Kondom benutzt. Das haben Unter-
suchungen bei Frauen mit häufigen bakteriellen Vaginitiden
belegen können.
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Jane Schwebke: Understanding bacterial vaginosis: diagnosis, treatment, and improved outcome. J Fam Pract 2007; 56 (supplement): 1—8.
Interessenkonflikte: keine deklariert
Uwe Beise
572 ARS MEDICI 13 ■ 2008