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STUDIE REFERIERT
Akutes Koronarsyndrom: Rebound nach dem Absetzen von Clopidogrel?
Eine JAMA-Studie zeigt gehäufte Todesfälle und Infarkte nach Beendigung der Therapie
Clopidogrel (Plavix®) gehört heute zur Standardmedikation in der Sekundärprävention des akuten Koronarsyndroms. Allerdings treten möglicherweise nach dem Absetzen des Medikaments gehäuft Infarkte und Todesfälle auf. Das hat eine retrospektive Studie aus den USA ergeben.
Professor Michael Ho vom Denver Veterans Affairs Medical Center ist der Frage in einer retrospektiven Studie nachgegangen. Die Ergebnisse wurden vor wenigen Monaten im «Journal of the American Medical Association» (JAMA) veröffentlicht. Ausgewertet wurden die Daten von 3137 Patienten mit akutem Koronarsyndrom, die sich an 127 US-Veteranenkliniken behandeln liessen. Die eine Hälfte von ihnen wurde ausschliesslich medikamentös (n = 1568) behandelt, die andere Hälfte erhielt eine PCI (n = 1569). Die Patienten nahmen nach Entlassung aus der Klinik Clopidogrel durchschnittlich über 302 respektive 278 Tage ein.
Clopidogrel (Plavix®) wird bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom eingesetzt, gleichgültig ob diese nur medikamentös behandelt werden oder sich einer perkutanen Koronarintervention unterziehen. Eine Antikoagulationstherapie ist bei Implantation konventioneller Stents nur etwa vier Wochen erforderlich. Die medikamentenbeschichteten Stents hingegen heilen deutlich langsamer ein, weshalb man die Thromboseprophylaxe über sechs bis zwölf Monate, im Einzelfall auch darüber hinaus fortsetzt. Was aber geschieht nach dem Absetzen der Antikoagulation? Von Acetylsalicylsäure (ASS) ist bereits bekannt, dass nach Absetzen einer Langzeittherapie unter Umständen ein Rebound-Phänomen eintreten kann. Trifft das auf Clopidogrel auch zu? Eine Arbeitsgruppe um
Anstieg der Ereignisse in den ersten drei Monaten Was ergaben die Auswertungen? ■ Bei den rein medikamentös behan-
delten Patienten erlitten nach dem Absetzen von Clopidogrel 113 einen Infarkt, 155 starben. Das ergibt eine Ereignisrate von insgesamt 17 Prozent. Auffallend war dabei, dass fast 70 Prozent der Ereignisse in den ersten 90 Tagen nach dem Therapieende eintraten. In dieser Periode war das Risiko doppelt so hoch wie in den folgenden drei Monaten. Dies spricht dafür, dass es sich um ein echtes Rebound-Phänomen handeln könnte, also um einen vorübergehenden Anstieg der Plättchenaktivierung. Gesichert ist das aber nicht. ■ Bei den stentimplantierten Patienten traten nach dem Absetzen von
Clopidogrel 124 Todesfälle oder Herzinfakte auf. Das entspricht 7,9 Prozent der Behandelten. 58,9 Prozent entfielen auf die ersten drei Monate. Für diesen Zeitraum errechneten die Autoren für die beiden Endpunkte eine Risikoerhöhung von 82 Prozent im Vergleich zum Zeitintervall vom 91. bis zum 180. Tag.
«Die absolute Zahl der Ereignisse ist zwar gering, aber das relative Risiko steigt in den ersten drei Monaten um fast das Zweifache», schreiben die Studienautoren. In Anbetracht der Vielzahl von Patienten, die mit einem akuten Koronarsyndrom behandelt und dann mit Clopidogrel entlassen würden, seien die Resultate deshalb ernst zu nehmen. Ho und seine Kollegen fordern weitere randomisierte und kontrollierte Studien, um die Befunde zu bestätigen und den Mechanismus aufzuklären.
Merksätze
■ In den ersten 90 Tagen nach Absetzen von Clopidogrel konnte eine deutliche Häufung von Todesfällen und Herzinfarkten gezeigt werden.
■ Möglicherweise handelt es sich dabei um ein Rebound-Phänomen.
■ Die Ergebnisse müssen in weiteren Untersuchungen bestätigt werden.
Die Schwachstellen der Studie In solchen Untersuchungen müssten dann auch Schwachstellen der Retrospektivanalyse vermieden werden. Eine der Limitierungen betrifft die Kontrolle der Medikamenteneinnahme. In der vorliegenden Studie konnten sich die Forscher nur auf den repetitiven Rezeptbezug berufen, wodurch Non-Compliance nicht ganz ausgeschlossen ist. Zudem war der Grossteil der Patienten männlich, was die Frage der Generalisierbarkeit offen lässt. Ein anderer Schwachpunkt besteht darin, dass die genauen Todesursachen unbekannt blieben.
538 ARS MEDICI 12 ■ 2008
Was soll man tun? Dennoch, das zeigen die Reaktionen auf die Studie, nimmt man die Ergebnisse auf Seiten der Kardiologen ernst. Über die besten Strategien zur Vermeidung des mutmasslichen Rebound-Phänomens herrscht derzeit aber keine Klarheit. In Frage käme beispielsweise eine Verlängerung der Clopidogrelbehandlung, wofür die Studie durchaus Hinweise liefert. In der Gruppe der ausschliesslich medikamentös behandelten Patienten, die Clopidogrel länger als 270 Tage eingenommen hatten, war das Infarkt- und Sterblichkeitsrisiko nur noch tendenziell erhöht. Allerdings muss bei einer Therapieverlängerung immer auch das Blutungsrisiko einkalkuliert werden. Eine andere nahe liegende Möglichkeit wäre das langsame Ausschleichen der Therapie. Auch eine zeitlich begrenzte höhere ASS-Dosierung erscheint theoretisch denkbar, allerdings gibt es keine solide wissenschaftliche Basis dafür. In der CURE-Studie hatte sich beispielsweise gezeigt, dass eine Erhöhung der ASS-Dosis zwar die kardiale Ereignisrate senkt, sich andererseits aber die Blutungskomplikationen häufen. Schliesslich käme auch der Einsatz eines alternativen Thromozytenaggregationshemmers wie etwa Ticlopidin prinzipiell in Betracht. Momentan jedoch kann niemand diese Fragen definitiv beantworten. ■
P. Michael Ho et al.: Incidence of Death and Acute Myocardial Infarction Associated With Stopping Clopidogrel After Acute Coronary Syndrome. JAMA 2008; 299(5): 532—539.
Interessenkonflikte: Die Studie wurde unterstützt vom National Cancer Institute, der James and Esther King Foundation und Olympus Corp.
Uwe Beise