Transkript
FORTBILDUNG
Lipidreiche Externa: zur Prävention diabetischer Fussläsionen geeignet
Die Fussatmung wird dadurch nicht behindert!
Insbesondere bei der Prävention diabetischer Fuss-
läsionen spielt die Pflege trockener, rissiger Fusshaut
eine wichtige Rolle. Die oft geäusserten Befürchtun-
gen, mit lipidreichen Externa die «Hautatmung» zu
behindern oder die Wärmeregulation zu beeinträch-
tigen, sind unbegründet. Zudem wird durch diese
Externa keine vollständige Okklusion erreicht, wie
eine Studie belegen konnte.
WOLF-INGO WORRET
Die Fusssohlen sind frei von Talgdrüsen. An den Fussrücken liegen nur etwa zwei Drüsen pro cm2 im Gegensatz zu 100 pro cm2 am Rumpf oder 400 bis 900 pro cm2 am Kopf und im Gesicht. Die Geschmeidigkeit der Haut kann dementsprechend nur durch die epidermalen Lipide in Verbindung mit dem Schweiss aufrechterhalten werden. Kommt es in diesem Regelmechanismus zu Störungen, wie zum Beispiel im Alter oder bei diabetesassoziierter Neuropathie durch die nachlassende Schweisssekretion und veränderte Zusammensetzung der Hautfette, kann die ausgetrocknete Epidermis einreissen und zu schmerzhaften Rhagaden führen (Abbildung). Diese treten besonders häufig an den Fersen auf. Da bis zu 80 Prozent der Diabetiker unter hydrolipidarmer Haut leiden und Läsionen infolge trockener Haut zu Infektionen bis hin zum diabetischen Fusssyndrom führen können, gehört die Pflege trockener Fusshaut zu den wichtigen Lernzielen bei der Diabetikerberatung. Ein grosses Problem der trockenen Fusshaut ist ferner, dass diese nur vermindert Wasser binden kann.
Pflege hydrolipidarmer Haut Die Basisbehandlung hat den Sinn, die Geschmeidigkeit der Fusshaut zu verbessern beziehungsweise zu erhalten. Dazu wird der Hornschicht Fett zugeführt, wobei es zu einem er-
wünschten partiellen Okklusiveffekt kommt. Hautphysiologisch kann man diesen Effekt durch eine Verminderung des transepidermalen Wasserverlustes (TEWL) nachweisen. Geeignet für eine derartige Pflege sind lipidreiche Externa mit einem Zusatz an feuchtigkeitsbindenden Substanzen sowie einem in Bezug auf das Einziehvermögen günstigen Emulgatorsystem. Von Präparaten dieses Typs ist eine gewisse Okklusionswirkung zu erwarten, die zu einem stärkeren Wassereinschluss in der Hornschicht führt, wobei allerdings das Ausmass dieses Effekts entscheidend von der Gesamtrezeptur abhängt. Empfohlen wird eine Pflegegrundlage mit einem Lipidgehalt von mindestens 20 Prozent. Wassereinschluss durch Okklusion mittels lipidreicher Externa zu erzielen, ist also bei der Pflege trockener Fusshaut ein durchaus erwünschter Effekt. Dies gilt auch für die diabetische trockene Haut. Dagegen erweisen sich Vorbehalte, dass durch die partielle temporäre Okklusion mit penetrationsfähigen Cremes, Salben und anderen Hautpflegemitteln eine wasserdichte Versiegelung stattfinden könnte, nicht nur als wissenschaftlich haltlos, wie eine aktuelle Untersuchung am proDerm Institut für Angewandte Dermatologische Forschung (Oktober 2006) gezeigt hat, sondern mit Blick auf unnötige Patientenängste auch als völlig unangemessen. Denn anders als gelegentlich dargestellt führt selbst eine vorübergehende, vollständige Okklusion begrenzter Hautareale zu keiner nennenswerten Beeinträchtigung wichtiger physiologischer Körperfunktionen wie der Thermoregulation.
Feuchtigkeitserhalt durch Pflegecremes Bei der durchgeführten Untersuchung wurden 20 Frauen zwischen 40 und 50 Jahren an definierten Testarealen an den Innenseiten der Unterarme mit bekannten Fusspflegepräparaten eingerieben. Die sechs Testareale (drei an jedem Unterarm) waren:
Merksatz
■ Bei der Pflege trockener Fusshaut mit lipidreichen Externa werden natürliche Hautfunktionen wie Hautatmung und Thermoregulation nicht beeinträchtigt.
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FORTBILDUNG
1. keine Behandlung (negative Kontrolle) 2. GEHWOL FUSSKRAFT blau 3. GEHWOL med Schrunden-Salbe 4. GEHWOL med Lipidro-Creme 5. ALLPRESAN® sensitive Schaum-Creme für die Fersen 6. Vaseline (positive Kontrolle).
Der transepidermale Wasserverlust TEWL wurde vor und nach der Applikation mit einem Tewameter bestimmt, und zwar nach 30, 60, 120, 180 und 240 Minuten. Die Reduktion des Feuchtigkeitsverlustes setzte sofort und mit mehr oder weniger starker Ausprägung ein. Am stärksten wurde die Flüssigkeitsabdunstung unter Vaseline (6) nach 30 Minuten sowie bei GEHWOL med Lipidro-Creme (4) gedrosselt. Bei Letzterer war der Effekt auch noch 120 Minuten nach Applikation messbar.
Nach etwa vier Stunden hatten die Werte wieder ihr Ausgangsniveau erreicht. Am längsten hielt die Wirkung bei GEHWOL med Lipidro-Creme (4) an. Dieses Präparat bietet demnach auch den längsten Schutz vor der Austrocknung der Fusshaut und müsste deshalb auch nicht so häufig aufgetragen werden, was gerade bei älteren Menschen und Patienten mit geringer Compliance vorteilhaft ist.
Verstopfen Fettcremes die Hautporen? Die Ergebnisse der Studie zeigten ferner, dass eine Beeinträchtigung natürlicher Hautfunktionen durch die Verwendung lipidreicher Pflegecremes nicht zu erwarten ist. Weder bei der Schaum-Creme (5) noch bei den drei Salbenbeziehungsweise Cremepräparaten (2,3,4) kam es zu einer Versiegelung der Haut. Alle Präparate reduzierten den Wasserverlust, vielmehr nicht vollständig, sondern in einem bei trockener Haut erwünschten Ausmass. Der Zielwert liegt bei einer Verdunstungsmenge von etwa 4 Gramm pro Quadratmeter Haut pro Stunde. Signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Galeniken waren insgesamt nicht feststellbar. Selbst fettreiche Vaseline (6) führte zu keiner vollständigen Okklusion und erreichte nach einem anfänglich starken Effekt nach 30 Minuten die Ausgangswerte. Aber selbst wenn es vorübergehend zu einer vollständigen Einstellung der Feuchtigkeitsverdunstung in einem eng umgrenzten Areal wie dem Fuss kommen würde, so wären gesundheitliche Risiken nicht zu befürchten. Weder würde es zu einer Unterbrechung der Sauerstoffversorgung kommen noch zu einem Hitzekollaps.
Abbildung: Rhagaden und Schrunden im Fersenbereich als Folge hydrolipidarmer Haut
Die «Goldfinger»-Lüge Im dritten Teil der gleichnamigen James-Bond-Reihe ermordet der Erzschurke «Goldfinger» eine Poolbekanntschaft des Serienhelden, indem er ihren Körper vollständig mit Gold überziehen lässt. Seitdem wird immer wieder spekuliert, ob eine vollständige Okklusion zu einem Erstickungstod führen kann. Um es kurz zu machen: Nein, kann sie nicht! Menschen sind keine Amphibien, sondern Säugetiere. Die menschliche Haut leistet nur einen äusserst geringen Beitrag zur Sauerstoffversorgung. Diese sogenannte Hautatmung (Perspiration) ist durch den Austausch von Atemgasen durch die Haut gekennzeichnet. Ihr Anteil am gesamten Sauerstoffaustausch ist bei den einzelnen Lebewesen unterschiedlich. Beim Menschen ist sie mit weniger als 1 Prozent an der gesamten Atmung beteiligt. Dementsprechend würde man selbst bei einer vollständigen Ganzkörperokklusion nicht am Ersticken versterben, sondern der Ausfall der gesamten Hautatmung würde durch eine geringfügige Erhöhung des Atemvolumens beziehungsweise der Atemfrequenz spielend ausgeglichen. Sonst wäre es auch nicht möglich, zum Beispiel einen eng anliegenden Taucheranzug zu tragen oder sich überhaupt im Wasser aufzuhalten. An den Füssen ist die durch die untersuchten Fusspflegemittel temporär erreichbare teilweise Okklusion erst recht kein Problem. Denn die Fusshaut macht nur
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LIPIDREICHE EXTERNA: ZUR PRÄVENTION DIABETISCHER FUSSLÄSIONEN GEEIGNET
etwa 7 Prozent der Gesamtoberfläche aus. Der Anteil der Fusshaut an der Sauerstoffaufnahme liegt demnach gerade einmal bei 0,07 Prozent der Gesamtatmung, ist also faktisch nicht existent.
Hitzeschock durch Fusspflegecremes? Auch droht durch eine reduzierte Feuchtigkeits- beziehungsweise Schweissabgabe an den Füssen keine Überhitzung. Eine solche müssen selbst Diabetiker mit einer neuropathisch gestörten Schweissdrüsensekretion nicht befürchten. Die körpereigene WärmereguIation ist ein multifunktionales Geschehen, bei dem die Schweissverdunstung nur einen partiellen Beitrag leistet. Um den Körper vor Überhitzung zu schützen, wird zunächst die Wärmeproduktion durch Herabsetzung des Stoffwechsels gedrosselt und überschüssige Wärme durch vasomotorische Veränderungen des Blutkreislaufs aus dem Körperkern in die Peripherie abtransportiert sowie dort über die gesamte Körperoberfläche nach aussen abgegeben. Auf die Füsse entfällt dabei ein Flächenanteil von gerade einmal 7 Prozent. Der Anteil der Schweissverdunstung hängt wesentlich von der Aussentemperatur ab. Bei moderaten Temperaturen wird überschüssige Wärme vorwiegend «trocken» abgegeben, das heisst durch Konvektion an die umgebende Raumluft sowie durch direkte Wärmeleitung, zum Beispiel von den Fusssohlen durch die Schuhsohle an den Boden. Erst ab 34° C ist Wärmeabgabe nur noch durch Schweissverdunstung möglich. Aber selbst dann würde durch eine vollständige Okklusion der Füsse kein Schaden entstehen. Denn erstens dient als Verdunstungsfläche die gesamte mit Schweissdrüsen ausgestattete Körperoberfläche, und nur etwa 20 Prozent der Schweissdrüsen sind an der Fusssohle lokalisiert. Zweitens wird «Verdunstungskühle» darüber hinaus durch extraglandulär abgegebenes Wasser (perspiratio insensibilis) produziert. An diesem Vorgang sind jedoch nicht nur die Haut, sondern ebenso die Schleimhäute des Atmungstrakts beteiligt, sodass selbst bei einer Ganzkörperokklusion und gleichzeitig hohen Aussentemperaturen immer noch Körperwärme abgegeben werden könnte.
Zusammenfassung
Die Pflege trockener, rissiger Fusshaut spielt bei der Prävention
diabetischer Fussläsionen eine herausragende Rolle. Bei der
Fusshautpflege geht es darum, das Wasserbindungsvermögen
der Haut zu verbessern und übermässigen Wasserverlust zu re-
duzieren. Geeignet sind deshalb lipidreiche Fusspflegepräpa-
rate mit einem Zusatz an feuchtigkeitsbindenden Substanzen.
Der Lipidanteil sollte 20 Prozent nicht unterschreiten.
Natürliche Hautfunktionen wie die Hautatmung und die Wär-
meregulation werden durch die Verwendung fettreicher Ex-
terna nicht beeinträchtigt. Insbesondere die Rolle der Haut-
atmung wird überschätzt. Der Beitrag der Haut zur Wärme-
regulation erschöpft sich nicht allein in der Abgabe und
Verdunstung von Feuchtigkeit, wodurch dem Körper über-
schüssige Wärme entzogen wird. An der Wärmeregulation
sind noch andere physikalische Vorgänge, hauptsächlich Strah-
lung und Konvektion, beteiligt, und dies je nach Aussentem-
peratur sogar in weitaus höherem Masse.
Ferner wäre eine Unterfunktion der Haut bei der Sauerstoff-
versorgung und Wärmeregulation ohnehin nur dann theore-
tisch annehmbar, wenn es durch Applikation einer Pflege-
creme zu einer vollständigen Okklusion, das heisst zu einer
Versiegelung der Haut, kommen würde. Genau das passiert
aber nicht, wie eine Studie mit unterschiedlichen Pflegezube-
reitungen gezeigt hat. Fusspflegecremes mit mehr oder weni-
ger starken Lipidanteilen, darunter Vaseline, haben den Feuch-
tigkeitsverlust reduziert, ohne die natürliche Wasserabgabe
vollständig zu unterbinden.
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Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. med. Wolf-Ingo Worret Klinik für Dermatologie und Allergologie der
Technischen Universität München D-80802 München
Interessenkonflikte: Der Autor hat einen Vortrag gehalten, der von der Firma Gerlach (Gehwol) honoriert wurde.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2007. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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