Transkript
Wundauflagen — was für wen?
Hinweise zur phasengerechten Behandlung von Wunden
FORTBILDUNG
Das Angebot an modernen Wundauflagen ist inzwischen schier unüberschaubar, und viele der neuen Produkte sind im Vergleich zu herkömmlichen Verbänden nicht gerade preiswert. Doch langfristig rechnet sich die Sache durchaus. Zum einen müssen moderne Wundauflagen meist seltener gewechselt werden. Zum anderen ist mit schnellerer Heilung und weniger Komplikationen zu rechnen.
Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren erfolgt die Therapieauswahl phasengerecht.
1. Reinigungsphase ■ Entfernung der Beläge durch chirurgisches Débridement ■ Wundabstrich bei Verdacht auf Wundinfektion ■ antiseptische Wundspülung und mechanische Reinigung
der Wundumgebung ■ Wundvermessung und Fotodokumentation ■ Wundrandschutz bei Mazeration ■ bei restlichen Belägen oder trockenen Wunden Hydrogel
auftragen ■ Wundhöhlen mit Alginat oder speziell für Wundtaschen
entwickeltem Polymerschaum (z.B. Allevyn® plus cavity) auslegen. Sachgerecht tamponieren (Material quillt stark auf), damit kein Druck auf das Gewebe ausgeübt wird ■ Wundabdeckung auswählen.
VERONIKA GERBER
Von den etwa 4 Millionen Wundpatienten erfahren nur rund 800 000 eine adäquate Therapie. Zirka zwei Millionen Patienten erleben einen täglichen Verbandwechsel durch einen Pflegedienst mit ungeeignetem Material wie unsterilen Kompressen und Jod oder antibiotikahaltigen Salben. Wundinfektionen, lange Klinikaufenthalte oder Chronifizierungen über Jahrzehnte bis hin zu Amputationen und prothetischer Versorgung sind die Folgen. Derzeit fallen pro Jahr Kosten in Höhe von zirka 1,4 Milliarden Euro an, die durch eine nicht effektive Wundbehandlung entstehen.
Phasengerecht behandeln Bei der Wundbehandlung sind neben Komorbiditäten auch lokale Faktoren zu berücksichtigen: ■ Sind Beläge auf der Wunde? ■ Sind Keime auf der Wunde? ■ Gibt es Infektionszeichen? ■ Wie ist die Durchblutung? ■ Wieviel Exsudat sondert die Wunde ab? ■ Wie schmerzhaft ist die Wunde? ■ Wo ist die Wunde – hat die Lokalisation Einfluss auf die
Therapiewahl? ■ Wie sieht der Wundrand aus?
Merksätze
■ Wundinfektionen, lange Klinikaufenthalte oder Chronifizierungen über Jahrzehnte bis hin zu Amputationen und prothetischer Versorgung können die Folgen unsachgemässer Wundpflege sein.
■ Bei der Wundbehandlung muss die Therapieauswahl unter Berücksichtigung von Komorbiditäten und Lokalfaktoren phasengerecht erfolgen.
■ In der Reinigungsphase ist mindestens einmal täglich ein Verbandwechsel erforderlich, bis die Wunde in die Granulationsphase übergeleitet ist.
■ In der Granulationsphase stört jeder Verbandwechsel den Zellaufbau: Ziel ist die Wundruhe.
■ In der Epithelisierungsphase kommt dem Wundrandschutz besondere Bedeutung zu. Die Haut sollte geschmeidig, aber trocken gehalten werden.
■ Bei chronischen Wunden sind die Hydroaktivverbände wie Hydrokolloid- und Polymerschaumverbände eher Gewebe- und Hautersatzprodukte als Verbände. Somit erfolgt ein Wechsel erst dann, wenn die Ersatzfunktion nicht mehr gegeben ist.
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FORTBILDUNG
Tabelle: Materialien zur Wundversorgung
Material
Hautschutzfilm
(z.B. weiche Zinkpaste, Cavilon®)
Alginat (z.B. Algosteril®,
Kaltostat®, Melgisorb®, Seasorb Soft®, Sorbalgon®, Sorbsan®, Tegagen®)
Polymeschaumverband (Abb. 1)
(z.B. Allevyn®, Biatain®, Contreet®, Epigard®, Tielle®)
Hydrokolloidverband (z.B. Askina
bioform S/transparent®, Biofilm®, Combiderm®, Comfeel® Plus HCV/Transparent, Cutinova® Hydro, Tegasorb®, Varihesive® E/Extradünn)
Hydrogel
(z.B. Cutinova Gel®, Duoderm®, Intrasite® Gel, Nu Gel®, Purilon Gel®, Varihesive Hydrogel®)
Aktivkohleverband
(z.B. Actisorb® plus, Carbonet®, Carboflex®, Oprasorb®)
Folienverband
(z.B. Bioclusive®, Epiview®, Opraflex®, Opsite®, Tegaderm®)
Distanzgitter
Indikation Schutz vor Mazeration durch Feuchtigkeit wie Ausscheidungen, Wundexsudat, Punktatflüssigkeit, Trachealsekret, Speichel, etc. Als Tamponade in Wundtaschen, nach chirurgischem Débridement zur Blutstillung, bei Spalthaut-Entnahmestellen
Wundabdeckung in der Granulationsphase, kann bis zu sieben Tage auf der Wunde verbleiben
Bei gering exsudierenden Wunden, vorzugsweise in der Epithelisierungsphase
Zum Lösen von Fibrinbelägen und zum Anfeuchten trockener Wunden, bei freiliegenden Sehnen ebenfalls geeignet in Kombination mit einem Hydrokolloidverband Stark riechende Wunden, infizierte Wunden, Tumorwunden
Zur Abdeckung von Alginatverbänden und Distanzgittern
In der Epithelisierungsphase oder bei Hypergranulation
Hydrofaser (z.B. Aquacel®,
Aquacel Silver®)
Saugkompresse
Zum vertikalen Ausleiten von Flüssigkeit, bei stark exsudierenden Wunden
Stark exsudierende Wunden und Fisteln
Wirkung Bildet einen Schutzfilm, der eine Distanz zwischen Haut und Feuchtigkeit aufbaut
Saugt Wundsekret auf, reinigt die Wunde, bildet ein feuchtes Wundmilieu, füllt die Wundhöhle aus, ist blutstillend
Saugt Wundsekret auf, bildet ein feuchtes Wundmilieu, schützt die Wunde vor negativen thermischen, mechanischen und chemischen Einflüssen, atraumatischer Verbandwechsel
Erhält ein feuchtes Wundmilieu, fördert das Einspriessen der Epithelzellen
Ist ein autolytischer Wundreiniger, kann innerhalb weniger Stunden Beläge von Wundflächen lösen, gleichzeitig bildet das Gel ein feuchtes Wundmilieu und unterstützt die Gewebebildung
Bindet den Geruch und Bakterien
Atmungsaktiver Folienverband als «Meterware» unsteril, als Pflasterersatz zur Fixierung von Polymerschaum bestens geeignet Verhindert ein Verkleben mit der Wunde, sollte möglichst wenig bis kein Fett enthalten, da es mehrere Tage verbleiben kann Leitet Flüssigkeit in die darüberliegende Auflage, hält den Wundrand trocken Kann grosse Mengen Flüssigkeit binden, hält die Haut trocken
Bei tiefen Wunden reicht eine saugende Auflage und ein Schutzverband, weil die Abdeckung keinen Kontakt zum Wundgrund hat. Oberflächliche Wunden werden so verbunden, dass die Auflage nicht mit dem Wundgrund verklebt, das Exsudat aufgefangen wird und die Bewegung wenig eingeschränkt ist. Falls eine Kompressionstherapie erforderlich ist, muss darauf geachtet werden, dass die Auflagen nicht lokal einschnüren. In der Reinigungsphase ist mindestens einmal täglich ein Verbandwechsel erforderlich, bis die Wunde in die Granulationsphase übergeleitet ist. Diese Phase sollte nach spätestens 14 Tagen beendet sein.
2. Granulationsphase In der Granulationsphase steht der Gewebeaufbau im Vordergrund. Zellen brauchen Wärme, Feuchtigkeit, Schutz vor chemischen und mechanischen Reizen sowie vor eindringenden Keimen. Jeder Verbandwechsel stört den Zellaufbau. Ziel ist die Wundruhe. Die Wundauflagen sollten mehrere Tage auf der Wunde verbleiben. In der Granulationsphase ist folgende Vorgehensweise empfehlenswert: ■ Wundspülung und Reinigung der Wundumgebung ■ Wundvermessung und Fotodokumentation ■ Wundrandschutz bei Mazeration
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WUNDAUFLAGEN — WAS FÜR WEN?
Abbildung 1: Polymerschaum mit Abdeckfolie schützt auch vor Umgebungskeimen in Problemzonen.
Abbildung 2: Ein dünner Hydroaktivverband in der Epithelisierungsphase ermöglicht das Anpassen von Kompressionsstrümpfen.
■ Wundhöhlen mit Alginat oder Polymerschaum auslegen ■ Wundabdeckung auswählen.
Bei tiefen Wunden reicht eine saugende Auflage, die mit einem atmungsaktiven Folienverband fixiert wird. So bleibt das feuchtwarme Milieu erhalten. Oberflächliche Wunden werden mit einem Polymerschaumverband abgedeckt. Bei stark nässenden Wunden ist eine Hydrofaserauflage oder ein Schaumverband mit Superabsorber empfehlenswert. Hydrofaserauflagen leiten die Flüssigkeit vertikal in die darüberliegende Auflage und schützen den Wundrand vor Mazeration. Atmungsaktive Folienverbände können zusätzlich dazu beitragen, dass die Wundruhe gewährleistet ist.
3. Epithelisierungsphase Sobald das Granulationsgewebe Hautniveau erreicht hat, beginnt von den Rändern her die Epithelisierung. In dieser Phase sollte die Haut geschmeidig, aber trocken gehalten werden. Die Gefahr der Mazeration besteht, da die angrenzenden Granulationszellen feucht behandelt werden müssen. In dieser Phase kommt dem Wundrandschutz besondere Bedeutung zu. Alle gerbenden Produkte wie Pyoctanin, Merbromin oder Kaliumpermanganat sind ungeeignet, weil ■ sie die Haut unflexibel machen ■ die feste Schicht reisst und Keime eindringen können ■ durch die Verfärbung keine Hautbeobachtung erfolgen kann ■ das Einwandern der Epithelzellen auf das Granulationsbett
behindert wird.
☞ LINKS
Schweizerische Gesellschaft für Wundbehandlung / Association Suisse pour les soins de plaies: www.safw.ch
European Wound Management Association: www.ewma.org
Akademie für Zertifiziertes Wundmanagement® – KAMMERLANDER – WFI: www.wfi.ch
Abbildung 3: Beispiele für Hydroaktivverbände: Alginattamponade (a) und Alginatauflage (b), Hydrokolloidverband (c), Hydrogel (d) und ein spezieller Mehrlagenverband (e) für stark nässende Wunden.
Ein geeigneter Wundrandschutz sollte transparent und atmungsaktiv sein, eine Barriere zwischen Feuchtigkeit und Haut bilden und auch in der Wunde reizfrei sein, da es nicht zu vermeiden ist, dass Partikel auf das benachbarte Gewebe kommen. Cavilon® Hautschutzfilm erfüllt diese Anforderungen. Salben oder Pasten sind ungeeignet, weil sie die Fixierung der hydroaktiven Wundauflagen verhindern, eine Hautbeurteilung erschweren und meist mechanisch entfernt werden müssen. Das verursacht eine unnötige Reizung der jungen, empfindlichen Hautzellen. Die grösste Herausforderung bei der Versorgung epithelisierender Wunden besteht darin, das Granulationsgewebe auf Hautniveau zu halten. Epithelzellen wachsen nicht über Hypergranulation und auch nicht über atrophische Granulationszellen. In der Epithelisierungsphase ist folgende Vorgehensweise empfehlenswert: ■ Reinigung der Wundumgebung ■ Wundvermessung und Fotodokumentation ■ Wundrandschutz ■ dünne Hydroaktivauflage oder engmaschiges Gitternetz, ■ das nicht mit dem Wundgrund verklebt und nur einen ■ geringen Fettanteil hat ■ Abdeckung mit Sekundärverband.
Wundauflagen Bei chronischen Wunden ist mit einer mehrmonatigen Behandlungszeit zu rechnen. Somit ist bei der Wahl des Verbands grösste Sorgfalt gefordert, da eine Hautirritation am Wundrand eine ernst zu nehmende Komplikation darstellt. Daher sind
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FORTBILDUNG
wirkstofffreie Produkte grundsätzlich zu bevorzugen.
Acrylatkleber sind schonender als Pflasterkleber. So-
bald keine Beläge auf der Wunde sind, soll der Verband
so selten wie möglich gewechselt werden.
Die Hydroaktivverbände (Abbildungen 2 und 3) wie
Hydrokolloid- und Polymerschaumverbände (Abbil-
dung 1) sind eher Gewebe- und Hautersatzprodukte als
Verbände. Somit erfolgt ein Wechsel erst dann, wenn
die Ersatzfunktion nicht mehr gegeben ist. Das ist dann
der Fall, wenn Flüssigkeit austritt, der Verband sich löst
oder Schmerzen auftreten, die auf eine Infektion
schliessen lassen. In der Granulationsphase beträgt das
durchschnittliche Intervall zwei bis drei Tage, in der
Epithelisierungsphase durchaus bis zu sieben Tage.
Sollte bereits innerhalb von 24 Stunden Flüssigkeit aus-
treten, ist ein stark saugender Schaumverband mit
Superabsorber empfehlenswert.Die Tabelle zeigt eine
Auswahl der verschiedenen Verbände. Ausführliche
Hinweise zu den Produkten in den einzelnen Material-
gruppen findet man in dem Buch «Wundauflagen für
die Kitteltasche» von Annette Vasel-Biergans (ISBN
978-3-8047-2247-7, Fr. 54.50).
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Literatur über www.allgemeinarzt-online.de
Veronika Gerber Schulung und Beratung im Wundmanagement
Anne-Frank-Strasse 10 D-48480 Spelle
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 11/2007. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
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