Transkript
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Rosenbergstrasse 115
Zwanzig Wirtschaftsverbände (unter ihnen Economiesuisse, Schweizerischer Gewerbeverband (SGV), Schweizerischer Arbeitgeberverband, Gastrosuisse, Schweizerischer Bauernverband) kämpfen gegen die Kampagnen des BAG. Ins Visier dieser Organisationen geraten ist BAG-Direktor und «Kollege»Thomas Zeltner, von dem hier schon mehrfach die Rede war. In der letzten Ausgabe der «Gewerbezeitung» nannte Gewerbeverbands-Sprecher Patrick Lucca Zeltner einen «Gesundheits-Taliban». Keine Ahnung, wie er auf diese von den Medien genüsslich kolportierte Titulierung kam. Sie ist natürlich masslos übertrieben. Obschon, wenn damit gemeint gewesen sein sollte, dass Zeltner einer war und ist, der bedingungslos an die Unfähigkeit der Menschen glaubt, sich selbstverantwortlich zu verhalten, dann ist da schon etwas dran. In Erinnerung bleibt Zeltners Millionen teure Panik-Attacke gegen die Basler Messe, weil irgendwo in Asien SARS aufgetaucht war. Dass er sich verantwortlich fühlt für die Volksgesundheit, mag man ihm noch zugestehen. Dass, vor allem aber wie er die Leute zu ihrem Glück zwingen will – durch Alkoholverbote, Rauchverbote, Adipositasverbote (kommt noch), Zuckerund Fettverbote oder zumindest -steuern (Taxe santé, längst in den Schubladen schlummernd) – hat schon einen Touch von Talibanisierung. Gut schweizerisch nennen wir ihn allerdings lieber einen Gsundi-Fundi. Das tönt niedlicher und kommt dem Kleingeist, der im BAG heimisch ist, viel näher.
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Es gibt natürlich noch andere, die sich zu Hehrem berufen fühlen. Zum Beispiel ein amerikanischer Wissenschaftler, der sich über Amphetamine, Ritalin, Betablocker und andere Substanzen zur Hirnleistungssteigerung beziehungsweise zur Steigerung der Konzentrationsfähigkeit so äusserte:
«Als Naturwissenschaftler habe ich die Pflicht, meine geistigen Ressourcen zum grössten Nutzen der Menschheit einzusetzen. Wenn die Pillen diesem menschenwürdigen Ziel zuträglich sind, erachte ich es als meine Pflicht, sie zu nehmen.» Falls er das Ernst gemeint (woran nicht zu zweifeln ist) und auch wahr gemacht hat, dann dürften sich hier bereits die ersten Nebenwirkungen seines Hirndopings manifestieren.
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Aber auch in der Schweiz finden sich Leute, die sich der Volksgesundheit verpflichtet fühlen. Franziska Teuscher etwa, die grüne Nationalrätin, verlangt in einem parlamentarischen Vorstoss, alle Handys (oder zumindest ihre Verpackungen) seien mit dem Hinweis zu versehen: «Mobilfunkgeräte können Ihre Gesundheit gefährden» (vermutlich illustriert mit Bildern wuchernder Hirntumoren). Wie Frau Teuscher auf diese abstruse Idee kommt? Sie erklärt es uns: «In Bezug auf die Entwicklung eines Körpers weiss man sehr wenig darüber, was für Auswirkungen elektromagnetische Strahlen überhaupt haben können. Deshalb ist unter medizinischem Gesichtspunkt davon auszugehen, dass Handystrahlungen (…) die Gesundheit und die Entwicklung beeinflussen können.» Zu Deutsch: Wir wissen nichts, ergo vermutlich schädlich. Das also ist der Kern grüner Politik: Da wir über fast alles praktisch nichts wissen, ist grundsätzlich alles (potenziell) schädlich und muss – richtig! – den Nutzern mit einem Totenkopf vermiest, mit einer Steuer belegt oder – sicher ist sicher – am besten ganz verboten werden.
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Es kommen glücklicherweise nicht nur Horrormeldungen aus unserem östlichen,
dank der EURO 08 eng mit uns verbundenen Nachbarland. Neben den geilen Schlagzeilen über Kampusch und Fritzl und Co. sollten wir die Stellungnahme der ÖÄK (Österreichischen Ärztekammer) zur «Direkten Arzneimittelabgabe» – vulgo Selbstdispensation – nicht übersehen und überhören. Der Präsident der ÖÄK rechnet vor, wie viel Geld zu sparen wäre, wenn in Österreich flächendeckend die Selbstdispensation eingeführt würde. Die logische Schlussfolgerung: Wer die Medikamentenverteilung patientenfreundlich, effizient und kostengünstig organisieren will, kommt an einem generellen Recht auf Selbstdispensation für alle praktizierenden Ärztinnen und Ärzte nicht vorbei. Na also. Sie sind eben nicht nur freundlicher, die Österreicher, können nicht nur besser Skifahren, nein, nun holen sie uns auch noch bei den richtigen Ideen fürs Gesundheitswesen ein oder sogar über. Bleibt nur zu hoffen, dass sie an der EURO 08 nicht auch noch besser abschneiden als die Schweiz.
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Kurioses: Wie kommen beidseitig Armamputierte nach Einführung biometrischer Messdaten zu einem Reisepass? Gar nicht. Jedenfalls nicht in Südafrika. Dort wurde einer Behinderten die Ausstellung eines Ausweises verweigert, weil sie die vorgeschriebenen Fingerabdrücke nicht liefern konnte. Über die Peinlichkeit hinaus: So geht es jeder Vorschrift – nach kürzester Zeit hat der Amtsschimmel vergessen, weswegen sie eingeführt wurde: Eigentlich wollte man den Terroristen das Leben und Handeln schwer machen, zum Beispiel sie daran hindern, mit Handgranaten zu schmeissen. Dass das mit Armprothesen schwierig ist, leuchtet Amtsschimmeln nicht a priori ein.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 10 ■ 2008 413