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Titel
Workhedonic
Untertitel
-
Lead
«Wir arbeiten dran!», versichert mir der Labormediziner, als ich wegen der lang ausbleibenden Resultate des Rheumatests stürme. Angenehm beruhigend kommen die Worte aus dem Telefonhörer. Ein Team von Weissbekittelten stelle ich mir vor, die sich um die Röhrli mit dem Blut meiner Patientin scharen, ein Mix zwischen der CSI-Crew und Dr. Bests Zahnpasta-Experten, die rausfinden werden, was Frau B. fehlt. «An die Arbeit – mir schaffe das!», versichert mir der Chirurg unseres Regionalspitals, als ich ihm einen langjährigen, alten Patienten mit etwas Schlimmem einweise. Heilsamer Stahl, von kompetenter Hand geführt. «Nein!», protestiert der junge S., als ich ihn zwei Tage krankschreiben will, «die Arbeit! Ich kann die Kollegen und den Chef doch nicht hängen lassen, jetzt mit diesem Megaauftrag!», und eilt hustend, aber erstaunlich fit und vergnügt in seine Firma. Unsere Freundin Kathrin S. entschuldigt sich in bestem Baseldytsch auf ihrem Anrufbeantworter, dass sie nicht selbst mit einem telefonieren könne, weil sie gerade «aan-ne-neren-Arbet» sei.
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Rubriken — ARSENICUM
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13587
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arsenicum
«Wir arbeiten dran!», versichert mir der
Labormediziner, als ich wegen der lang ausbleibenden Resultate des Rheumatests stürme. Angenehm beruhigend kommen die Worte aus dem Telefonhörer. Ein Team von Weissbekittelten stelle ich mir vor, die sich um die Röhrli mit dem Blut meiner Patientin scharen, ein Mix zwischen der CSI-Crew und Dr. Bests Zahnpasta-Experten, die rausfinden werden, was Frau B. fehlt. «An die Arbeit – mir schaffe das!», versichert mir der Chirurg unseres Regionalspitals, als ich ihm einen langjährigen, alten Patienten mit etwas Schlimmem einweise. Heilsamer Stahl, von kompetenter Hand geführt. «Nein!», protestiert der junge S., als ich ihn zwei Tage krankschreiben will, «die Arbeit! Ich kann die Kollegen und den Chef doch nicht hängen lassen, jetzt mit diesem Megaauftrag!», und eilt hustend, aber erstaunlich fit und vergnügt in seine Firma. Unsere Freundin Kathrin S. entschuldigt sich in bestem Baseldytsch auf ihrem Anrufbeantworter, dass sie nicht selbst mit einem telefonieren könne, weil sie gerade «aan-ne-neren-Arbet» sei. Mir geht sofort ein Bild durch den Kopf, wie sie am Flügel sitzt und Schüler unterrichtet oder auf der Veranda näht oder einen Zopf backt. Ein angenehmes Bild. Denn Arbeit ist etwas Schönes. Etwas zu tun haben, etwas zu «schaffen» – in jedem Sinne – ist grossartig. Arbeit braucht der Mensch. Arbeit ist Genuss, macht Freude. Arbeitslosigkeit und Nichtstun machen krank. «Arbeit macht frei» war ursprünglich der Titel eines 1872 in Wien veröffentlichten, moralisierenden Romans von L. Diefenbach, in welchem der Held durch geregelte Arbeit seinem Kleinkriminellen-Lebenswandel entkommt. Der Slogan wurde in der Weimarer Republik für ein Beschäftigungsprogramm gegen die Massenarbeitslosigkeit abgekupfert. Schliesslich von den Nationalsozialisten pervertiert, als Toraufschrift in Vernichtungslagern … Oft

frage ich mich, ob wir zur Arbeit ein gesundes Verhältnis haben. Da gibt es sogenannte Berater, die von «Work-Life-Balance» schwafeln. Was soll der Unsinn? Leben wir nicht, wenn wir arbeiten? Ich lebe nicht, um zu arbeiten und arbeite auch nicht, um zu leben. Sondern bin ein «Workhedonic». Arbeit gehört zu meinem Leben – ganz balanciert, genauso lustvoll wie TV-Gucken und Enkelhüten. Natürlich hat man manchmal etwas zu viel davon, aber auch der Hedonist im klassischen Sinn, der Geniesser, erwischt manchmal ein bisschen zuviel des Guten. Und wenn man einmal zu wenig hat, dann bekommt man keineswegs Entzugssymptome. Mich umgeben einige extrem lebende Leute. Die einen sind Workaholics. Die anderen haben Angst, sich mit Arbeit zu schädigen, obwohl sie sie nur in homöopathischen Dosen kennen. Täglich erkämpfen sich Patienten IV-Renten – um dann in noch tiefere Depressionen zu versinken, wenn sie merken, dass man in unserer Gesellschaft nicht nur durch die Arbeit definiert beziehungsweise etikettiert wird, sondern dass Arbeit Spass macht. Egal, ob gegen Lohn oder freiwillig. «Was machen Sie?», frage ich junge Patientinnen und kichere, wenn sie «Nichts!» antworten. Hausfrauen, die nicht realisieren, dass das «Management eines kleinen Familienbetriebs» sehr wohl Arbeit ist. Die Mächtigen dieser Welt wissen um die Freuden der Arbeit, um die Erfolgserlebnisse und die menschlichen Kontakte, die einem die Arbeit bringt. Sie kriegen nicht genug davon. Doch ob sie soviel Spass daran haben wie meine Patientin B., die mir bei der letzten Konsultation strahlend eine Tischdecke zeigte, die sie trotz ihrer schwerst deformierten Arthritishände gestickt hat?

Workhedonic

366 ARS MEDICI 9 ■ 2008