Transkript
Editorial
Nicht insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker könnten sich ihre Blutzucker-Selbstkontrollen sparen, denn sie bringen keinen messbaren Nutzen, hiess es in einer vor wenigen Tagen im «British Medical Journal» publizierten Studie.
Die Kostenerstattung für Blutzucker-Teststreifen bei nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern hätte hierzulande schon im letzten Jahr fallen sollen. Diverse Lobbying-Aktivitäten bewogen die Verantwortlichen jedoch, lediglich eine zunächst bis Ende 2009 gültige Limitatio einzuführen: Für diese Patienten müssen nur noch maximal 400 Teststreifen pro Jahr von der Krankenkasse
Typ-2-Diabetikern an. Ein messbarer Vorteil der Blutzucker-Selbstkontrolle zeigte sich trotzdem nicht.
Bleibt das insbesondere von Patientenorganisationen gerne vorgebrachte Argument, dass die
Nutzlose Selbstkontrolle
bezahlt werden. Eigentlich wusste man aber schon zu diesem Zeitpunkt, dass die Selbstmessung im Grunde nichts bringt. Wenige Tage vor dem BAG-Bescheid war damals ebenfalls im «British Medical Journal» nachzulesen, dass man bei nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern nach einem Jahr nur marginale Unterschiede der durchschnittlichen HbA1c-Werte nachweisen konnte, wenn der Blutzucker entweder alle drei Monate vom Arzt oder mehrmals pro Woche von den Patienten selbst bestimmt worden war.
Die aktuelle Untersuchung diente dem Ausschluss eines Selektionsbias, mit dem randomisierte Studien zur Wirksamkeit der Blutzucker-Selbstkontrolle bis anhin behaftet waren: Diabetiker, die ihren Blutzucker bereits regelmässig selbst kontrollierten, mussten von diesen ausgeschlossen werden, was möglicherweise eine statistische Unterschätzung des Nutzens der Blutzucker-Selbstkontrolle zur Folge gehabt haben könnte. Darum schaute man sich nun das Ganze ausschliesslich bei neu diagnostizierten, nicht insulinpflichtigen
Selbstmessung, wenn auch medizinisch nicht unbedingt notwendig, so doch wenigstens gut für das eigene Lebensgefühl sei. Doch auch hierfür liefert die neue Studie keinerlei Anhaltspunkte. Sie verneint einen solchen Effekt sogar ausdrücklich: Wer seinen Blutzucker ständig selbst kontrollierte, schnitt auf einer Depressionsskala um 6 Prozent schlechter ab als diejenigen, die die Kontrolle dem Arzt überliessen. Das mag man für praxisrelevant halten oder nicht, die Selbstmessung scheint die Lebensqualität der nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetiker jedenfalls nicht unbedingt positiv zu beeinflussen.
Nach Schätzungen von Teststreifenherstellern werden in der Schweiz rund 26 Millionen Blutzucker-Selbsttests pro Jahr von nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern durchgeführt. Die Teststreifen dafür kosten rund 28 Millionen Franken. Vieles spricht dafür, dass man mit diesem Betrag etwas Sinnvolleres anfangen könnte.
Renate Bonifer
ARS MEDICI 9 ■ 2008 361