Transkript
BERICHT
Maraviroc – Antwort auf eine Laune der Natur
Ein Bericht von einem Launch-Meeting der Firma Pfizer in Basel
In den letzten Monaten ist eine ganze Reihe von neuen antiretroviralen Substanzen vorgestellt worden. Für therapierefraktäre HIV-Patienten kommen sie wie gerufen. Ein wichtiges Merkmal dieser Therapeutika ist, dass sie alle sehr wirksam sind, dass sie aber ohne einander meist nicht auskommen. Sie müssen also in der Regel miteinander kombiniert werden, um den Behandlungserfolg aufrechtzuerhalten.
THOMAS FERBER
Im Rahmen eines kürzlich von Professor Manuel Battegay, Basel, moderierten Experten-Meetings, das sich um schwierige Fragen der Therapie und Resistenz von HIV drehte, aber auch sozialpolitische Probleme erörterte, kam eines dieser neuen Therapeutika zur Sprache. Es handelt sich um Maraviroc (Celsentri®, Pfizer), den ersten Hemmer des CCR5Rezeptors. Die Mortalität bei gut eingestellten Patienten mit HIV liegt heute in der Schweiz unter vier Prozent, und sie sinkt mit den neu verfügbaren Substanzen weiter nach unten. Derzeit befindet sich eine ganze Reihe von neuen potenten Wirkstoffen in der Pipeline, andere wurden in jüngster Zeit zugelassen. Dies ist nötig, denn nach wie vor stellen die Resistenzentwicklung von HIV sowie die unerwünschten Nebenwirkungen Probleme dar, die den Behandlungserfolg einschränken und auf lange Sicht die
Mortalität wieder ansteigen lassen könnten. Nun wurde mit Maraviroc von der Swissmedic ein seit Februar kassenpflichtiger Wirkstoff zugelassen, der einen anderen Zugang gegen die Verbreitung von HIV im Organismus wählt. HIV bedient sich des CCR5-Rezeptors auf der Zelloberfläche, um in die Zelle zu gelangen. Manche Menschen sind gegenüber HIV-Infektionen resistent, weil sie keinen CCR5-Rezeptor auf der Zelloberfläche exprimieren. Diese Laune der Natur war Anlass genug für die Forschung, einen Wirkstoff zu entwickeln, der sich diesen Mechanismus zunutze macht. «Personen mit CCR5 scheinen in keiner Art und Weise behindert zu sein, sodass es lohnend erschien, einen Hemmer gegen CCR5 zu entwickeln», so Dr. Manos Perros, Executive Director Pfizer Global R&D und Leiter der Antivirusforschung. Kurz nachdem die Bedeutung von CCR5 in «Science» und «Nature» publiziert worden war, begann 1996 eine rund zehnjährige Entwicklungszeit,
während der rund tausend Substanzen untersucht und potenzielle Kandidaten in unzähligen Modifikationsprozessen so weit abgewandelt wurden, bis sich schliesslich ein aussichtsreicher klinischer Wirkstoff herauskristallisierte: Mit Maraviroc, dies zeigten die ersten klinischen Studien, stand erstmals eine antivirale Substanz bereit, die nicht gegen Stoffwechselprozesse von HIV gerichtet ist, sondern lediglich auf der Wirtszelle einen Rezeptor besetzt und damit den Eintritt von HIV verunmöglicht. Dieser Wirkmechanismus hat drei Konsequenzen: ■ Maraviroc ist einsatzfähig, solange
das Virus die CCR5-Korezeptoren auf der Zelloberfläche für das Eindringen benötigt. Dies ist bei den meisten Infektionen der Fall. Kommt es zum Versagen einer Ersttherapie, dann kann Maraviroc im Verbund mit mindestens einer weiteren neuen Substanzklasse – Experten raten gar eine zweite neue Klasse hinzuzunehmen – zu hohen Remissionsraten (tiefe Viruslast, Anstieg von CD4) führen. Idealerweise sollte Maraviroc eingesetzt werden, bevor die CD4-Werte unter 100 pro ml Blut fallen und die Viruslast über 100 000 Kopien pro ml Blut ansteigt. Vor Therapiebeginn wird analog der Resistenztests ein Test zur Bestimmung des CCR5-Tropismus durchgeführt. ■ Maraviroc erweist sich im Vergleich zu anderen Wirksubstanzen als sehr gut verträglich, da es nicht wie andere antiretrovirale Wirkstoffe in den Zellstoffwechsel eingreift. ■ Mit Maraviroc entsteht zudem eine genetische Resistenzbarriere, die auch
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MARAVIROC – ANTWORT AUF EINE LAUNE DER NATUR
bei der Hemmung von Resistenzentwicklungen gegenüber anderen antiretroviralen Substanzen bedeutsam ist.
Mit neuen potenten Wirkstoffen kombinieren «Maraviroc trägt als Einzelsubstanz sicherlich einiges zum Behandlungserfolg bei therapierefraktären Patienten bei, doch im Verbund mit anderen neuen potenten Wirkstoffen können die Ergebnisse noch besser ausfallen, insbesondere wird ein besserer Schutz vor Resistenzentwicklungen geboten», meinte Dr. Graeme Moyle, Direktor der HIV-Forschung vom Chelsea & Westminster Hospital, London. Wichtig ist, dass mit dem Einsatz von Maraviroc bei Versagen einer Firstline-Therapie nicht zu lange zugewartet wird. «Don’t waste a new drug», sagte Moyle. Die 48-WochenDaten in den Studien MOTIVATE-1 und -2 (n=1049) mit Maraviroc haben Folgendes gezeigt: Sehr gut schnitten Patienten ab, die bei Behandlungsbeginn noch Werte von über 350 CD4 pro ml Blut hatten. Bei ihnen waren 71 bis 73 Prozent unter der Nachweisbarkeitsgrenze von 50 Kopien HIV-RNA pro ml Plasma. Bei Patienten mit ursprünglich Viruslasten unter 100 000 Kopien lagen die Werte bei 58 bis 59 Prozent. Bei höheren Viruslasten lagen sie bei 32 bis 35 Prozent. Dies legt den Schluss nahe, dass ein verspäteter Behandlungsbeginn oder ein aufgeschobener Therapiewechsel die Behandlungsaussichten schmälert – und zwar unabhängig von der gewählten Therapie. Potente Kombinationspartner von Maraviroc könnten beispielsweise TMC 125 (Etravirin) und der Integrasehemmer Raltegravir darstellen: Die Daten der DUET-Studien belegen, dass ehemals gegen Hemmer der nicht reversen Transkriptase (NNRTI) resistente Viren nun mit Erfolg mit TMC 125 behandelt werden können: In DUET-1 lag die Viruslast bei 60 Prozent der Patienten unter der Nachweisbarkeitsgrenze von 50 Kopien nach 48 Wochen Behandlung. Bei DUET-2 waren es 61 Prozent (Plazebo 39 bzw. 41%). 90 bis 94 Prozent derjenigen, die diese Ergebnisse schon nach 24 Wochen
aufwiesen, konnten diese über 48 Wochen hinaus aufrechterhalten. In den Studien BENCHMRK-1 und -2 mit dem Integrasehemmer Raltegravir bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion erreichten 89 Prozent der Behandelten in den beiden Studien nach 48 Wochen eine Viruslast von weniger als 50 Kopien HIV-RNA pro ml Plasma. Als weitere Kombinationspartner drängen sich auch neue Proteasehemmer (PI) auf, insbesondere dann, wenn gegen den PI keine präexistenten Resistenzen vorliegen, so beispielsweise Darunavir, verstärkt mit Ritonavir (DRV/r): Die Studie TITAN zeigte eine Überlegenheit von DRV/r gegenüber LPV/r. Mehr als doppelt so viele Patienten unter LPV/r zeigten ein virologisches Versagen als unter DRV/r. Hierbei nahm bei den virologischen Versagern unter LPV/r auch die Wirksamkeit gegenüber anderen PI in höherem Masse ab als unter den Versagern mit DRV/r. Daraus schliessen die Studienautoren, dass DRV/r besser bei der Verhütung von Resistenzentwicklungen gegenüber PI abschneidet.
Sozialpolitische Normalisierung in weiter Ferne Bei antiretroviral gut eingestellten Patienten liegt die Mortalität zwischen zwei bis drei Prozent pro Jahr. Dies führte in den letzten Jahren bei der Aidshilfe Schweiz (AHS) zu einer Änderung des Beratungsangebotes. Die Organisation wurde 1985 gegründet. Stand für sie früher gemäss Harry Witzthum von der AHS und Abteilungsleiter «Leben mit HIV» vor allem die Prävention und Beratung rund um die HIV-Ansteckung im Vordergrund sowie für viele Pflegeeinrichtungen die Betreuung von sterbenden Aidskranken, so richtet sich das Augenmerk der AHS heute vermehrt auf sozialrechtliche Probleme. Die Sterbehospize sind verschwunden. Und wenngleich die neuen Therapien gegen HIV das Stigma einer schnell tödlich verlaufenden Krankheit eliminiert haben, gilt es in gesellschaftlicher Hinsicht noch einige Probleme zu lösen. Sozial ist das Stigma über der Krankheit nämlich laut Witzthum keineswegs verschwunden. Obwohl 70 Prozent der Menschen mit
HIV heute arbeiten, mehrheitlich als
Vollzeiterwerbende, sind sie sozialpoli-
tisch vielfach gemäss den Erfahrungen
der Aids-Hilfe Schweiz benachteiligt.
Dies äussert sich in den Anfragen bei
der Rechtsberatung der Organisation, die
gemäss Witzthum vermehrt arbeits-
rechtliche Anfragen – hauptsächlich
versicherungsrechtliche Probleme – zu
beantworten hat. Bei jedem fünften Be-
troffenen mit HIV kommt es auch zu
einer unfreiwilligen Offenlegung des
HIV-Status und damit verbunden in
zweidrittel der Fälle zu negativen Ein-
flüssen bei der Bewerbung. Solche öko-
nomischen Diskriminierungen verursa-
chen letztlich negative volkswirtschaftli-
che Kosten, beispielsweise in Form einer
erhöhten Arbeitslosenrate. So haben es
Personen, die ihre Arbeit aufgrund der
Aufdeckung ihres HIV-Status verloren
haben, viel schwerer, eine neue Stelle zu
finden. Dies ist auch der Grund, weshalb
sich Personen mit HIV häufig scheuen,
von sich aus die Stelle zu wechseln oder
sich gar selbständig zu machen. Auch
der Abschluss von Lebensversicherun-
gen ist eingeschränkt, doch Witzthum
gibt zu bedenken: «Aufgrund der gerin-
gen Sterblichkeit sind Einschränkungen
beim Abschluss von Lebensversiche-
rungen heutzutage nicht mehr gerecht-
fertigt, denn auch von einem Karzinom
geheilte Patienten können sich normal
versichern, was auch für Menschen mit
HIV gelten müsste.»
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Dr. med. Thomas Ferber Neustadt 40 Postfach 412
8201 Schaffhausen E-Mail: thomasferber@mail.ru
Interessenlage: Der Autor wurde von Pfizer ohne Einflussnahme auf den Inhalt unterstützt.
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