Transkript
Benigne Prostatahyperplasie
Diagnose und Therapie beim Hausarzt
FORTBILDUNG
Nur wenige Männer, die sich wegen Miktionsbeschwerden an den Hausarzt wenden, müs-
Merksätze
sen dringend an einen Urologen überwiesen werden. Lange Zeit bleibt der Primärversorger der Ansprechpartner für Männer mit benigner Prostatahyperplasie. Was diagnostisch und therapeutisch zu tun ist, darüber informierte kürzlich ein zweiteiliger Review im «British Medical Journal».
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Das Kürzel LUTS (lower urinary tract symptoms) bezeichnet einen Symptomenkomplex von Miktionsstörungen (Tabelle 1), der bei Männern manchmal mit der Diagnose benigne Prostatahyperplasie (BPH) gleichgesetzt wird. Allerdings ist es so einfach nicht. Die Annahme, dass die Symptome auf dem erhöhten Drüsenvolumen der Prostata beruhen, ist schon lange widerlegt. Es besteht nur ein schwacher Zusammenhang zwischen Prostatagrösse, dem Grad der Obstruktion und der erleb-
Tabelle 1: Miktionssymptome bei benigner Prostatahyperplasie (LUTS)
obstruktive Symptome
■ Abgeschwächter Harnstrahl ■ Verlängerte Miktionszeit ■ Harnstottern ■ Nachträufeln ■ Restharn
irritative Symptome
■ Erhöhte Miktionsfrequenz ■ Schmerzhafte Miktion ■ Imperativer Harndrang ■ Dranginkontinenz ■ Restharngefühl
■ Die Symptome der BPH verschlechtern sich langsam, bedrohlich wird es selten.
■ Das Karzinomrisiko ist bei BPH nicht erhöht, die PSAWerte mitunter schon.
■ Die Therapie zielt auf Symptomlinderung und sollte zum Ziel haben, eine Operation hinauszuschieben. Anpassungen des Lebensstils sind die ersten Massnahmen.
■ Alpha-Rezeptorenblocker sind die wirksamsten Medikamente. Eine Kombination mit 5-alpha-Reduktasehemmern verzögert bei Langzeiteinnahme die Progression, hat aber mehr Nebenwirkungen.
■ Unter den operativen Verfahren bringt die TUR-P immer noch die besten Resultate. Allerdings besteht ein Operationsrisiko.
■ Der Einsatz minimal invasiver Verfahren verringert das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen. Der Langzeiteffekt ist zum Teil aber noch unklar, wiederholte Eingriffe sind des Öfteren nötig.
ten Symptomatik. Mit anderen Worten: Männer mit kleiner Prostata können in unterschiedlicher Ausprägung sowohl unter obstruktiven als auch irritativen Symptomen leiden. Umgekehrt gibt es Männer, die trotz stark vergrösserter Prostata praktisch keine Harnentleerungsstörungen aufweisen. Dessen ungeachtet zeigt sich jedoch, dass die Entfernung von Prostata die Symptome und die urodynamischen Funktionen oftmals verbessert.
Wie verläuft eine BPH? Die BPH ist bekanntlich eine Veränderung des Alters. Bei Männern ab 50 Jahren, so ergab etwa eine Studie in Grossbritannien, beschrieben 41 Prozent entsprechende Symptome, nur 18 Prozent hatten allerdings eine BPH-Diagnose. Über Miktionsstörungen klagen aber selbst ein Viertel der Männer Ende 30, wie
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FORTBILDUNG
Tabelle 2: Internationaler Prostata-Symptomen-Score (IPSS)
Schweregrad der BPH: leicht < 8, mittelschwer 8–19, schwer 20–35 Alle Angaben beziehen sich auf die letzten 4 Wochen Bitte ankreuzen: 1. Wie oft hatten Sie das Gefühl, dass Ihre Blase nach dem Wasserlassen nicht ganz entleert war? 2. Wie oft mussten Sie innerhalb von 2 Stunden ein zweites Mal Wasser lassen? 3. Wie oft mussten Sie beim Wasserlassen mehrmals aufhören und wieder neu beginnen (Harnstottern)? 4. Wie oft hatten Sie Schwierigkeiten, das Wasserlassen hinauszuzögern? 5. Wie oft hatten Sie einen schwachen Strahl beim Wasserlassen? 6. Wie oft mussten Sie pressen oder sich anstrengen, um mit dem Wasserlassen zu beginnen? 7. Wie oft sind Sie im Durchschnitt nachts aufgestanden, um Wasser zu lassen? Symptomsumme = niemals seltener als in einem von fünf Fällen (<20%) seltener als in der Hälfte der Fälle ungefähr in der Hälfte der Fälle in mehr als der Hälfte der Fälle (50%) fast immer 01 2 3 45 01 2 3 45 01 2 3 45 01 01 01 2 3 45 2 3 45 2 3 45 niemals (0) einmal (1) zweimal (2) dreimal (3) viermal (4) fünfmal oder mehr (5) Wie würden Sie sich fühlen, wenn sich Ihre jetzigen Symptome beim Wasserlassen künftig nicht mehr ändern würden? Lebensqualitätsindex (Qol) ausgezeichnet zufrieden überwiegend zufrieden gemischt, teils zufrieden, teils unzufrieden überwiegend unzufrieden unglücklich sehr schlecht 0 1 2 3 4 56 eine europaweite Studie gezeigt hat. Das ist kein besorgniserregender Befund, da gerade leichte Beschwerden die meisten Männer gar nicht oder kaum beeinträchtigen, während bei ausgeprägter Symptomatik die Lebensqualität erheblich herabgesetzt sein kann. Nach einer anderen Studie erlebte jeder siebte Patient mit mittleren und schweren Symptomen in den folgenden 5 Jahren eine spürbare Verschlechterung. Stärkere Komplikationen, wie Niereninsuffizienz oder akute Harnretention, sind selten, nur 6 Prozent erlitten eine Harnretention oder mussten operiert werden. Deshalb lässt sich allgemein sagen, dass die weit überwiegende Zahl der Männer sehr lange Zeit um eine Operation herumkommt. Diagnostische Tests beim Hausarzt Ein validierter Fragebogen – wie beispielsweise der International Prostata Symptom Score (Tabelle 2) – ist ein einfaches und zuverlässiges Hilfsmittel, eine BPH zu diagnostizieren, den Schweregrad zu erfassen und den Therapieerfolg abzuschätzen. Im Rahmen der Anamnese ist es aber auch wichtig zu erfragen, ob die Harnentleerungsprobleme womöglich durch andere Umstände hervorgerufen sein könnten, etwa durch einen schlecht kontrollierten Diabetes mellitus, durch Harnwegsinfektionen, eine überaktive Blase oder eine chronische abakterielle Prostatitis. Nicht zu vergessen sind Medikamente als Auslöser, wie etwa Diuretika, Anticholinergika oder Antidepressiva. Auch Koffein- und Alkoholkonsum und hohe Flüssigkeitszufuhr können LUTS hervorrufen. 326 ARS MEDICI 8 ■ 2008 BENIGNE PROSTATAHYPERPLASIE Tabelle 3: Behandlungsoptionen im Überblick Watchful waiting Aufklärung des Patienten, Kontrolluntersuchungen, keine spezielle Intervention. Lifestyle-Anpassung Flüssigkeitszufuhr reduzieren, insbesondere zur Nacht, möglichst kein Alkohol und Kaffee, Harnblase vor längerer Reise und unmittelbar vor dem Schlafengehen entleeren. Medikamente Alphablocker (Hytrin BPH®, Xatral®, Omix®, Pradif®) senken den Muskeltonus von Blase und Prostata, 5-alpha-Reduktasehemmer (Finasterid®, Avodart®) reduzieren das Prostatavolumen, evtl. Kombinationstherapie, Anticholinergika bei herabgesetzter Motilität des Detrusormuskels. Operative Verfahren Transurethrale Resektion der Prostata: verbessert die Symptome und die Urodynamik. Transurethrale Inzision bei kleiner Prostata zur Erweiterung der Urethra. Andere ablative chirurgische Eingriffe sind u.a.: transurethrale Laser-Prostatektomie oder -vaporisation, transurethrale Elektrovaporisation. Minimal invasive Verfahren Sie zerstören Prostatagewebe durch Erzeugung einer Koagulationsnekrose. Verfahren sind zum Beispiel: transurethrale Nadelablation, transurethrale Mikrowellenthermotherapie, transurethrale Laserkoagulation. Das Auftreten von Harninkontinenz, Retention, Dysurie kann auf andere Ursachen hinweisen oder auf Komplikationen. Die abdominelle Palpation der Blase ist nötig, um den Verdacht auf eine Obstruktion des Blasenausgangs zu erhärten. Oft gehen Männer zum Arzt, weil sie Angst vor einem Prostatakarzinom haben. Man kann sie aber beruhigen: Das Risiko ist nicht höher als bei Männern ohne BPH. Die PSA-Bestimmung für das Krebsscreening halten die Autoren nicht routinemässig für indiziert. Allerdings korrespondiere das PSA mit dem Prostatavolumen und könne so gelegentlich eine Hilfe bei der Beurteilung des Therapieeffekts sein – natürlich stets unter Einbezug der Beschwerden des Patienten, schreiben sie. Evidenzbasierte Studien zeigen, dass bestimmte diagnostische Verfahren in der Primärversorgung nicht routinemässig erforderlich sind. Optional ist – abhängig auch von der speziellen Situation des Patienten – etwa der Ultraschall zur Bestimmung des Restharnvolumens. Das Führen eines Miktionskalenders ist hingegen besonders wichtig bei Nykturie. Urinanalysen sind zum Ausschluss einer Harnwegsinfektion erforderlich, bei Verdacht auf eine Harnretention oder eine Niereninsuffizienz muss auch das Kreatinin bestimmt werden. Verfahren wie die Uroflowmetrie oder die Cystometrie sind der Sekundärversorgung, also dem Urologen, vorbehalten. Welche Therapieoptionen gibt es? Lifestyle Da die BPH nur langsam voranschreitet und gefährliche und bedrohliche Komplikationen gerade in frühen Stadien kaum zu erwarten sind, sollte man dem Patienten zunächst ein paar einfache Ratschläge für den Alltag (Tabelle 3) mitgeben. Medikamente Man geht heute davon aus, dass etwa 60 Prozent der betroffenen Männer mit Medikamenten eine spürbare Linderung der Symptome erfahren. Mehrere systematische Reviews sind zu dem Schluss gekommen, dass im ersten Jahr der Behandlung Alpha-Rezeptorenblocker wirksamer sind als 5-alpha-Reduktasehemmer. Allerdings gibt es kaum Head-to-head-Studien, und die vorhandenen sind methodisch nicht über jeden Zweifel erhaben. Bei den Männern, die auf Alphablocker ansprechen, bleibt die Behandlung meistens mehrere Jahre erhalten. Terazosin und Doxazosin müssen exakt titriert werden, um die Nebenwirkungen zu minimieren. Tamsulosin und Alfuzosin müssen nicht titriert werden, aber bis heute gibt es nach Darstellung der Autoren keine überzeugende Evidenz, dass kardiovaskuläre Nebenwirkungen, wie etwa eine Hypotension, seltener auftreten als bei den anderen Alphablockern. Kaum Daten gibt es für Männer, die gleichzeitig Medikamente gegen erektile Dysfunktion einnehmen; eine absolute Kontraindikation besteht aber nicht. Ob eine Kombinationstherapie aus 5-alpha-Reduktasehemmer und Alphablocker auf lange Sicht hilft, hängt von den Umständen ab. Bei Männern mit mittleren bis starken Beschwerden und grosser Prostata (> 40 g) können durch Kombination rein statistisch zwei Phasen einer klinisch manifesten Progression bei 100 Männern in 4 Jahren verhindert werden. Unvorteilhaft ist im Vergleich zur Monotherapie mit AlphaBlockern, dass mehr als ein Jahr vergeht, bis Unterschiede sichtbar werden. Und: Die meisten Männer werden keinen Profit davon haben, stattdessen sind aber Beeinträchtigungen der Sexualfunktion bei weiteren 4 von 100 Männern zu erwarten. Eine mögliche günstige Nebenwirkung von 5-alpha-Reduktasehemmern ist die Primärprävention des Prostatakarzinoms. Dies gilt für Patienten mt einem PSA<4ng/ml und unabhängig vom Ausmass der Abflussstörung. Andererseits ist das Risiko, dass ein «high grade»-Prostatakarzinom diagnostiziert wird, unter 5-alpha-Reduktasehemmern erhöht. Ob das Medikament an der Karzinogenese beteiligt ist oder ob es sich um ein Artefakt handelt, das durch die Verringerung der Prostatagrösse bedingt ist, ist immer noch nicht geklärt. Die Entscheidung, ob man eine Kombinationstherapie anstreben sollte, ist jedenfalls komplex und sollte mit dem Patienten genau besprochen werden. Phytotherapie Es gibt eine Reihe von pflanzlichen Arneimitteln, die bei BPH eingesetzt werden. Systematische Reviews haben ergeben, dass Sägepalmextrakt und Pygeum africanum die Symptomatik ARS MEDICI 8 ■ 2008 327 FORTBILDUNG lindern und den Harnfluss steigern können. Allerdings konnte eine im Jahr 2006 im «New England Journal of Medicine» erschienene Studie bei Männern mit mittlerer bis schwerer Symptomatik den mutmasslichen Therapieerfolg eines Sägepalm-Extrakts nicht bestätigen. Allerdings ist derzeit nicht ausgeschlossen, dass nicht die optimale Dosis eingesetzt wurde. Derzeit laufen Studien, die verschiedene Dosierungen einer Prüfung unterziehen. Was sind die Vor- und Nachteile der Operation? Wenn die konservative Behandlung nicht mehr ausreicht, die Symptome zu lindern, kommen operative Therapien zum Einsatz. Das Standardverfahren seit einem halben Jahrhundert ist die transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P). Die Operation verspricht sehr gute und oft dauerhafte Erfolge. Es ist allerdings ein Klinikaufenthalt nötig, und es muss mit einem Blutungsrisiko von etwa 5 Prozent gerechnet werden. Die alternativen Operationstechniken sind minimal invasiv oder gewebsablativ. Die Ersteren erreichen ihr Ziel, indem sie eine Koagulationsnekrose erzeugen. Zu den Verfahren zählen: die transurethrale Mikrowellenthermotherapie (TUMT), die transurethrale Nadelablation (TUNA) sowie die transurethrale oder interstitielle Laserkoagulation. All diesen Verfahren ist gemein, dass sie auch ambulant in einfacher Analgesie oder Sedierung durchgeführt werden können. Da sie zunächst einen Harnverhalt nach sich ziehen, müssen die Patienten über einen längeren Zeitraum katheterisiert werden, als dies bei der TUR-P notwendig ist. Die meisten dieser Verfahren kommen am ehesten bei Männern mit einem kleineren Prostatavolumen (bis 100 ml) und ohne vorangegangene Operation oder Harnretention in Betracht. Im Grossen und Ganzen kann man davon ausgehen, dass die Therapieerfolge der minimal-invasiven Verfahren besser sind als die unter Alpha-Blockern, aber nicht ganz so gut wie die der TUR-P. Zudem werden bei einigen Verfahren wiederholte Eingriffe erforderlich. Die gewebsablativen Verfahren sind der TUR-P ähnlich, nur die Energiequellen, mit denen Gewebe entfernt wird, sind unter- schiedlich. Das Blutungsrisiko ist geringer als bei der TUR-P, auch können die Patienten schneller aus der Klinik entlassen werden. Die Verfahren, zu denen die Laserresektion oder -va- porisation gehört, kommen vor allem bei Männern mit Nieren- und Herzkrankheiten sowie bei Patienten unter Antikoagulan- zien zum Einsatz. Wichtige Nebenwirkungen der operativen Eingriffe betreffen die Sexualfunktion, namentlich den Verlust der normalen Ejakulation und das Auftreten einer erektilen Dysfunktion. Bei minimal invasiven Verfahren ist die retrograde Ejakulation weniger wahrscheinlich, bei den ablativen Verfahren ist sie so häufig wie nach TUR-P. Auch Inkontinenz ist gundsätzlich möglich, vermutlich nach Laserablation und -koagulation sowie Nadelablation etwas seltener. Bei der transurethralen Resektion geht man davon aus, dass 1 Prozent der Operierten pro Jahr einer Anschlussbehandlung bedürfen. Insgesamt sind die BMJ-Autoren eher kritisch gegenüber den neuen Verfahren. Die Vorteile gegenüber der Standardoperation seien zu schwach, zumindest ohne die genannten Komorbiditäten. ■ Timothy J Wilt, James N’Dow: Benign prostatic hyperplasia. Part 1 – diagnosis. BMJ 2008; 336: 146–149. Timothy J Wilt, James N’Dow: Benign prostatic hyperplasia. Part 2 – management. BMJ 2008; 336: 206–210. Interessenkonflikte: keine deklariert Uwe Beise 328 ARS MEDICI 8 ■ 2008